Bauernsalami
Die Regierenden kommen den protestierenden Landwirten nur scheibchenweise entgegen, um der Bewegung die Stoßkraft zu nehmen.
Die Verunglimpfung als Taktik gegen die Proteste der Landwirte ist nach hinten losgegangen. Die Regierungsparteien suchen nun das Gespräch mit ihnen. Es wird sich zeigen, welche Vorschläge sie machen, wie weit die Bauern darauf eingehen werden und welche Auswirkungen das auf die gesamte Bewegung hat.
Verwirrspiele
Die Behinderungen durch die Proteste der Bauern haben nicht dazu geführt, dass die Gesellschaft sich von ihnen abgewendet hat. Vielmehr scheint sogar die Unterstützung für sie gewachsen zu sein durch die Versuche von Medien und sonstigen Meinungsmachern, Stimmung gegen sie zu machen.
Diese Stimmungsmache erfolgte auf verschiedenen Ebenen. Zum Teil wurden die Forderungen der Bauern als Jammern auf hohem Niveau dargestellt, weil einige von ihnen über unbestritten gute Einnahmen verfügen, andere über großen Grundbesitz. Bei wem das nicht der Fall sei, der habe betriebswirtschaftliche Fehler gemacht. Dabei wurde nicht unterschieden zwischen den Bedingungen für kleine Familienbetriebe und denen agrarischer Großbetriebe. Dass neben den Betriebsgrößen auch die Produktionsbereiche eine unterschiedliche Ertragskraft mit sich bringen, findet in dieser Propaganda keine Erwähnung (1).
Andere Meinungsmacher schürten Sozialneid, indem die Landwirte gegenüber anderen meist einkommensschwachen Kreisen als privilegiert dargestellt wurden. Es wurde behauptet, dass sie die großen Profiteure von Subventionen im nationalen Rahmen wie auch auf Ebene der Europäischen Union seien. Dass diese Subventionen aber verbunden sind mit sehr strikten Auflagen, bleibt in den wenigsten Fällen unerwähnt. Auch wurden die landwirtschaftlichen Subventionen nicht ins Verhältnis gesetzt zu anderen, beispielsweise jenen, die ansiedlungswilligen, ausländischen Großkonzernen der Batterie- oder Chipherstellung in Milliardenhöhe gewährt werden.
Ein weiteres Feld der Stimmungsmache war der Versuch, die Bauern zu kriminalisieren. Gewaltbereitschaft wurde ihnen nachgesagt und ihre Proteste wurden als Verstöße gegen Recht und Ordnung bezeichnet. Der Höhepunkt dieser Kampagne war der Versuch, die Bauern in die politisch rechte Ecke zu stellen, gar von Umsturzversuchen war die Rede (2). Besonders die Proteste von etwa 300 Bauern in Schlüttsiel bei der Ankunft von Vizekanzler Robert Habeck wurden zum Skandal aufgebauscht. Angeblich hatten sie die Polizeikette durchbrochen und die Fähre entern wollen. Damit versuchte man den Landwirten eine Bedrohung zu unterstellen (3).
All diesen Beiträgen liegt nicht das Interesse zugrunde, eine sachgerechte Diskussion über die Lage der Landwirte zu führen. Es ging den Kommentatoren der Ereignisse in erster Linie darum, die Solidarität der Bevölkerung zu untergraben.
Scheibchen für Scheibchen sollte diese Salami zurechtgestutzt werden. Denn denjenigen, die diese Propaganda verbreiteten — in erster Linie aus den Medienhäusern, standen die Informationen zur Verfügung, die eine sachgerechte Berichterstattung ermöglicht hätten.
Entwirrung
Das Interesse an Desinformation wird besonders daran deutlich, wenn vorhandenes Bildmaterial bewusst so zusammengeschnitten wurde, dass es den Eindruck zu bestätigen schien, den man vermitteln wollte. Dass die wirklichen Ereignisse sich anders abgespielt haben (4), wussten die Berichterstatter, ließen es aber unter den Tisch fallen. Schnell machte die Theorie die Runde, dass die Bauern selbst teilweise rechtsradikal und gewaltbereit seien, teilweise auch von Kräften unterwandert seien, die sich die Ereignisse für ihre umstürzlerischen Absichten zu Nutze machen wollten.
Auch hierfür fanden sich schnell willige Experten, die Belege für diese Behauptungen zu haben schienen. Diese Feststellungen belegten jedoch nichts anderes als Weltfremdheit und die eigene Oberflächlichkeit in der Beurteilung gesellschaftlicher Vorgänge wie die Extremismus-Expertin Andrea Röpke (5). Denn sie leiten rechte Gesinnung allein schon aus der Wahrnehmung von Symbolen ab, die sie selbst als rechtsextrem bezeichnen oder „borussisch“, was immer das auch sein mag.
Es scheint für das einfache und klischéehafte Weltbild solcher Experten unvorstellbar, dass Bauern schon zu unterscheiden wissen, wie weit sie andere vor fremde Karren spannen wollen. Die Bauern sind nicht solche dummen Tölpel, wie so manche Expertin zu glauben scheint. Die Landwirte jedenfalls sind nicht der Manipulation durch die Medien aufgesessen im Gegensatz zu den sogenannten Experten.
Allmählich scheint sich bei den Meinungsmachern die Erkenntnis durchzusetzen, dass die medialen Angriffe auf die Bauern in der Öffentlichkeit nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Bei weiten Teilen der Bevölkerung scheint der Vorwurf des Rechtsextremismus immer weniger zu wirken, je öfter er zum Einsatz kommt.
Diejenigen, die Vorwürfe und Warnungen vor rechter Gesinnung inflationär anwenden, laufen eher Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren, als jene, die davon getroffen werden sollen.
So wird man denn nun offensichtlich bei den Medien zurückhaltender mit den Angriffen gegen die Bauern. Jetzt tauchen auf einmal auch Videos und Berichte auf, die die Vorgänge von Schlüttsiel in einem anderen Licht zeigen (6). Der Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hat die Versuche, die Bauern in die rechte Ecke zu schieben oder ihre Blockaden als gesetzwidrig darzustellen, mit den bisher deutlichsten Worten verurteilt:
„Es ist eine Frechheit, so mit anständigen Landwirten umzugehen. (...) Die Warnung vor der Unterwanderung durch rechte Bewegungen, sei eine bewusste Diskreditierung.“ (7)
Solche Äußerungen seien schlichtweg bösartig und auch die Reportagen über die Vorgänge in Schlüttsiel seien gezielte Falschdarstellungen (Framing) gewesen.
Angesichts solch „bösartiger“ Vorgehensweisen vonseiten der Kämpfer für Demokratie und westliche Werte stellt sich die Frage, wer beiden den größeren Schaden zufügt. Sind das jene, die „unsere Demokratie“ angeblich beschädigen und den Staat delegitimieren wollen, oder sind es nicht gerade jene, die sie um alles in der Welt zu verteidigen vorgeben, selbst wenn sie dabei mit den unsaubersten und undemokratischen Mitteln arbeiten?
Stimmungswandel
Den Bauern hat diese Kampagne nicht geschadet. Belämmert stehen nun jene da, die vorschnell glaubten, sich ereifern zu müssen. Cem Özdemir wusste schon am nächsten Tag ganz genau, dass es den Demonstranten in Schlüttsiel nicht um die deutsche Landwirtschaft gehe. Er selbst war nicht dabei, ist auch kein Bauer, gibt aber vor, genau zu wissen, worum es den Protestierenden geht. Habeck spielte in seiner aufrüttelnden Rede nach den Vorgängen sogar auf Wladimir Putin an, der immer ins Gespräch gebracht wird, wenn die Vertreter des politischen Westens im eigenen Land an Zustimmung verlieren (8).
Aber auch manche Vertreter der Bauernorganisationen haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als sie glaubten, sich auf Zuruf der Berliner Politik und der Medien von den eigenen Mitgliedern abgrenzen zu müssen. Eine keinesfalls bestätigte Bedrohung der Demokratie abzuwenden, erschien ihnen wichtiger, als eine Stellungnahme der eigenen Mitglieder abzuwarten, geschweige denn, sich ihnen gegenüber solidarisch zu erklären. Das taten dann andere.
Anders als der Vorsitzende des Bauernverbandes, Joachim Rukwied, nutzte der stellvertretende bayrische Ministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern die Zeit zwischen den Meldungen und ersten Nachfragen um eine Stellungnahme vonseiten der Medien. Er distanzierte sich nicht von den Bauern wie Rukwied, sondern stellte fest: „Die Schuld für die Bauernwut liegt allein bei der existenzgefährdenen Ampelpolitik“ (9). Das oder Ähnliches hätte auch Rukwied sagen können. Genügend Vorbereitungszeit hätte er gehabt. Aber unaufgefordert ein Bekenntnis zur Demokratie abzugeben, schien ihm wichtiger.
Aiwanger sprach auch einen anderen Gesichtspunkt an, der danach immer mehr Einfluss in der Auseinandersetzung mit den Bauern gewann. Das war die Erkenntnis, dass es sich bei den Bauern um eine der stabilsten Säulen der bestehenden Ordnung handelt. Wenn auch Habeck von Umsturzplänen im Umfeld der Bauern schwadronierte, so untergräbt er selbst das Fundament dieser Ordnung. Aiwanger stellt dazu fest:
„Die Bauern sind nur ein Symbol dafür, wie die Bundesregierung mit den Stützen der Gesellschaft umgeht.“ (10)
Denn wer ist staatstragender als die Bauern? Das schien nachdenklich zu machen.
Anscheinend haben die Meinungsmacher inzwischen erkannt, dass ihr Versuch fehlgeschlagen ist, den Bauern die Solidarität der Bevölkerung scheibchenweise zu entziehen. Die Verunglimpfung der Landwirte hat nicht zum Abrücken von ihnen geführt, sondern zum Abrücken von Medien und Politik. Nun suchen die Ampelparteien das Gespräch mit ihnen. Nach der großen Demonstration am 15. Januar 2024 will man sich zusammensetzen und nach Lösungen suchen.
Obwohl Rukwied angekündigt hat, weiter Druck zu machen, wenn die Forderungen der Landwirte nicht erfüllt werden, steht zu befürchten, dass es zu einem faulen Kompromiss kommt. Denn für die Regierung geht es nur noch um zwei- oder dreihundert Millionen, nachdem man schon auf die KfZ-Steuer verzichtet hat. Auf die kann man zur Not auch verzichten. Denn für die Regierung geht es um mehr. Für sie geht es um die brisante Forderung nach der Senkung der CO2-Steuer.
Waren die Landwirte zu Beginn der Auseinandersetzung noch für deren Senkung eingetreten, womit sie sich die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung erworben hatten, so war in der letzten Zeit davon keine Rede mehr. Es ging nur noch um die landwirtschaftsspezifischen Interessen. Was aber wird aus den Interessen derer, die bisher die Bauern unterstützt hatten? Sollte die Bundesregierung die Dieselsubventionen für die Landwirtschaft unangetastet lassen, haben die Bauern kaum noch einen Grund, weiter zu kämpfen.
Was wird dann aus den Spediteuren und sympathisierenden Bürgern, wenn die Bauern ihre Proteste einstellen?
Können sie dann alleine weitermachen? Bisher scheinen keine Überlegungen angestellt zu werden, wie es nach dem Gipfel in Berlin weitergehen soll. Die Führung des Bauernverbandes setzt auf das Einsehen der Regierung, und diese wäre gut beraten, im eigenen Interesse darauf einzugehen. Vermutlich wäre das dann auch das Ende der Bewegung und die Salami-Taktik wäre dann doch noch aufgegangen. Die politisch wichtige Forderung nach der Senkung der CO2-Steuer wäre damit vom Tisch.