Aufstand in der SPD

Immer mehr SPD-Mitglieder opponieren gegen den geplanten Koalitionsvertrag. Aus gutem Grund.

Wenige Tage vor dem Ende des SPD-Mitgliederentscheids hat sich die Lage für die SPD noch einmal dramatisch verschärft. Sie liegt jetzt in einer Umfrage bei 16 Prozent. Es sind nicht mehr nur die Jusos, die rebellieren. Sie haben sich schon im November auf einem Bundeskongress mit 300 Delegierten einstimmig gegen eine Große Koalition, kurz GroKo, ausgesprochen und mobilisieren seitdem massiv gegen die Parteiführung. Auf dem Sonderparteitag der SPD am 21. Januar in Bonn haben sich zudem drei Viertel der 78 bayerischen Delegierten gegen eine GroKo ausgesprochen. Auch die breite Basis, vor allem SPD-Mitglieder und Funktionäre der unteren Ebene in Stadt und Land, die jahrzehntelang in ihren jeweiligen Strukturen für soziale Gerechtigkeit gekämpft und politische Erfahrung gesammelt haben, gehen jetzt auf die Barrikaden.

Dies kam auch in einer Veranstaltung in Augsburg zum Ausdruck, zu der die Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr, gleichzeitig Vorsitzende der SPD im Regierungsbezirk Schwaben/Bayern, eingeladen hatte.

Zugrunde lagen der Augsburger Veranstaltung am 24. Januar das Ergebnis der Sondierungsgespräche auf zentraler Ebene zwischen CDU, CSU und SPD sowie das knappe Mitgliedervotum auf dem Sonderparteitag der SPD für eine GroKo. Die Aussprache war heftig und die Tendenz eindeutig gegen eine GroKo, für eine linke Sozialpolitik, für konsequente Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik, die den arbeitenden Menschen etwas nützen, gegen eine rassistische, repressive Flüchtlingspolitik und insgesamt für eine echte Erneuerung der Partei auf einer sozialdemokratischen Basis, die den Namen auch verdient.

Auf der Veranstaltung in Augsburg, die sicher auch symptomatisch für viele Städte und SPD-Bezirke nicht nur in Bayern war, meldete sich auch Henning Höppe als aktives Mitglied eines Augsburger Ortsvereins zu Wort. Er hat uns ein Positionspapier zur Verfügung gestellt, auf dessen Basis er argumentierte und das er nach Vorliegen der Koalitionsvereinbarung zwischen Union und SPD aktualisierte. Er berichtet uns auch vom Wunsch des Forums Demokratische Linke 21 der SPD (1), sein Papier als Argumentationshilfe zu verteilen. Im Folgenden dokumentieren wir dieses Positionspapier leicht gekürzt.

Es zeigt uns, dass die Linke in der SPD Format hat und in jeder Hinsicht ernst zu nehmen ist. Das gilt sowohl für die Parteiführung, die sich jetzt warm anziehen muss, als auch für die Oppositionsparteien Linke und Grüne. Diese sollten besser mit der SPD-Linken kooperieren statt immer nur zu konkurrieren.

Die drei zentralen Punkte in Hennings Papier sind Migration/Flüchtlinge, Arbeit und Soziales, auf die er sich bewusst beschränkte. Auf unsere Frage, wie er es mit der Militärpolitik halte, bestätigte er, dass auch hier massive Kritik angebracht sei. Er verwies hier dankenswerterweise auf die Kritik des Dortmunder MdB Marco Bülow. Bülow schreibt in einer Pressemitteilung vom 9. Februar:

„Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD birgt schwerwiegende sicherheitspolitische Neuerungen: ‚Deutschland wird verbindlich (…) dem Zielkorridor der Vereinbarungen in der NATO folgen‘ und: ‚Wir wollen die vereinbarten NATO-Fähigkeitsziele erreichen und Fähigkeitslücken schließen‘.“

Dazu erklärt der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow:

„Im Klartext heißen die Passagen aus dem Koalitionsvertrag: Die Höhe des Verteidigungsetats wird sich unter der GroKo am Zwei-Prozent-Ziel der NATO orientieren. Die NATO fordert schon länger, dass alle Mitglieder bis spätestens 2024 zwei Prozent oder mehr ihres Bruttosozialprodukts in Rüstung investieren.
Diese Festlegung hat die SPD immer abgelehnt. Martin Schulz hat gerade auch gegen die Forderung der Union, dieses Zwei-Prozent-Ziel zügig zu erreichen, Wahlkampf gemacht. Überall war klar, dass die SPD den Irrweg der massiven Aufrüstung nicht mitgehen würde.
Doch nun werden mit dieser versteckten Festlegung künftig unter dem Deckmantel einer vermeintlich notwendigen Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit drastisch erhöhte Rüstungsausgaben durchgewunken – und das mit Hilfe der SPD.
Die Rüstungsspirale schraubt sich weiter nach oben: Der Verteidigungsetat war mit 37 Milliarden bereits der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt 2017 – und entsprach mit 1,2 Prozent unter dem NATO-Ziel. Um dieses zu erreichen, müsste Deutschland im Jahr 2024 mehr als 75 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben. Damit würde Deutschland zu einem der Länder mit den größten Militärausgaben zählen und dies würden viele Länder als eine Bedrohung ansehen. Zudem wird das Geld an anderer Stelle nötig gebraucht.
Im Koalitionsvertrag wird von einer ‚neuen Kultur der Verantwortung‘ gesprochen, die in diesem Kontext fast zynisch wirkt. Höhere Rüstungsausgaben immer wieder mit dem Kampfbegriff der ‚Verantwortung‘ und dem ‚Schließen von Fähigkeitslücken‘ zu rechtfertigen, ist perfide. Denn ob Kampfpanzer, -jets oder Kleinwaffen, sie alle haben am Ende nur ein Ziel: Menschen zu töten.“
(2)

Wenn es zu einer GroKo kommen sollte, ist ein scharfer Konflikt nicht nur innerhalb der SPD, sondern auch im Bundestag programmiert. Denn, wie Epoch Times feststellt, enthält der Koalitionsvertrag „eine gefährliche Blanko-Vollmacht für die Regierung“ (3). Die Epoch Times schreibt:

„Laut vorliegendem Koalitionsvertrag müssen CDU, CSU und SPD in einer GroKo einheitlich im Bundestag abstimmen, wechselnde Mehrheiten werden ausgeschlossen. Das ist eine Blanko-Vollmacht für die Gesetzesvorlagen der Regierungsspitze.
Im möglichen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD stehen auf den Zeilen 8302-8304 folgende Sätze:
‚Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.‘“

Wenn Angela Merkel jetzt apodiktisch verkündet, „Sicherheit“ sei nicht verhandelbar, Horst Seehofer Bundesinnenminister wird, und die Union zum Ausdruck bringt, dass die jetzt anstehende Sicherheits- und Militärpolitik nur in einer Großen Koalition gehe und mit einem Jamaika-Bündnis nicht möglich gewesen wäre (!) – dann wird es in jeder Hinsicht gefährlich.


Meine Positionen zu den Koalitionsvereinbarungen
(Prof. Dr. Henning Höppe, Stand: 12. Februar 2018)

I. Inhaltliche Gründe

Migrations- und Flüchtlingspolitik

Flüchtlinge sollen in ANkER-Zentren bis zu 18 Monate zentral kaserniert werden. Auf den ersten Blick scheint das ein Beitrag zur Effizienz der Anerkennungsverfahren zu sein – auf den zweiten Blick offenbaren sich die negativen Aspekte überdeutlich, wie man an entsprechenden Transitzentren in Manching und Ingolstadt (Bayern) sehen kann. Kleinkriminalität und Stress führen zu Streitereien und Prügeleien.

Erste Obergrenze: Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte (SSS)

  • 1.000 pro Monat plus (angekündigte aber nicht ausgehandelte Ausweitung der) Härtefallregelung
  • SSS sind keineswegs nur Bürgerkriegsflüchtlinge, sondern darunter fallen auch nicht individuell Verfolgte (zum Beispiel von den Taliban Verfolgte), sowie von Folter oder Todesstrafe im Heimatland bedrohte Geflüchtete. Viele von diesen werden dauerhaft in der EU bleiben, weil die Fluchtursache (Gefahr von Todesstrafe und Folter) sehr lange andauern kann.
  • Durch die Koalitionsvereinbarung wird dieser erst im August 2015 auf Betreiben der SPD geschaffene und gefeierte Anspruch auf Familiennachzug für SSS wieder abgeschafft.
  • Durch die willkürlich festgelegte Obergrenze von 1.000+ wird der bisherige Rechtsanspruch zu einer Ermessensentscheidung, einem Gnadenakt abgeschwächt, für dessen Gewährung besondere humanitäre Gründe vorliegen müssen. Die Auswahl der tausend „Glücklichen“ gleicht aus heutiger Sicht einem Lotteriespiel, da keinerlei objektive Kriterien zu deren Auswahl formuliert werden konnten.
  • Der Begriff Familiennachzug ist irreführend, denn dieser sollte keine reine Geste der Mitmenschlichkeit (Gnadenakt), sondern eine Selbstverständlichkeit (Rechtsanspruch) sein, weil es hierbei eigentlich um Familienzusammenführung geht. Im Gegensatz zur landläufig verbreiteten Meinung wird dies schon jetzt ausgesprochen restriktiv gehandhabt und auf Ehegattinnen, eingetragene Lebenspartnerinnen, minderjährige und ledige Kinder, sorgeberechtigte Personen von minderjährigen Ledigen und die minderjährigen sowie ledigen Geschwister von Minderjährigen beschränkt – die mancherorts genannten Horrorzahlen sind völlig übertrieben.

Zweite Obergrenze: Maximal 220.000 Menschen

Natürlich weiß ich, dass von der vereinbarten Obergrenze weder das Grundrecht auf Asyl (etwa 1 Prozent der Flüchtlinge) noch die nach der Genfer Flüchtlingskonvention (etwa 20 bis 30 Prozent der Flüchtlinge) betroffen sind, sondern ausschließlich alle übrigen, im Regelfall SSS. Die allergrößte Gruppe fällt also unter diese Obergrenze (wie auch beim Familiennachzug). Wenn die Menschen ins Land kommen, weiß niemand, welcher Flüchtling in welche Kategorie fällt, auch deshalb ist diese Zahl so problematisch.
Zusätzlich sollte man wissen, dass Maghreb-Staaten und sämtliche weitere Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter 5 Prozent automatisch als „sicher“ eingestuft werden; dadurch wird das Grundrecht auf Asyl in Frage gestellt. Die geplante besondere rechtliche Beratung für sogenannte vulnerable Fluchtgruppen, zu denen auch LGBTTIQ-Menschen gehören, ist problematisch, weil einer dem BM des Innern untergeordneten Einrichtung wie dem BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) hierbei leider misstraut werden muss. So befürwortet das BAMF trotz Vorliegen eines EuGH-Urteils weiterhin Abschiebungen unter anderem in Länder, in denen Homosexualität strafrechtlich beziehungsweise gesellschaftlich verfolgt werden – und rät dazu, die eigene sexuelle beziehungsweise geschlechtliche Identität geheim zu halten.
Inwiefern geht die Einigung über das Sondierungspapier hinaus? Minimal, die ca. 50 bis 100 Härtefälle pro Jahr kommen jetzt zu den 12.000 (jährlich) hinzu statt in diesen enthalten zu sein. Diese Obergrenze ist und bleibt unmenschlich.

Die GroKo schafft den Rechtsanspruch auf Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige ab, den die SPD selbst erst 2015 durchgesetzt hat — und krönt den Kompromiss mit einer Obergrenze von 1.000 Gnadenakten plus einer Handvoll Härtefälle. Hinzu kommt noch eine zweite Obergrenze für Flüchtlinge, die aber nicht so heißen darf — „Kontingent“.

Arbeit

Verträge mit sachgrundloser Befristung schüren bei den Betroffenen Existenz- und Abstiegsängste. Eigentlich sollte die sachgrundlose Befristung nach Beschluss des Bundesparteitages komplett entfallen – herausgekommen ist ein fauler Kompromiss, bei dem in jedem Unternehmen jeder beliebigen Größe diese Arbeitsverhältnisse zwar eingeschränkt, aber weiterhin für bis zu 2,5 Prozent aller Beschäftigten (in Betrieben mit mehr als 75 Mitarbeitern) möglich sind. Ferner soll diese Befristung nur noch für 18 statt bisher 24 Monate möglich sein. Somit werden Verträge mit sachgrundloser Befristung lediglich eingeschränkt.

Eine Konsequenz dieser Verkürzung von 24 auf 18 Monate liegt darin, dass im Falle einer anschließenden Arbeitslosigkeit der Mitarbeiter im Anschluss an die befristete Tätigkeit bislang zwölf Monate ALG I beziehen durfte, nun aber nur noch Anspruch auf acht Monate ALG I hat, bevor er auf Hartz IV-Niveau abstürzt – bei weiterer Verkürzung auf 12 Monate würde der Anspruch auf ALG I nochmals weiter auf sechs Monate verkürzt.

Die Möglichkeit von sogenannten Kettenverträgen soll erfreulicherweise eingeschränkt werden, allerdings sollen diese erst ab fünf Jahren Mindestbeschäftigung nicht mehr zulässig sein. Diese Fünfjahresfrist basiert mutmaßlich auf Erfahrungen aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das Kettenverträge an Hochschulen begrenzt; dieses Gesetz, das ich aus eigener leidvoller Erfahrung kenne, führt jedoch dazu, dass der Vertrag nach Abschluss der entsprechenden Qualifizierung ausläuft und die/den MitarbeiterIn in die Arbeitslosigkeit entlässt.

Nach Expertenmeinung ist von den Regelungen zur sachgrundlosen Befristung etwa jeder dritte Vertrag betroffen; es ist unklar, ob diese Verträge künftig alternativ prekär ausgestaltet oder schlicht nicht mehr abgeschlossen werden.

Eine dringend erforderliche deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen sowie die Einschränkung von Leiharbeit und Midijobs bleibt auf der Strecke.

Mindestlohn? Wird mit Ausnahme der Azubis nicht erwähnt. Ist das gut? Nein. Zahllose Ausnahmen bleiben bestehen.

Das bereits im Koalitionsvertrag 2013 vereinbarte Rückkehrrecht aus Teilzeit findet sich nun nochmals abgeschwächt in der Koalitionsvereinbarung 2018. Eine Zumutbarkeitsgrenze schränkt die Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung abhängig von der Betriebsgröße deutlich ein, bei kleineren mittelständischen Betrieben (unter 45 Beschäftigte) entfällt das Recht auf Teilzeit vollständig. Das werden viele unserer Wähler zu spüren bekommen und uns entsprechend nicht mehr wählen.

Inwiefern entspricht die Einigung der Vorgabe des Bundesparteitags? Das Ziel der Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen wurde nicht erreicht, Ausnahmen und schwer kalkulierbare negative Nebeneffekte machen den Kompromiss zu einem gefährlichen Rohrkrepierer. Das werden viele unserer Wähler zu spüren bekommen und uns entsprechend nicht mehr wählen.
Die GroKo versündigt sich einmal mehr an denen, die aufgrund sachgrundloser Befristungen permanenter Existenzangst ausgesetzt sind. Ferner fehlt jeder Ansatz zu überfälligen Verbesserungen beim Mindestlohn.

Gesundheit

Die Wiederherstellung der Beitragsparität, so schön sie ist, bleibt meilenweit hinter der Notwendigkeit einer Bürgerversicherung zurück und repariert lediglich eine Reform der SPD, die diese Parität seinerzeit aufhob.

Konkrete Maßnahmen zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin fehlen – ein paar Prüfaufträge werden erteilt, aber nichts konkret vereinbart. Die Möglichkeit für Beamte, künftig auch der GKV beizutreten, wird nicht einmal als Möglichkeit diskutiert. Das Ziel des Beschlusses vom Bundesparteitag wird nicht annähernd erreicht.

Die GroKo hält an der Zwei-Klassen-Medizin fest. Der versprochene Abbau dieses unsolidarischen und ungerechten Systems bleibt aus.

Altenpflege

Die Vereinbarung, 8.000 zusätzliche Stellen für Pflegekräfte zu schaffen, ist völlig unzureichend – das entspricht etwas mehr als einer halben Stelle pro Pflegeeinrichtung (ca. 13.000). Laut dem Dt. Berufsverband für Pflegeberufe fehlen schon jetzt 20.000. Weitere Maßnahmen sind lediglich Absichtserklärungen.

Die Finanzierung soll ausschließlich durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) getragen werden – eine Beteiligung der PKV, der Pflegeversicherung oder gar Steuerzuschüsse werden nicht erwähnt.

Positiv zu vermerken sind die Pauschalisierung der Pflegezuschüsse sowie der Rechtsanspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen für Angehörige von Pflegebedürftigen.

Die GroKo schafft nicht mal eine halbe Stelle pro Pflegeeinrichtung und finanziert das aus Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung — darüber hinaus gehende Ankündigungen sind nicht verhandelt und somit ungedeckte Schecks auf die Zukunft!

Rente

Positiv sind grundsätzlich sowohl die Sicherung des Rentenniveaus und die Be-grenzung der Beiträge bis 2025 zu nennen. Allerdings könnte durch moderate Steigerung letzterer ein höheres Rentenniveau als 48 Prozent erreicht werden. Bei den zu erwartenden wachstumsbedingten und inflationsbereinigten Lohnsteigerungen ist ein leichter Anstieg über diese Marke grundsätzlich vertretbar.

Die sogenannte doppelte Haltelinie (48 Prozent min. Rentenniveau, 20 Prozent max. Beitrag) lässt zudem völlig offen, ob im Falle einer schlechteren wirtschaftlichen beziehungsweise demographischen Entwicklung die fehlenden Mittel aus Steuermitteln oder anderweitig als versicherungsfremde Leistungen finanziert werden.

Ferner wird auch nicht die im wesentlichen Besserverdienenden zugängliche sowie mit geringem Ertrag honorierte Riesterrente angegangen.

Die vereinbarte Mindestrente, die erst nach 35 (!) Beitrags-, Erziehungs- oder Pflegejahren gewährt wird, schließt viele Betroffene wieder aus; sie liegt gerade mal 10 Prozent über dem Hartz-IV-Niveau und wird noch dazu natürlich erst nach der entwürdigenden Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt, bei der nicht nur sämtliche Einkommen (auch Partnerin), sondern auch vorhandenes Vermögen berücksichtigt wird. Ganz nebenbei sei erwähnt, dass weder eine Anhebung der Schonvermögen noch der Hartz-IV-Sätze auf ein Teilhabe ermöglichendes Niveau geplant sind.
Für die Zeit von 2025 bis 2045 soll eine Rentenkommission ein Konzept ausarbeiten – offenbar konnte man sich nicht mal auf Grundzüge einigen. Auch hier fehlt jegliche Idee zu einem großen Wurf zur Sicherung eines existenzsichernden Rentenniveaus.

Inwiefern geht die Einigung über das Sondierungsergebnis hinaus? Gar nicht.

Die GroKo verspricht einer kleinen Gruppe eine Grundrente sowie ein Rentenniveau, das gerade mal 0,6 Prozent über dem aktuellen Plan liegt — und ab 2026 geht es steil abwärts.

Die Politik

Die Politik einer Regierung unter SPD-Beteiligung muss sich immer daran messen lassen, ob sie die Ungleichheit verringert – das ist angesichts dieser Koalitionsvereinbarung kaum zu erwarten. Die vereinbarten Kompromisse tragen den Keim der Enttäuschung bei Genossinnen und Wählerinnen in sich. Ein weiterer Ab-sturz nach dieser dritten GroKo wird die SPD in den Abgrund reißen. Die gesamte Koalitionsvereinbarung verheddert sich in kleinen Kompromissen und atmet die Mutlosigkeit zum Anpacken großer Fragen, ein großer Wurf fehlt.

II. Grundsätzliche Argumente

Ich war und bin gegen eine GroKo. Entschieden – aufgrund grundsätzlicher Erwägungen, aber auch inhaltlich überzeugt mich die Koalitionsvereinbarung nicht.

Eine dritte Große Koalition in so kurzer Zeit wäre daher demokratiegefährdend

Eine dritte Große Koalition in so kurzer Zeit wäre daher demokratiegefährdend – ein Land wie Deutschland braucht eine funktionierende Opposition und eine starke linke Volkspartei. Beides würde diese GroKo weiter beschädigen. Die Partei Willi Brandts, die aufrechte Partei im Kampf gegen den Nationalsozialismus, die stolz und erfolgreich für Solidarität und Gerechtigkeit stehen muss, darf nicht in eine weitere GroKo gehen – sie muss sich endlich inhaltlich erneuern und wieder sozialdemokratische Politik machen. In Österreich haben es echte Rechtsradikale in die Regierung geschafft – nach lähmenden Jahren der unendlichen GroKo.

Rechtsradikale werden erstmals seit der Weimarer Republik Oppositionsführer

Im Falle einer GroKo würden Rechtsradikale Oppositionsführer – mit allen Sonderrechten und nochmals erhöhter Medienpräsenz. Ferner fiele eine starke SPD aufgrund der Koalitionsdisziplin als starker linker Gegenpol aus.

Wer mag sich einen Rassisten und Volksverhetzer wie Gauland als Oppositionsführer vorstellen? Manche meinen, das sei kein Problem – ich sage aber: das wäre ein fatales Signal für die Demokratie in Deutschland.

Die Sitzung des Bundestages zur Haltung der Bundesregierung zum Einmarsch der Türkei in Syrien hat sehr schön gezeigt, was uns in den kommenden vier Jahren bevorstünde. Die aneinander geketteten Koalitionäre werden von Links und Rechts unter Beschuss genommen; beide können sich dank der vereinbarten Koalitionsdisziplin nur schlecht gegen die jeweiligen Angriffe wehren, sie werden als einheitlicher Block wahrgenommen – ihre Profile verschwimmen weiter. In einer Minderheitsregierung beziehungsweise einer Regierung mit wechselnden Mehrheiten könnte die eine Volkspartei aus der Opposition heraus die Alternative zur Regierung glaubwürdig verkörpern – beide gewönnen an Profil.

Anhänger einer Großen Koalition sagen: diesmal wird es bestimmt anders, wir müssen nur unsere Inhalte besser vermitteln – denen halte ich folgendes Zitat entgegen: „Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

III. Alternativen zur Großen Koalition

Minderheitsregierung beziehungsweise Regierung mit wechselnden Mehrheiten

Der Parteivorstand verkündet vollmundig und mit Angstargumenten spielend, die einzige Alternative wären Neuwahlen. Das ist falsch! Als Alternative bietet sich eine – sogar von Angela Merkel selbst am 11. Februar in der Sendung Berlin Direkt ins Gespräch gebrachte – Minderheitsregierung an – so schnell wird der Bundestag nicht aufgelöst. Die SPD-Fraktion stellt eine/n Kanzlerkandidatin/en auf, die Union wird dann eventuell auch jemanden aufstellen. Schlussendlich reicht gemäß GG Artikel 63 Abs. 4 die relative Mehrheit – es wird auf jeden Fall ein Kanzler oder eine Kanzlerin gewählt werden! Es ist unseriös, dieses Szenario nicht einmal diskutieren zu wollen.

Die besten Debatten im Deutschen Bundestag waren die, bei denen keine Koalitionsdisziplin gefordert war – legendäre Debatten zu so grundsätzlichen Fragen wie Schwangerschaftsabbruch, Hauptstadtfrage, Ehe für Alle…

Eine solche Minderheitsregierung muss keineswegs zu instabilen Verhältnissen führen.

Die SPD wird dabei nicht zur Abnickerin eines Unionsprogramms, sondern kann eigene Projekte profilierter einbringen und gegebenenfalls durchsetzen – es gibt eine Mehrheit jenseits von Union und AfD.

Dies führt zur Schärfung des Profils aller im Bundestag vertretenen Fraktionen, die sich aktiv inhaltlich einbringen. Die Parteien werden für die Wählerinnen und Wähler wieder unterscheidbarer, die Diskussionskultur wird gefördert.

Neuwahlen

Egal, wie das Mitgliedervotum ausgeht – wenn es über kurz oder lang zu Neuwahlen kommt, hat die SPD geeignete Kandidatinnen, insbesondere in den Ländern. Also habt keine Angst davor!
Selbst wenn es zu Neuwahlen käme, träte die SPD mit einem echt sozialdemo-kratischen Programm an, die Karten würden neu gemischt. Niemand kann voraussehen, wie die Wahlen ausgehen würden.

Eines ist jedoch sicher, genau diese tollen Kompromisse in der Koalitionsvereinbarung werden uns nach einer weiteren Großen Koalition einen weiteren dramatischen Aderlass bescheren – wir sind auf dem Weg zum Projekt 15 minus x Prozent . Niemand soll behaupten können, er sei nicht gewarnt worden – Mahner gab es übrigens auch schon 2013.

IV. Glaubwürdigkeit

Der Parteivorstand hat zweimal einstimmig eine Große Koalition ausgeschlossen. Zuletzt direkt nach Ende der Sondierungen einer Schwarzen Ampel.

Viele Politiker aus der Parteispitze haben eine GroKo ausgeschlossen. Natascha Kohnen: „Wir sagen klipp und klar ,Nein‘ zu einer Großen Koalition – ohne jegliches Hintertürchen.“ (fast wortgleich haben sich auch andere geäußert)

All diese Positionen wurden geräumt und nach dem Motto, was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, in ihr Gegenteil gedreht. Das ist allenfalls eine atmende Glaubwürdigkeit.
Die SPD wurde gewählt, um den Kanzler zu stellen und sozialdemokratische Politik zu machen, nicht um Steigbügelhalter von Merkels vierter Kanzlerschaft und weiteren vier Jahren neoliberaler Politik zu werden.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) „Forum Demokratische Linke 21 e.V. – Die Linke in der SPD.“ Zugegriffen 25. Februar 2018. http://www.forum-dl21.de/.
(2) Marco Bülow. „Koalitionsvertrag zeigt: GroKo beugt sich Rüstungsaufruf der NATO“. Marco Bülow (blog), 9. Februar 2018. https://www.marco-buelow.de/koalitionsvertrag-zeigt-groko-beugt-sich-ruestungsaufruf-der-nato/.
(3) Kathrin Sumpf, und Renate Lilge-Stodiek. „Koalitionsvertrag: Eine gefährliche Blanko-Vollmacht für die Regierung“. Epoch Times www.epochtimes.de, 26. Februar 2018. http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/koalitionsvertrag-eine-gefaehrliche-blanko-vollmacht-fuer-die-regierung-a2358179.html.