Antisemiten überall

Wie schon bei den Coronaprotesten wird das Schlagwort „Antisemitismus“ gegen Demonstranten verwendet, die das Staatshandeln Israels im Gazastreifen kritisieren.

Nicht erst seit Beginn der Coronaproteste werden mit dem Vorwurf des Antisemitismus pauschal jene belegt, die gegen die Politik der Bundesregierung auf die Straße gehen. Dieser Vorwurf dient dazu, solche Kritiker allesamt in die rechte Ecke zu stellen und ihre Argumente indiskutabel zu machen. Dieser Mechanismus ist auch im Umgang mit Palästina zu beobachten, wenn Kritik an der israelischen Bombardierung des Gazastreifens schlicht als antisemitisch bezeichnet wird — auch in unabhängigen Medien. Das Totschlagargument verfängt auch bei denen, die es besser wissen könnten.

Plötzlich sind sie überall, die Antisemiten. Ahnte der gute Deutsche vor nicht allzu langer Zeit noch nichts von der unterschwelligen Gefahr, die in diesem Land zu lauern scheint, so wird er jetzt eines Besseren belehrt. Die Antisemiten fluten unsere Straßen, so kann man es den Medien entnehmen. Immer wieder skandieren sie antisemitische Parolen und stellen ihren Hass auf Juden zur Schau. Die Coronapandemie brachte noch eine zweite, unerwartete Pandemie mit sich: die der Antisemiten. Oder vielmehr die Pandemie der inflationären Diffamierung von Oppositionellen, indem man sie in die rechte Ecke stellte. Plötzlich war jeder, der die Coronamaßnahmen kritisierte, die Maske nicht trug und sich der potenziell tödlichen Genspritze verweigerte, ein Juden hassender Neonazi.

„Wird der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem“ ist eine witzige Parole, die es auf den Punkt bringt.

Der Begriff Antisemitismus wird bereits seit Jahren als Totschlagargument gegen Kritiker, Andersdenkende oder zu investigativ Hinterfragende verwendet. Dieses Wort soll damit jede Kritik, jedes Erkennen von Korruption und Geheimdienstverwicklungen in Kriegen und Morden überall auf der Welt, soll jede starke Opposition delegitimieren. Indem Oppositionelle in die rechte Ecke gestellt werden, suggeriert man dem braven Durchschnittsdeutschen, dass hier im besten Fall nur verrückte Spinner, im schlimmsten Fall aber bösartige Nazis nach der Macht trachten und die vernünftige, bürgerliche Mitte mit ihren absonderlichen Vorstellungen gefährden. Vernünftige Bürger sollen sich mit den Argumenten, Vorstellungen und Zielen dieser Nazis doch bitte nicht beschäftigen. Das ist eine mehr oder weniger subtile Art und Weise, die Rede- und Gedankenfreiheit zu begrenzen.

Denn schon die Beschäftigung mit der Kritik und das Zuhören lassen einen in den Verdacht geraten, ebenfalls auf dem Weg in den Antisemitismus zu sein und damit ein Viertes Reich geradezu herbeizusehnen. Daher führt diese Stigmatisierung auch zu einer Selbstzensur. Nicht nur wird man sich nicht mehr laut äußern — man wird es nicht einmal wagen, sich auch nur gedanklich mit den Argumenten der Opposition, der Kritiker zu beschäftigen. Und selbst wenn diese Kritiker mit allem recht haben, was sie sagen, so wie es sich bei Corona nun selbst in den Staats- und Konzernmedien zeigt, darf man ihnen doch nicht nachträglich recht geben. Denn durch das frühe Abstempeln wurde es unmöglich gemacht, diese Menschen wieder in den Konsens der Vernunft aufzunehmen. Es darf einfach nicht sein, dass die „Antisemiten“, „Nazis“ und „Verschwörungstheoretiker“ recht hatten. Hatten sie also Unrecht – oder wurden sie einfach fälschlicherweise beschimpft?

Krieg

Der Mechanismus, der hier in den freien Medien verstanden wird, solange es um das Thema Corona geht, verfängt auch im Hinblick auf den Krieg, den Israel gerade gegen die Palästinenser führt. Denn plötzlich wird das offizielle Narrativ des muslimischen Antisemitismus, der sich in den Straßen Deutschlands entlade, aufgegriffen und unhinterfragt übernommen. Beispielhaft zeigt das dieser Artikel auf Manova. Der Autor hat den Mechanismus verstanden, über den Kritik und Opposition mittels Antisemitismus-Vorwurf abgewertet und unglaubwürdig gemacht werden. Er bekundet, dass der Begriff als Waffe verwendet wird — nur um selbst auf diese Waffe hereinzufallen.

Die Erzählung, dass jeder Muslim, der nun gegen Israel auf die Straße geht, ein Antisemit sei, ist verlockend einfach. Wieder hat man ein Feindbild, das man schüren und gegen das man hetzen kann. Auf welcher Seite soll man stehen? Auf der Seite des Staates Israel, der für sich in Anspruch nimmt, Schutzraum für alle Juden zu sein, die ja im Laufe der Geschichte wirklich kein erstrebenswertes Schicksal erlitten haben? Oder soll man aufseiten der Palästinenser stehen, die von diesem Staat Israel seit Jahrzehnten unterdrückt, vertrieben und getötet wurden, an denen derzeit in Gaza eindeutig ein Völkermord begangen wird? Da ist es doch gut zu wissen, dass es sich bei all den Palästinensern um Antisemiten handelt. Rufen sie nicht auch „Palestine shall be free, from the river to the sea?“, und drücken sie damit nicht ihren Vernichtungswunsch gegenüber allen Juden aus?

Nun — nein. Erstens handelt es sich bei dem Slogan um eine etablierte, schon von der linken und antiimperialistischen PLO verwendete Parole. Zweitens begeht man, wenn man in dieser Parole den Vernichtungswunsch gegenüber allen Juden sehen will, denselben Fehler, den diejenigen machen, die das Wohl Israels zur Staatsräson erhoben haben: nämlich die Gleichsetzung des Staates Israel mit allen Juden. Der Staat ist jedoch nicht mit dem Judentum gleichzusetzen. Es handelt sich um ein Machtgebilde, das mit Religion sehr wenig zu tun hat, weil hier zionistische Ideologen das Ruder in der Hand haben, die von einer rassischen Überlegenheit fantasieren. Kein Staat auf der Welt ist mit der ihm unterworfenen und von ihm unterdrückten Bevölkerung gleichzusetzen. Und ja, auch der Staat Israel unterdrückt und indoktriniert seine Bevölkerung. Er erzieht sie geradezu zum Hass auf die Palästinenser, zur Angst vor der Vernichtung.

Die Palästinenser, die hierzulande auf die Straße gehen, drücken im Regelfall nicht ihren Hass auf Juden aus, sondern ihre Abneigung gegen den Staat Israel und seine neokoloniale Siedlungspolitik.

Es ist sehr leicht, diese Menschen zu verstehen, wenn man das wirklich will: Denn immerhin werden im Gazastreifen aktuell massenhaft ihre Familienangehörigen massakriert. Jeder normale Mensch würde sich in einem solchen Fall gegen den Täter stellen, gegen ihn aufbegehren.

Man stelle sich das beispielhaft für Deutschland vor. Nehmen wir an, Frankreich würde Deutschland mit Waffengewalt besetzen, viele Deutsche vertreiben, ganze Dörfer zerstören und durch französische Siedlungen ersetzen. Die vertriebenen Menschen werden in ein großes Lager gesperrt, wo man sie im Großen und Ganzen sich selbst überlässt. In den Städten werden die Deutschen ghettoisiert und von den Franzosen vollkommen separiert. Könnte man verstehen, dass das bei der lokalen Bevölkerung zu Unmut, Empörung und Widerstand führt? Könnte man verstehen, dass sich die verzweifelte Empörung auch gewaltsam entlädt, in dem Versuch, die Besatzer zu vertreiben? Wäre ein Slogan wie „Deutschland wird frei sein, von der Oder bis zum Rhein“, den eine Widerstandsbewegung vielleicht skandieren könnte, als „frankophob“ einzuschätzen, oder drückt sich darin nicht eher der Wunsch nach Selbstbestimmung und Freiheit von der fremden Besatzungsmacht aus?

Und wie wäre es nun, in unserem Beispiel, wenn die Franzosen nach einem Angriff des deutschen Widerstands damit beginnen würden, die Lager der Vertriebenen zu bombardieren, sie dem Erdboden gleichzumachen, wobei Tausende Deutsche sterben würden? Wären die Proteste der deutschen Diaspora in anderen Ländern dann „frankophob“? Oder entsprängen sie nachvollziehbar nicht vielmehr Zorn, Ohnmacht, Trauer?

Ebenso ergeht es den Palästinensern und den Muslimen, die in Solidarität zu den Palästinensern stehen, eine Solidarität, die sich nicht nur aus der Religion speist, sondern auch aus ähnlichen Erfahrungen der Unterdrückung durch westlichen Kolonialismus. Die hierzulande demonstrierenden Palästinenser verlieren momentan täglich Familienangehörige im Bombenhagel der israelischen Armee, zumeist Zivilisten, die lediglich versucht haben, unter den widrigen, menschenfeindlichen Bedingungen des Gazastreifens ein ganz normales Leben zu führen.

Dass man nun Muslime, die sich gegen ihre eigene Unterdrückung, gegen die Gewalt, die ihnen und ihren Familien angetan wird, als Antisemiten bezeichnet, ist nicht nur zynisch. Es bedient auch das rassistische Klischee eines Juden hassenden Muslims — ein Klischee, das man vielleicht von der AfD erwartet, das aber nun auch von sogenannten Linken und Antifaschisten sowie von den Regierungsparteien bedient wird.

Was damit bezweckt wird, ist auch recht eindeutig: Die AfD gewinnt in der Bevölkerung an Zustimmung, und so will man ihr die Stimmen abspenstig machen, indem man ihre Themen und Parolen übernimmt. Zudem wird schon jetzt eine restriktivere Einwanderungspolitik vorbereitet, die sich am „Vorbild Dänemark“ orientieren soll. Gleichzeitig werden die Verbrechen Israels und indirekt auch des Westens, der an diesen ja beteiligt ist, verschleiert und legitimiert. Es wäre wenig erstaunlich, wenn unter der ständigen Eroberungspolitik Israels, der Gewalt dieses Landes gegen Palästina, der Siedlungspolitik und der Diskriminierung tatsächlicher Antisemitismus in der palästinensischen Bevölkerung wüchse. Und es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass insbesondere die Hamas von antisemitischen Vorstellungen geleitet wird.

Falsche Gleichsetzung

Doch diese Menschen, die demonstrieren, sind nicht mit der Hamas gleichzusetzen, wenngleich es auch wenig erstaunlich wäre, nähme die Zustimmung zur Hamas unter diesen Menschen zu. Denn in der Not wendet man sich an jene, die eine Lösung versprechen oder zumindest etwas tun, und wenn es auch noch so aussichtslos ist. Und die Hamas, zwar selbst ein Instrument Israels und des Westens, um die antiimperialistische PLO zu zerschlagen, erweckt wenigstens den Anschein, etwas zu tun. Das Argument, dass die Hamas ja angefangen habe mit den Angriffen am 7. Oktober 2023, der sogenannten Al-Aqsa-Flut, erinnert nicht nur an Sandkastenstreitereien von kleinen Kindern, es ist auch nicht stichhaltig. Denn der ganze Nahostkonflikt ist eine seit Jahrzehnten andauernde Spirale der Gewalt, in der sich beide Seiten vieles haben zuschulden kommen lassen. Hier nach Schuldigen zu suchen, führt nur in Teufels Küche. Hinter all dem stehen ohnehin noch viel größere, geopolitische Interessen seitens des Westens, der über Israel, das unzweifelhaft ein westliches Kolonialprojekt ist, die Vormacht in der Region zu behaupten sucht, und zudem die Garantie eines ewigen Krieges.

Durch all diese Verwicklungen ist es daher vollkommen unmöglich, hier klare Position für die ein oder andere Seite zu beziehen. Beide Seiten sind Opfer.

Die Juden waren im Laufe der Geschichte immer wieder Opfer. Doch sie sind nicht mit dem Staat Israel gleichzusetzen, der das Opfer-Dasein kultiviert und darüber zum Täter wird. Und auch die Palästinenser waren schon vor der Staatsgründung Israels Opfer und sind es auch jetzt. Beide Seiten sind Opfer der westlichen Machtpolitik, neokolonialer Bestrebungen und der Ausbeutung des Nahen Ostens.

Der vorgebliche Kampf gegen den Antisemitismus, der nun ganz plötzlich an allen Ecken und Enden aufgetaucht sein soll, dient nur dazu, von den tieferen Ebenen abzulenken. Die westliche Politik im Nahen Osten, die deutsche „Staatsräson“ sollen nicht kritisiert, sollen als richtig, gut und moralisch überlegen dargestellt werden. Die Diffamierung Andersdenkender, von Opposition und Widerstand als antisemitisch ist auch in diesem Fall nur eine Waffe. Der Antisemitismus wird in diesem Land extrem aufgebauscht. So gab es im Jahr 2022 bundesweit 88 angeblich antisemitische Straftaten. Dabei handelt es sich gar noch um die höchste Zahl seit 20 Jahren. 88 Straftaten mit angeblich antisemitischem Hintergrund sind nicht gerade viel. Hinzu kommt, dass alle vorherigen Höchstwerte innerhalb der letzten fünf Jahre zu vermelden sind.

Ein krasser Anstieg antisemitischer Tendenzen? Oder nicht einfach nur eine Verwässerung der Definition von „antisemitischer Straftat“? Denn so wurde beispielsweise in Bayern just im Jahr 2018 eine Taskforce zur Bekämpfung des Antisemitismus bei der Staatsanwaltschaft gegründet. Seitdem steigen die Fälle angeblich antisemitischer Straftaten an. Entweder bewirkt diese Taskforce genau das Gegenteil von dem, was sie zu tun vorgibt, dann sollte sie schleunigst aufgelöst werden; oder aber sie definiert sich selbst antisemitische Straftaten herbei, indem sie die Definition immer weiter verwässert und auf diese Weise Antisemitismus aus dem Nichts erschafft. Auch dann sollte sie schleunigst aufgelöst werden. Da man weiß, wie plötzlich der ganze Corona-Widerstand als antisemitisch geframed wurde und daher auch angebliche oder tatsächliche Straftaten in diesem Milieu schnell unter dem Verdacht stehen, einen antisemitischen Hintergrund zu haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass Letzteres der Fall ist. Die Taskforce erhält ihre eigene Grundlage durch die Erschaffung immer neuer angeblich antisemitischer Straftaten. Mal ganz davon abgesehen, dass sich bei gerade einmal 88 vermeintlich antisemitischen Straftaten im Jahr 2022 die Notwendigkeit einer eigenen Taskforce nicht erschließt.

Es sei wiederholt: Wie schon bei den Coronaprotesten wird auch jetzt wieder das Schlagwort des Antisemitismus als Totschlagargument für Proteste und Widerstand verwendet, um die Menschen mundtot zu machen, Kritik im Keim zu ersticken und Menschenrechtsverbrechen Israels zu verschleiern.

Der Begriff des Antisemitismus wird immer weiter ausgedehnt und verwässert auf diese Weise vollkommen, sodass tatsächlicher Antisemitismus nicht mehr erkannt wird.

Letztlich fördert der Westen Antisemitismus auf diese Weise sogar noch, weil er das Morden Israels nicht stoppt, das nachvollziehbarerweise zu Hass führt, ob man das nun gutheißt oder nicht. Es ist eigentlich nur zu offensichtlich, wie Antisemitismus auch hier wieder zu einer reinen Propagandafloskel verkommt, um den Meinungskampf an der Heimatfront zu führen.