„Annektiert“ und gut drauf
Vor-Ort-Erfahrungen von Besuchern der Krim widersprechen eklatant den Negativberichten deutscher Medien.
Seitdem sich die Krimbevölkerung vor fünf Jahren von der Ukraine lossagte, behaupten hiesige Transatlantiker, Putingegner und der Medien-Mainstream permanent, dass die Lage auf der Krim heute unter russischer Herrschaft katastrophal sei. Die Touristen würden wegbleiben, mit der Wirtschaft gehe es bergab, die Infrastruktur sei marode, die Krimtataren würden unterdrückt. Das Auswärtige Amt rät von Reisen auf die Krim sogar „dringend“ ab (1). Doch Deutsche, die seit 2014 selbst auf der Halbinsel waren, berichten faktisch das Gegenteil. Eine Sammlung realer Erfahrungen.
Die Reise auf die Krim war lange geplant, erzählt Ernst-Ludwig Drayss (2). Dann kam die Abspaltung im März 2014. 14 von 18 Teilnehmern seiner Reisegruppe sagten den bereits gebuchten Urlaub auf der Halbinsel „wegen der unsicheren Situation“ wieder ab. Drayss, der in der Nähe von Frankfurt am Main lebt und aus beruflichen Gründen schon öfter in Osteuropa war, fuhr mit den verbliebenen Teilnehmern im Herbst 2014 trotzdem in den Urlaub auf die Krim.
Dort erlebte er Erstaunliches: Während seines zehntägigen Aufenthalts lernte Drayss eine völlig andere Krim kennen, als diese ihm zuvor zu Hause in Zeitung, Fernsehen und Radio vermittelt worden war. In vielen deutsch-sprachigen Medien war immer wieder von Unterdrückung, Gewalt und Mangelherrschaft auf der Krim die Rede. Von all dem fand sich jedoch keine Spur.
„Zwischendurch bekamen wir besorgte Mails von zu Hause (…): ‚passt auf Euch auf‘, ‚Kommt heil nach Hause‘. Vor Ort wirkten solche Nachrichten wie aus einer fremden Welt, die keine Vorstellung davon hatte, wie es hier tatsächlich aussah. Wir empfanden die Gefahr eines Sonnenbrandes als das einzig erkennbare Risiko.“
Widerspruch hätte größer nicht sein können
Drayss beschrieb seine Erlebnisse in einem Reisebericht vom Oktober 2014. Vor Ort auf der Halbinsel stellte er demnach fest, die große Mehrheit der Krimbewohner begrüßt die Zugehörigkeit zu Russland. Touristenmassen strömen durch die Badeorte. Es herrscht kein Mangel, die Läden sind voll. Überall gibt es schnelles Internet, überhaupt funktioniert von Müllabfuhr bis Post offenbar alles reibungslos. Selbst sein ukrainischer, putinkritischer Reiseleiter Yuri erklärte, dass Russland in sechs Monaten mehr Geld in die Krim investiert habe als die Ukraine in zwanzig Jahren.
Drayss schreibt:
„Der Widerspruch zwischen den ursprünglichen Vorstellungen über die Zustände auf der Krim und dem, was wir vorfanden, hätte kaum größer sein können. (…) ein komisches Gefühl angesichts der großen Diskrepanz zwischen dem von den Medien gezeichneten Bild und der erlebten Realität vor Ort. Unwillkürlich fragt man sich, ob wir nicht auch in vielen anderen Bereichen in einer medialen Scheinwelt leben.“
Deutsche Medien sehen leere Regale und leere Strände
Die Leitmedien jedenfalls halten am negativen Bild fest, das sie von der Situation auf der Krim seit 2014 transportieren. Bis heute. Die Krimberichte der großen Medien gleichen sich dabei in vielen Aspekten. Sie heben Negatives hervor, schieben Positives an den Rand, verallgemeinern individuelle Fälle und spielen mit Assoziationen zur Sowjetunion. „Leere Regale, fehlende Touristen — ein Jahr nach der Annexion durch den Kreml sieht es auf der Krim trostlos aus“, hieß es in einem Tagesthemen-Beitrag vom März 2015.
Für die Krimbewohner gebe es viele Schwierigkeiten im Alltag, berichtete die Tagesschau ebenfalls 2015 in ihrem Internetangebot: Das Telefonnetz funktioniere nur teilweise, es gebe Versorgungsprobleme, Lebensmittel hätten sich verteuert, Kreditkarten funktionieren nicht mehr, die Wirtschaft sei eingebrochen. Dass die meisten dieser damals durchaus realen Probleme Folgen westlicher Sanktionen und ukrainischer Blockaden waren, deuteten die Berichte bestenfalls nebenbei an. Zudem, heißt es bei der Tagesschau, habe die „gefürchtete russische Bürokratie“ auf der Krim Einzug gehalten und erschwere die Existenz von Geschäftsleuten.
Bild-Zeitung schickt mutigen Chefreporter zu „den Russen“
Im September 2016 reiste Bild-Chefreporter Peter Tiede auf die Krim, um „Putins Lügen aufzudecken“. Tiede entdeckte erwartungsgemäß auf Schritt und Tritt unzufriedene Einheimische und leere Strände: „Wer es schön einsam mag oder etwas marode — der ist richtig auf der Krim“, sagt er im zugehörigen Video. Die „leeren Strände“ werden jedoch nicht gezeigt. Zu diesem Bericht müssen in einer Anmerkung im Anschluss an diesen Text noch ein paar Worte mehr gesagt werden (3).
Der Transatlantiker und Tagesspiegel-Redakteur Christoph von Marschall behauptete in einer phoenix-Runde im Februar 2017:
„Auf der Krim leben doch nur enttäuschte Leute. Wenn Sie heute auf die Krim fahren, das ist doch eine ökonomische Katastrophe im Vergleich wie die Krim vor drei oder vier Jahren aussah.“
Zuvor bezweifelte von Marschall, dass eine Wiederholung des Krimreferendums — ohne „russische Gewehrläufe“ — erneut die Unabhängigkeit von der Ukraine zum Ergebnis hätte. Er war zwar nicht selbst auf der Halbinsel, doch „gute Freunde“ von ihm, auf deren Urteil er vertraue, hätten ihm dies alles berichtet.
Von Trostlosigkeit und Ernüchterung
Für den Deutschlandfunk berichtete Thomas Franke im Oktober 2017 von der Krim: „Die Preise für Lebensmittel steigen, der Tourismus leidet.“ Bei den Krimbewohnern sei „Ernüchterung“ eingekehrt.
Heute erlebe man einen „Schock“, wenn man wieder über die Krim fährt, hieß es ebenfalls 2017 in der Zeit (4). Vom einstigen Ferienidyll sei wenig geblieben. Die Krimbewohner seien enttäuscht.
Der russische Schriftsteller und Putingegner Michail Schischkin schreibt in seinem neuen Buch, die Begeisterung der Krimbewohner über den Anschluss an Russland habe nicht lange angehalten. Man lebe dort nun in einem „kriminellen Polizeistaat“. Die Badeorte auf der Krim würden völlig verwaisen.
„Der bunte Ferienort wird zu einem grauen Fleck, wo weder aus Russland noch aus der Ukraine jemand hinfahren will“ (5).
Es riecht nach Narrativ
Es ließen sich noch weitere solcher Berichte und Meinungsäußerungen anführen, doch belassen wir es dabei. Zwar ergeben sich allein beim Vergleich der Mainstreambeiträge schon mehrere Widersprüche (6), aber das ist an dieser Stelle nicht entscheidend. Wichtig ist viel mehr der immer gleich lautende Tenor der Beiträge, der inzwischen deutlich geworden ist. So deutlich, dass sich beim geübten Mainstream-Interpreten schon lange ein unangenehmer, aber wohl bekannter Verdacht eingestellt hat: Es riecht nach Narrativ. Nach medial-konstruierter und in Dauerschleife propagierter Scheinrealität.
Das erkennt man etwa daran, dass die Erzählung von den „leeren Stränden“ schon wenige Wochen nach dem Krimreferendum im März 2014 von Medien wie der Welt oder der FAZ verbreitet wurde. Dabei hatte die sommerliche Urlaubssaison da noch gar nicht begonnen und war seriös überhaupt nicht zu beurteilen.
Offizielle Zahlen
Ebenfalls passen die Aussagen deutscher Leitmedien nicht zu den amtlichen Touristenzahlen. Auch wenn die Mainstreamjournalisten hierzulande alle offiziellen Angaben aus Russland für Propaganda halten, so gehört es zur sauberen journalistischen Arbeit, diese Daten zumindest zu nennen. Dies passiert jedoch fast nie. Nun denn, das Ministerium für Kurorte und Tourismus der Republik Krim macht folgende Angaben zu den jährlichen Touristenzahlen auf der Halbinsel:
2014: 4,0 Millionen
2015: 4,6 Millionen
2016: 5,6 Millionen
2017: 5,4 Millionen
2018: 6,8 Millionen
(Angaben vom Autor auf die erste Nachkommastelle gerundet)
Zum Vergleich: In den zehn Jahren vor dem Krimreferendum bewegten sich die jährlichen Touristenzahlen laut offiziellen ukrainischen Angaben zwischen fünf und sechs Millionen. Im Konfliktjahr 2014 sank die Zahl also um rund ein Drittel ab, steigt seitdem aber wieder an und überflügelte 2018 die Höchstwerte aus ukrainischen Zeiten deutlich. Der große Zusammenbruch des Krimtourismus, den deutsche Medien sehen, ist nach diesen Zahlen nicht auszumachen. Zu Zeiten der Sowjetunion übrigens lagen die Höchstwerte in den 1980er Jahren, als nach verschiedenen Angaben acht bis zwölf Millionen Touristen pro Jahr auf der Krim Urlaub machten.
Infrastrukturprojekte verbessern die Lage
Auch den angeblich maroden Zustand der Krim betreffend gibt es einige dagegen sprechende Fakten. Zum einen ist die Verantwortung für ausgebliebene Investitionen der vergangenen Jahrzehnte ganz offensichtlich in Kiew und nicht in Moskau zu suchen (7), zum anderen hat Russland seit 2014 mehrere große Infrastrukturprojekte angeschoben. Neben der 2018 eröffneten Krimbrücke zählt dazu der Neubau eines riesigen Flughafenterminals in der Krimhauptstadt Simferopol — die Abfertigungszahlen des Flughafens vervierfachten sich übrigens seit 2014. Dazu kommt der Neubau der Autobahn „Tawrida“, die quer über die Krim führt und 2020 eröffnet werden soll.
Zudem wird das berühmte Ferienlager Artek bei Jalta saniert und modernisiert, hierfür sollen seit 2015 aus Moskau 225 Millionen Euro investiert worden sein. In der Nähe der Städte Sewastopol und Simferopol hat Russland außerdem neue Gaskraftwerke gebaut, um die Energieversorgung der Halbinsel zu verbessern. Insgesamt soll Russland bis 2020 rund zehn Milliarden Euro in Infrastruktur, Energie und kommunale Versorgung der Krim investiert haben.
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums der Krim von 2017 wuchs die Wirtschaft der Halbinsel im Jahr 2015 um 8,5 Prozent und im Jahr 2016 um 7,1 Prozent. Das durchschnittliche Einkommen der Krimbewohner sei umgerechnet von rund 100 Euro (2013) auf rund 270 Euro (2016) angestiegen.
So viel zu den offiziellen Zahlen. Doch den entscheidenden Glaubwürdigkeitsverlust erleiden die deutschen Leitmedien, wenn man deren Beiträge neben die Reiseberichte unabhängiger Krimbesucher, wie etwa den Bericht des zu Beginn zitierten Ernst-Ludwig Drayss, stellt. Dabei entsteht nämlich ein genau gegenteiliger Eindruck von der Situation auf der Halbinsel.
Touristenströme auf der Krim, skurrile Berichterstattung in Deutschland
Einen weiteren dieser Berichte liefert Christoph Felder. Er ist Filmemacher aus Köln und hat selbst jahrelang für ARD, ZDF, 3sat und Arte Dokumentarfilme produziert. Mit seiner Familie war er im Sommer 2018 auf der Krim, was er auch für sein aktuelles Filmprojekt „Russian Homes“ verarbeitet. Felder ist mit einer russischen Pianistin verheiratet. Nach einem Besuch bei deren Eltern in Rjasan bei Moskau, fuhr die Familie per Zug nach Südrussland und dann mit dem Bus über die neue Krimbrücke in den Kurort Sudak an der Südküste der Krim. In den zwei Urlaubswochen unternahmen sie von dort Touren in verschiedene Teile der Halbinsel.
Christoph Felder stellte sich die Krim dabei völlig anders dar, als er es nach Lektüre der großen deutschen Medien erwartet hatte. „Die Berichterstattung ist absolut skurril“, lautet Felders Fazit im Gespräch mit dem Rubikon. Leere Strände? „Das Gegenteil ist richtig“, so der Filmemacher. „Unser Bus war voll. Die Brücke war voll. Es waren unheimlich viele Autos auf der Straße an der Südküste unterwegs.“ Felder spricht von einem „heftigen Touristenstrom“, der an die Badeorte fließt. In Sudak beispielsweise sei es unmöglich, ein Plätzchen zu finden, an dem man allein ist. „Es ist alles voll mit russischen Touristen.“
„Wer das nicht sieht, der will es nicht sehen.“
Der Filmemacher hatte sogar den Eindruck, die Krim-Infrastruktur sei mit den großen Besucherzahlen überfordert. Die Taxifahrer etwa seien völlig überlastet. Zwar werde auf der Krim sehr viel gebaut, doch komme man angesichts der Touristenmassen kaum nach. „Man sieht, hier passiert etwas — nicht nur an den Küsten, sondern auch wenn man ins Landesinnere fährt. Man fährt auf der alten Route und direkt daneben entsteht eine neue, größere“, erläutert er. Das Wachstum ist allgegenwärtig. „Wer das nicht sieht, der will es nicht sehen.“
Strom- und Wasserversorgung funktionierten einwandfrei, berichtet Felder. „Es gibt dort schnelleres Internet als in Deutschland, die Regale sind voll auch mit westlichen Produkten.“ Vor der Reise war er skeptisch, erzählt der Kölner im Interview. Doch die Skepsis verflog schnell. Auf der Krim herrsche Aufbruchsstimmung. „Die Ukraine hat Jahrzehnte nichts für das Blühen dieser Halbinsel getan. Man sieht jetzt eindeutig den Kontrast, was war und was nun im Entstehen ist. Und die Leute auf der Krim sehen das auch.“
Christoph Felder mit seiner Frau Alexandra im Sommer 2018 auf der Krim. Foto: Christoph Felder.
Da seine Frau russisch spricht, fand Felder Zugang zu vielen Einheimischen — sowohl zu Russen als auch zu Ukrainern und Krimtataren. Keiner äußerte sich gegen Putin oder wollte wieder unter ukrainische Herrschaft zurück. Viele Taxifahrer sagten ihm, es gebe nun deutlich weniger Korruption auf der Krim als früher. Ihr krimtatarischer Hotelier erzählte ihnen, seine Geschäfte laufen gut. Als Felders Sohn sich ein Virus einfing, wurde er in einer Klinik sofort behandelt, ohne dass auch nur jemand nach einer Krankenversicherung fragte. Die medizinische Versorgung sei qualitativ top gewesen, das habe Felder sehr überrascht.
In den vergangenen Jahren habe sich seine Einstellungen zu den deutschen Medien massiv geändert, erzählt Felder. „Ich war früher regelmäßiger Spiegel-Leser. Heute lese ich den Spiegel nicht mehr.“ Viele Mainstream-Medien betreiben tendenziöse Berichterstattung, die mit der Realität nicht viel zu tun hat, unterstreicht der Kölner Filmemacher. „Gerade in Bezug auf die Krim wird im Westen eine Fassade aufgebaut.“
Blogger überprüft Medienberichte vor Ort
Hinter diese Fassade blickt regelmäßig ein Blogger namens „Muinegi“. Wie er in Wirklichkeit heißt, verrät er in seinem Blog nicht, schreibt über sich nur, er sei Familienvater, Fotograf und „Kind der DDR“. Seine erste Reise auf die Krim 2014 plante er demnach noch zu Zeiten, als sie zur Ukraine gehörte. Seitdem war er mehrmals dort und belegt seine Reiseeindrücke mit vielen Bildern. Manche Behauptungen deutscher Journalisten widerlegt er inzwischen mit eigenen Recherchen vor Ort. Über seine erste Reise auf die Halbinsel schreibt der Blogger:
„Was ich dort erlebte deckte sich überhaupt nicht mit dem, was hier über die Krim berichtet wurde und wird. So beschloss ich meine Reise dorthin zu wiederholen.“
In seinen Texten berichtet er ebenfalls von vollen Stränden, zahlreichen Baustellen, viel Erneuerung und besseren Lebensverhältnissen der Krimbewohner als zu ukrainischen Zeiten vor 2014. Glaubwürdig sind seine Berichte nicht nur wegen der Fotobelege, sondern auch, weil er die unschönen Seiten der Krim oder die Verlierer des Anschlusses ebenfalls zeigt.
Auch die von deutschen Medien permanent berichteten Preisanstiege habe es durchaus gegeben, schreibt Muinegi. Starke Teuerungen gab es übrigens auch in der Ukraine. Doch seien gleichzeitig auf der Krim auch Löhne und Renten massiv angehoben worden, was in der Ukraine eben nicht geschah und auch von deutschen Medien kaum berichtet wird.
Krimbewohner offenherzig trotz feindlicher Politik des Westens
In vielen seiner Texte kritisiert der Blogger, dass Deutschland den Willen der Mehrheitsbevölkerung auf der Krim nicht anerkennt, sondern gerade diese Menschen mit Sanktionen gezielt bestraft. So treffen die westlichen Reisebeschränkungen direkt die Krimbewohner — keine gute Methode, diese Menschen „zurückzugewinnen“. Hatte er als Deutscher zu Beginn wegen der Russland-Politik der Bundesregierung noch ein schlechtes Gewissen gegenüber den Einheimischen, erklärt der Blogger, so stellte er vor Ort fest, dass die Russen trotz allem offenherzig und freudig auf ihn als westlichen Touristen reagierten.
Über die Arbeit deutscher Mainstreammedien hat Muinegi nach seinen Krim-Reisen keine Illusionen mehr und schreibt:
„Seit der Wiedervereinigung der Krim mit Russland in einer für die Krimbewohner äußerst schwierigen Zeit habe ich in unseren Leitmedien (Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk, sowie die regierungsnahen Medien „Die Zeit“, „Der Spiegel“, „SZ“, „FAZ“ …) nicht einen Beitrag über die heutige Krim finden können, dessen Darstellung sich mit meinen Beobachtungen und Informationen deckt. (…) So funktioniert politisch motivierter Journalismus, Made in Germany!“
„Vom ersten Moment fühlte es sich anders an“
Denselben Eindruck hat auch die Hamburger Reisebuchautorin Katharina Füllenbach, die im November 2017 für 30 Tage auf die Krim gereist war und ein Buch darüber geschrieben hat. „Uns wird hier eine völlig andere Geschichte über die Krim erzählt“, sagt Füllenbach im Gespräch mit dem Rubikon. Zwischen der hiesigen Berichterstattung und der Realität vor Ort gebe es eklatante Unterschiede. „Das Ausmaß hat mich sehr überrascht“, betont sie. „Vom allerersten Moment hat es sich dort anders angefühlt, als es deutsche Medien suggerieren.“
Füllenbach macht sich als Buchautorin regelmäßig ein eigenes Bild von Ländern, die hierzulande eher als exotisch gelten, und hat festgestellt, dass die Medienberichte das Bild dieser Länder oft verzerren. Unter anderem bereiste sie bereits Uganda, Katar und Kirgistan. Doch so krass wie auf der Krim sei es noch nirgendwo gewesen. Während viele ihrer deutschen Bekannten glaubten, dort herrsche Krieg, sei es vor Ort völlig friedlich gewesen.
„Dort herrscht hingegen ganz viel Aufbruchsstimmung. Das bekommt man hier überhaupt nicht mit“, unterstreicht Füllenbach. Es gebe nicht nur sehr viele Baustellen, der Aufbruch kam auch in Gesprächen mit Einheimischen oft zum Ausdruck. Putin werde gefeiert wie ein Popstar. Niemand mit dem sie gesprochen hatte, wollte unter Kiewer Herrschaft zurück — auch ihre ukrainischen Gesprächspartner nicht.
Die Krimbevölkerung und die gesamte Halbinsel wurden zwischen 1992 und 2014, während der Zugehörigkeit zur unabhängigen Ukraine, extrem vernachlässigt, berichteten ihr Menschen vor Ort. Zum Beispiel mussten zahlreiche zu Sowjetzeiten noch florierende Sanatorien mit der Zeit wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Die ukrainischen Behörden hatten nie Geld in die Instandhaltung investiert, sie lebten ausschließlich von der Substanz. Eines dieser Sanatorien sah sich Füllenbach selbst an: „Innen sah es aus, als hätte jemand zu Sowjetzeiten auf die Stopp-Taste gedrückt.“
Krimbewohner halten Deutschland für willenlosen US-Vasallenstaat
Bei einem Abendessen mit zwei einheimischen Ehepaaren in Jewpatorija wurde Füllenbach klar, wie sehr sich die deutsch-russischen Ansichten unterscheiden. „Ihr solltet in Deutschland wahrnehmen, dass wir zu Russland gehören wollen“, sagte ihr die Tischrunde. Die Gastgeber, von Beruf Künstler, Journalisten und Lehrer, bemerkten bitter, dass Deutschland sich an Sanktionen gegen Russland und an Schikanen gegen die Krimbevölkerung beteiligt. Sie halten die Bundesrepublik für einen willenlosen Satellitenstaat der USA ohne eigene Haltung, erzählt Füllenbach. Dabei müsste Deutschland wegen seiner extremen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg in Russland heute doch eher eine beschützende Rolle einnehmen, so die Gastgeber.
Besonders die historische Schuld Deutschlands wurde Katharina Füllenbach bei ihrer Krimreise vielerorts bewusst. Dort stolpere man an fast jeder Straße über einen Gedenkstein für ein deutsches Kriegsverbrechen.
In den Steinbrüchen von Adschi-Muschkai bei Kertsch etwa tötete die Wehrmacht 1942 rund 13.000 Rotarmisten, die sich dorthin zurückgezogen hatten. Über Monate hinweg griffen die Deutschen die Verteidiger an und setzten dabei auch Giftgas ein. Füllenbach ist bis heute fassungslos über das, was sie in der Gedenkstätte erfuhr und sah.
„Das muss die Hölle gewesen sein. Eine dunkle, eiskalte Höhle ohne Strom, monatelang Hunger und Durst, 13.000 Menschen benutzen ein einziges, fünfzig Meter tiefes Loch als Latrine. Die Deutschen werfen Dynamit und Giftgas hinein und hängen nach fünf Monaten Belagerung die meisten der wenigen Dutzend Überlebenden auch noch auf. Von diesem Teil der Geschichte wissen wir in Deutschland so gut wie nichts. Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten — Gott sei Dank — mit dem Holocaust auseinandergesetzt, aber was wir Deutschen während des Zweiten Weltkriegs den Russen und Menschen in anderen osteuropäischen Ländern angetan haben, das spielt in unserem Geschichtsbewusstsein oftmals überhaupt keine Rolle.“
Düstere Gedenkstätte: In den Steinbrüchen von Adschi-Muschkai starben 13.000 Rotarmisten bei der Verteidigung gegen die Wehrmacht. Foto: Katharina Füllenbach
Die Buchautorin reiste von Ort zu Ort und sah sich so unter anderem Simferopol, Jalta, Bachtschyssaraj, Feodossija und Sewastopol an. Während ihrer Reise gab es Probleme bei der Wasser- und Stromversorgung, weil die Leitungen in der Ukraine gekappt wurden. Füllenbach beeindruckte sehr, wie unaufgeregt die Krimbewohner dies hinnahmen. „Die Schwierigkeiten sind unangenehm, aber wir wissen, wo es herkommt und wir sehen, dass Putin sich darum kümmert“, fasst sie die damals herrschende allgemeine Stimmungslage zusammen.
Einstiger Sezessionsgegner ist heute auch dafür
Ebenso positive Eindrücke sammelten Mitglieder der West-Ost-Gesellschaft (WOG) aus Baden-Württemberg, die 2016 auf die Krim reisten (8) sowie der Journalist Tino Künzel, der für die Moskauer Deutsche Zeitung schreibt und im Mai 2018 zehn Tage auf der Krim verbrachte. Künzel hat dazu online ein Reisetagebuch veröffentlicht. Er berichtet darin unter anderem von seinem ukrainischen Bekannten Alexander, der 2014 als einer der wenigen Wähler gegen die Abspaltung der Halbinsel von der Ukraine stimmte. Doch auch Alexander sei heute für den Anschluss an Russland, da das Leben besser geworden sei. Pensionsbesitzer in Aluschta erzählten Künzel, sie seien stolz, dass man nun auf der Krim Steuern statt Schmiergeld zahle (9).
Nicht zu vergessen: Für den Rubikon hat bereits der Osteuropa-Korrespondent Ulrich Heyden einen journalistischen Reisebericht geliefert, aus dem weiter unten zum Thema Krimtataren noch zitiert werden wird.
Politische Schwere und sonnige Leichtigkeit
Mit Nikita Afanasjew hat noch ein weiterer deutscher Journalist seine Krimerfahrungen aufgeschrieben. Sein Reisebericht aus dem Sommer 2016 ist Teil seines Buches, in dem er „das Russland seines Vaters“ erkundet. Die Krim war eines seiner Ziele dabei. Afanasjew kam 1993 im Alter von elf Jahren mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Deutschland und schreibt heute als freier Autor für Medien wie den Tagesspiegel, die Zeit oder die taz. Für ein Interview mit dem Rubikon steht Afanasjew jedoch nicht zur Verfügung, schrieb er auf Anfrage. Deshalb muss hier ein Blick in das Buchkapitel genügen.
Afanasjews Krim-Eindrücke sind eher durchwachsen. Er berichtet von politischer „Schwere“ in Simferopol und sonniger Leichtigkeit in Jalta. Er war im Sommer 2013, ein halbes Jahr vor dem Maidan, ebenfalls auf der Krim und kann deshalb vergleichen. Damals sah Afanasjew Betonskelette nicht fertig gebauter Hotels, die Einheimischen hätten nichts vom ukrainischen Staat erwartet. Heute — also bei seinem Besuch 2016 — erwarteten sie vom russischen Staat ein besseres Leben. Das sei der entscheidende Unterschied zu seiner vorangegangenen Krimreise.
Diese Hoffnung hatte sich zumindest für eine Frau in Jalta, die privat Urlaubszimmer vermietet, nicht erfüllt: „Wie alles ist? Für den Arsch ist es!“, wird sie von Afanasjew zitiert. Sie erlöse heute nur noch ein Drittel der früheren Zimmerpreise. Alle Einheimischen hofften auf die Fertigstellung der damals noch in Bau befindlichen Krimbrücke.
Die Frage nach dem Lebensniveau ist hochpolitisch
Begleitet wurde Afanasjew von einer befreundeten ukrainischen Journalistin, die von der Krim stammt, aber inzwischen in Kiew lebt und 2014 auf dem Maidan demonstrierte. Während sie zur Maidan-Ukraine steht, blieb ihr Vater in der Heimat und hing sich eine große russische Flagge ins Wohnzimmer. Der Konflikt spaltete viele Familien. Afanasjew schreibt:
„Die Frage wie es den Menschen dort geht, ist eine hochpolitische geworden, seit die Krim russisch ist, denn das Versprechen auf ein besseres Leben ist allen noch präsent. Die meisten Menschen, die Nina und ich fragen, erzählen das Gleiche: Sie finden es schon gut, jetzt zu Russland zu gehören. Aber das Leben sei seither schwieriger geworden.“
Wer für dieses schwierigere Leben verantwortlich ist, ukrainische Blockaden oder ausgebliebene russische Versprechen, das erklärt Afanasjew nicht. Als „halber Russe und halber Deutscher“, der beide Positionen nicht uneingeschränkt teilt, wie er schreibt, fühle er sich „eingequetscht“ und suche nach einer Position dazwischen. Auch deswegen bleibt ein klares Urteil Afanasjews über die Situation auf der Krim aus.
„Da stehen keine Panzer“
Der letzte ausführlich zitierte Krimbesucher soll hier der Berliner Blogger Gert-Ewen Ungar sein, der die Halbinsel in den Sommern 2015 und 2016 besuchte. Auf seinem Blog hat er Berichte zu seiner ersten und zu seiner zweiten Reise veröffentlicht. Bereits von vorangegangenen Fahrten nach Russland wusste Ungar, dass er auch auf der Krim eine andere Situation vorfinden könnte, als es die deutschen Medien schildern.
So kam es auch. Anzeichen einer Annexion entdeckte er nicht, unterstreicht der Blogger, der auch für RT Deutsch schreibt.
„Bei einer Annexion stelle ich mir vor, an jeder Ecke steht ein Panzer und hält die Leute klein. Da war aber nicht mal der Hauch irgendeiner gewaltsamen Übernahme zu spüren. Da war nichts mit Panzern, da war nichts mit Polizei.“
Im Gegenteil: Zweimal sagten ihm Leute direkt, er solle in Deutschland berichten, dass die Menschen hier russisch seien, zu Russland gehören wollten und dass die Deutschen sich die Situation vor Ort selbst anschauen sollten.
Riesenflugzeuge, um Touristenmassen zu bewältigen
Ungar verbrachte beide Urlaube in Jalta. Seinem Eindruck nach boomte der Tourismus dort. „2015 war es gut besucht, 2016 war schon alles ausgebucht.“ Bei der zweiten Reise flog er von Moskau nach Simferopol in einer Boeing 747, immerhin das zweitgrößte Passagierflugzeug der Welt. Es sei für den damaligen Flughafen überhaupt nicht geeignet gewesen, doch um die Touristenmassen bewältigen zu können, wurden diese riesigen Maschinen eingesetzt, erklärt er.
Gert-Ewen Ungar bei seinem ersten Krimurlaub 2015. Foto: Dmitry Starosta.
2015 sah der Blogger in Simferopol bettelnde Menschen auf der Straße. Es sei nicht so extrem wie in Berlin gewesen, aber durchaus existent. Bei seiner zweiten Reise habe es aber keine sichtbare Armut mehr gegeben, erzählt er im Gespräch mit dem Rubikon.
„Ich hatte bei meinem ersten Besuch das Gefühl, die Ukraine hat in 20 Jahren nichts gemacht. Es war alles so belassen, wie im Moment der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Da fuhren Busse aus Sowjetzeiten und die Straßen hatten große Schlaglöcher.“
Auf der zweiten Reise bemerkte Ungar schon bei seiner Ankunft, dass die alten sowjetischen Trolleybusse durch moderne Modelle ersetzt und dass am Flughafen neue Busterminals gebaut worden waren. Innerhalb eines Jahres sei dort infrastrukturell sichtbar viel passiert.
Berichterstattung einseitig und zynisch
Die deutsche Berichterstattung über die Krim sei „hoffnungslos einseitig“ und gegenüber den Krimbewohnern geradezu „zynisch“, sagt Ungar.
Allein der Begriff Annexion, der von taz bis Springerpresse verwendet wird, verachte die Einheimischen. Diese trafen in einem Referendum eine Entscheidung, die man im Westen einfach nicht anerkennen will. Die Menschen würden deswegen in Sippenhaft genommen.
„Sie haben sich falsch entschieden und werden nun bestraft“ (10). Die Alternative zum Anschluss an Russland, da brauche man sich nichts vormachen, betont Gert-Ewen Ungar, wäre ein Bürgerkrieg gewesen. Sein Fazit:
„Wir brauchen eine andere Form von Journalismus. Eine, die sich wieder um Wahrheitsfindung bemüht und nicht eine, die nur versucht, den Leuten mit Fake-Nachrichten die laufende Geopolitik zu verkaufen.“
Die Sache mit den Krimtataren
Deutsche Leitmedien malen die Situation der Krimtataren seit 2014 regelmäßig in schwarzen Farben. Der russische Staat diskriminiere, unterdrücke und verfolge diese Minderheit, so heißt es in vielen Beiträgen. Journalisten schildern oft die Fälle einzelner verhafteter Aktivisten, teils legen sie aber auch eine Art ethnische Verfolgung der gesamten Volksgruppe nahe.
Es ist nachvollziehbar, dass sich solche Vorwürfe nicht so leicht durch Berichte ausländischer Besucher nachprüfen lassen, da sich die unterstellten Vergehen eher selten in aller Öffentlichkeit abspielen dürften. Jedenfalls wurde keiner der für diesen Artikel befragten Krimbesucher Zeuge tatarischer Diskriminierung. Der krimtatarische Hotelier, bei dem Christoph Felder wohnte, freute sich genauso über seine gut laufenden Geschäfte wie die krimtatarischen Restaurant- und Wirtschaftsbesitzer auf dem Berg Ai Petri in Jalta, mit denen Gert-Ewen Ungar sprach.
Katharina Füllenbach redete in Bachtschyssaraj, der einstigen Hauptstadt des Krim-Khanats, mit Tataren. Diese sagten ihr, es gebe sehr gut integrierte Krimtataren, denen es hervorragend gehe. Ihre Gesprächspartner hätten jedoch auch angedeutet, dass politisch gegen Russland aktive Krimtataren durchaus Probleme bekämen. Andererseits berichtete Füllenbach auch von russischer Wertschätzung für Krimtataren wie den sowjetischen Kampfpiloten und Kriegshelden Amet-Chan Sultan oder von einer Würdigung der Krim-Minderheiten bei einem Feiertag, den sie miterlebte.
Nikita-Afanasjew schreibt von Putin-Plakaten, auf denen der Präsident in Sewastopol dafür wirbt, die Rechte der Minderheiten zu schützen. Tino Künzel berichtet von einer feierlichen Veranstaltung zum Gedenken und zu Ehren der Krimtataren, die 1944 auf Stalins Befehl massenhaft deportiert wurden. Von krimtatarischen Demonstrationen oder Protestcamps berichtet hingegen niemand. Zu ukrainischen Zeiten hatte es diese noch genauso wie gewalttätige Konflikte gegeben, wie Aufnahmen des Australiers Tim Cope aus dem Jahr 2006 zeigen.
Krimtatarisch ist Amtssprache
Ebenfalls erwähnenswert ist, dass Krimtatarisch neben Russisch und Ukrainisch heute Amtssprache auf der Krim ist — während es dies nach aktueller Gesetzeslage in der Ukraine nicht wäre. Zudem wurde nach der Abspaltung von der Ukraine in Simferopol eine große Moschee errichtet, auf die die muslimischen Krimtataren unter ukrainischer Herrschaft seit 20 Jahren vergeblich gewartet hätten, sagte der türkische Krimtatarenvertreter Ünver Sel.
Der krimtatarische Politiker Saur Smirnov sagte 2017, Kiew habe sich nie um die sozialen und politischen Belange der Krimtataren gekümmert. Im Gegenteil, es sei alles getan worden, um die Unzufriedenheit der Krimtataren zu schüren und im Zuge dessen auch alte Ressentiments gegen Russland zu nähren.
Bemerkenswert ist zudem, dass als krimtatarische Interessenvertretung nicht nur der von deutschen Medien häufig genannte kremlfeindliche Medschlis, sondern auch die in hiesigen Medien so gut wie nie erwähnte krimtatarische Partei Milli Firka existiert. Es erübrigt sich fast schon zu erklären, dass Milli Firka für den Anschluss der Krim an Russland war.
Tatsächlich spricht einiges dafür, dass die Volksgruppe der Krimtataren als Ganzes nun sogar besser situiert ist als zuvor unter Kiewer Herrschaft, denn auch die Krimtataren profitieren von erhöhten Löhnen und Renten sowie steigenden Touristenzahlen. Nach der Rehabilitierung der Krimtataren durch Wladimir Putin erhalten sie sogar soziale Vergünstigungen — so etwa einen monatlichen Rentenzuschlag von 500 Rubel, wie Krimtatarenvertreter Edip Gafarow erläutert.
Und ausgerechnet in die Ukraine geflüchtete Krimtataren sind es, die den zurückgebliebenen Landsleuten das Leben schwermachen. So waren es militante Krimtataren, die 2015 — zusammen mit dem Rechten Sektor — Strommasten in der Ukraine sprengten, um die Krim von der Energiezufuhr abzuschneiden und diese Gruppen waren es auch, die LKW mit Lebensmittellieferungen für die Krim nicht weiterfahren ließen (11).
Verdacht der Instrumentalisierung
Dies alles heißt nicht, dass es keine Alltags-Diskriminierung oder gezielte Verfolgung politisch unerwünschter Krimtataren gibt, doch es zeigt, dass eine pauschale Negativbeurteilung der krimtatarischen Situation durch Medien und andere Akteure (12) ebenso wenig angebracht ist. Leider hat die Glaubwürdigkeit deutscher Medien wegen ihrer Russlandberichterstattung derart gelitten, dass den Berichten über Krimtataren immer auch der Verdacht der westlichen Instrumentalisierung dieser Volksgruppe gegen Russland mitschwingt.
Andernfalls müsste nämlich auch die Diskriminierung einer anderen Minderheit auf der Krim thematisiert werden — nämlich die Tatsache, dass den Krimdeutschen seit 2014 sämtliche Finanzmittel für Sprachförderung und Kulturarbeit komplett gestrichen wurden. Doch verantwortlich dafür ist nicht Russland, sondern die deutsche Bundesregierung. Nach Ansicht krimdeutscher Repräsentanten werden sie damit für ihre Unterstützung des Anschlusses an Russland bestraft. Und — wenig überraschend — findet diese Diskriminierung in deutschen Medien nicht statt. Sie passt nicht ins Narrativ.
Neue Frames statt endlich Journalismus
Die Diagnose ist deutlich: Die etablierten deutschen Medien sind bei ihren Berichten über die Krim seit 2014 nur marginal an den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort interessiert. Sie bedienen ein russlandfeindliches Narrativ und müssen dazu die positive Gesamtentwicklung der Halbinsel ins Unkenntliche verzerren.
Wenige Negativaspekte werden zu monströser Größe aufgeblasen, während viele gute Entwicklungsschritte ignoriert, kleingeredet oder ebenfalls ins Negative gedreht werden. Mit Journalismus hat dies nichts zu tun. Das muss klar betont werden — auch wenn all dieser Zynismus unserer Massenmedien mittlerweile schon zum Normalzustand geworden ist.
Die Propagandamacher bleiben dabei nicht statisch, sondern passen ihr Framing bei Bedarf an. So lassen sich die — durch Kiew verursachte — Armut und Baufälligkeit der Krim nach den massiven russischen Investitionen inzwischen nicht mehr negativ gegen Moskau auslegen. Deshalb gibt es neue Spins. Etwa diesen: Die Süddeutsche Zeitung spricht bei der Krim nun von einem Milliardengrab und „wirtschaftlichem Desaster“ für Russland. Andernfalls hätte es eben geheißen, Moskau lasse die Bewohner in ihrem Elend dahinvegetieren und die Infrastruktur verfallen. Die zynische Argumentation macht deutlich, die Menschen vor Ort und ihr Lebensniveau interessieren diese Journalisten und deren ukrainische Stichwortgeber überhaupt nicht, sie dienen nur als Instrumentalisierungsobjekt.
Deutsche glauben den Leitmedien trotzdem
Doch bei allem Glaubwürdigkeitsverlust bleibt die Wirkmächtigkeit der geballten Medien-PR weiterhin erschreckend hoch. Krimbesucher berichteten, dass die Menschen aus ihrem privaten Umfeld in Deutschland der medialen Berichterstattung weiterhin Glauben schenken und das auch direkt gegen die Vor-Ort-Erfahrungen der Urlauber. „Da muss ja was dran sein, wenn die das alle schreiben. Nur weil Du keine Panzer gesehen hast, bedeutet das ja nicht, dass da keine sind“, fasst Gert-Ewen Ungar die Reaktionen zusammen.
Und Ernst-Ludwig Drayss ergänzt:
„Viele haben mir nicht geglaubt. Es gibt überall dramatische Vorurteile. Meine Bekannten glaubten, das Land ist besetzt und da laufen überall Leute mit Kalaschnikows rum. Das ist völliger Unsinn. Und sie glaubten, die Krimbewohner, die uns Gutes erzählt haben, wären vom KGB gewesen.“
Die Medienmacht des Mainstreams ist weiterhin stark genug, durch stereotype Negativberichte in Dauerschleife ein festgefügtes Bild in die Köpfe der Mehrheit zu pflanzen, an dem selbst anderslautende reale Erfahrungen von Freunden und Bekannten wenig ändern können.
Doch statt mit dieser pessimistischen Selbstbespiegelung aus deutscher Sicht zu enden, können wir uns auch mit und für die Menschen auf der Krim freuen, dass sie in Frieden leben können und dass es ihnen in Wirklichkeit weitaus besser geht, als es unsere Medien berichten. Tatsächlich wäre es andersherum viel schlimmer.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukrainesicherheit/201946
(2) Drayss verwaltete vor seiner Rente als Portfolio-Manager Gelder von Zentralbanken und Versicherungen, erklärt er im Gespräch. Deshalb war er schon während seiner Berufstätigkeit häufig in Osteuropa, etwa in Russland und der Ukraine. Er initiierte unter anderem eine Unesco-Kulturpartnerschaft zwischen Deutschland und Armenien und ist bis heute sehr oft in postsowjetischen Ländern unterwegs. Weil auf der Krim so viele Kulturen zusammentreffen, interessierte ihn auch die Halbinsel so sehr, dass er sie besuchen wollte. Er sei „kein Putinfreund“, aber seine Eindrücke und die Eindrücke seiner Mitreisenden seien genauso positiv überraschend gewesen, wie er diese in seinem Reisebericht schilderte, betont er — allein die Aufführung eines Michael-Jackson-Musicals in Sewastopol widersprach schon völlig den Erwartungen. Es habe nicht die geringsten Einschränkungen auf der Krim gegeben. Die Reise sei für ihn ein „Aha-Erlebnis“ zum Thema Medienrealität gewesen.
(3) Tiede und seinem Kameramann gelang es merkwürdigerweise nicht, die menschenleeren Strände zu filmen, auch trauten sich Tiede zufolge die kritischen Krimbewohner nicht, ihren Ärger vor der Kamera zu äußern. „Der russische Geheimdienst ist wieder überall“, so der Chefreporter. Nun ja, immerhin gelang es ihm und seinem Kameramann, Interviews mit vollbusigen Strandschönheiten in Bikini und Nahaufnahme zu führen — Bild-Reporter können eben nirgendwo aus ihrer Haut. Diejenigen Interviewpartner, die namentlich zitiert werden, sind auch im Bild-Artikel alle für die russische Eingliederung der Krim. Tiede bezeichnet sie als „Russen-Patrioten und Pflicht-Touristen“. Nur eine Kioskbetreiberin von der Westküste, die ihr Geschäft fernab der Touristenströme hat, sagt, die Saison laufe schlecht. Übrigens ist Tiede im September auf die Krim gereist, also außerhalb der russischen Hauptsaison, die sich über die dreimonatigen Sommerferien von Juni bis August erstreckt. Sieht man sich die Daten anderer Reportagen an, scheint die Reise in der Nebensaison ein gern genutztes Mittel deutscher Mainstream-Journalisten zu sein, um „leere“ Strände zu entdecken. Substanzielle Kritikpunkte des Bild-Textes drehen sich darum, dass kaum jemand auf der Krim Englisch spricht, dass hier seit 2014 alle McDonald’s-Filialen geschlossen sind und dass es dort „keinen Westen, dafür ganz viel Osten“ gibt. Was immer dieser Satz bedeuten mag, er sagt mehr über dessen Autoren als über die Krim aus. Warum erwartet eigentlich jemand, viel Westen zu entdecken, wenn er in den Osten fliegt? Im üblichen Bild-Zeitungs-Jargon und mit kaum verhohlenem Rassismus schreibt Tiede abwertend und unterschiedslos von Russen als „Terroristen“, von „verrückter Russen-Welt“, von „Russen-Wahn in Reinkultur“ und anderem „Russen-XY“. Der anti-russische Rassismus gehört inzwischen wieder zum guten Ton in der deutschen Medienlandschaft, wie Ulrich Teusch in seinem neuen Buch „Der Krieg vor dem Krieg“ beschreibt. So gehört dann auch die Bild-Zeitung mit ihrem traditionellen Russland-Hass mittlerweile zu den Guten der deutschen Medienszene, ja quasi schon zu den Qualitätsmedien, und wird auch deshalb vom allgemeinen „Kampf gegen rechts“ ausgenommen. Doch selbst Tiede kommt zum Ende des Videos nicht umhin, die Menschen auf der Krim als „sehr sehr nette Leute“ zu bezeichnen. Der omnipräsente russische Geheimdienst war übrigens auch so nett und ließ Tiede und seinen Kameramann auf die Halbinsel nicht nur einreisen, sondern unbeschadet mit dem kritischen Recherchematerial auch wieder ausreisen.
(4) Wer den kompletten Artikel wegen der Bezahlschranke auf Zeit.de nicht lesen kann, findet ihn auch hier auf der Website des Autors.
(5) Michail Schischkin, der seit 1995 in der Schweiz lebt, hat diese Sätze in seinem neuen Buch „Frieden oder Krieg? Russland und der Westen — eine Annäherung“ auf Seite 185 geschrieben. Neben ihm ist der frühere ARD-Moskau-Korrespondent und WDR-Intendant Fritz Pleitgen Autor des Buches. Die Kapitel darin hat jedoch immer nur einer der beiden Autoren verfasst, so dass die Worte über die Krim eindeutig Schischkin zuzuordnen sind.
(6) So schreibt der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow 2016 in der Zeit, dass „hunderttausende Ukrainer“ auf die Krim in den Urlaub fahren und damit „freudig“ ihr Vaterland verraten. In vielen anderen deutschen Medienberichten heißt es jedoch, aus der Ukraine mache fast niemand mehr Urlaub auf der Krim. Bezeichnet Thomas Franke im Deutschlandfunk den Bau der damals noch nicht fertigen Krimbrücke als „ABM-Maßnahme“ für die Einheimischen, so schreibt Zeit-Autor Boris Schumatsky, auf der ganzen Baustelle gebe es „kein einziges russisches Gesicht“, sondern nur Gastarbeiter aus Zentralasien. Schumatsky — ganz distinguierter Intellektueller — rümpfte bei seinem Krimbesuch übrigens auch die Nase über den allgegenwärtigen Geruch frittierter Fleischteigtaschen, russisches Fast-Food. Erinnert sei hier an seinen volksnahen Bild-Kollegen Tiede, der hingegen Fritten und Burger von McDonald’s vermisste. Wahnsinn, was alles als Kritik herhalten muss, wenn man unbedingt kritisieren will.
(7) Selbst der Annexions-Gegner Sergej, den die Tagesthemen in diesem Bericht präsentieren, sagt (ca. bei 2:00) die Ukraine habe die Krim verhöhnt, es sei nie Geld aus Kiew gekommen, mit Grundstücken wurde geschachert, es wurde nicht in die Kurorte investiert.
(8) Die Reise hatte übrigens ein juristisches Nachspiel. Die WOG, die baden-württembergische Städtepartnerschaften mit Orten auf der Krim pflegt, wurde auf Betreiben der Deutschen Botschaft in Moskau vom deutschen Wirtschaftsministerium angezeigt. Der angebliche Verdacht habe darin bestanden, dass die WOG eine touristische Gruppenreise mit Gewinnerzielungsabsicht organisiert habe — eine Handlung, die unter die Anti-Russland-Sanktionen falle. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren „wegen Unschuld“ jedoch ein. Näheres zu diesem Fall findet sich in diesem Schreiben der WOG an den deutschen Botschafter in Moskau. Es sei eine „unglaubliche Erkenntnis“, dass deutsche Diplomaten, die eigentlich für konsularischen Schutz ihrer Landsleute zuständig sind, städtepartnerschaftliche Reisen von Ehrenamtlern zur Völkerverständigung kriminalisieren, so die WOG. Fazit: Auf diese Art „konsularischen Schutzes“ könne man gut und gern verzichten.
(9) Auch eine Honigverkäuferin in Simferopol trifft solch eine Aussage. Die Frau wird zitiert in diesem Deutschlandfunkbeitrag von Gesine Dornblüth. Der Text gehört noch zu den ausgewogensten Krimberichten im deutschen Medien-Mainstream. Die Autorin zeigt in diesem Kommentar zeitgleich aber, dass sie auch herzlich einseitig sein kann.
(10) Als punktgenaue Bestätigung der Worte Ungars mögen interessierte Leser den arrogant-zynischen Leitartikel des Chefkorrespondenten der Saarbrücker Zeitung Werner Kolhoff zum fünften Jahrestag der Krimabspaltung lesen. Dort schreibt er: „Für die Bewohner der schönen Halbinsel hat das harte Folgen. Ihnen werden sehr viele Chancen der wirtschaftlichen und touristischen Entwicklung entgehen. Sie werden auf lange Zeit nur Russland haben, und sonst niemanden. Aber sie haben mit ihrer einseitigen Volksabstimmung vor fünf Jahren diesen Weg der Konfrontation mehrheitlich selbst gewählt.“ Wenn man sich zum Schreien unlogische Wortschöpfungen wie „einseitige Volksabstimmung“ anschaut, versteht man schnell, welchem Demokratieverständnis Journalisten wie Werner Kolhoff, übrigens ein ehemaliger SPD-Politiker folgen.
(11) Der Deutschlandfunk zitierte eine Vertreterin eines bewaffneten Krimtataren-Bataillons in der Ukraine, die sagte, die Einwohner der Krim hätten sie selbst gebeten, ihnen Strom, Wasser und Lebensmittel abzudrehen. Die Militäranalysten Ralf Rudolph und Uwe Markus schreiben in ihrem Buch über die Krim (Seite 33), dass die Hackergruppe Anonymous Ukraine bereits im Januar 2014 die E-Mail-Korrespondenz eines hohen Medschlis-Vertreters und eines Anführers des Rechten Sektors veröffentlicht habe. Darin werde die bewaffnete Zusammenarbeit beider Gruppierungen bestätigt.
(12) Dazu gehören auch extrem übertriebene Äußerungen anderer Akteure wie etwa des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk, der im Deutschlandfunk sagte, die Krimtataren würden verfolgt „fast wie zu Stalin-Zeiten“. Auch die Einseitigkeit und Undifferenziertheit der Landeszentrale für Politische Bildung in Baden-Württemberg zum Thema Krimtataren ist sehr bedenklich. Dort ist zu lesen: „Die Position der Krimtataren ist eindeutig: Sie stehen geschlossen zum ukrainischen Staat und sprechen sich gegen den Anschluss der Krim an Russland aus. Die Krimtataren, die auf der Halbinsel geblieben sind, haben es mit der russischen Besatzung schwer.“
Literatur:
Nikita Afanasjew: König, Krim und Kasatschok. Auf der Suche nach dem Russland meines Vaters. München, 2018.
Katharina Füllenbach: Krim. Notizen zu einer Reise im Herbst 2017. Hamburg, 2017.
Fritz Pleitgen, Michail Schischkin: Frieden oder Krieg. Russland und der Westen — eine Annäherung. München, 2019.
Ralf Rudolph, Uwe Markus: Die Rettung der Krim. Berlin, 2017.