Belanglose Opfer
Nur bestimmte Tote sind für die westlichen Medien von Wert.
Opfer ist gleich Opfer? Weit gefehlt. Der tonangebende Westen unterscheidet da strikt zwei Kategorien: die beklagenswerten und die belanglosen Opfer. Also einerseits die, deren Leid weltweit Empörung hervorruft, und andererseits jene, über die die Weltöffentlichkeit schulterzuckend hinweggeht. David William Pear beschreibt das Messen mit zweierlei Maß an drei Schauplätzen von Gewalt.
Belanglose Opfer
von David William Pear
Edward Herman und Noam Chomsky unterscheiden in ihrem Buch „Manufacturing Consent“ (etwa „Einen Konsens fabrizieren“, Anmerkung der Übersetzerin) zweierlei Arten von Opfern: belanglose Opfer und beklagenswerte Opfer. „Beklagenswerte Opfer“ sind (echte wie angebliche) Opfer aus der Gruppe der Staatsführer, die auf der Feindesliste der USA stehen, wie zum Beispiel Baschar al-Assad. Die „belanglosen Opfer“ dagegen haben die USA und ihre Satellitenstaaten wie Israel und Saudi-Arabien zu verantworten.
Die von den USA angeführte geheime Verbindung, die sich selbst „internationale Gemeinschaft“ nennt, ist außer sich, wenn es „beklagenswerte Opfer“ gibt. So zeigt beispielsweise Nikki Haley, die US-Botschafterin der UN, der ganzen Welt Bilder toter syrischer Babies. Beklagenswerten Opfern werden Menschenrechte zugestanden, und Assad verdient unsere Empörung.
Belanglose Opfer sind zum Beispiel die 50.000 jemenitischen Kinder, die verhungert sind, weil Saudi-Arabien eine Totalblockade gegen den Jemen verhängt hat – einschließlich eines Embargos für Essen, Wasser und Medizin. Belanglose Opfer „sind wohl selbst schuld“ und werden von der internationalen Gemeinschaft sowie den Mainstream-Medien ignoriert. Belanglose Opfer haben keine Menschenrechte. Der Jemen ist eine humanitäre Katastrophe, die deswegen ignoriert wird, weil Saudi-Arabien mit den USA befreundet ist.
Wenn Saudi-Arabiens Mohammad bin Salman (MbS) in den USA hergestellte Bomben aus von den USA hergestellten Flugzeugen wirft und ohne Unterschied jemenitische Männer, Frauen und Kinder ermordet, hört man aus den USA keinen empörten Aufschrei. MbS ist der neue Liebling der Neokonservativen, und Thomas Friedman verfasst Lobeshymnen über ihn, als sei es wirklich cool, im 21. Jahrhundert ein absoluter Herrscher zu sein. Der verstorbene Robert Parry beschrieb Friedman und die Neokonservativen als „von der Wirklichkeit abgekoppelt“.
Zehntausende Einwohner in Gaza demonstrieren nun schon seit Wochen legal für ihr Recht, zu ihren Häusern in Palästina zurückzukehren. Hier gibt es keinen empörten Aufschrei, wenn Netanjahu und sein Regime israelischen Soldaten befehlen, sie zu massakrieren. Hunderte von Palästinensern wurden am Land Day und während Demonstrationen für das Rückkehrrecht niedergemäht. Netanjahu hat die volle Unterstützung der USA, also gibt es keine öffentliche Empörung, und er wird auch nicht für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Netanjahu hat allen Grund davon auszugehen, dass die USA ihn decken werden – wie sie es in der Vergangenheit schon oft getan haben.
Nikki Haley wird auch keine Bilder von toten palästinensischen Kindern zeigen. Stattdessen wird sie Netanjahu vor Kritik abschirmen und seine Kritiker des Antisemitismus bezichtigen. Die Opfer Netanjahus sind belanglose Opfer.
Die Palästinenser, die in Gaza massakriert wurden, befanden sich in der israelischen Enklave, die über ein Jahrzehnt lang ihr Gefängnis war. Sie befanden sich auf palästinensischem Land. Sie stellten für die Soldaten auf der israelischen Seite der Barrikade keine Gefahr dar. Die Soldaten hatten Zielfernrohre an ihren Gewehren und schossen aus einer Entfernung von über neunzig Metern. Hunderte von Palästinensern wurden mit illegalen Splitterkugeln beschossen, die im Haager Abkommen von 1899 verboten worden waren. Netanjahus Befehle waren rechtswidrig, und die Soldaten begingen Kriegsverbrechen, als sie diesen rechtswidrigen Befehlen folgten.
Die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg erklärten, dass das Befolgen eines Befehls keine Entschuldigung für Kriegsverbrechen darstellt.
Zwei Millionen palästinensische Flüchtlinge sind bereits seit über einem Jahrzehnt in Gaza eingeschlossen. Gaza wurde zu einem unmenschlichen Freiluft-KZ. Die Menschen in Gaza sind von der Außenwelt abgeschnitten. Sie leben unter einer Blockade und Israel kontrolliert alles, was in den Gazastreifen hineinkommt oder ihn verlässt. Was hineinkommt, ist kaum genug Nahrung, um zu überleben. Netanjahu macht Witzchen darüber, dass er Gaza auf Diät gesetzt habe. Die Kranken, Verwundeten und Sterbenden dürfen Gaza ohne Erlaubnis Israels nicht verlassen, um in einem Krankenhaus medizinisch versorgt zu werden – und Netanjahu erteilt diese Erlaubnis fast nie. Die Opfer Netanjahus sind belanglose Opfer und selbst schuld daran.
2006 hat Israel die Schlinge um Gazas Hals noch enger gezogen, als es gegen die Palästinenser in Gaza eine totale Luft-, Wasser- und Landblockade errichtete. Das angebliche Verbrechen, für das Israel eine illegale Strafmaßnahme gegen die Menschen in Gaza verhängt hat, bestand darin, dass sie sich bei demokratischen Wahlen gegen den Wunsch Israels für die falsche Regierung entschieden haben. Statt die von Israel gesteuerte Palestinian National Liberation Movement, auch als Fatah bekannt, zu wählen, entschieden sie sich für die Hamas, die Islamische Widerstandsbewegung. Früher betrachtete Israel die Fatah als Terrororganisation – was heute nicht mehr zutrifft, da sie nun kollaborieren. Stattdessen wird nun die Hamas als Terrororganisation eingestuft – dieselbe Hamas, deren Entstehung Israel in Divide-et-impera-Manier heimlich unterstützt hat. Netanjahu beschuldigt die Demonstrierenden fälschlicherweise, Hamas-Terroristen zu sein.
Netanjahu hat Journalisten, die aus Gaza berichteten, ermordet und verwundet. Sie sind belanglose Opfer, also gab es auch keinen empörten Aufschrei in den Mainstream-Medien über die Ermordung von Journalisten. Die Mainstream-Medien beschuldigen Russlands Präsidenten Wladimir Putin immer wieder der (angeblichen) Ermordung von Journalisten – was natürlich zu öffentlicher Empörung führt, weil dies ja bedauernswerte Opfer sind. Die USA haben nun Wirtschaftlssanktionen gegen Russland verhängt. Israel erhält finanzielle Hilfeleistungen in Milliardenhöhe von den USA – gleichgültig, welche Verbrechen Netanjahu begeht. Russlands vermeintliches Verbrechen besteht darin, dass es der abtrünnigen Ukraine Hilfe geleistet hat – nach einem USA-gestützten faschistischen Regimewechsel in Kiew. Putin wird beschuldigt, in die Krim eingefallen zu sein – als die Einwohner in einem Volksentscheid für eine historisch nachvollziehbare Wieder-Angliederung an Russland gestimmt hatten.
Putin wird wegen seiner (angeblichen) Einmischung in US-amerikanische Politik dämonisiert, während Netanjahu vom US-Kongress stürmischen Beifall erhält.
Netanjahu besetzt illegal das Westjordanland Palästinas und baut dort illegale israelische Siedlungen. Netanjahu dreht dem Völkerrecht eine lange Nase. Die USA haben ein Veto gegen 43 Resolutionen gegen Israel eingelegt – aber Nikki Haley behauptet, Putin sei ein Quertreiber, weil er ein Veto gegen eine Resolution eingelegt hat, die Assad ohne Beweise wegen eines angeblichen Chemiewaffenangriffs verurteilten sollte. Die USA versuchten, eine Untersuchung der OPCW am Ort des angeblichen Chemiewaffenangriffs in Syrien zu verhindern. Die OPCW sagte, sie würde trotzdem ermitteln.
Präsident Trumps Befehl zum Angriff auf Syrien – auf der Grundlage eines angeblichen Einsatzes von Chemiewaffen – ist ein Bruch des Völkerrechts. Die USA sind nicht die internationale Polizei, Richter und Henker gleichzeitig. Artikel 2, Absatz 4 der UN-Charta besagt Folgendes:
„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“
Gemäß der UN-Charta sind die einzigen legalen Anwendungen von Gewalt die Selbstverteidigung oder die durch den Sicherheitsrat der UN bewilligte Anwendung von Gewalt. Verstöße gegen die UN-Charta sind auch Verstöße gegen Artikel VI der Verfassung der USA, der lautet:
„… alle unter der Hoheit der Vereinigten Staaten abgeschlossenen oder künftig abzuschließenden Verträge sollen oberstes Gesetz des Landes sein.“
Die UN-Charta ist ein Abkommen, das vom Präsidenten der Vereinigten Staaten unterschrieben und vom US-Senat ratifiziert wurde. Im Sinne der US-Verfassung ist die UN-Charta sowohl in den USA als auch international gesehen das „oberste Gesetz des Landes“.
Entsprechend der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gilt jeder Mensch als unschuldig, solange ein Gericht ihn nicht für schuldig befunden hat. Die USA haben kein Recht, ohne Gerichtsverfahren und Urteilsspruch eine Strafe zu verkünden.
Artikel 66 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 gesteht Angeklagten eine „Unschuldsvermutung“ zu und sagt weiter:
„Die Beweislast für die Schuld des Angeklagten liegt beim Ankläger. Für eine Verurteilung des Angeklagten muss der Gerichtshof von der Schuld des Angeklagten so überzeugt sein, dass kein vernünftiger Zweifel besteht.“
Wir wissen nicht einmal, ob überhaupt ein Verbrechen begangen wurde. Es gab noch keine Ermittlungen, aber es gibt beträchtlichen Anlass für Zweifel. Investigativjournalisten wie Seymour Hersh und andere (Robert Fisk, Ron Paul, Jeffrey Sachs, der frühere US-Botschafter in Syrien Peter Ford, Tucker Carlson von Fox News, Larry Wilkinson und so weiter) haben deutliche Zweifel an dem angeblichen Chemiewaffenangriff durch Assad geäußert. Es gibt keine bekannten Fakten zum neuesten angeblichen Chemiewaffenangriff – wie auch zu den vergangenen.
Die unbewiesene Behauptung über die Chemiewaffen stammt von Terroristen, die von den USA unterstützt werden und seit mehr als sieben Jahren Krieg gegen das syrische Volk führen. Dass die angeblichen Chemiewaffenangriffe, angeblich von Assad durchgeführt, False-Flag-Operationen waren, wurde ausführlich berichtet und dokumentiert. Über die Terroristen wurde berichtet, dass sie Chemiewaffen lagerten. Wenn bei einem der Angriffe Chemiewaffen eingesetzt wurden, könnten sie auch von den Terroristen selbst stammen.
Es ist bekannt, dass die USA hinter dem Krieg gegen Assad stecken. Sie geben selbst zu, Terroristen in Regimewechsel-Projekten einzusetzen. Die Toten und Verletzten, die die USA mit ihren Angriffen im 21. Jahrhundert zu verantworten haben, belaufen sich auf Millionen von Menschen in über einem halben Dutzend Länder. Die Mainstream-Medien ignorieren das Ausmaß der US-amerikanischen Angriffskriege, während die Bevölkerung einfach ihren alltäglichen Geschäften nachgeht, als wäre nichts gewesen. Wenn aber die USA angeblich eine Demokratie sind und dort Pressefreiheit herrscht, sind die Bevölkerung und die Mainstream-Medien für die Taten ihrer Regierung verantwortlich. Unkenntnis über die Rechtmäßigkeit dessen, was ihre Regierung veranstaltet, ist keine Entschuldigung.
Gemäß Völkerrecht haben die Palästinenser das Recht, sich der illegalen militärischen Besatzung Palästinas zu widersetzen, die seit 1967 stattfindet. Israel dagegen hat nicht das Recht, kollektive Strafmaßnahmen anzuwenden, Gefangene zu foltern, die Bewegungsfreiheit von Zivilsten einzuschränken – und auch nicht, sie in unmenschlichen Lebensbedingungen in Gaza gefangen zu halten. Israel verhält sich nicht anders als die Nazis gegenüber den Juden, als sie diese 1939 im Warschauer Ghetto zusammenpferchten. Genau wie im Warschauer Ghetto kann man in Gaza nicht leben: Die Menschen verhungern, das Wasser ist verseucht, Krankheiten breiten sich ungehemmt aus, und Israel hat systematisch ihre Wohnhäuser und die zivile Infrastruktur zerstört.
Israel schießt regelmäßig ohne Rücksicht auf Verluste auf jeden, der eine „Niemandsland“-Pufferzone innerhalb Gazas betritt. Es hat sogar ferngesteuerte Maschinengewehre und andere willkürliche Tötungsinstrumente innerhalb dieser Pufferzone aufgestellt. Als Zehntausende von unbewaffneten Demonstranten sich dieser Pufferzone näherten, waren israelische Militär-Scharfschützen bereit, sie niederzumetzeln. Netanyahu sagt, Israel besitze die moralischste Armee der Welt. Das Massakrieren unbewaffneter Zivilisten ist unmoralisch.
Die Demonstrationen zur Erinnerung an den Land Day und für das Rückkehrrecht waren zuvor angekündigt worden. Israel eröffnete das Feuer und massakrierte Demonstranten. Dabei wurden Hunderte von Palästinensern getötet und lebensgefährlich verletzt, darunter auch deutlich als Journalisten erkennbare Personen wie Yasser Murtaia. Das Massakrieren unbewaffneter Zivilsten, die auf ihrem eigenen Land demonstrieren, ist ein klarer Bruch des Völkerrechts und ein Verbrechen gegen die Menschheit. Am 3. April wandte sich die israelische Menschenrechtsorganisation B´Tselem an die israelischen Soldaten und forderte sie auf, sich zu weigern, auf unbewaffnete Zivilsten zu schießen:
„Der Einsatz scharfer Munition gegen unbewaffnete Menschen, die für niemanden eine Gefahr darstellen, ist gesetzeswidrig. Und es ist sogar himmelschreiend gesetzeswidrig, wenn Soldaten aus großer Entfernung auf Demonstranten schießen, die sich auf der anderen Seite des Zaunes befinden, der Israel vom Gazastreifen trennt. Darüber hinaus ist es unzulässig, Soldaten das Abfeuern scharfer Munition zu befehlen, wenn Individuen sich dem Zaun nähern, ihn beschädigen oder ihn zu überwinden versuchen.“
Laut Völkerrecht können Kommandanten, die befehlen, auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen, und auch Soldaten, die diesen Befehlen gehorchen, vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass dies so bald passieren wird, weil die USA Israel decken und Netanjahu buchstäblich erlauben, ungestraft davonzukommen. Die Opfer Netanjahus sind belanglos.
David Pears ist ein progressiver Kolumnist, der über öknomische, politische und soziale Themen schreibt. Er engagiert er sich in Fragen des Friedens, der Rassenbeziehungen, der religiösen Freiheit, Obdachlosigkeit und Gleichberechtigung. Er ist Mitglied der Veterans for Peace und des International Solidarity Movement.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Victims in Syria, Gaza and Yemen. U.S. ´Outrageversus U.S.´Crimes against Humanity
“
https://www.globalresearch.ca/the-victims-in-douma-gaza-and-yemen-u-s-outrage-versus-u-s-crimes-against-humanity). Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam korrigiert.