Bauern setzen Zeichen
Die Landwirte versuchen weiter Druck auf die Politik auszuüben, haben aber keinen Plan dafür, was passieren soll, wenn die Regierung hart bleibt.
Viele Vertreter landwirtschaftlicher, aber auch anderer Verbände haben am 15. Januar 2024 in Berlin vor Tausenden Demonstrationsteilnehmern gesprochen. Finanzminister Christian Lindner hatte angekündigt, dass die Politik den Forderungen der Bauern nicht weiter entgegenkommen werde. Die Subventionen auf den Agrardiesel laufen aus. Die Strategie der Kompromissbereitschaft von Bauernpräsident Joachim Rukwied ist nicht aufgegangen. Wie geht es jetzt weiter?
Viele Worte
Dem Protestmarathon der vergangenen Tage, dem Treckermarathon in den Straßen deutscher Städte folgte der Redemarathon vor dem Brandenburger Tor. Wird sich nun, wo die Forderungen der Bauern nicht erfüllt wurden, ein Verhandlungsmarathon anschließen? Die Haushaltsvorlage für 2024 zeigt, dass die Subventionen auf den Agrardiesel auslaufen werden. Es ist kein Geld mehr dafür eingeplant.
Auf dem Podium vor dem Brandenburger Tor hatten sich am Montag, dem 15. Januar, viele Redner kämpferisch gegeben. Jedoch war der Inhalt der meisten Reden bestimmt von der Klage über die aktuelle Lage. Diese schien nicht nur bei den Bauern, sondern auch bei allen vertretenen Gewerken gleich zu sein: zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern, zu wenig Schutz vor europäischer und weltweiter Konkurrenz, aber auch zu wenig Wertschätzung.
Was aber bei den Beiträgen außer dem von Finanzminister Christian Lindner zu kurz kam, war der Blick über den Termin der Haushaltsdebatte hinaus. Die Verbandsvertreter beklagten den Ist-Zustand, wobei besonders Rukwied alles daran zu setzen schien, die bestehenden Verhältnisse erhalten zu wollen. Er und sein Verband scheinen keine Perspektive zu haben für die Entwicklung der Landwirtschaft, aber auch keine für die Fortsetzung des Kampfes, falls die Politik die angekündigten Kürzungen beim Agrardiesel wahrmacht.
Lindner sagte klar, dass der Finanzminister den Bauern keine weiteren Subventionen mehr gewähren werde. Aber er bot ihnen an, gemeinsam neue Perspektiven für nachhaltiges Unternehmertum in der Landwirtschaft zu schaffen, nicht mehr staatliche Hilfe dafür aber mehr Freiheit für bäuerliche Arbeit. Darunter verstand er, die Ertragskraft der Betriebe zu stärken, indem ihnen nicht immer neue Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Ständig höhere Standards für die Tierhaltung seien unsinnig und die zunehmenden Flächenstilllegungen minderten die Ertragskraft der Betriebe.
Egal, was man von Lindner hält, so kann man doch sagen, dass in seinen Vorstellungen ein zukunftsfähiges Konzept zu erkennen war, wobei fraglich ist, ob sie ehrlich und ernst gemeint oder eher taktisch zur Beruhigung der Lage gedacht waren. Noch unklarer ist, wie realistisch sie sind, das heißt, wie wirklichkeitsnah die Möglichkeiten ihrer Umsetzbarkeit. Denn das eine ist der vielleicht vorhandene gute Wille, das andere die Theorie, aber das dritte und entscheidende ist, wie weit guter Wille und Theorie zur Wirklichkeit passen. Besonders in diesem Punkt haben sich deutsche Regierungen in den letzten Jahren als Traumtänzer herausgestellt.
Gemäßigte Worte
War in Lindners Beitrag noch ein Plan zu erkennen, so kann dies von den Vertretern der Bauernschaft nicht gesagt werden. Die Vorschläge von Bauernpräsident Rukwied für den Fortgang der Auseinandersetzung beschränkten sich auf den Appell an die Bauern zusammenzuhalten und an die Politik, die berechtigten Anliegen der Bauern ernst zu nehmen. Dabei schien es ihm nicht nur um die Interessen der Bauern zu gehen.
Er appellierte an die Politik, im Interesse einer stabilen Demokratie Einsicht an den Tag zu legen. Denn dieser drohe Gefahr, wenn die Versorgung mit heimischen Lebensmitteln nicht gesichert sei. Insofern solle doch die Politik bitte erkennen, dass man auf die Bauernschaft angewiesen sei und sie nicht verprellen oder unnötig in Konfrontation treiben solle. Sobald die Forderungen erfüllt seien, seien die Bauern mit ihren Treckern von der Straße. Es ging ihm darum, ein Zeichen zu setzen an die Politik, was er auch des Öfteren in seiner Rede betonte. Aber das war kein Zeichen von Kraft und Entschlossenheit, sondern von Hilflosigkeit und Verzagtheit.
Rukwied legte in seiner Rede sehr viel Wert auf diesen politischen Aspekt. Immer wieder betonte er, dass Bauern und Bäuerinnen aufrechte Demokraten seien, die alle zu Verfassung und Grundgesetz stehen und unser Land auf demokratischer Basis nach vorne bringen wollen. Das bedeutete: „Wir brauchen Kompromisse, faire Kompromisse.“ (1) Das gilt für die Erfüllung der eigenen Forderungen, aber auch für das weitere Verhalten der Berliner Politik. Diese muss sich ändern, muss raus aus ihrer Blase, die Bürger entlasten, anstatt immer neue Belastungen zu schaffen für die arbeitende Bevölkerung.
Bei all diesen Appellen an die Einsicht der Politik war keine Idee zu erkennen, wie man aus eigener Kraft, den eigenen Interessen zum Erfolg verhelfen konnte, wenn die Berliner Politik uneinsichtig bleiben sollte.
Dabei weiß Rukwied nach eigenen Worten, dass 70 bis 80 Prozent der Mitbürger hinter den Bauern stehen. Er weiß auch, dass sie Solidarität üben mit den Bauern. Aber diese Solidarität ist nicht nur Selbstlosigkeit, sondern die Bevölkerung schließt sich hinter den Bauern zusammen. Da entsteht eine Macht.
Vielleicht befürchtet Rukwied, dass die Bauern in eine Führungsrolle gedrängt werden, der sie nicht gewachsen, derer sie sich vermutlich auch nicht bewusst sind und die vor allem vom Bauernverband nicht mehr kontrolliert werden kann. Denn die wachsende Teilnahme von anderen Verbänden und der Zulauf sympathisierender Bürger spricht für eine solche Entwicklung. Viele von ihnen hoffen oder wünschen sich mehr Druck von den Bauern, vielleicht auch mehr Führung.
In diesem Punkt schien Finanzminister Lindner näher an der gesellschaftlichen Stimmung zu sein als Rukwied, wenn er in seiner Rede sagt:
„Sie können mir doch nicht erzählen, dass sie nur wegen des Agrardiesels hier sind. Es hat sich über Jahre etwas aufgestaut...“ (2)
Lindner scheint also das Drängen aus der Bevölkerung zu erkennen. Dem widersprach Rukwied und beharrte darauf, dass es den Bauern nur um den Argardiesel gehe und wenn die Forderung erfüllt sei, seien die Trecker sofort von der Straße.
Auch Rukwied scheint also den Ernst der Lage zu erkennen, will aber den Konflikt vermeiden, weshalb er auf Verhandlungen mit den Parlamentariern und Vertretern der Regierungsparteien setzte, die zeitgleich am 15. Januar begonnen hatten. Für ihn ist die Zeit der Gespräche angebrochen. Aber diese Gespräche haben nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Ob es von Idealismus und Werteverblendung getriebene Dummheit der Regierung war, dass sie wegen einiger weniger Milliönchen den Konflikt nicht beilegte, oder geht sie davon aus, dass nach dem Protest in Berlin die Bauern erst einmal nicht weiter wissen? Einiges spricht für Letzteres.
Radikale Worte
Vielleicht haben die Bauern tatsächlich nach der Demonstration in Berlin und dem Kraftaufwand davor fürs Erste ihr Pulver verschossen. Zwar haben Rukwied und die Bauernvereine weitere Demonstrationen angekündigt, aber es ist fraglich, ob die Bevölkerung und die anderen Verbände weiter mitziehen, wenn es tatsächlich nur noch um den Agrardiesel geht. In seiner Rede vor dem Brandenburger Tor jedenfalls haben weder Rukwied noch die anderen Bauernvertreter Forderungen aufgestellt, in denen sich die Spediteure, Handwerker und die sympathisierende Bevölkerung wiederfinden könnten. Ihnen ging es nur um den Agrardiesel.
Die Forderung, die alle Kräfte verbinden würde, wäre die nach der Rücknahme der CO2-Preiserhöhung, die alle gleichermaßen trifft. Ansonsten dürfte es schwer werden, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Vielleicht setzen die Berufspolitiker darauf. Im Gegensatz zur einfachen Bevölkerung verfügen sie über viel Erfahrung und auch Zeit, sich neue Mittel und Wege auszudenken, wie sie ihr Ziel erreichen. Zudem können sie genügend andere Dienste in Anspruch nehmen, um die Stimmung der Bevölkerung zu erkennen und auf diese über die Medien Einfluss zu nehmen. Sie wissen, wie die Bevölkerung gespaltet werden und einzelne Gruppen gegeneinander ausgespielt werden können.
Dem entgegenzutreten fehlt der Bevölkerung die Geschlossenheit und vor allem ein politisches Bewusstsein, das sich der eigenen Interessen bewusst ist und auch die Spaltungsversuche erkennt. Vor allem aber fehlt eine politische Kraft, die die Aufgabe der Bewusstseinsbildung und der Organisierung des Widerstands erfüllt.
Appelle und guter Wille von Einzelnen alleine können da wenig ausrichten. Es fehlen die Kraft und Organisation, die alles zu einer schlagkräftigen Macht zusammenführt.
Organisierung ist auch nicht zu ersetzen durch scheinrevolutionäre Parolen von Neuwahlen, Absetzung der Ampel oder gar Generalstreik. Was soll denn folgen nach Absetzung der Ampel und Neuwahlen? Eine Regierung unter der CDU? Mit der AfD wird keine der Parteien eine Regierung bilden, und ob eine AfD-Regierung die Probleme lösen könnte, ist fraglich und getragen von sehr viel Wunschdenken.
Dasselbe gilt auch für die Rufe nach einem Generalstreik. Die Gewerkschaften sind weitgehend über eine SPD-Mitgliedschaft oder zumindest ähnliche politische Vorstellungen der Regierung beziehungsweise ihrem Denken verbunden. Sie haben sich bisher zu den Bauernprotesten kaum geäußert, weder Solidarität geübt, noch Unterstützung angeboten. Und das alternative Milieu hat wenig Verankerung in der Bevölkerung, die viele von ihnen mehr oder weniger offen sogar als Schlafschafe verachten.
Und wer soll einen Generalstreik tragen? Dazu gehören ja immerhin auch Leute in den Betrieben, die bereit sind, die Arbeit niederzulegen. Wofür? Für den Agrardiesel, also die alleinigen Interessen der Landwirte? Den Bauern geht es um ihre wirtschaftlichen Interessen. Das ist nicht zu verachten oder gar zu verurteilen. Sie wollen keine Revolution, wie es bei einigen der Fall zu sein scheint, die von Neuwahlen, Generalstreik, Umsturz und ähnlichem Denken beseelt zu sein scheinen. Die Bauern sind keine Speerspitze. Sie sind die Bodenständigen. Sie haben Land, Betriebe, Vieh und viel Arbeit, vor allem Arbeit, die keinen Aufschub duldet.
Aber ihre Entschlossenheit und Disziplin offenbaren eine Kraft und Macht, die die üblichen demonstrationsbereiten Gruppen nicht kennen. Das weckt dort Hoffnungen. Die Bauern folgen jedoch nicht denen, die mehr wollen als sie selbst. Sie folgen ihren Vertretern, wem sonst? Das scheinen viele nicht wahrhaben zu wollen, die in ihrer Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse auf die Bauern setzen.
Sie wollen keine Veränderung der Verhältnisse; sie wollen deren Fortbestand, und dabei sind die Vertreter der Bauernverbände ihre Vertreter, denn sie sind Bauern wie sie, Fleisch vom selben Fleische.
Auch ihr politisches Denken und Bewusstsein sind weitestgehend deckungsgleich. Die Bauern treten kraftvoll auf und lassen sich von der Regierung nicht einschüchtern. Aber das sollte nicht mit einem revolutionärem Bewusstsein verwechselt werden, wie sich der ein oder andere das vielleicht wünscht.
Die Veränderung der Verhältnisse kommt nicht durch große Ideen, sondern durch das Erkennen der Wirklichkeit und der Möglichkeiten, die in dieser Wirklichkeit stecken. Solange aber vonseiten der Bauern selbst und der Kräfte, die sie bisher unterstützt haben, keine Vorstellung über ein weiteres gemeinsames Vorgehen zustande kommt, in das die Interessen aller Beteiligten Eingang finden, werden diese Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Die Forderung nach Verzicht auf die Erhöhung der CO2-Steuer eröffnet weitere Mobilisierungsmöglichkeiten, mit der nach Beibehaltung des Agrardiesels dürfte die Mobilisierung nachlassen.