Auf zerstörerischen Abwegen

Die Welt ist einem globalen Krieg so nah wie seit 1939 nicht mehr.

Der Konflikt in der Ukraine schwelt seit 2014. Seitdem herrscht dort in einigen Regionen nahezu ununterbrochen Krieg. Dieser wird von westlichen Akteuren, allen voran den USA, angeheizt und unterstützt. Mit dem 24. Februar 2022 ist dieser Konfliktherd jedoch von einer lokalen Angelegenheit zu einer globalen Bedrohung geworden, die immer weiter zu eskalieren scheint.

Noch am 15. September trafen sich Wladimir Putin und Xi Jinping auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation in Samarkand in einer Situation, in welcher sich die Beziehungen zum Westen dramatisch verschlechtert haben. Nur sechs Tage später, am 21. September, verkündete Putin die teilweise Mobilisierung von 300.000 Reservisten, ein Bruchteil der 25 Millionen, die möglich wären. Nur solche mit Militärerfahrung sollen nach und nach ausgebildet und dann eingesetzt werden, zu speziellen Aufgaben, über deren Details jedoch nichts bekannt ist. Drei Monate wird es ungefähr dauern, bis die Reservisten in den Einsatz geschickt werden können.

Westliche Medien reagierten beinahe mit einer gewissen Schadenfreude auf die Ankündigung. So wurde sie allgemein als eine Reaktion auf die jüngsten Rückschläge Russlands in der Ukraine betrachtet. Das ist wahrscheinlich zutreffend, wenngleich die ukrainischen Geländegewinne auch lange nicht so überragend waren, wie dargestellt.

Die russische Armee hat sich weitestgehend kampflos aus dem Gebiet zurückgezogen, um leichter zu verteidigende Positionen jenseits des Flusses einzurichten. Dennoch scheint die militärische Operation Russlands in der Ukraine nicht so problemlos zu verlaufen, wie Putin und sein Generalstab gehofft haben, wie der russische Präsident in seiner Rede am 21. September relativ freimütig zugegeben hat. Er erklärte, die Front sei tausende Kilometer lang und die russische Armee nicht in der Lage, sie überall gleichermaßen zu verteidigen.

Stellvertreterkrieg

Grund dafür könnte jedoch zusätzlich sein, dass die westlichen Waffenlieferungen, Aufklärung und Ausbildung jedes jemals erwartete Maß übersteigen. Die NATO scheint alles daranzusetzen, die Ukraine gegen Russland hochzurüsten, mit dem erklärten Ziel, die russische Föderation zu zerschlagen. So sind verschiedene westliche Waffensysteme in die Ukraine gelangt und werden dort wahrscheinlich nicht nur von Ukrainern, sondern auch von britischen, amerikanischen, deutschen und kanadischen Militärs bedient. Damit machen diese Länder sich ebenfalls zu Kriegsparteien.

Schon vor einigen Monaten kam ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu dem Ergebnis, dass Deutschland Kriegspartei sein könnte, wenn deutsche Soldaten Ukrainer ausbilden. Ohne diese Ausbildung können die in die Ukraine gelieferten Waffen, wie beispielsweise Gepard Panzer, nicht bedient werden. Die Alternative zu dieser Ausbildung wäre also, dass deutsche Soldaten in der Ukraine die Militärtechnik gegen Russland einsetzen. Mit der Folge, dass Deutschland Kriegspartei wäre. Dasselbe gilt für alle anderen Länder, die in größerem Umfang westliche oder NATO-Militärtechnik geliefert haben.

Nicht umsonst erklärte der russische Verteidigungsminister Schoigu, dass sich Russland im Krieg mit dem kollektiven Westen befinde. Er nahm damit nicht nur Bezug auf den von der EU gestarteten Wirtschaftskrieg, der hier als „Sanktionen“ euphemisiert wird, sondern auch auf das militärische Engagement verschiedener Staaten in der Ukraine. Und auch Duma-Sprecher Wolodin sagte in Richtung der EU: „Wenn ihr heute nicht aufhört, werdet ihr morgen ein Problem haben.“ Es sind vielleicht die letzten ernst gemeinten Warnungen an den Westen, die Angriffe auf Russland zu unterlassen.

Zeitgleich mit der Teilmobilisierung in Russland haben die Regionen Lugansk, Donezk und einige Gebiete der Südukraine angekündigt, Referenden über den Beitritt zur russischen Föderation abzuhalten. Dass diese stattfinden werden, ist schon lange klar, jedoch wurde der Zeitpunkt stets auf die „vollständige Befreiung“ gelegt. Nun jedoch wurden diese auf den 23. bis 27. September vorgezogen.

Westliche Medien ergingen sich dabei schon im Vorhinein in Hohn und Häme, erklärten die Referenden für ungültige Scheinreferenden, sahen sie als aus dem Kreml orchestriert. Doch fälschen lassen muss der Kreml solche Referenden nicht, da die entsprechenden Regionen mehrheitlich russisch sind. Der Ausgang, eine überwältigende Mehrheit für den Beitritt zur russischen Föderation in allen vier Gebieten, war auch ohne Fälschungen relativ vorhersehbar, und schon vor dem 27. September ließ sich das Abstimmungsergebnis erahnen.

Wahlbeobachter sprechen von ordnungsgemäßen Abstimmungen, die demokratischen Standards gerecht wurden. Dass die Referenden nun vorgezogen worden sind, kann jedoch durchaus als mit Moskau abgesprochen gesehen werden. Nicht umsonst erklärte die Duma, das Ergebnis zu unterstützen. Man kann davon ausgehen, dass eine Entscheidung zugunsten des Beitritts zur Föderation umgehend umgesetzt wird.

Es handelt sich um einen politischen Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen, um auf diese Weise den Krieg entweder zu beenden oder aber entscheidend zu verlagern. Denn sobald die Regionen zu Russland gehören, ist jeder weitere Angriff auf diese ein Angriff auf russisches Kernland. Dann hat Russland auch gegenüber seinen Verbündeten einen Grund, die freiwilligen Selbstbeschränkungen, die es sich im Moment noch auferlegt hat, abzulegen.

Diese Selbstbeschränkungen halten das russische Militär bislang noch davon ab, großflächig ukrainische Infrastruktur zu zerstören, zivile Wohngebiete zu beschießen, es sei denn, in diesen werden militärische Gerätschaften aufgestellt, oder mit mehr Soldaten vorzugehen. Auch bestimmte Waffengattungen kommen bislang noch nicht zum Einsatz. Es ist durchaus möglich, dass der Rückzug aus Kharkow und die Referenden Teil eines strategischen Manövers sind, das durch den fortwährenden Beschuss der Donbass-Republiken notwendig geworden ist.

Dass westliche Staatschefs die Referenden nicht anerkennen würden, haben sie schon klar zum Ausdruck gebracht. Kein Wunder, haben diese für Demokratie und Selbstbestimmung der Völker auch nichts übrig. Referenden in der Ukraine, obwohl schon zuvor stattgefunden, könnten auf diese Weise Präzedenzfälle für Sezessionsbestrebungen in westlichen Staaten schaffen. Katalonien ist nur ein prominentes Beispiel, das vor einigen Jahren den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat. Zugleich steckt in der Weigerung der Anerkennung aber auch der Beweggrund, für jede weitere Eskalation abermals Russland verantwortlich zu machen.

Grundlegende Änderungen

Durch die Ankündigung der Referenden hat sich die Kriegssituation in der Ukraine vollkommen verändert. Denn sobald die Referenden durchgeführt sind, hilft Russland aus seiner Sicht nicht länger Verbündeten bei der Verteidigung, sondern verteidigt russisches Staatsgebiet gegen die Ukraine und die NATO. Auf diese Weise wird aus der „militärischen Sonderoperation“ ein offener und direkter Krieg gegen jeden, der Russland mit Militär oder Material angreift oder solche Angriffe unterstützt. Dieser Wechsel hätte auch schon zuvor stattfinden können. Denn immer wieder wurde in den letzten Monaten auch die Krim Ziel ukrainischer Angriffe, die mit westlichen Waffen durchgeführt wurden.

Die russische Regierung sieht die Krim jedoch schon seit 2014 als Teil des eigenen Staatsgebietes. Dass diese Angriffe nicht genutzt wurden, um einen vollwertigen, möglicherweise globalen Krieg zu beginnen, macht deutlich, dass die russische Seite an einem solchen nicht interessiert zu sein scheint. Immer wieder sprach das Verteidigungsministerium von „Sabotageakten“ anstatt von Angriffen, versuchte die Situation herunterzuspielen. Die Ankündigung der Referenden und der Teilmobilmachung kann somit als Warnung und politisches Angebot an den Westen verstanden werden, einigermaßen gesichtswahrend den Konflikt zu beenden.

Dass das Vorgehen Russlands in der Ukraine einem gewissen Plan entspricht, kann getrost angenommen werden. Von Anfang an hat der Kreml viel Wert darauf gelegt, vermeintlich oder tatsächlich im Einklang mit dem Völkerrecht zu handeln. So wurden die Donbass-Republiken als unabhängig anerkannt und Verteidigungsabkommen mit ihnen geschlossen, bevor die Offensive der russischen Armee startete, und so werden auch jetzt die Referenden anerkannt und umgesetzt werden. Erst dann wird jeder weitere Angriff und jede weitere Unterstützung der Besetzung als direkter Angriff auf Russland gewertet werden.

Russland werde, so wurde es ebenso angekündigt, sein Territorium zur Not auch mit Atomwaffen verteidigen. Die Ankündigungen der Mobilmachung und der Referenden sowie die Warnungen sind daher einerseits als direkte Warnung an den Westen zu sehen, sein militärisches Engagement in der Ukraine umgehend zu beenden, und setzt diesem eine letzte Frist. Es besteht also die reale Möglichkeit, dass die Referenden den Konflikt entweder beenden oder aber eskalieren werden. Die Äußerungen vieler Politiker machen deutlich, dass diese Warnung nicht verstanden wurde, und deuten eher in Richtung Eskalation.

Andererseits handelt es sich dabei aber vermutlich auch um klare Signale an die eigenen Partner wie China, Indien und verschiedene asiatische und afrikanische Staaten. Diese kennen das Spiel, das gespielt wird, sehr genau, kennen die westliche Heuchelei, die sich nun auf der öffentlichen Bühne offenbart und orientieren sich im westlichen Moralisierungswahn Richtung Russlands.

Kaum beachtet wurde bei all dem eine ähnlich erschreckende Ankündigung Xi Jinpings, die chinesische Volksbefreiungsarmee solle sich auf Krieg vorbereiten. Er lobte dabei die Reformen des Militärs, die in den letzten Jahren durchgeführt worden waren. Dem voraus gingen die westlichen Provokationen rund um Taiwan. So hatte die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi zuvor gegen großen Widerspruch Chinas Taiwan besucht.

Immer wieder führt die NATO zudem Militärmanöver in der Region durch, die ganz klar gegen China gerichtet sind. An diesen beteiligte sich in der Vergangenheit auch Deutschland mit einem maritimen Kontingent. China galt in der Vergangenheit stets als zurückhaltende, diplomatisch agierende Macht. Diese Zurückhaltung legen chinesische Politiker nun mehr und mehr ab, was dem Westen ebenso eine deutliche Warnung sein sollte.

Dass die Ankündigungen beider Staatschefs auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation abgestimmt worden sind und koordiniert erfolgen, ist nicht schwierig zu erraten. Auf dem Gipfel in Samarkand wurden nicht nur wirtschaftliche Schritte erörtert, sondern gewiss auch geopolitische. Dabei kann angenommen werden, dass Russland seinen Partnern nicht nur Informationen bezüglich seiner Pläne mitteilte, sondern ebenso Erkenntnisse über die Beteiligung der NATO am Krieg in der Ukraine sowie der 46 US-amerikanischen Biolabore, die in der Ukraine an Biowaffen und Krankheiten geforscht haben.

Wie immer man das Vorgehen Chinas, Russlands und der Donbass-Republiken auch bewertet, eines steht fest: Wir befinden uns an der Schwelle zu einem neuen globalen Konflikt, der überwiegend mal wieder in Europa ausgetragen wird, und unter dem, wie immer im Krieg, die ganz normale Bevölkerung zu leiden hat. Davor warnt auch der serbische Premierminister Aleksandar Vučić , der einzige europäische Politiker, der noch Wert auf Diplomatie mit Moskau legt und sich dem westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht angeschlossen hat. Auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump warnt vor einem dritten Weltkrieg, und US-Admiral Charles Richard hält es sogar für möglich, dass dieser nuklear geführt wird.

Dass die westlichen Kriegsherren auf diese Eskalation hinarbeiten wird durch die schon im Vorhinein angekündigte Ablehnung der Referenden, den Besuch Nancy Pelosis in Taiwan ebenso deutlich, wie durch die jüngste Sprengung von Nord Stream I und II, wahrscheinlich durch amerikanisches Militär und vermutlich auch abgesegnet von der deutschen Regierung. Diese Sprengung russischen Eigentums macht eine Rückkehr zum Verhandlungstisch obsolet, da die für die EU daraus resultierenden Vorteile, nämlich eine stabile Versorgung mit Gas im Winter, jetzt nicht mehr erreicht werden können, und können auch als direkter Angriff auf russische Infrastruktur gewertet werden. Der Konflikt in der Ukraine steigert sich auf diese Weise zu einer direkten Konfrontation zwischen der NATO einerseits und Russland und China andererseits.

Dass die NATO in diesem Konflikt erfolgreich sein kann ist indes zu bezweifeln. Schon seit über sechs Monaten leeren NATO-Staaten ihre Waffenarsenale und stellen sie der Ukraine als Schießbudenziele für russische Artillerie zur Verfügung. Vieles versickert zudem in dunklen Kanälen und taucht auf dem Schwarzmarkt in verschiedenen europäischen Ländern wieder auf. Die Bestände der US-Armee, der Bundeswehr, und vermutlich auch vieler anderer Armeen westlicher Staaten sind schon seit geraumer Weile besorgniserregend leer, sodass manche Militärs schon die Fähigkeit bezweifeln, das Land im Kriegsfall verteidigen zu können.

Hinzu kommt, dass westliche Staaten schon seit Jahren ihre Bestände klassischer Militärtechnik und Munitionsreserven und -produktionskapazitäten abbauen. Das führt dazu, dass die jährliche Munitionsproduktion der USA für maximal 2 Wochen Kriegseinsatz genügen würden. Hinzu kommt die kollabierende Wirtschaft der EU, der sich ankündigende Mangel an Strom, Nahrungsmitteln und Gas, sowie daraus entstehende innere Unruhen in den einzelnen Ländern, die das Militär mehr beschäftigen werden, als der Krieg in der Ukraine.

Alles in Allem ist es also höchst fragwürdig, ob der Westen eine Chance hat, die geballte Macht von Russland und China, sowie der OVKS, militärisch zu schlagen. Er sieht sich de facto der ganzen restlichen Welt gegenüber, die gerade die Möglichkeit ergreift, sich aus der westlichen Hegemonie zu befreien. In dieser Situation kann der Westen nur „siegreich“ sein, wenn er den Krieg mit einem schnellen Einsatz von Atomwaffen beendet, ein Sieg, der jedoch keiner wäre.

Dennoch halten westliche Staaten an der Eskalation fest. Sie dient der Sicherung der westlichen, unipolaren Weltordnung unter der Herrschaft der USA, stützt den Petrodollar und kurbelt die Rüstungsproduktion an.

Die Menschen werden einmal mehr für abstrakte Ziele, weltfremde Staatsinteressen, wirtschaftliche Expansionsbestrebungen und Vorherrschaftsinteressen geopfert. Konflikte werden dafür bewusst geschürt, Konflikte, die dann nicht von jenen Bidens, Scholzens, Baerbocks, Putins und Macrons ausgefochten werden, sondern von den einfachen Menschen, die gezwungen werden, für fremde Kapital- und Herrschaftsinteressen in den Krieg zu ziehen. Dieser Konflikt bietet das Potenzial, atomar zu enden, und zieht auf diese Weise große Teile der Welt in Mitleidenschaft. Wird diese letzte Chance der Menschheit genutzt, und die Eskalation beendet werden? Die kommenden Tage werden es vermutlich zeigen.