Antisemitismus neu gesehen
Mit dem Vormarsch des Globalismus haben sich in den letzten Jahrzehnten auch die Judenfeindlichkeit und der Umgang mit ihr verändert. Teil 2/4.
Viele rechte Parteien haben antisemitische Traditionen weitgehend entsorgt. Umso inflationärer missbraucht das herrschende System den Anwurf des Antisemitismus gegen Kritiker. Dazu dient insbesondere das Konstrukt des „strukturellen Antisemitismus“. Gleichzeitig wird die aggressive Judenfeindlichkeit vieler Muslime oder ukrainischer Nazis verharmlost, gelten diese Personengruppen doch als nützlich für die globalistische Agenda. Über diese aktuellen Phänomene hinaus sollte die materielle Basis des Antisemitismus in Vergangenheit und Zukunft untersucht werden. Abraham Leon hat dazu das Konzept der „Volksklasse“ vorgelegt. Außerdem beschreibt der Autor in seinem vierteiligen Artikel verschiedene Auswege, die Juden angesichts ihrer Diskriminierung gefunden haben: zionistisch, sozialistisch oder „kosmopolitisch“.
In Teil 1 werden die Entwicklung der alten antisemitischen und antislawischen Rechten skizziert, die Kernthesen der neuen Rechten anhand von Henning Eichberg dargestellt und der diesbezügliche Kurswechsel der meisten rechten Parteien erläutert.
Die materielle Basis des Antisemitismus
Viele Historiker und Politiker, jüdische wie antisemitische, sahen die Ursache für die besondere Entwicklung der Juden in ihrer Religion, die Basis des Antisemitismus in der religiösen Abgeschiedenheit. Für Abraham Wejnstok greift diese Erklärung zu kurz. Wejnstok war in Belgien zuerst in der linkszionistischen Jugendbewegung Hashomer Hatzair und dann an führender Stelle in der trotzkistischen Widerstandsbewegung aktiv und wurde schließlich 1944 in Auschwitz ermordet.
Unter dem Pseudonym Abraham Leon verfasste er 1940 „Thesen zur jüdischen Frage“, in denen er ausführt, dass der Fortbestand als eigene religiös-kulturelle Gruppe der in zahllosen Ländern verstreuten Juden seine Wurzel in der ökonomischen Sonderrolle der Juden habe. Aufgrund geografischer und historischer Faktoren seien die Juden über zwei Jahrtausende vor allem im Handel tätig gewesen und hätten — so Leons Kernbegriff — eine „Volksklasse“ gebildet (1).
Dass bestimmte ethnische Gruppen in manchen Berufen oder Branchen überrepräsentiert waren, kommt nicht so selten vor. Dass diese Situation viele Jahrhunderte andauerte, schon etwas seltener.
Als eine Volksklasse könnte man auch die Roma und Sinti bezeichnen, die oft als fahrende Kesselflicker, Pferdehändler, Musiker et cetera tätig waren. Dass im Handel eine Ethnie eine dominante Rolle spielt, finden wir auch bei den Chinesen in Südostasien oder früher bei Griechen, die den Handel zwischen dem Osmanischen und dem Habsburger Reich zeitweise fast monopolisiert hatten.
Eine starke Stellung im Handel nahmen Juden über lange Zeit in vielen Ländern ein. Dabei waren die meisten Juden keineswegs reiche Handelsherren oder später Kapitalisten, sondern auch viele arme Kleinhändler, Handelsangestellte oder Transportarbeiter. Um 1900 lag der Arbeiteranteil der Juden in zahlreichen Regionen höher als bei Nichtjuden, allerdings waren die jüdischen Arbeiter kaum in der Industrie tätig, sondern vielmehr im Handel und dem damit verbundenen handwerklichen Gewerbe (2).
Da der bestehende Handelskapitalismus mit dem Geldgeschäft verbunden und dann eine wesentliche Wurzel des Industrie- und Finanzkapitalismus war und teilweise in diesen überging, waren schließlich Juden auch unter den neuen Kapitalisten – im Vergleich zu ihrer Bevölkerungszahl — überrepräsentiert, wenngleich sie kaum wo die Mehrheit stellten. Und da der Handel — im Vergleich zur Landwirtschaft — über Jahrhunderte mit Schriftlichkeit und Bildung verbunden war, waren Juden schließlich zudem unter Intellektuellen verhältnismäßig sehr stark vertreten.
Diese Sozialstrukturen waren letztlich — anknüpfend an alten religiösen Vorurteilen — die materielle Basis für den Antisemitismus. Negative Auswirkungen des Kapitalismus, des Finanzsystems oder politische Krisen wurden „den Juden“ angelastet, die hinter den Kulissen finstere Machenschaften betreiben würden.
Nun haben natürlich die herrschende Klasse sowie ihre Untergruppierungen Absprachen getroffen, und das haben auch jüdische Kapitalisten gemacht. Aber sie machten das nicht, weil sie Juden sind oder einen besonders verschlagenen Charakter haben, sondern weil es um die Interessen der jeweiligen Kapitalgruppe geht und die Profitmaximierung in der Logik des Systems liegt.
Insofern ist der Antisemitismus tatsächlich „der Sozialismus des dummen Kerls“ — auch wenn das Zitat, anders als oft geglaubt, wohl weder von Karl Marx noch von August Bebel stammt.
Ähnlich sieht es mit der Vorstellung aus, dass hinter der sozialistischen oder kommunistischen Bewegung „die Juden“ stünden. Natürlich gab es nicht nur eine eigene jüdische Arbeiterbewegung, insbesondere den „Bund“ unter den Jiddischsprachigen in Osteuropa, sondern waren Jüdischstämmige auch in der allgemeinen Arbeiterbewegung vieler Länder überrepräsentiert — und das vor allem in den Führungen.
Der aus einer jüdischen Familie der Südukraine stammende Revolutionär Leo Trotzki schrieb dazu 1939:
„Die in vielen Ländern lebenden Juden stellen jene Halb-Fremden dar, die nicht so vollständig angepasst sind, und sie gehören zu irgendwelchen neuen, kritischen, revolutionären oder halbrevolutionären Tendenzen in Politik, Kunst, Literatur usw. Eine neue radikale Tendenz, die gegen den allgemeinen Strom der Geschichte in dieser Periode gerichtet ist, kristallisiert sich um die Elemente, die mehr oder weniger vom nationalen Leben irgendeines Landes losgelöst sind“ (3).
Viele Juden erhofften sich von der internationalistischen Arbeiterbewegung einen Ausweg aus der Diskriminierung.
Und tatsächlich war Antisemitismus in der sozialistischen Bewegung zwar auch immer wieder vorhanden, etwa in stalinistischen Säuberungen, aber doch wesentlich geringer als im Rest der Gesellschaft. Und die Überrepräsentanz von Juden in den Führungen lag daran, dass die jüdischen Milieus eben viele Intellektuelle hervorbrachten. Deswegen war der Sozialismus aber kein hinterlistiges Projekt „der Juden“ zur Zerstörung von Nation und Religion. Jüdische Kapitalisten und religiöse Juden standen der sozialistischen Bewegung ja auch in der Regel ablehnend gegenüber.
Nach 1945 fanden einige nachhaltige Veränderungen statt. Die Verbrechen der Shoah, mit der vorangegangenen Vertreibung und späteren Auswanderung, reduzierten die jüdische Bevölkerung in Ländern wie Deutschland, Österreich oder Polen dramatisch, wodurch es hier — und in Osteuropa auch durch die Kollektivierung der Ökonomie — keine jüdische „Volksklasse“ mehr gab.
Gleichzeitig führte der Horror von Auschwitz in den westlichen Gesellschaften zu einer nachdrücklichen Ächtung des Antisemitismus — bis hin zum Missbrauch, um durch Antisemitismus-Anwürfe herrschende Politik gegen Kritik zu immunisieren.
Das bedeutet nicht, dass Antisemitismus in diesen Gesellschaften augenblicklich völlig verschwunden wäre, aber er wurde massiv abgeschwächt und die Reste überwiegend unter die Oberfläche gedrängt.
Mit dem Ende der jüdischen Volksklasse fehlt eben letztlich die materielle Basis, das ideologische Weiterwirken wird durch die politische Ächtung des Antisemitismus auf verschämte Reste reduziert. Dazu kommt, dass in den allermeisten europäischen Gesellschaften, auch in Frankreich und England, wo noch eine relevante Anzahl Juden lebt, andere ethnokulturelle Frontstellungen wesentlich bedeutender sind. Die bedeutendste davon ist die zwischen der aufgeklärten europäischen Moderne, die von den allermeisten Europäern inklusive der allermeisten Juden getragen wird, und der religiös-vormodernen totalitären Herrschaftskultur des Islam, hinter der die deutliche Mehrheit der zugewanderten Muslime steht.
Eine gewisse Ausnahme im Westen könnten die USA darstellen. Dort leben nicht nur mit 5,7 Millionen die meisten Juden außerhalb Israels, wo 6,6 Millionen ansässig sind, sondern diese haben mit einer Überrepräsentanz in einigen Teilen der Ökonomie und des Kapitals, in der Kunst und im intellektuellen Betrieb auch noch Elemente einer Volksklasse. Gleichzeitig war der Nationalsozialismus in den USA nicht verboten und in Teilen der extremen Rechten bestehen eher antisemitische Traditionen als in Europa. Und außerdem spielt in den USA eine expansive außereuropäische Kultur aktuell nicht dieselbe Rolle wie in Europa. Aus diesen Gründen könnte in den USA ein Antisemitismus in der Mehrheitsbevölkerung eher noch eine Basis finden, allerdings ist er auch dort politisch vollkommen geächtet.
Antisemitismus im islamischen Raum
Die späten 1940er Jahre brachten aber in Bezug auf jüdische Bevölkerungen noch weitere einschneidende Änderungen, nämlich in Nordafrika und im Nahen Osten. Die dort bislang verstreut lebenden Juden wurden weitgehend vertrieben und die meisten im neu gegründeten Staat Israel angesiedelt. Um diese Entwicklung einordnen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die islamische Haltung gegenüber Juden und ihre Lebenssituation in den 1.300 Jahren unter islamischer Herrschaft zu werfen.
Ein Fokus darauf ist auch deshalb sinnvoll, weil der massivste Antisemitismus heute global gesehen von Muslimen ausgeht und diese Tatsache wiederum religiöse und historische Ursachen hat. Und anders als die Tradition des europäischen Antisemitismus wird die muslimische Judenfeindschaft im europäischen Mainstream — von Schulbüchern über Fernsehdokumentationen bis zum aktuellen politisch-medialen Diskurs — aus Gründen der „antirassistischen“ politischen Korrektheit weitgehend verschwiegen.
Grundlegend werden im Islam, von Mohammed und dem Koran ausgehend, Menschen in zwei Kategorien eingeteilt, nämlich in Gläubige und Ungläubige. Bereits 1854 schrieb Karl Marx:
„Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist ‚harby‘, d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen“ (4).
Gläubige Muslime sind verpflichtet, den Islam, der im Wortsinn ja „Unterwerfung“ unter Gott bedeutet, auf alle Menschen auszubreiten. Gut ist in dieser Logik alles, was diesen Prozess fördert, explizit auch Raub, Gewalt und Betrug gegenüber Ungläubigen, die sich durch ihren Starrsinn diese Dinge selbst zuzuschreiben haben. Die Gläubigen wiederum werden für ihre Bemühungen durch ein sehr weltlich beschriebenes Paradies und durch ein Anrecht auf Beute im Diesseits belohnt – schließlich gehört nach islamischer Sicht die ganze Welt Allah und die Ungläubigen haben ihren Besitz Allah gestohlen.
Während der Islam für Polytheisten oder Atheisten rundweg Tod oder Versklavung vorsah, durften Anhänger der „Buchreligionen“, also Juden und Christen, unter islamischer Herrschaft weiterleben. Sie mussten dafür aber die Dhimma akzeptieren, einen untergeordneten Rechtsstatus, der nicht nur die Bezahlung einer Sondersteuer, der Dschizya, beinhaltete, sondern auch die Chancenlosigkeit in gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Muslimen, das Verbot von Gegenwehr gegen muslimische Gewalttäter und zahllose systematische Demütigungen im Alltag. Der so erzeugte Leidensdruck sollte die Bekehrung zum Islam fördern und tat es auch.
Dazu kam, dass der Islam seit Mohammed und der anfänglich isolierten Position seiner Anhänger ein starkes Element der demografischen Expansion beinhaltete. Beispielsweise erlaubt der Islam, dass Muslime ungläubige Frauen heiraten, da durch die Vorherrschaft des Mannes die Kinder Muslime werden.
Umgekehrt ist es muslimischen Frauen strikt verboten, ungläubige Männer zu ehelichen, da die Kinder dann für die islamische Umma (= Gemeinschaft) verloren wären. Dazu kam in Ländern, die im Zuge der jahrhundertelangen islamischen Expansion erobert wurden, das weit verbreitete Phänomen des Frauenraubes, das die bisherigen christlichen Mehrheiten in Nordafrika und im Nahen Osten systematisch schwächte, die Muslime demografisch stärkte und die Gebiete zunehmend islamisierte (5).
Schon die Teile des Korans, die in Mekka verfasst wurden, prophezeien den Ungläubigen grausame Strafen. Die späteren, in Medina verfassten Abschnitte, wenden sich dann auch konkreter gegen Christen und Juden. Dabei richten sich von den 24 Suren acht gegen Christen, elf gegen Juden — und dabei sind die judenfeindlichen deutlich ausführlicher (6).
Diese Gewichtung könnte überraschen, stehen sich doch Islam und Judentum in ihrem kompromisslosen Monotheismus und als strenge Gesetzesreligionen mit teilweise gleichen Geboten im Alltagsleben näher als dem Christentum. Dass Mohammed besonders die Juden ins Visier nimmt, kann mit der historischen Situation auf der arabischen Halbinsel im frühen 7. Jahrhundert erklärt werden. Während Christen auf der Halbinsel verstreut lebten, siedelten Juden dort als ganze Stämme und waren somit ein relevanterer Gegner für den entstehenden Islam. Jüdische Rabbiner hatten sich außerdem über Bildungslücken Mohammeds lustig gemacht, was bei einem Mann mit seinem Sendungsbewusstsein wohl nicht gut angekommen sein dürfte.
In der Folge wurden im Jahr 624 die jüdischen Stämme der Nadir und Qaynuqa ihres Eigentums beraubt und vertrieben. 627 ließ Mohammed den noch verbliebenen jüdischen Stamm der Qurayza vernichten. In einem zweitägigen Massaker wurden 600 bis 700 Männer exekutiert und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft, wobei Mohammed die 18-jährige Rayhana Bint Zayd für sich selbst sicherte.
Legitimiert wurde das Vorgehen gegen die jüdischen Stämme damit, dass sie sich „Allah und seinem Gesandten widersetzten“. Außerdem wirft der Koran den Juden vor, sie hätten den Bund mit Gott gebrochen, sie seien von Gott abgefallen. Die jüdische Heilsgeschichte, die selbstkritisch die Treue des Volkes Israel gegenüber Gott thematisiert, wird von Mohammed zu einer Anklage gegen die Juden umgedreht und ihnen sogar noch Überheblichkeit vorgeworfen. Und während er den Christen nur unterstellte, die heilige Schrift falsch zu verstehen, lastete er den Juden, die im Koran auch schon mal als „Affen“ und „Schweine“ bezeichnet werden, die „Fälschung“ derselben an (7).
In einem der Hadithe, also den überlieferten Aussprüchen aus dem Leben Mohammeds, die neben dem Koran als Quelle des Islam gelten, heißt es:
„Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken. Doch die Bäume und Steine werden sprechen: ‚Oh Muslim, oh Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!‘“
Dieser Hadith findet sich auch in Artikel 7 der Charta der Hamas, der palästinensisch-islamischen Organisation.
Das Problem bei der Sache liegt nun auch darin, dass der Islam keine historisch-kritische Lesart des Korans und der Hadithe kennt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Allah seinem Propheten Mohammed die Suren wortwörtlich so diktiert hat, wie sie geschrieben stehen.
Außerdem gilt der Koran als vollkommen und Inbegriff des relevanten Wissens und darüber hinaus das Leben Mohammeds und seine Aussprüche als vorbildlich für alle Muslime. Dementsprechend wurden die beschriebene Einschätzung der Juden und der Umgang mit ihnen über Jahrhunderte den Islamgläubigen als Leitlinien vorgegeben.
Und dementsprechend gestaltete sich die Lage der Juden unter islamischer Herrschaft seit dem 7. Jahrhundert. Die von islamophilen Europäern oftmals behauptete harmonische Koexistenz von Juden und Muslimen in der arabischen Welt war immer schon ein orientalistisches Märchen. Juden waren wie Christen der Dhimma unterworfen, durften ihre Religion nur diskret ausüben, mussten sich gegenüber „Rechtsgläubigen“ stets ehrerbietig zeigen und besondere Kleidung tragen, die sie für die Herrschenden sofort identifizierbar machte; im islamisch beherrschten Sizilien war das ein gelber Fleck auf der Kleidung.
Juden durften keine edlen Reittiere benutzen, keine Waffen besitzen und keine höheren Häuser bauen als Muslime. Ihre Aussagen waren vor Gericht nicht zugelassen und sie mussten in muslimischen Vierteln barfuß gehen, um damit ihre Nichtswürdigkeit zu bezeugen (8).
Trotz dieser systematischen Unterdrückung waren Juden — aufgrund ihrer Erfahrung im Handel und ihrer vergleichsweise guten Bildung — im islamischen Raum oftmals ökonomisch erfolgreich. Islamische Herrscher benutzten sie häufig als ökonomische Fachleute, als kooperierende Unternehmer und als Beamte, die aufgrund ihrer Kenntnisse manchmal weit aufstiegen. Die Juden nahmen also auch in Nordafrika und im Nahen Osten die Rolle einer „Volksklasse“ ein. Im Fall von Revolten der muslimischen Bevölkerung wurde der Unmut dann — ähnlich wie im europäischen Mittelalter — oft gegen die „einflussreichen“ Juden gelenkt und es kam in regelmäßigen Abständen zu Plünderungen und blutigen Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung.
Friedrich Engels schrieb 1894 über die wiederholten „religiösen Aufstände der muhammedanischen Welt“:
„Der Islam ist eine auf Orientalen, speziell Araber zugeschnittene Religion, also einerseits auf handel- und gewerbetreibende Städter, andrerseits auf nomadisierende Beduinen. Darin liegt aber der Keim einer periodisch wiederkehrenden Kollision. Die Städter werden reich, üppig, lax in Beobachtung des ‚Gesetzes‘.
Die Beduinen, arm und aus Armut sittenstreng, schauen mit Neid und Gier auf diese Reichtümer und Genüsse. Dann tun sie sich zusammen unter einem Propheten, einem Mahdi, die Abgefallnen zu züchtigen, die Achtung vor dem Zeremonialgesetz und dem wahren Glauben wiederherzustellen und zum Lohn die Schätze der Abtrünnigen einzuheimsen.
Nach hundert Jahren stehn sie natürlich genau da, wo jene Abtrünnigen standen: eine neue Glaubensreinigung ist nötig, ein neuer Mahdi steht auf, das Spiel geht von vorne an. So ist’s geschehn von den Eroberungszügen der afrikanischen Almoraviden und Almohaden nach Spanien bis zum letzten Mahdi von Chartum, der den Engländern so erfolgreich trotzte. (…)
Es sind alles religiös verkleidete Bewegungen, entspringend aus ökonomischen Ursachen; aber, auch wenn siegreich, lassen sie die alten ökonomischen Bedingungen unangerührt fortbestehen. Es bleibt also alles beim alten, und die Kollision wird periodisch. In den Volkserhebungen des christlichen Westens dagegen dient die religiöse Verkleidung nur als Fahne und Maske für Angriffe auf eine veraltende ökonomische Ordnung; diese wird schließlich gestürzt, eine neue kommt auf, die Welt kommt vorwärts“ (9).
In Teil 3 wird es um den Niedergang des islamischen Raumes gegenüber Europa gehen und um die Folgen für die orientalischen Juden. Außerdem wird die Bedeutung der Formierung des israelischen Staates diskutiert sowie die Beschönigung von tatsächlichem Antisemitismus durch den globalistischen Mainstream.
In Teil 4 wird es um den Missbrauch von Antisemitismus-Anwürfen und um das Konstrukt des „strukturellen Antisemitismus“ gehen. Es werden die Auswirkungen des Globalismus auf Antisemitismus und auf Israel diskutiert. Und es werden heikle Aspekte wie die Dominanz jüdischer Intellektueller in Strömungen wie den US-Neocons sowie den „kosmopolitischen“ Sozialwissenschaftlern besprochen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Abraham Leon: Die jüdische Frage. Eine marxistische Darstellung, Essen 1995.
(2) Ebenda und John Bunzl: Klassenkampf in der Diaspora, Wien 1975.
(3) Leo Trotzki: Gegen den Strom kämpfend, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1939/04/gegenstrom.html. Trotzki sagte das in Zusammenhang damit, dass in den kleinen Sektionen der 4. Internationale oft übermäßig viele Intellektuelle und Ausländer Mitglieder seien („ein Tscheche in Amerika oder Mexiko würde leichter Mitglied der 4. Internationale als in der Tschechoslowakei“). Er sieht diese Zusammensetzung als Notwendigkeit in der Anfangsphase einer revolutionären Bewegung, aber auch als Hindernis, um in die Masse der Arbeiterklasse einzudringen.
(4) Karl Marx: Zur Geschichte der orientalischen Frage, MEW 10, S. 170; siehe auch: http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_168.htm
(5) Diese Entwicklungen und Mechanismen konnten hier nur angerissen werden. Genauer beschrieben und analysiert werden sie unter anderem in diesen informativen und lesenswerten Arbeiten von drei politisch sehr unterschiedlichen Autoren in sehr unterschiedlichen Stilen: a) dem linken Islamkritiker Hartmut Krauss: Der Islam als grund- und menschenrechtswidrige Weltanschauung, Osnabrück 2013, b) dem ehemals marxistischen und nunmehr neurechten Autor Manfred Kleine-Hartlage: Das Dschihadsystem. Wie der Islam funktioniert, Gräfelfing 2010, c) dem aus einer ägyptischen Imam-Familie stammenden Islamkritiker Hamed Abdel-Samad: Der islamische Faschismus, München 2014.
(6) Gegen Christen richten sich die Suren 2, 3, 4, 5, 9, 57, 61 und 98, gegen Juden die Suren 2, 3, 4, 5, 9, 57, 58, 59, 61, 62 und 98.
(7) Siehe zu diesen Thematiken unter anderem Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden – Die islamische Renaissance des Antisemitismus, Berlin 2007 sowie Hartmut Krauss: Die Juden im Kontext der islamischen Ungläubigenfeindlichkeit, in: Eric Angerer / Ronald Bilik / Hartmut Krauss: Judenfeindlichkeit – Ideologische Wurzeln und gegenwärtige Erscheinungsformen, Osnabrück 2022
(8) Land für Land nachgezeichnet werden diese Zustände in dem ausgesprochen informativen Buch von Nathan Weinstock: Der zerrissene Faden – Wie die arabische Welt ihre Juden verlor, Freiburg / Wien 2019
(9) Friedrich Engels: Zur Geschichte des Urchristentums, MEW 22; siehe auch: http://www.mlwerke.de/me/me22/me22_447.htm