Antisemitismus neu gesehen
Mit dem Vormarsch des Globalismus haben sich in den letzten Jahrzehnten auch die Judenfeindlichkeit und der Umgang mit ihr verändert. Teil 4/4.
Viele rechte Parteien haben antisemitische Traditionen weitgehend entsorgt. Umso inflationärer missbraucht das herrschende System den Anwurf des Antisemitismus gegen Kritiker. Dazu dient insbesondere das Konstrukt des „strukturellen Antisemitismus“. Gleichzeitig wird die aggressive Judenfeindlichkeit vieler Muslime oder ukrainischer Nazis verharmlost, gelten diese Personengruppen doch als nützlich für die globalistische Agenda. Über diese aktuellen Phänomene hinaus sollte die materielle Basis des Antisemitismus in Vergangenheit und Zukunft untersucht werden. Abraham Leon hat dazu das Konzept der „Volksklasse“ vorgelegt. Außerdem beschreibt der Autor in seinem vierteiligen Artikel verschiedene Auswege, die Juden angesichts ihrer Diskriminierung gefunden haben: zionistisch, sozialistisch oder „kosmopolitisch“.
In Teil 1 werden die Entwicklung der alten antisemitischen und antislawischen Rechten skizziert, die Kernthesen der neuen Rechten anhand von Henning Eichberg dargestellt und der diesbezügliche Kurswechsel der meisten rechten Parteien erläutert.
In Teil 2 geht es um die materielle Basis des Antisemitismus, insbesondere um Abraham Leons Konzept der „Volksklasse“, ihr weitgehendes Ende in den 1940er Jahren und die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Ferner wird die Judenfeindschaft im Koran und die Situation der Juden in der arabischen Welt analysiert.
In Teil 3 geht es um den Niedergang des islamischen Raumes gegenüber Europa und um die Folgen für die orientalischen Juden. Außerdem werden die Bedeutung der Formierung des israelischen Staates sowie die Beschönigung von tatsächlichem Antisemitismus durch den globalistischen Mainstream diskutiert.
Missbrauch von Anti-Antisemitismus
Während der westliche Mainstream die tatsächliche Judenfeindschaft von ukrainischen Nationalisten oder Muslimen beschönigt, missbraucht er „Antifaschismus“ und Kampf gegen Antisemitismus, wenn es darum geht, seine Ziele im Sinne des globalistischen Großkapitals durchzusetzen, etwa bei der Durchsetzung von Zensur oder gegen Kritiker von Corona-Repressalien. Da wird dann beispielsweise jede Kritik an dem jüdisch-stämmigen George Soros oder gar an dem nicht-jüdisch-stämmigen Bill Gates oder an Banken als antisemitisch stigmatisiert — wobei universitäre Linke als Cheerleader auftreten. Ja, das ist widersprüchlich, aber in der globalistischen Ideologie auch logisch.
Kernelemente des Globalismus als aktuelle Herrschaftsform des Großkapitals sind eine Zurückdrängung von Nationalstaaten und ihrer demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten und ihre Ersetzung durch eine abgehobene „global governance“ von ungewählten globalistischen Zirkeln.
Das läuft über Panikkampagnen, die abwechselnd mit einer „Pandemie“ oder einer „Klimakrise“ begründet werden.
Für die Auflösung der Nationalstaaten und von nationalen Identitäten spielen aber auch Massenmigration und die daraus resultierende Fragmentierung der Bevölkerungen insbesondere in den europäischen Ländern wesentliche Rollen. Außerdem hat das Kapital Interesse an einer weltweiten Deregulierung von Arbeitsmärkten. Angela Merkels Grenzöffnung 2015, der UN-Migrationspakt oder die UN-Agenda 2030, die die massenhafte Ansiedlung von Afrikanern in Europa vorsieht, sind Teil dieses Projektes (1).
Um es ideologisch abzusichern und gegen Kritik zu immunisieren, muss einerseits die Herrschaftsideologie Islam und die darin enthaltene Judenfeindschaft, die die meisten Zuwanderer in ihren Köpfen mitbringen, beschönigt und verteidigt werden. Andererseits soll Kritik an dieser Politik oder ihrer Vorreiter wie Soros oder Gates möglichst verunmöglicht und tabuisiert werden — und dafür eignet sich, besonders im deutschsprachigen Raum, kaum etwas so gut wie der Antisemitismus-Vorwurf. Letzteres ist ein schmutziger Missbrauch, der tatsächlichen Antisemitismus verharmlost.
Dass Muslime bezüglich Antisemitismus — auch Frauenfeindlichkeit oder Gewalttätigkeit — systematisch entschuldigt und von Kritik ausgenommen werden, ist letztlich selbst ein rassistischer Umgang mit ihnen, eine paternalistische Haltung, die Muslime nicht für voll nimmt, sondern — trotz der jahrhundertelangen Geschichte von Herrschaft, Eroberung und Sklaverei durch das arabische und osmanische Reich — als arme Opfer verhätschelt und sie von der Verantwortung für ihre Taten befreit.
Ähnliches gilt für die undifferenzierte Diffamierung von Kritik an Soros als antisemitisch. Wer Kritik an seinem Agieren auf seine jüdische Herkunft oder einen jüdischen Charakter zurückführt, der ist antisemitisch. Wer aber seine Finanzpraktiken ebenso anprangert wie die von anderen Spekulanten oder Banken oder seine Unterstützung der Massenmigration nach Europa ebenso wie die von Angela Merkel oder Peter Sutherland, der hat das gute Recht dazu. Soros für sakrosankt zu erklären, weil er einen jüdischen Hintergrund hat, könnte man als letztlich antisemitisch betrachten — denn auch das ist eine paternalistische Haltung, die Juden nicht für voll nimmt.
Wie besprochen ist in den allermeisten westlichen Gesellschaften der Antisemitismus in der indigenen Bevölkerung mehr oder weniger im Auslaufen. Allerdings wird einheimischer Antisemitismus im Westen und besonders in Europa meist von den herrschenden globalistischen Eliten aufgeblasen — einerseits um die Muslime, deren Zuwanderung man fördert, politisch zu entlasten, andererseits um das Nazi-Gespenst am Leben zu erhalten, das man benutzt, um diverse Kritiker — an der muslimischen Massenzuwanderung oder an den autoritären Corona-Maßnahmen — mundtot zu machen.
Da tatsächlicher Antisemitismus in der indigenen Bevölkerung für diese Leute offenbar zu wenig zu finden und die tatsächlich antisemitische Altrechte marginalisiert ist, greift man zu diesem Zweck zum ideologischen Trick des „strukturellen Antisemitismus“.
An aus Steuergeldern finanzierten Universitätsinstituten und von Milliardären durchgefütterten „Stiftungen“ vollziehen drittrangige Politikwissenschaft-Absolventen im Dienste der globalistischen Agenda des Kapitals aufwendige ideologische Verrenkungen. Sie produzieren zahllose abgehobene Texte, in denen sie hochtrabend behaupten, dass diverse Kritiker der herrschenden Politik Antisemiten seien, auch wenn sie nicht „die Juden“ oder nicht mal einen Juden angreifen.
Wie also funktioniert dieser Trick? Im Kern, nachdem man die akademischen großtuerischen Nebel gelichtet hat, besagt die Theorie des „strukturellen Antisemitismus“ Folgendes: Wenn man Kritik an einer bestimmten Politik personalisiert und meint, dass bestimmte Gruppen geheime Absprachen treffen, dann ähnelt das antisemitischen Mustern und sei deshalb auch dann antisemitisch, wenn es überhaupt nicht um Juden geht.
Konkret: Wer der Meinung ist, dass bei den elitären Treffen des World Economic Forum (WEF) in Davos, im Atlantic Council, im European Round Table of Industrialists, im Council of Foreign Relations oder zwischen der Gates-Stiftung und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Dinge besprochen werden, die nicht im Interesse der Menschheit sind und dabei auch noch beteiligte Personen wie den Globalismus-Ideologen Klaus Schwab, den Globalismus-Profiteur Jeff Bezos, die Globalismus-Exekutorin Ursula von der Leyen, die Pharma-Lobbyistin an der Spitze der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) Emer Cooke oder den BigTech- und Pharma-Milliardär Bill Gates negativ erwähnt, ist Antisemit — auch wenn keine der genannten Personen jüdischer Herkunft ist.
In dieser Logik könnte man natürlich große Teile der sozialistischen Bewegung, als sie noch Klassenkampf betrieb, als antisemitisch diffamieren. Denn nicht nur diverse sozialistische Parteien, sondern auch die Klassiker des Marxismus waren sich darüber im Klaren, dass die herrschende Klasse in bestimmten Zirkeln ihre Strategie und Politik im Groben abstimmt. Und sie haben auch regelmäßig, vor allem in der Tagespolitik, wichtige Vertreter der herrschenden Klasse, Kapitalisten wie Politiker, namentlich angeprangert.
Jüdischer „Kosmopolitismus“
Interessanter als der von den Globalisten geförderte und benutzte ideologische Unsinn des „strukturellen Antisemitismus“ sind andere Aspekte, die teilweise auch heikel sein können. Jüdischstämmige haben lange nicht nur in den Führungen von sozialistischen und kommunistischen Parteien, sondern auch in den akademischen Sozial- und Politikwissenschaften der kapitalistischen Gesellschaft eine überproportional große Rolle gespielt. Ein Beispiel dafür ist die einflussreiche Strömung der US-Neokonservativen (Neocons), die ihre Wurzeln im Milieu linker jüdischer Akademiker haben und die in den letzten Jahrzehnten zu den federführenden Scharfmachern des US-Imperiums geworden sind (2).
Die Stärke von Menschen jüdischer Herkunft im akademischen und politischen Bereich hat viel mit der Bildungstradition in jüdischen Milieus zu tun. Während sich manche Juden intensiv um die Assimilation in die jeweilige Nation bemühten und andere sich auf den Aufbau einer eigenen Nation in Palästina orientierten, wählten viele aus dem Judentum kommende und sich als links verstehende Sozialwissenschaftler einen anderen Weg, den man als „kosmopolitisch“ bezeichnen könnte.
Sozialwissenschaftler jüdischer Herkunft, von Franz Boas bis Yascha Mounk, waren etwa federführend für die Strömung des Kulturrelativismus oder forcierten die „Dekonstruktion“ von Nationen und ihrer Identitäten. Die eigene Diskriminierungserfahrung und die damit verbundene Abgehobenheit vom nationalen Leben der Mehrheit der Bevölkerung können solche Positionierungen befördern — in manchen Fällen bewusst, in anderen unbewusst, in anderen gar nicht.
Hier kann es nur um ein sozialpsychologisches Phänomen einer bestimmten Schicht gehen. Im Einzelfall ist das in der Regel nicht definitiv zu sagen. Beispielsweise sind Überlegungen, wonach es bei der Förderung von Massenmigration nach Europa durch George Soros und seine Stiftung eine Rolle spiele, dass Soros mit Deutschland und Ungarn — aufgrund seiner Erfahrungen in der Kindheit — eine Rechnung offen habe, völlig müßig.
Soros entstammt einer wohlhabenden jüdischen Anwaltsfamilie in Budapest, und sein Vater bezahlte 1944 einen Beamten der faschistischen Kollaborationsregierung dafür, dass er George als seinen christlichen Patensohn ausgab. Als 14-Jähriger begleitete George diesen Beamten bei der Beschlagnahmung des Eigentums von deportierten Juden.
Daraus eine Schuld abzuleiten, ist absurd — George Soros war ein Jugendlicher, der überleben wollte. Das gilt für ihn so wie für alle anderen jüdischen und nichtjüdischen Kinder und Jugendlichen — auch für die deutschen, über deren Bomben- oder Vertreibungstod 1944/45 sich manche angebliche „Linke“ freudig erregt zeigen, damit aber in Wahrheit ihre Menschenverachtung und ihr Mordpotential entlarven.
Soros reagierte 1998, in einem Interview mit „60-minutes“ darauf angesprochen (3), wie es ihm mit dieser Erfahrung gehe, ausgesprochen kühl: Er habe damit nie ein Problem gehabt, es sei „wie in Märkten“; wenn er nicht dabei gewesen wäre, hätte die Beschlagnahmung trotzdem stattgefunden; er habe daraus gelernt, vorausschauend zu denken. Das kann psychologisch unterschiedlich interpretiert werden — Verdrängung, Unterdrückung, Abstumpfung, Abwehr einer zu persönlichen Frage, Selbstschutz et cetera. Auch — vielleicht unbewusster — Hass und Rachegefühle auf Deutschland und Ungarn, deren Regime ihn in eine solche schreckliche Lage gebracht haben, wären verständlich.
Der aus dem Sudetenland stammende Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer sagte in beeindruckender menschlicher Größe und Reflexion, dass er nie Hass empfunden habe, dass er sich immer wieder gefragt habe, ob er sich als Nichtjude der Propaganda hätte entziehen können, dass er nicht ausschließe, dass er auch ein Mitläufer gewesen wäre, weil er nie ein Held gewesen sei (4).
Diese Frage sollten sich auch all diejenigen stellen, die im sicheren Abstand von 80 Jahren mit großem moralischen Gestus stets die antifaschistischen Kämpfer spielten, dann aber bei geringerer persönlicher Gefahr zu willigen Vollstreckern des totalitären Corona-Regimes wurden.
Jedenfalls gehen nicht alle Menschen mit Traumata auf die gleiche Weise um. Und jedenfalls führen solche Mutmaßungen und Psychologisierungen über Soros nirgendwo hin. Kritik an Soros sollte sich stattdessen gegen seine Finanzspekulationen richten, beispielsweise gegen das britische Pfund 1992 oder gegen die malaysische Währung 1997, mit denen er zig Millionen Menschen in die Armut katapultierte. Oder Kritik kann sich gegen seine CIA-Zusammenarbeit bei diversen „Farbrevolutionen“ in Osteuropa und gegen seine Unterstützung der neoliberalen Massenmigration im Zuge des Globalismus wenden.
Doch weg von der individuellen Ebene und zurück zum allgemeinen Phänomen: Anders als die Zionisten, die den Ausweg aus der jüdischen Randständigkeit in der Schaffung einer eigenen Nation sahen, orientierten manche „linke“ jüdische Sozialwissenschaftler stattdessen — grob vereinfachend gesagt und tendenziell — auf die Auflösung sämtlicher Nationen.
Anders als der Internationalismus der Arbeiterbewegung, der die Nationen anerkannte und ihre Solidarität förderte, sieht ein kosmopolitisches Weltbürgertum die Nationen als ein zu überwindendes Hindernis. Nun ist gegen das Ideal, dass alle Menschen eine Gemeinschaft sind, nichts zu sagen, im aktuellen Kontext ist der Kosmopolitismus allerdings ein ideologisches Instrument im Generalangriff des globalistischen Großkapitals auf die Völker der Welt.
Die genannten Aspekte können freilich aus zwei Gründen heikel sein. Erstens kann die Erwähnung der überproportional großen Beteiligung jüdischstämmiger Sozialwissenschaftler an den erwähnten politischen Strömungen Wasser auf die Mühlen von Antisemiten sein, die „die Juden“ als „wurzellose“ Drahtzieher bei der Zersetzung von Nationen hinstellen. Dagegen wäre zu sagen, dass erst die Ausgrenzung der Juden die Grundlage einer solchen Antwort von Teilen der jüdischen Intellektuellen war.
Zweitens wurde „Kosmopolitismus“ im Zuge von stalinistischen Säuberungen als Vorwurf gegen jüdische Parteikader eingesetzt, weshalb der Begriff problematisch und es notwendig ist, sich von diesen Praktiken abzugrenzen und den Begriff nur unter diesem Vorbehalt zu verwenden. Dennoch sollten solche Phänomene nicht tabuisiert, sondern differenziert angesprochen werden können.
Globalismus und Israel
Lange blieb die Ideologieproduktion der erwähnten Sozialwissenschaftler eine vom Großteil der Gesellschaft isolierte Sache. Das änderte sich aber in den letzten Jahrzehnten, denn der postmoderne Kulturrelativismus und die Dekonstruktion der Nationen passen bestens in die globalistische One-World-Agenda des Kapitals. Dazu gehören das Aufbrechen der Nationalstaaten durch „global governance“, Massenmigration und die weltweite Deregulierung von Waren- und Arbeitsmärkten.
Die materielle Basis für diese Agenda ist die Globalisierung des Kapitals. In Deutschland befanden sich bereits 2021 17 der damals 30 DAX-gelisteten Unternehmen in ihrer Mehrheit in ausländischer Hand. Allein die US-Fondsgesellschaft BlackRock hielt an diesen 30 Konzernen Anteile von rund 60 Milliarden Euro und war damit der größte Einzelaktionär an der deutschen Börse.
In diesem Zusammenhang verstehen sich in Nordamerika und der EU die Großkapitalisten, ihre Politiker und globalistischen Intellektuellen an Universitäten und in Medien längst als globale Elite, die auf die regional oder national verankerten Bevölkerungen mit Verachtung herabblicken und sich für die gesamte Welt zuständig fühlen. Gleiches gilt für die Funktionäre von Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF), World Trade Organisation (WTO), World Economic Forum (WEF), EU-Kommission oder Trilateraler Kommission, die Vertreter globalistischer Kapitalstiftungen wie Bertelsmann, Ford, Carnegie, Rockefeller, Goldman-Sachs, Gates, Soros und so weiter sowie die Propagandisten in den globalistischen Denkfabriken wie Atlantic Council oder Council of Foreign Relations (5).
Der britische, übrigens ebenfalls jüdischstämmige Autor David Goodhart hat die Begriffe „Somewheres“ (Irgendwo-Menschen) für die regional verankerte, weniger gebildete und finanziell schlechter ausgestattete Bevölkerung, und „Anywheres“ (Überall-Menschen) für die gebildete, wohlhabende, mobile und „weltoffene“ Schicht geprägt (6).
Letztere leben meist in den schicken und trendigen Innenstadtvierteln der Metropolen, die sich weltweit immer mehr gleichen und deren Mietpreise soziale Exklusivität garantieren. Ihr Verhalten demonstriert „den lässigen Gestus der Weltläufigkeit und der kosmopolitischen Souveränität“ (7).
Der Globalismus, der mit der Ausrufung der Corona-„Pandemie“, dem WEF-Plan des Great Reset und der Klimapanik noch mehr an Fahrt gewinnt, verkörpert in den USA und der EU die Ausrichtung der allermeisten wichtigen Fraktionen des Kapitals. Die meist akademischen Anywheres schwimmen in seinem Fahrwasser und kommen sich dabei auch noch besonders aufgeklärt und fortschrittlich vor. Mit ihnen ist eine neue von den einzelnen Nationen abgehobene und kosmopolitische Elite entstanden, die weit über die linken kosmopolitischen jüdischstämmigen Akademiker hinausgeht.
Die „kosmopolitisch“-globalistische Akademikerschicht theoretisiert und ideologisiert ihre eigene Abgehobenheit unter anderem damit, dass sie das Leben in anderen als den Herkunftsländern und die dazugehörige Migration als menschliche Normalität bewirbt. Die Wirklichkeit enttarnt diese Ideologie eindrucksvoll, denn nur 0,9 Prozent der Menschen leben in Ländern, in denen sie nicht geboren wurden (8).
Dieser Globalismus führt aber auch zu erheblichen Differenzen in den liberalen jüdischen Milieus. Ein Teil ist offenbar dazu bereit, im Zuge der globalistischen Auflösung der Nationen auch Israel zu opfern. Die israelische NGO „B-Tselem“ veröffentlichte Anfang 2021 den Bericht „A Regime of Jewish Supremacy from the Jordan River to the Mediterranean Sea: This is Apartheid“ (9).
Hier wird also nicht nur die israelische Politik in den besetzten Gebieten kritisiert, sondern auch das Kernland Israels einbezogen. Mit den Begriffen „Jewish Supremacy“, der offensichtlich an den liberalen „antirassistischen“ Kampfbegriff „White Supremacy“ angelehnt ist, und Apartheid wird außerdem ein sehr aggressiver Ton angeschlagen.
Im Frühjahr 2021 legte die US-NGO „Human Rights Watch“ (HRW) mit einem Bericht auf derselben Linie nach: „A Threshold Crossed. Israeli Authorities and the Crimes of Apartheid and Persecution“, in dem „demographic engineering“ durch Israel angeprangert wird (10). Bemerkenswert ist dabei, dass HRW — wie Norman Finkelstein es formuliert (11) — eine „sehr jüdische“ Organisation ist und von „jüdischen Spendern abhängig“; unter den Spendern findet sich die Open Society Foundation (OSF) von George Soros.
Finkelstein selbst, der Autor des berühmten Buches „Die Holocaust-Industrie“, sieht diese Berichte als „schockierenden“ Paradigmenwechsel. Und er betrachtet den Bericht von HRW als Indiz dafür, dass sich das liberale jüdische Milieu in den USA immer stärker von Israel distanziert. HRW müsse „sehr vorsichtig sein, wie weit sie beim Israel-Palästina-Konflikt gehen können, ohne dass sie ihre Spender und ihr Klientel verlieren. Deshalb denke ich, dass sie sich das im Voraus gut überlegt haben“ (12). Und man kann hinzufügen, dass diese jüdischen „Anywheres“ eben konsequente Ideologen des globalistischen Projektes und ihre Positionen letztlich Ausdruck der politischen Orientierung des globalistischen Großkapitals sind.
Unterstützt wird das zionistische Projekt hingegen weiterhin nicht nur von vielen US-Rechten, sondern auch von den erwähnten Neocons, die sowohl in der republikanischen Regierung von George W. Bush als auch unter der demokratischen von Joe Biden eine gewichtige Rolle spiel(t)en. Auch einige linksliberale Kräfte, die grundsätzlich Teil der globalistischen Agenda der Biden-Regierung sind, machen bezüglich der Auflösung der Nationen bei Israel eine Ausnahme.
Als Beispiel sei die „Anti Defamation League“ (ADL) genannt, eine jüdisch geprägte Organisation, deren Vereinszweck der Kampf gegen Antisemitismus ist, die Kritiker Israels seit Jahrzehnten als Antisemiten bezeichnet und die zuletzt besonders gegen „White Supremacy“ agitierte. Die ADL schrieb auf ihrer Website:
„Durch die historisch hohen Geburtenraten der Palästinenser und einen möglichen Zustrom palästinensischer Flüchtlinge und ihrer Nachkommen, die jetzt auf der ganzen Welt leben, wären die Juden in einem binationalen Staat schnell in der Minderheit, was jedem Anschein von gleicher Repräsentation und gleichem Schutz ein Ende setzen würde. In dieser Situation wäre die jüdische Bevölkerung politisch — und potentiell auch physisch — verwundbar. Es ist unvernünftig und unrealistisch, von der jüdischen Bevölkerung zu erwarten, dass der Staat Israel freiwillig seine eigene souveräne Existenz und nationale Identität untergräbt und dort zu einer verletzlichen Minderheit wird, wo einmal sein eigenes Territorium war“ (13).
Das ist eine Argumentation, die die ADL in Hinsicht auf die demografische Entwicklung der USA und diverser europäischer Nationen brüsk als „White Supremacy“ attackieren würde.
Jedenfalls wird diese innerjüdische Debatte der riesigen Mehrheit der arabisch-muslimischen Seite einerseits im Detail egal sein, andererseits wird sie wohlwollend als Zeichen von Spaltung und Schwäche interpretiert werden.
Diejenigen politischen Kräfte aber, die sich der globalistischen Agenda entgegenstellen, die dabei auch „global governance“, das Aufbrechen von Nationalstaaten, Massenzuwanderung und Islam kritisieren und denen die Bekämpfung von Judenfeindschaft ein ehrliches Anliegen ist, müssen den genannten Paradigmenwechsel bei wesentlichen Teilen der liberalen Juden in den USA als Teil der globalistischen ideologischen Offensive begreifen.
Und sie müssen verstehen, dass Nationalstaaten — mit ihren sozialen Sicherungssystemen und beschränkten demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten — in der aktuellen Situation eine potentielle Verteidigungslinie sind gegen weltweite Deregulierung und die totalitäre Agenda der Globalisten (14).
Quellen und Anmerkungen:
(1) Siehe dazu genauer: https://hintergrund-verlag.de/analyse-der-islamischen-herrschaftskultur/magis-gangs-of-new-york-die-ziele-der-neoliberalen-migrationspolitik/
(2) Siehe dazu im Detail: Eric Angerer: https://www.manova.news/artikel/eine-perverse-koalition-2
(3) https://archive.org/embed/George_Soros_1998_60_Minutes_Interview
(4) Max Mannheimer: Drei Leben, München 2012
(5) Eric Angerer: Totalitärer Globalismus: https://www.manova.news/artikel/totalitarer-globalismus und https://www.manova.news/artikel/totalitarer-globalismus-2
(6) David Goodhart: The Road To Somewhere, London 2017
(7) Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten, Frankfurt/Main 2021
(8) Hannes Hofbauer: Kritik der Migration, Wien 2018
(9) https://www.btselem.org/publications/fulltext/202101_this_is_apartheid
(10) https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities-and-crimes-apartheid-and-persecution
(11) http://normanfinkelstein.com/2021/05/11/katie-halper-norman-finkelstein-on-israel-whats-happening-here/
(12) ebenda
(13) https://www.adl.org/. Da auf den erwähnten Text nicht mehr zugegriffen werden kann, wird er hier zitiert nach: Martin Lichtmesz: Israel und Demografie 3, https://sezession.de/64285/israel-und-demographie-3
(14) Siehe dazu genauer: Eric Angerer: Neustart in die Freiheit, https://www.rubikon.news/artikel/neustart-in-die-freiheit und https://www.rubikon.news/artikel/neustart-in-die-freiheit-2