Bernies letzte Chance
Es sieht schlecht aus für Sanders, aber der größte Schwachpunkt Joe Bidens ist er selbst.
Die nächste Runde der US-Vorwahlen ist durch: und erneut hat Bernie Sanders krachend verloren, während Joe Biden triumphierte. Florian Kirner analysiert die Schwächen und Fehler der Sanders-Kampagne, das gesellschaftliche Kräfteverhältnis in den USA - und zeigt eine letzte Möglichkeit auf, die Sanders bleibt, das Blatt vielleicht doch noch zu wenden.
Ist Sanders gescheitert? Momentan spricht nahezu alles dafür. Nach dem „Super Tuesday“ hat Sanders auch den „Big Tuesday“ verloren. Die Bundesstaaten Michigan, Idaho, Mississippi und Missouri gingen an Obamas Vizepräsidenten. In North Dakota und Washington State lag Sanders vorne, aber hauchdünn - während Biden in Mississippi 81 Prozent holte und Sanders unter die 15 Prozent der Stimmen drückte, die ein Kandidat benötigt, um überhaupt irgendwelche Delegierten zu holen.
Afro-Amerikaner und die Jugend
Der Südstaat Mississippi mit seiner starken, schwarzen Bevölkerung zeigt dann auch gleich ein Kernproblem der Sanders-Kampagne. Wie bereits 2016 ist es ihr nicht gelungen, die Kontrolle des demokratischen Parteiestablishments über die afro-amerikanische Vorwählerschaft zu brechen.
Zwar führt Sanders klar bei den Afro-Amerikanern unter 35 Jahren. Es hat sich aber bei den bisherigen Vorwahlen gezeigt, dass die Mobilisierung der Jugend zu den Wahlurnen deutlich unter den Erwartungen der Sanders-Kampagne bleibt.
Das trifft auf die Jugend insgesamt zu. Somit ist eines der entscheidenden strategischen Ziele bisher nicht erreicht worden. Die Kampagne des Senators aus Vermont selbst ist durchaus sehr jung, viele ihrer Aktivisten sind jung, die Besucher der Kundgebung sind weit jünger als der Bevölkerungsschnitt - aber unter den tatsächlichen Wählern ist die Jugend weiterhin stark unterdurchschnittlich vertreten. In Michigan stimmten 82 Prozent der Wähler unter 30 für Bernie Sanders. Dennoch gewann Joe Biden Michigan deutlich.
Die Alten dominieren die Wahlergebnisse - und die sind eher auf eine Rückkehr zum Status-quo Ante-Trump orientiert als auf eine „politische Revolution“ Marke Sanders.
Bei den Afro-Amerikanern scheint zudem ein doppeltes Motiv für die Wahl Joe Bidens vorzuliegen. Die nach wie vor riesige Popularität des ersten schwarzen Präsidenten färbt offenbar weiterhin auf dessen Vizepräsidenten ab. Gleichzeitig ist die Angst vor einer zweiten Amtszeit von Donald Trump in der Community enorm, weshalb alle inhaltlichen Überlegungen der Frage untergeordnet werden, wer im November die besten Chancen hat, Trump zu besiegen.
Aus meiner Sicht wäre das exakt Bernie Sanders. Die Umfragen bestätigen das zuverlässig. Nahezu durchgehend schneidet Sanders gegen Trump besser ab als Joe Biden. Aber die Medien trommeln seit Monaten, dass Sanders ein riskanter Kandidat sei - und bisher ist es nicht gelungen, diese Wahrnehmung wirkungsvoll zu kontern.
Medien und Macht
Dies verweist auf eine zentrale Erkenntnis betreffs der Machtverhältnisse in den USA, die uns durch die Entwicklung der Vorwahlen unerbittlich aufgezwungen wird: Es ist nämlich trotz einer in der Tat sehr starken progressiven Medienlandschaft in den USA nach wie vor nicht gelungen, die Meinungsführerschaft der Mainstream-Medien zu brechen.
Der Mainstream wackelt und ächzt durchaus unter dem Druck der Massenbewegung für Sanders und seiner millionenstarken digitalen Anhängerschaft. Aber der Zugriff der alten Medien auf relevante Teile der Bevölkerung bleibt intakt und wahlentscheidend.
Die erhoffte, deutlich gestiegene Wahlbeteiligung bei den bisherigen Vorwahlen trat beispielsweise ein - sie fiel aber für Joe Biden ins Gewicht. Es waren die Normalos, die Standard-Demokraten, die Mainstream-Konsumenten, die massenhaft an die Wahlurnen strömten. Die von Sanders ins Visier genommen Gruppen - die hartnäckigen Nichtwähler, die Abgehängten, die working poor und die Jugend - konnten dagegen nur sehr ansatzweise aus ihrer Apathie herausbewegt werden.
Hier kommen wir aber auch zu einem strategischen Fehler der Sanders-Kampagne. Allerdings sei vorausgeschickt: Wenn wir im Folgenden diese Fehler betrachten, sollten wir das nicht aus einer belehrenden Haltung heraus tun, sondern in dem Bewusstsein, dass diese Kampagne ungeheuer Vieles richtig gemacht hat, dass sie eine Herkulesaufgabe zu bewältigen hat und dass sie auch dann, wenn Sanders verlieren sollte, enorme Geländegewinne für die Arbeiterbewegung und für fortschrittliche Anliegen wie eine „Gesundheitsversorgung für alle“ erzielt hat.
Der erste zu beschreibende Fehler aber ist, dass die Sanders-Kampagne die offene Konfrontation mit einem medialen Mainstream letztlich gescheut hat, der sie von Anfang an extrem unfair behandelt, mit Lügen und Verleumdungen überzogen und nahezu jeglichen anderen Kandidaten (mit Ausnahme von Tulsi Gabbard) weitaus mehr ins Scheinwerferlicht gerückt hat als Bernie Sanders.
Ja, die Sanders-Kampagne hat die Medien kritisiert. Aber das hat sie in keiner auch nur annähernd der Einseitigkeit von CNN, MSNBC und Co. adäquaten Weise getan, sondern viel zu defensiv, zu zahm. Noch war die Sanders-Kampagne bereit, die Konsequenz daraus zu ziehen: sich nämlich in strategischer Weise mit den Verbündeten im digitalen Raum zu vereinigen. Die wurden stattdessen weiterhin stiefmütterlich behandelt - oder als Risikofaktor auf Distanz gehalten.
Sanders und die Jungen Türken
Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist der Umgang von Bernie Sanders mit Cenk Uygur. Das von Uygur ins Leben gerufene Nachrichtennetzwerk „The Young Turks“ ist das reichweitenstärkste digitale Medium der Welt. Und es ist progressiv und stand schon 2016 felsenfest an der Seite von Bernie Sanders.
2020 wagte Cenk Uygur eine Kandidatur für den Kongress im 25. Wahlbezirk Kaliforniens. Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe, denn Uygur ist ein Schwergewichtsboxer im politischen Ring und hätte nicht zuletzt die Demokraten im Kongress zweifellos ziemlich aufgemischt.
Diese Wahl fand nun ebenfalls am Super Tuesday statt - also an jenem Dienstag, dem 3. März, an dem auch insgesamt 15 Vorwahlen für die Präsidentschaft stattfanden, darunter die Vorwahl in Kalifornien, dem mit weitem Abstand delegiertenstärksten Bundesstaat.
Die Massenbasis von „The Young Turks“ in Kalifornien, die Kandidatur Cenk Uygurs, die Massenbewegung für Bernie Sanders, der in Kalifornien deutlich vorne lag: Es war eine selten glückliche strategische Lage, die sich da ergeben hatte. Und prompt durfte Uygur verkünden: Bernie Sanders hat sich öffentlich hinter seine Kandidatur gestellt!
Dann aber ging ein Sturzbach medialer Diffamierung auf Cenk Uygur nieder. Blogposts, die Uygur als junger Mann geschrieben, aber bereits vor 15 Jahren gelöscht hatte, wurden ausgegraben, um ihn als Sexisten zu brandmarken. Einige Leute in der Sanders-Kampagne zeigten sich ebenfalls empört. Am Ende zog Bernie Sanders seine Unterstützung zurück. Es kam in der Folgezeit zu keiner Kooperation mehr zwischen Sanders und „The Young Turks“. Cenk Uygur verlor sein Rennen.
Bernies Beißhemmung
Ein ähnlich gelagerter Fall ereignete sich rund um die Staatsanwältin, Autorin und Professorin Zephyr Teachout. Sie ist eine der bekanntesten Korruptionsexpertinnen der USA und ihre Unterstützung für Sanders wurde von dessen Kampagne mit einem YouTube-Video stolz bekanntgegeben.
Als Teachout allerdings einen Artikel verfasste, in dem sie die Korruption im Leben des Joe Biden detailliert auflistete, und es daraufhin zu einem Aufschrei der Biden-Kampagne und in den Medien kam, fiel Bernie Sanders wiederum nichts Besseres ein, als sich von Teachouts Aussagen zu distanzieren. Er ging sogar noch weiter und erklärte, Biden sei selbstverständlich nicht korrupt.
Das ist umso erstaunlicher, weil Joe Biden selbstverständlich und sehr offensichtlich korrupt ist. Biden, dem ewigen Mann der Kreditkartenindustrie, der seinen Sohn Hunter Biden in der Ukraine mit einem höchst lukrativen Job beim staatlichen Energiemonopolisten versorgt hat, sandersseitig diesen Persilschein auszustellen, ist geradezu eine Verrücktheit.
Aber das geht seit Monaten so. „Joe ist mein Freund.“ „Joe ist ein anständiger Kerl!“ „Ich kenne Joe seit vielen Jahren, ich mag Joe.“ Diese Art der Freundlichkeit mag Sanders Persönlichkeit entsprechen und sie mag von seinen Kampagnenlenkern für wahltaktisch besonders geschickt gehalten worden sein.
Sie passt nur leider überhaupt nicht zusammen mit dem Anspruch, eine „politische Revolution“ durchführen zu wollen, mit der Botschaft, man sei eine Kampagne auch gegen das Parteiestablishment der Demokraten.
Ins gleiche schwache Bild passt dann Bernies bereits 2016 schier unfassbare Weigerung, die zahlreichen Wahlbetrugsmanöver der demokratischen Parteimaschine bei den Vorwahlen öffentlich zu benennen und zum Kampagnenthema zu machen. So gingen Sanders alleine in Kalifornien diesmal mehr als eine halbe Million Stimmen flöten - die Sanders-Kampagne schweigt dazu.
Ist Biden durch?
Ich betone erneut: Das alles sind Schwächen einer ungemein starken Kampagne, die viel bewegt und den Diskurs in den USA kraftvoll nach links verschoben hat.
Freilich stellt sich einmal mehr die Frage, ob die Strategie, die Demokratische Partei für fortschrittliche Politik zu erobern, überhaupt aufgehen kann. Denn diese Partei ist ungemein geschickt und erfahren darin, fortschrittliche Impulse aufzunehmen, um sie abzutöten. Sie ist der Friedhof der sozialen Bewegungen.
Ist es also vorbei und Joe Biden wird der Herausforderer Donald Trumps? Das wäre eine Katastrophe mit Ansage, denn Joe Biden wird seit Monaten geradezu versteckt vor den Wählern. Die Anzeichen beginnender Demenz sind unübersehbar. Er hat große Mühe, sinnvolle Sätze zu formulieren. Auf seiner letzten Wahlkundgebung dauerte seine Rede gerade sieben Minuten.
Biden ist ein geistiges Wrack und die Republikaner feiern seine kognitiven Verfallserscheinungen bereits jetzt. Es braucht viel Fantasie, sich eine Präsidentschaftsdebatte Trump / Biden vorzustellen, bei der Biden nicht komplett unter die Räder käme.
Allerdings steigt die nächste Debatte erst einmal zwischen Biden und Sanders. Die Demokratische Partei versucht, das Debattenformat zu umzuändern, dass Bidens Schwäche besser kaschiert werden kann. Sanders dagegen hat in einer Rede alles getan, die allgemeine Aufmerksamkeit für diese Debatte zu erhöhen - und signalisiert, Biden nun endlich hart angreifen zu wollen.
Zu wenig, zu spät? Sehr gut möglich.
Bernie rennt die Zeit davon. Die nächsten Vorwahlen sind in einer Woche und in Florida liegt er weit, weit hinten. Allerdings, es ist rein rechnerich durchaus noch denkbar, dass sich etwas dreht in diesem an scharfen Wendungen überaus reichen Wahlkampf.
Lady Corona als Wahlhelferin?
Welche Rolle wird zudem Lady Corona spielen? Gestern haben Sanders und Biden alle Wahlkampfkundgebungen bis auf weiteres abgesagt. Das schadet wiederum Sanders, der Tausende und Zehntausende anzieht, viel mehr als Biden, der vor wenigen Hundert unzusammenhängendes Zeug redet.
Oder aber werden die nächsten Vorwahlen verschoben? Das könnte Sanders Zeit verschaffen, die er dringend braucht. Und trauen sich womöglich die älteren Biden-Wähler nicht mehr zu den Wahllokalen?
Wir leben in einer Zeit, in der die frei flottierenden Krisenfaktoren eine sinnvolle Voraussage nahezu unmöglich machen. Jedoch, soviel steht fest: Nur noch ein Wunder kann Bernie jetzt retten. Ein Wunder etwa in der Form einer Debatte, in der Bernie Sanders seinen "alten Freund" endlich konsequent attackiert, Joe Bidens kognitiven Verfall verdeutlicht und die daraus resultierende Wehrlosigkeit des ehemaligen Vizepräsidenten gegen Trump vorführt.