Atomare Hasskriminalität
Der Kampf gegen Hass steht derzeit innenpolitisch im Fokus, während außenpolitisch die atomare Bewaffnung Europas gefordert wird — die schlimmste Form des Hasses gegen das Leben.
Wir erleben eine Kernschmelze der Vernunft. Deutschland entsagt der friedlichen Nutzung von Atomkraft, aber fordert jetzt Atomwaffen. Energie darf also nicht atomar erzeugt werden, zum Zweck der Abschreckung Russlands jedoch sind Atomwaffen scheinbar in Ordnung. Als vernunftbegabter und fühlender Mensch kommt man dieser Tage an seine Grenzen. Das Wettrüsten des Irrsinns, das wir innenpolitisch wie außenpolitisch erleben, trägt nun im Tagestakt neue bizarre Früchte. Nancy Faeser möchte mit eiserner Konsequenz gegen das schwammige Etwas vorgehen, das als „rechts“ bezeichnet wird, von dem aber niemand so genau weiß, was darunter zu verstehen ist. Hass und Hetze sollen bekämpft werden. Aber gibt es einen größeren Ausdruck von Hass gegen das Leben als die Forderung, Atomwaffen zu beschaffen? Bei diesen Waffen handelt es sich — das scheinen viele dieser Tage vergessen zu haben — um Sprengköpfe, die dazu geeignet sind, ganze Städte samt ihrer Einwohner auszuradieren. So viel Leid und Zerstörung vermag kein Hasskommentar und auch keine falsche Annahme über das Geschlecht eines Menschen zu erzeugen. Die Forderung von Lumpenbellizisten und Friedensdelegitimierern nach Atomwaffen ist Hasskriminalität erster Güte.
Als Robert Oppenheimer den nuklearen Pilz der ersten Atombombe beobachtete, schoss ihm ein Vers aus der hinduistischen Bhagavad Gita durch den Kopf: „Jetzt bin ich zum Tod geworden, zum Zerstörer der Welt.“ Während Oppenheimer nach 1945 noch realisierte, welchen Geist er aus der Flasche gelassen hatte, ist es unbegreiflich, was jenen durch den Kopf schießt, die nun allen Ernstes die atomare Bewaffnung Europas fordern. Es sind eben nicht nur die Boomer-Kinder wie Christian Lindner, die die Furcht vor atomaren Schlägen im Kalten Krieg nicht mehr aktiv miterlebt haben. Auch die TAZ-lerin Ulrike Hermann — Jahrgang 1964 — forderte kürzlich bei Markus Lanz, dass Europa zur Atommacht werden müsse, sofern im Falle von Donald Trumps Wahlsieg die „Sicherheits“-Architektur der gegenseitigen Abschreckung zwischen USA und Russland einbrechen würde.
Diese Frau, die so gelassen über die Beschaffung von Atomwaffen spricht, als handle es sich um einen Parketfußbodenwechsel, publizierte erst vorletztes Jahr ein Buch zum Thema Klimaschutz und war bis 2021 noch Mitglied bei den Grünen, also jener Partei, die sich in den 1980er-Jahren für die nukleare Abrüstung und bis 2022 auch vollumfänglich für den Ausstieg aus der Atomenergie einsetzte. „Atomenergie pfui, Atomwaffen hui?“ So in etwa kann man die verstrahlt kognitive Dissonanz zusammenfassen.
Eine Atomwaffe macht deine 15-Minuten-Stadt in 15 Sekunden platt!
„Echte Männer haben keine Angst vor ‘nem Atomschlag /
Echte Männer drehen im Panzer ein paar Donuts“
K.I.Z. „Frieden“
2024 erleben wir Menschen, die sich jahrelang von einem Grippeinfarkt fürchteten, aber nun kühn einem drohenden Nuklearinferno entgegensehen. Da muss man sich schon fragen, ob diese Menschen in Politik, Medien und Wirtschaft überhaupt wissen, was Atomwaffen sind oder ob es sich dabei aus ihrer Perspektive nur um abstrakte Begriffe auf dem Papier handelt?
Atomwaffen sind nicht woke
Letztes Jahr lief mit ausgesprochenen Erfolg Christopher Nolans Epic-Biopic über Robert Oppenheimer in den Kinos. Wer dieses Meisterwerk gesehen hat, wurde spätestens bei diesem Filmerlebnis wieder daran erinnert, was für ein Schrecken mit der Erfindung der Atombombe in die Welt gekommen ist. Dieser Streifen kam genau zum richtigen Zeitpunkt und hätte eigentlich die Gesellschaft aufrütteln müssen. Doch nichts dergleichen ist geschehen.
Mit völliger Ruhe und Gelassenheit wird über die Umgestaltung Europas zur Atommacht gesprochen, als wolle man einfach nur die Dienstwagenflotte der Regierung austauschen.
Dieses kollektiv lebensmüde Unterfangen wäre ein Grund, zu Hunderttausenden auf die Straße zu gehen. Doch das geschieht nur, wenn die Regierung dazu aufruft und die Oligarchen-Pressestelle Correctiv sowie die Systempresse eine private Patrioten-Pyjamaparty zur „Wannseekonferenz 2.0“ hochjazzt.
„Mikroaggressionen“ gehören zu den „Talking-Points“ heutiger Debatten. Atomwaffen sind das absolute Gegenteil von Mikroaggressionen. Sie sind Ausdruck einer maximalen Aggression. Für die Gewalt, die von ihnen ausgeht, beziehungsweise von den zündenden Menschen und KIs, gibt es keinen „Safe Space“. Vielleicht noch einen Atomschutzbunker. Doch wer hat das schon? Die Quote der Atomschutzbunkerbesitzer dürfte hierzulande im Promillebereich liegen. Die Feuersbrunst und Strahlung einer detonierten Atomwaffe macht keinen Unterschied zwischen Hautfarbe, Herkunft, Impfstatus und schon gar nicht zwischen Geschlechtern. Alles, was der Druckwelle im Wege steht, wird ausnahmslos pulverisiert.
Atomarer Klimawandel
Abseits des Wokeismus kontrastieren Atomwaffen den Loriot‘schen Dekarbonisierungseifer, der sich im Klimakult durch CO2-Einsparungserbsenzählerei ausdrückt. Allseits wird die Mär vom menschengemachten Klimawandel beschworen. Dort, wo der Mensch als solcher es wahrhaftig vermag, das Klima nachhaltig zu verändern, nämlich im Bereich der Atomwaffenaufrüstung und deren Einsetzung, wird großzügig darüber hinweggesehen. Debattiert wird über Individualverkehr, Nahrungsmittel, Konsum oder über CO2-Einsparungen durch den Verzicht auf Kinder.
Wir leben in Zeiten, in denen manche Zeitgenossen in Kindern eine größere Bedrohung sehen als in Atombomben.
Hass gegen das Leben
Angesichts dieser bellizistischen Aufrüstungsüberbietungsorgien, die wohl einem völligen perversen Todestrieb der politischen Köpfe entspringen, stellt sich die Frage, ob Artikel 26 des Grundgesetzes überhaupt noch Anwendung findet? Dort heißt es in Absatz 1:
„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“
Wie kann es denn sein, dass Roderich Kiesewetter von der CDU hier juristisch nicht belangt wird, wenn er fordert, dass der Krieg nach Russland getragen werden müsse? Wie kann es sein, dass es angesichts dieser klaren Regelung aus Artikel 26 möglich ist, straffrei die atomare Aufrüstung Europas zu fordern, während zugleich die EU plant, Kritik an Genderpolitik mit Terrorismus und Menschenhandel gleichzustellen und entsprechend zu ahnden?
Zu behaupten, dass es nur zwei Geschlechter gibt, könnte bald härter bestraft werden als die Behauptung, nukleare Abschreckung diene dem Frieden. Letztere Behauptung scheint derzeit vollkommen straffrei zu sein.
Innenpolitisch wird die Bedrohungskulisse errichtet, wonach „unsere Demokratie“ (Trademark) durch Desinformation, Rechte und Hass und Hetze im Netz bedroht sei. Dabei kann keine Fake News so bedrohlich und nichts hasserfüllter auf das Leben sein als die Forderung nach Atombomben. Wer nach Atomwaffen ruft, nimmt die völlige Vernichtung allen Lebens auf der Erde billigend in Kauf. Manche scheinen das nicht zu realisieren, und andere, völlig abgebrühte Gestalten auf dem politischen Parkett, wie die ehemalige Premierministerin Großbritanniens Liz Truss, bekennen stoisch, die nukleare Apokalypse auszulösen zu wollen, wenn dies erforderlich sei. „I‘m ready to do it“, so die Worte der Eintagsfliegen-Premierministerin.
Wenn die Worte fehlen: die Worte umdrehen
Angesichts dieses Wahnsinns können einem als verzweifelter Beobachter des Zeitgeschehens die Spucke und die Worte wegbleiben. Welche Begriffe könnten diesen potenziell homoziden Wahnsinn noch adäquat beschreiben? Es mangelt an dem richtigen Vokabular.
Doch wenn die richtigen Worte fehlen, sollten die Wörter des heutigen Diskurses einfach mal umgedreht und den Lumpenbellizisten, Kriegshetzern und Rechtsstaat-Aushöhlern ihre eigene begriffliche Medizin verabreicht werden.
So sprechen wir es doch einfach klar aus: In den Parlamenten sitzen zahlreiche Zerstörungsideologen, Zerstörungstheoretiker und Völkerfreundschaft-Verweigerer, die sich mit ihrer Diplomatie-Leugnung, ihrem toxischen Militarismus sowie mit Hass und Hetze gegen Friedensbewegte der Delegitimierung des Friedens schuldig machen.
Niemand sollte sich dieser Tage der Feigheit, des Verrats oder der Solidaritätsverweigerung bezichtigen lassen, weil er oder sie aus zwei Blutbädern auf europäischen Boden gelernt hat. Niemand zwingt „uns“, dem Westen, einen Krieg auf, genauso wenig, wie uns ein Virus Maßnahmen oder ein sich veränderndes Klima die Preisgabe unserer Freiheit aufzwingt. Jeder Mensch, egal in welcher Position der Gesellschaft, kann sich zwischen Frieden und Krieg entscheiden. Die Entscheidung ist dringender geboten denn je. Die vielschichtigen Traumawunden der menschlichen Totalkatastrophen des 20. Jahrhunderts wirken bis in das Heute. Sie sind auch nach Jahrzehnten nicht geheilt, und ein erneutes Aufreißen dieser Wunden würde abermals einen transgenerationalen Heilungsprozess erfordern — vorausgesetzt, dass es nach einem Atomkrieg überhaupt noch eine Generation gibt.
Hier wäre es wirklich angemessen, von einer möglicherweise „letzten Generation“ zu sprechen. Wo bleibt in dieser Angelegenheit eigentlich die gleichnamige Organisation?