Aufrechter Gang

Menschen mit jüdischem und israelischem Hintergrund erklären, was sie an der Corona-Politik stört. Teil 1/3.

Nichts ist politisch gefährlicher in Deutschland, als das Etikett „Antisemit“ verpasst zu bekommen. Man wird zur Persona non grata erklärt und riskiert gesellschaftliche Ächtung. Die traurige Vergangenheit hat bei den Deutschen zu einem — nicht ganz unberechtigten — historischen Schuldbewusstsein geführt, welches sie bei rassistischen Angriffen gegen Juden sehr wachsam macht. Das ist gut so. Es führt aber auch dazu, dass die meisten um alles, was sie auch nur in die Nähe eines Antisemitismus-Verdachts bringen könnte, instinktiv einen großen Bogen machen. Der Begriff Antisemitismus ist zum Totschlagargument geworden, um bestimmte Themen zu diskreditieren und Kritiker in ein schlechtes Licht zu rücken. Es erfordert deshalb Mut, sich an Themen heranzuwagen, die als „antisemitisch“ abgestempelt sind. Das ist bei Menschen mit jüdischem und israelischem Hintergrund nicht anders. Die Autorin hat einige von ihnen befragt.

Bereits 2014 hat man die Mahnwachen für den Frieden mithilfe der Antisemitismus-Keule diskreditiert. Aufgrund der dort geäußerten Kritik am Finanzsystem, die man seitens linker Ikonen als strukturellen Antisemitismus bezeichnete, wurde eine ganze Bewegung diffamiert, in eine Ecke geschoben und der anfangs stark wachsenden Bewegung die Energie genommen. Das war schon schlimm. Aber 2020 haben Vertreter regierungsnaher Institutionen — konkret Frau Kahane, Herr Klein und Herr Kühnert — mit der Bundespressekonferenz (BPK) am 24. November 2020 in meinen Augen endgültig eine rote Linie überschritten, als sie Antisemitismus und Coronaproteste de facto gleichsetzten.

Auch wenn einzelne bekannte Rechte auf den Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen zu sehen (und zu fotografieren) waren: Die überwältigende Mehrzahl der Demonstranten gehört nicht zu dieser Szene. Coronamaßnahmen-Kritiker im Spektrum der Antisemiten zu verorten ist einfach abstrus. Die Einbettung des Themas Coronakritik in das Deutungsraster Antisemitismus — neudeutsch „Framing“ — dient wohl einzig und allein dazu, die Kritiker mundtot zu machen. Nicht nur dass auf der Demonstration am 18. November 2020 in Berlin Israelfahnen gesehen wurden, auch Henryk M. Broder scheint ein Antisemit geworden zu sein. Zumindest wurde er auf der Demo gesichtet und von einem Filmemacher, der für alternative Medien arbeitet, fotografiert.

Auch ich war dort. Und nein, ich praktiziere diese Religion nicht. Aber gemäß der religiösen Lehre bin ich Jüdin. Meine Mutter war Jüdin, meine Großmutter war Jüdin, der Stammbaum meines Großvaters mütterlicherseits lässt sich ebenfalls lückenlos auf jüdische Familien zurückführen. Meine Familie hat 1933/34 Deutschland verlassen und ist nach Kroatien emigriert, weil sie im Anschluss an das Ermächtigungsgesetz übelste Befürchtungen hinsichtlich des Bevorstehenden hatte. 1943 wurde die Familie durch einen Geschäftspartner meines Großvaters denunziert, durch die Ustascha verhaftet, kam zunächst ins Gefängnis, dann ins KZ Bergen-Belsen.

Auch wenn ich kein Mitglied einer jüdischen Gemeinde bin, nehme ich mir auf dieser Basis das Recht, eine Grundgesetzänderung zu kritisieren, die ich in Teilen mit dem Ermächtigungsgesetz für absolut vergleichbar halte, ohne die Schoah oder die Nazi-Vergangenheit in irgendeiner Weise zu verharmlosen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, der Schutz des Wohnraums, das Recht auf Versammlungsfreiheit wurden mit dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) 3 eingeschränkt. Die Regierung ermächtigt sich damit zu Eingriffen in das individuelle Leben, die für mich untragbar sind.

Nein, wir haben noch nicht die Zustände von 1943, als Sophie Scholl ihr Leben ließ. Nein, noch muss sich keine Anne Frank, die zeitgleich mit meiner Mutter in Bergen-Belsen war, im Hinterhof verstecken. Aber es heißt ja: Wehret den Anfängen! Es begann nicht mit Auschwitz und dem Zweiten Weltkrieg, es begann mit dem Ermächtigungsgesetz. Und wenn ich etwas von meiner Familie beigebracht bekommen habe, war es das „Wehret den Anfängen“ und „Wehrt euch“.

Man kann zu der Viruserkrankung stehen, wie man möchte: Die daraus abgeleiteten Eingriffe ins Grundgesetz sind in meinen Augen indiskutabel. Man kann selbst zu den Maßnahmen stehen, wie man möchte: Die Schoah und das Judentum zu missbrauchen, um Kritiker der Maßnahmen zu diffamieren, ist absolut indiskutabel.

Abgesehen davon würde es mich interessieren, wie Frau Kahane und ihre Anhänger die Coronakritiker in Israel bezeichnen.
Ist in ihren Augen ein Israeli, der die Coronamaßnahmen kritisiert, ein Antisemit? Was maßen sich diese Menschen eigentlich an?

Aber nicht nur ich vertrete diese Position. Ich habe mit einigen Coronamaßnahmen-kritischen Menschen gesprochen, die jüdischen oder israelischen Bezug haben und die bereit waren, ihre Position und Meinung über diese Pressekonferenz entsprechend öffentlich zu vertreten. Fünf Vertreter werden in Teil 1 vorgestellt.

Konvertit zum Judentum — Antisemit?

Abe Treiner stammt aus Dachau und ist jetzt wohnhaft in München. Der 62-jährige Softwareentwickler befindet sich seit 2013 im Prozess der Konvertierung zum Judentum, mit dem Ziel, nach Israel auszuwandern.

Warum konvertieren Sie zum Judentum?

Ich habe mich nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Arbeit von Hannah Arendt zum Judentum hingezogen gefühlt. Auch das Leben und Wirken von Fritz Bauer hat mich sehr beeinflusst. Die Ethik des jüdischen Glaubens trifft meine Überzeugung. Im Christentum wird alles entschuldigt, das Üble auf den Tod Jesus’ projiziert. Im Judentum hat jeder selbst die Verantwortung zu tragen und ist zu ethischem Handeln verpflichtet. Man wird selbst in Verantwortung genommen. Das führte mich zum Judentum.

Mein Name weist darauf hin, dass ich jüdische Vorfahren habe. In der jüdischen Datenbank findet man ihn sehr häufig speziell in der Ukraine, und ich weiß, dass meine Wurzeln aus Osteuropa stammen. Ich bin gerade dabei, das zu erforschen. Durch Filme, durch Bücher, durch jüdische Schauspieler habe ich immer einen Bezug zum Judentum gehabt, habe mich mit dem jüdischen Humor identifiziert, war immer dem Judentum zugewandt. Daher jetzt die Konvertierung, die einem nicht leicht gemacht wird. Ein Rabbiner aus Hof unterstützt mich bei der Konvertierung.

Sie sind also kein klassischer Antisemit?

Sicher nicht. Bei Hannah Arendt kann man nachlesen, wie Antisemitismus entstand. Mit diesem Verständnis weiß ich, dass bei Antisemitismus auch Verschwörungsideologie dahintersteht. Es sind menschliche Mechanismen, die sich auch aus den engen familiären Zusammenhängen innerhalb der jüdische Bevölkerung ergeben. Ich wehre mich schon lange gegen Antisemitismus.

Aktiv?

Ja. Ich bin immer eingetreten, wenn Juden verunglimpft wurden. Das war für mich schon seit vielen Jahren eine innere Haltung. Es geht nicht, dass eine Minderheit verunglimpft wird.

Wie stehen Sie zu Corona?

Natürlich gibt es dieses Virus, aber die Reaktionen darauf sind in meinen Augen drastisch übertrieben. Die Folgen und Schwere der Erkrankung rechtfertigen nicht die massiven Lockdown-Maßnahmen. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, bin aber inzwischen der Meinung, dass die Situation von der Regierung missbraucht wird. Das ist inakzeptabel und erinnert an böse Zeiten.

Was meinen Sie damit?

Man erkennt, dass man in Deutschland nicht viel aus der Geschichte gelernt hat. Diese Mechanismen kennen wir doch aus der Zeit von 1933 bis 1945. Minderheiten wurden verunglimpft, sie wurden diffamiert und ausgeschlossen. Und jetzt agiert die deutsche Regierung genauso, ohne dieses Muster auch nur im Ansatz zu reflektieren.

Man muss sich vergegenwärtigen: Zu Beginn der NS-Zeit erwartete auch niemand, was passieren würde. 1936 präsentierte sich Deutschland mit den Olympischen Spielen nach außen noch als offene Gesellschaft, während im Hintergrund bereits Schlimmes geschah, Kritiker und Andersdenkende diffamiert und eingesperrt wurden. Heute stellt sich das für mich ähnlich dar. Man lässt keine Kritik zu, das Ganze entwickelt sich zu einer Eskalationsspirale, die zum Selbstläufer werden kann, der nicht mehr kontrollierbar ist. Ähnlich wie in der Vergangenheit.

Sie halten den Vergleich mit der Nazizeit also für legitim?

Ja. Ich halte auch den Sophie-Scholl-Vergleich im Ansatz für angebracht, auch wenn Kritiker heute noch keiner Lebensbedrohung, sondern „nur“ existenzieller Bedrohung durch Jobverlust unterworfen sind. Die Corona-Verordnungen lassen Analogien zum Ermächtigungsgesetz erkennen. Also muss man genau hinschauen, was damals passierte, um ähnliche Fehlentwicklungen in Zukunft zu verhindern. Und wenn ich mir die Aussagen in der Bundespressekonferenz ansehe, werde ich an tiefdunkle Zeiten erinnert.

Wie bewerten Sie die Aussagen von Frau Kahane und ihren Mitstreitern?

Sie arbeiten mit Methoden, die auch ein Julius Streicher angewendet hat. Sie streuen Gerüchte, erwähnen Listen, machen Angst und diskreditieren. Die Art und Weise, wie mit Kritikern, wie mit den Gegenstimmen umgegangen wird, ist unfassbar. Zu einem demokratischen System gehören Gegenstimmen. So wie es heute gehandhabt wird, werden diese entweder totgeschwiegen, unter den Teppich gekehrt oder diffamiert und diskreditiert. Das sind keine demokratischen, sondern totalitäre Mechanismen.

Ich habe schon wiederholt auf Demos der Coronakritiker Israelflaggen gesehen, wie kann man da von Antisemiten sprechen? Coronakritiker als Verschwörungstheoretiker und Antisemiten zu bezeichnen soll in der Bevölkerung eine Voreingenommenheit schüren, um den Widerstand gegen die Maßnahmen zu brechen. Auf diese Pressekonferenz muss reagiert werden, da muss man unbedingt etwas machen. Und wenn es nur das Erheben der eigenen Stimme ist.

Danke dafür!

Ex-Ehefrau eines Israelis — Antisemitin?

Eva Rosen ist 35 Jahre alt, wohnhaft in der Nähe von Frankfurt am Main und ist als stellvertretende Vorsitzende von „Wir2020“ politisch aktiv.

Sind Sie Antisemitin?

Ja klar, darum war ich ja mit einem jüdischen Israeli verheiratet.

Was halten Sie von der Aussage „Verschwörungstheoretiker sind gleichzusetzen mit Antisemiten“, was dann direkt mit Coronamaßnahmen-Kritikern verknüpft wird?

Das ist mehr als nur eine Frechheit. Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Ich fühle mich beschimpft, verunglimpft und persönlich verletzt. So ein Verhalten ist unfassbar. Dass man solchen Leuten überhaupt Redezeit gibt — ich bin einfach entsetzt! Das geht gar nicht. Da muss man dagegen vorgehen.

Was haben Sie vor?

Ich überlege bereits, ob ich hier eine Klage anstrebe. Das ist so furchtbar, da erwarte ich eine öffentliche Entschuldigung, und zwar für alle Menschen, die auf die Demonstrationen gehen und die jüdischen Glaubens sind, jüdische Wurzeln haben oder mit Israel-Fahnen auf der Demo gegen den Faschismus protestieren. Diese Gleichsetzung mit den Menschen, die das Leid verursacht haben, will ich so nicht stehen lassen.

Sie waren mit einem Israeli verheiratet. Was würde er dazu sagen?

Seine Familie lebt großenteils noch in Israel. Sie haben sehr unter den Nazis gelitten. Der Großvater meines Ex-Mannes konnte bis zuletzt nicht über diese Zeit sprechen. Keiner aus der Familie würde diesen Vergleich für irgendwie tragfähig halten — ebenso wenig wie die Menschen aus dem griechischen Teil meiner Familie. Mein Vater ist vor der rechten Diktatur in Griechenland nach Deutschland geflohen. Meine Familie waren arme Bauern — meine Tante kam auf dem Land durch einen Minenanschlag der Faschisten in Griechenland um.

Wo ordnen Sie sich politisch ein?

Schwierige Frage. Es ist schwer, sich zu verorten. Es sollte das Ziel von jedem sein, dass man als Mensch für Menschen steht. Die Politik hat sich sehr verändert. Früher gab es eine breite Mitte — heute landet man automatisch auf einer Seite. Ich stehe dafür, dass es den Menschen gut gehen soll. Den Rest kann man dem Parteiprogramm von Wir2020 entnehmen.

Danke dafür!

Ehefrau eines Überlebenden — Antisemitin?

Inna Polak, 73 Jahre, Mutter zweier Kinder, stammt aus Sankt Petersburg und ist dort 1974 als Jüdin mit Ziel Israel ausgereist, über Wien, dann Rom, Bremen, später Papenburg. In Deutschland war sie als Germanistin und Übersetzerin für Deutsch und Russisch tätig. Jetzt verbringt sie ihren Unruhestand zwischen Papenburg und Berlin.

Haben Sie in diesem Corona-Jahr Antisemitismus-Erfahrung gemacht?

Warum nur in diesem Jahr? Das ist doch in Deutschland nichts Ungewöhnliches. Meine Familie und ich haben immer wieder Antisemitismus erlebt. Mein inzwischen 44 Jahre alter Sohne durfte sich von Mitschülern — alles Jungen aus „guten“ Papenburger Familien — Sätze anhören wie: „Polak, du dummer Jude, man muss dich in die Mitte stellen und bespucken.“ „Hey, Polak, heute ist der 9. November, habt ihr schon der Feuerwehr Bescheid gesagt?“

Unsere damals 9-jährige Tochter kam eines Tages schmutzig mit zerzausten Haaren aus der Schule nach Hause, nachdem sie sich mit einem Jungen geschlagen hatte, und sagte, ein Mitschüler habe sie als „Du Ausländerjude“ beschimpft. Das war schlimm für die Kinder. Aber inzwischen habe ich mehr Angst vor den Philosemiten als vor den Antisemiten. Philosemitismus bezeichnet Menschen, die Politik mit dem Schuldgefühl gegenüber Überlebenden des Holocausts betreiben. Auch die daraus resultierende Staatsräson.

Warum das?

Mit einem Antisemiten kann ich mich inhaltlich auseinandersetzen, kann mit Fakten und Überzeugung argumentieren. Philosemiten stempeln Menschen ebenso ab wie Rassisten — sie stecken Menschen in Schubladen. Man ist in ihren Augen bereits Rassist, wenn man Juden nicht besser behandelt als andere Menschen. Die deutsche Staatsräson, die uns faktisch zwingen soll, Israel zu lieben, ohne Fragen stellen zu dürfen, ist in meinen Augen übelster Antisemitismus. Ich will selbst urteilen, mir eine eigene Meinung bilden. Genau das sollten wir aus der Schoah gelernt haben: selbst denken!

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Holocaust?

Mein Mann Wilhelm Polak stammt aus einer alteingesessenen jüdischen Kaufmannsfamilie, die seit dem 18. Jahrhundert in Papenburg angesiedelt war. Er war der einzige jüdische Papenburger, der das KZ überlebt hat, als seelischer Krüppel zurückgekehrt ist und sich danach dort seine Existenz wieder aufgebaut hat. Als Frau jüdischen Glaubens war ich 40 Jahre mit einem ehemaligen KZ-Überlebenden verheiratet. Dieses Trauma musste meine Familie mitverarbeiten. Ich weiß, was das bedeutet! Vor allem für die Kinder.

Es heißt, dass auf den Demos in Berlin Nazis dabei waren beziehungsweise sind. Können Sie das bestätigen?

Mich haben auch Leute aus Papenburg angeschrieben, nachdem sie erfuhren, dass ich am 1. August und später beim ersten Schweigemarsch in Berlin demonstriert habe, wie ich als Jüdin mit Nazis demonstrieren könne. Meine Antwort war: Ich habe Menschen kennengelernt, die wie ich zum ersten Mal in ihrem Leben auf eine Demonstration gegangen sind. Das war ich mir mit meiner Geschichte schuldig. Aber ich habe keine Nazis unter den Zehntausenden gesehen. Es waren friedliche Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.

Allerdings wurde ich am Rand der Demonstration von einer offenbar paramilitärisch organisierten Hassgruppe der sogenannten „Antifa“ am 1. August als Nazi beschimpft. Ich habe mich dagegen vehement gewehrt! Habe sie angesprochen und gefragt, warum sie mich als Jüdin als Nazi bezeichnen. Als Gegenfrage kam: Warum ich auf dieser Demo wäre? Ich darauf: „Weil ich eine neue Nazizeit unbedingt verhindern will. Ich lasse mich weder ‚abstempeln‘ noch in eine ‚rechte Ecke‘ stellen!“

Was erwarten Sie von den Demonstrationen?

Meine zentrale Aussage ist: Wahre Worte müssen gehört werden! Ich habe an diesen Demonstrationen gegen Entmündigung der Gesellschaft und nicht als Coronaleugnerin teilgenommen. Von der Bundesregierung will ich nur eine Frage beantworten wissen: Was soll dieses neue Gesetz wirklich erreichen? Warum diese Hast nach 8 Monaten Verordnungspolitik? Warum der Ausschluss eines Dialoges mit vielen Experten, die andere Erfahrungen haben?

Wie haben Sie die Demonstrationen erlebt?

Ich habe dort tolle Menschen kennengelernt, interessante Gespräche geführt und dann zuhause mit Unverständnis in den Fernsehnachrichten und im Radio von Demonstrationen gehört, die ich so nicht erlebt habe. Dabei war ich mittendrin. Das hat mich sehr, sehr nachdenklich gemacht. Ich verzweifle langsam an diesem Land. Es hat sich in den letzten 200 Jahren seit Heinrich Heine wenig geändert.

Sie gehen in Ihrem Alter auf Demonstrationen — haben Sie keine Angst?

Ich bin jetzt 73, meine Kinder stehen auf eigenen Füßen, ich hatte ein interessantes und ausgefülltes Leben. Ich habe weniger Angst vor diesem Virus, ich habe vielmehr Angst vor den viel existenzielleren Krankheiten wie Feigheit und Denunziantentum.

Was sagen Sie zu den Aussagen von Frau Kahane?

Mich braucht niemand zu fragen, wie Hitler zur Macht kam. Annette Kahane nutzt offenbar die Krise, um für ihre Stiftung Geld einzusammeln. Die Diskrepanz zwischen ihren Berichten und den tatsächlichen Geschehnissen in Berlin ist erschreckend.

Danke für Ihren Mut, in die Öffentlichkeit zu gehen!
Ich habe damals in Russland mir den Mund nicht verbieten lassen und werde auch hier nicht schweigen.

Nachgeborener von Überlebenden — Antisemit?

Michael G. ist 62, stammt aus Zürich und lebt bei Basel. Die Großmutter mütterlicherseits hat in der Schweiz als Jüdin überlebt. Er selbst hatte mal eine Position „Hilfs-Chasan“ in der Synagoge inne, ist aber heute überzeugter Anthroposoph. Der Rentner engagiert sich in alternativen Medien, was auch der Grund ist, dass er nicht mit vollem Namen genannt werden möchte.

Warum möchten Sie anonym bleiben?

Mein Kollege in unserem Online-Kanal hat schon sehr unangenehme Angriffe seitens Psiram und anderen erlebt. Das möchte ich gerne vermeiden. Ich äußere mich auf unserem Kanal sowohl politisch als auch spirituell und möchte verhindern, dass man gegen mich vorgeht. Ich hatte in der Vergangenheit schon Begegnungen mit Mitarbeitern von den Diensten, das muss sich nicht wiederholen. Auch in meiner Familie bestehen Bedenken, ihren jüdischen Hintergrund offen zu zeigen. Fremdenfeindlichkeit ist ja leider immer und überall vorhanden.

Hatte Ihre Großmutter zwischen 1933 und 1945 Probleme?

Nein. In der Schweiz war sie ja sicher. Es gab nur Kleinigkeiten, die typische antisemitische Anmache, aber keine Verfolgung. Fritz, der Bruder meiner Großmutter, war mit einer Deutschen verheiratet. Er ging nach Deutschland, um mit ihr zusammenzuleben, wurde inhaftiert, zuerst in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht, dann nach Oranienburg, wo er angeblich an Lungenentzündung starb. Meine Großmutter erhielt dann ein Päckchen mit seinen Sachen.

Das hat sich emotional auf den Rest der Familie übertragen, und wir schauen wohl alle bewusster hin als andere. Im Frühling, zu Beginn der Coronakrise, war ich sehr irritiert, habe schnell sehr emotional-intuitivreagiert. Ich hatte von Anfang an keine Angst vor dem Virus, sondern vor dem, was im Hintergrund läuft ...

Wie stehen Sie zu Corona?

Vordergründig ist Corona der Sündenbock, den man als Vorwand gebraucht, um eine Scheinrechtfertigung für die Renaissance der Sklaverei schaffen zu können. Bezüglich der Existenz des Virus gibt es verschiedene Ansätze zu Corona. Ich kann es nicht beurteilen, aber ich bin gegen jede Art von Dogmatismus und Tabus. Ich bin kein Wissenschaftler.

Es gibt jetzt saisonal bedingt vermehrt Kranke in den Krankenhäusern — das ist offensichtlich. Das war 2017/18 aber auch schon so. Überlastungen sind im Winter leider normal, nicht zuletzt aufgrund der neoliberalen Zerstörung des Gesundheitssystems. Besonders die Kliniken in Italien, Griechenland und Spanien wurden durch „Kaputtsparen“ funktional beschnitten.

Sie sind Coronakritiker mit jüdischen Wurzeln. Sind Sie Antisemit?

Ich glaube nicht. Falls ja, müsste ich mich in Behandlung wegen Schizophrenie begeben.

Was sagen Sie zur Bundespressekonferenz von Frau Kahane und ihren Mitstreitern?

Ich muss zugeben, ich habe die BPK nicht gesehen — das ist für mich Folter. Es hat mir gereicht, die Vorwürfe indirekt mitzubekommen. Das hat mich bereits wütend gemacht. Frau Kahane benimmt sich, als ob sie das jüdische Sprachrohr wäre, diejenige, die darüber urteilen könnte, wer was im Namen des Judentums sagen dürfe. Das ist eine Anmaßung, eine Dreistigkeit, dieser Anspruch ist nicht gerechtfertigt.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Coronakritik und Antisemitismus?

Wer Antisemitismus so definiert, ist inkompetent. Man kann nicht ausschließen, dass bei den Kritikern auch Antisemiten dabei waren. Aber es waren auch Juden darunter. Daraus ein Pauschalurteil abzuleiten, löst bei mir nur Kopfschütteln und Abscheu über so viel Dummheit und strategisch gelenkte Boshaftigkeit aus. Man kann das nicht ernst nehmen. Wer denken kann und über etwas historisches und okkultes Hintergrundwissen verfügt, reagiert wohl ähnlich. Die Crux ist, dass den meisten das Hintergrundwissen fehlt. Und wer nicht darüber verfügt, wird dann bei den Kritikern mit „Antisemit“ tituliert.

Warum?

Ich gehe wie viele davon aus, dass die Ereignisse aktuell im Hintergrund von mafiösen Strukturen dirigiert werden, die gravierende gesellschaftliche Änderungen herbeiführen wollen. Und das weltweit. Nicht nur Klaus Schwab aus der Schweiz steht für den „Great Reset“. Bei uns in Basel kann man die Finanzoligarchen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in ihren exterritorialen Bankgebäuden beobachten.

Es gibt zahlreiche Hinweise auf deren massive Beeinflussung weltbewegender Ereignisse. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hatte schon eine unrühmliche Vergangenheit in ihrer Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich. Die Rothschilds sind sicher keine Chorknaben, aber hinter ihnen verstecken sich weitere Mächtige aus Kirche und anderen Strukturen. Die Mächtigen beanspruchen Sonderrechte, wollen uns lenken, geben vor zu wissen, was vermeintlich gut für uns sei, wollen uns lenken und uns ihren Willen oktroyieren, der ausschließlich ihren Interessen dient. Das ist nicht annehmbar.

Der Antisemitismusvorwurf ist also konstruiert?

Ja. Das kann man sagen. Zu dieser Machtelite gehören sicher auch Menschen mit jüdischen Wurzeln. Auch die Juden haben das Recht, ein paar Verbrecher hervorzubringen, und müssen dies nicht nur den Italienern und ihrer Mafia überlassen. Ich bin inzwischen überzeugt, dass es gerade diese mächtige Elite ist, die „die Juden“ auch als Schutzschild für ihr Handeln missbraucht. Wer ihr Handeln kritisiert, der kritisiert dann — „umgepolt“ durch sophistische Rhetorik — Juden, ist ein „Antisemit“ — und damit wird die eigentlich gemeinte Eliten-Kritik desavouiert. Als freies und selbstbestimmtes Individuum lasse ich mir von Frau Kahane oder anderen den Mund bestimmt nicht verbieten.

Danke dafür!

Orthodoxe Jüdin — Antisemitin?

Nurit Schaller (45) ist Sprachwissenschaftlerin und Künstlerin. Die modern-orthodoxe Jüdin ist Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde ihrer Heimatstadt Wien. In ihrem Studium an den Universitäten von Amsterdam, Wien und Heidelberg beschäftigte sie sich mit Jüdischen Studien und Semitistik, insbesondere althebräischer und aramäischer Sprachwissenschaft und jüdischem Neo-Platonismus sowie mathematischer Mystik.

Sie haben sich die Bundespressekonferenz angeschaut?

Ja — aber nur den Anfang. Was da gesagt wurde, ist grundlegend falsch und unerträglich.

Können Sie mir Beispiele nennen?

Gerne. Es wurde behauptet, der Antisemitismus hätte sich durch die Coronaproteste verdichtet. Das ist unhaltbar. Eine Verdichtung begann lange vorher durch die zunehmende Islamisierung in europäischen Ländern, was man schon anhand der Daten vor 2015 aus zum Beispiel Frankreich, Schweden und den Niederlanden erkennen kann. Eine gravierende Zuspitzung und vermehrt jüdische Auswanderung sehen wir ab 2015. Die Verbindung des linken Antisemitismus mit dem islamischen Antisemitismus seit dem Sechstagekrieg ist ein wichtiges Element darin.

Als Nächstes wurde behauptet, dass Antisemitismus eine Verschwörungstheorie sei. Wer so etwas sagt, hat sich nie mit den Wurzeln des Antisemitismus beschäftigt: dem Christentum in der Antike, das sich gegen das Judentum abgrenzte. Freilich wurde dies dann kräftig weiter ausgebaut im Laufe der Jahrhunderte (siehe Brunnenvergiftungs-, Ritualmordlegenden et cetera). Es geht also um Vorurteile — wie Antiziganismus, Rassismus oder auch Sexismus.

Fakten scheinen eine geringe Rolle bei den Aussagen zu spielen?

Ja. Dabei geht es gerade bei den Coronaprotesten um Fakten, die nicht zur Kenntnis genommen werden. Experten werden verunglimpft, zensiert, diskreditiert und verfolgt. Wissenschaftliches Vorgehen scheint nicht gewünscht — ein weiterer Widerspruch.

Was meinen Sie?

Es wird behauptet, die Proteste richten sich gegen die Errungenschaften der Moderne und der Vernunft. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gefordert werden faktenbasierte Entscheidung und unabhängige Wissenschaft. Und zu den Errungenschaften der Moderne zähle ich Meinungsfreiheit, freie Bildung, das Recht auf objektive Information, Pressefreiheit, Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Demonstration. All das wird ja gerade abgeschafft. Und dagegen wird protestiert.

Angeblich werden die Proteste immer radikaler. Wie sehen Sie das?

Die Radikalität und Gewalttätigkeit der Polizei in Deutschland hat zugenommen. Auch wenn das in den Nachrichten nicht gezeigt wird, die unzähligen Videos von unabhängigen Journalisten und Demonstranten sprechen Bände. Ich bin froh, in Österreich zu leben. Hier geht die Polizei fast nicht gegen uns vor, und es wurde auch schon seitens der Polizei Widerspruch gegen die Coronapolitik der Regierung geäußert. Das lässt hoffen.

Gab es weitere Falschaussagen?

Ja. Es wurde gesagt, die jüdische Gemeinde habe Vorbehalte gegen ein Milieu, das sich mit Natur und Naturheilkunde beschäftigt anstatt mit Wissenschaft. Wer so etwas sagt, kennt die jüdischen Gemeinden nicht von innen. Ich kenne jüdische Gemeinden in vielen Ländern — Deutschland, Österreich, Niederlande, Belgien, USA, Israel, Frankreich und Italien —, und wir, darunter auch Ärzte, sehen keinen Widerspruch zwischen alternativen Heilmethoden, Wissenschaft und Naturverbundenheit.

Aber es kam noch schlimmer: Zwei Punkte haben mich so aufgeregt, dass ich abschalten musste.

Welche waren das?

Die Behauptung, das Benutzen der Davidsterne sei eine Selbstviktimisierung der Demonstranten. Wer so etwas sagt, beweist, dass er die Geschichte nicht kennt. Die Demonstranten verwenden die Symbolik, um auf die Parallelen in der Gesetzgebung der 30er-Jahre und heute hinzuweisen. Ganz verwerflich fand ich, dass die Bekämpfung des Antisemitismus — also eigentlich etwas Positives — dazu missbraucht wird, um Maßnahmen zu begründen, die dazu dienen, ein totalitäres Regime zu etablieren. Das ist an Perversität nicht zu überbieten!

Was würden Sie sich von den jüdischen Gemeinden wünschen?

Ich hoffe, dass mehr und mehr jüdische Gemeinden dieser Politik entgegentreten. Halacha und Ethik fordern, dass wir für die Wahrheit eintreten. Nur ein Beispiel: Die Halacha besagt, man darf niemanden der Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, berauben. Genau das wird gerade gemacht. Wir werden zu Almosenempfängern degradiert. Das lässt sich mit jüdischem Gedankengut nicht vereinbaren.

Auch soll man als Jude für die Freiheit und Möglichkeit zur Selbstentfaltung aller kämpfen. Darum freue ich mich, auch durch unser Gespräch zur Aufklärung beizutragen.

Danke dafür!

Danke allen Aufrechten, die mit ihrer Position mutig an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Spannend, aber auch sehr traurig: Mich haben einige Menschen kontaktiert — mit jüdischen Wurzeln, die mein Vorhaben unterstützen, aber sich nicht öffentlich äußern wollten, weil sie Angst haben. Angst vor Diffamierung, Angst vor Hetze, Angst vor Verfolgung — und das in Deutschland 2020. Das ist eine ganz besondere Form des Antisemitismus.