Bekenntnisse eines blinden Huhns
Eine dpa-Meldung billigt Maßnahmenkritikern zu, in vielen Punkten recht gehabt zu haben, führt dies jedoch allein auf Glück zurück.
So sehen schlechte Verlierer aus. Die dpa gesteht in ihrer Meldung „Warum Querdenker meinen, recht gehabt zu haben“ den Kritikern zähneknirschend zu, in vielen Punkten richtig gelegen zu haben. Doch dies sei natürlich reines Glück gewesen. Mit Verstand habe dies nichts zu tun. Es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Sonst sähe man sich womöglich gezwungen, sich bei den jahrelang Diskreditierten zu entschuldigen. In einem ironischen Brief an die dpa gesteht der Autor, bei seinen Vorhersagen zur Pandemie gemogelt zu haben, nämlich durch Einsatz seines gesunden Menschenverstandes. Den Preis der Zubilligung gibt er damit zurück.
Sehr geehrte Damen und Herren der Deutschen Presse-Agentur!
Herzlichen Dank für Ihr Begleitschreiben zu meinem Gewinn im Pandemie-Lotto. Ihre freundlichen Worte trösten mich ein wenig darüber hinweg, dass ich mir den Preis mit vielen Millionen anderer Hauptgewinner teilen muss.
Im Spiel „73 aus 73“, also der korrekten Benennung von dreiundsiebzig coronabezogenen Fakten und Vorhersagen, haben wir alle den Jackpot geknackt. Nochmals: Millionen von Menschen haben dreiundsiebzig Richtige getippt, und allein das Porto für Ihre Glückwunschbriefe muss die Gewinnsumme um ein Vielfaches überstiegen haben. Danke nochmals dafür.
Trotz dieser exorbitanten Trefferquote halten Sie großzügig daran fest, dass wir alle nur Glück gehabt hätten. Das ist zwar erstaunlich, aber Sie werden Ihre Gründe haben. Zumindest bezüglich meiner Person kann ich dazu jedoch nicht länger schweigen.
Liebe dpa, ohne es zu wollen, haben Sie mir durch Ihre Gratulation das Osterfest verdorben, denn mich plagen seither die schlimmsten Gewissensbisse.
Wissen Sie, ich gehörte nie zu jenen, die auf unverdiente Lorbeeren aus waren. Ich hatte bisher genug Gelegenheiten, mir Meriten zu erwerben aufgrund eigener, ehrlicher Leistung. Ich weiss daher nicht, was mich beim Ausfüllen des Lottoscheins geritten hat, aber ich kann die Augen vor meiner Tat nicht weiter verschließen: Ich … ich habe betrogen.
Als ich begann, die Antworten anzukreuzen, da kam mir ein hintertriebener, abwegiger Gedanke:
Was, wenn ich nicht einfach so drauflos tippte, wenn ich mir nicht blindlings etwas aus den Fingern saugte, sondern wenn ich den ernsthaften Versuch unternähme, mir entsprechende Kenntnisse zu erwerben? Wenn ich also solche Dinge täte wie Nachschlagen, Nachfragen, Nachdenken?
Allein der Gedanke daran war erregend und voll kribbelnder Verlockung, als hätte man mir eine köstliche, aber verbotene Frucht vor die Nase gehalten.
Denn natürlich wusste ich, dass ein solches Unterfangen gegen das Teilnahmereglement verstößt; insbesondere der Erwerb und das Konsumieren von Büchern ist schließlich strengstens untersagt. Nicht umsonst hatte die Glücksspielkommission dafür gesorgt, dass entsprechende Literatur gar nicht erst ihren Weg in die Auslagen der Buchhändler fand. Ich habe sie trotzdem gekauft und — ja — gelesen. Mea culpa.
Nun gut, zu meiner Verteidigung: Nicht für jede Frage benötigte ich das Wissen meiner „Spickzettel“. Vieles ging auch so, also durch etwas, was in meinen Kreisen als „logisches Schließen“ bekannt ist.
Mir ist bewusst, dass das Reglement auch diesbezüglich eine Bestimmung enthält, den Passus 28B: „Jeglicher Einsatz allenfalls vorhandener kognitiver Kompetenzen kann zum Ausschluss an der Teilnahme führen.“
Aber was hätte ich machen sollen? Wie hätte ich bei der Frage „Ist ein weitgehend ungetestetes medizinisches Präparat sicher? (ja/nein)“ meinen Verstand daran hindern sollen, mir ein lautes „NIEMALS!“ zuzubrüllen? Welchem potenziell vernunftbegabten Wesen ist solch ein Kraftakt zuzumuten, gar vorzuschreiben?
Desgleichen mit: „Bin ich haftbar für den Schnupfen meines Nachbarn, wenn ich selbst gesund bin? (ja/nein)“.
Ich bitte Sie, da genügt doch das Zentralnervensystem einer Seegurke, um richtig zu tippen. Und mir wollen Sie den Gebrauch eines Menschenhirns untersagen? Viel Glück dabei!
Sie werden sicherlich einsehen, dass es mir unter diesen Bedingungen nicht möglich war, auf ehrliche Weise zu gewinnen. Im Grunde keinem von uns, aber es liegt nicht an mir, dies zu beurteilen.
Und obwohl ich sogar die Frage „Wird die Spielkommission nach der Pandemie jede korrekte Antwort als Glückstreffer werten? (ja/nein)“ mit „ja“ beantwortet und somit meinen Stand auf 74 Punkte erhöht hätte, möchte ich meinen Gewinn bitteschön zurückgeben. Ich habe ihn nicht verdient.
Sie finden beiliegend die Rückerstattung der zwölf Cent.
Ich werde weiterhin ein begeisterter Lottospieler bleiben und meinen Spieleinsatz jeweils freudig entrichten. Darüber hinaus hoffe ich aber, dass es mir zukünftig gelingen wird, mich an die Spielregeln zu halten.
Nichts ist wichtiger als das Einhalten von Spielregeln. Dafür sind sie da. Wo kämen wir denn da hin, wenn … nicht wahr?
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Grüninger