Anleitung zum Systemwechsel

So wie es ist, kann es nicht bleiben — eine Überlegung zum Ausstieg aus dem Kapitalismus und zum Beginn von etwas Neuem. Teil 3/3.

Interessen sind stärker als Ideen. Es gibt viele gute Konzepte für eine andere Welt jenseits des Kapitalismus. Was es aber nicht gibt, ist ein Plan zur Durchsetzung dieser Ideen. Denn einflussreiche Kräfte stellen sich dem entgegen, was ganz offensichtlich für die überwältigende Mehrheit der Menschen das Beste wäre. Die Frage ist, was sich aus den bisherigen Erfahrungen politischer Parteien, sozialer Bewegungen und aus dem politischen Engagement von Menschen lernen lässt und wie daraus ein Plan für den Ausstieg aus dem Kapitalismus abgeleitet werden kann. Der Autor gibt zunächst einen Überblick über meist wenig erfolgreiche Umgestaltungsversuche der Vergangenheit. Er stellt dann die Frage: Woran hat es gehakt und was können wir in Zukunft besser machen? Teil 1 finden Sie hier, Teil 2 hier.

Zu Beginn geht es wieder auf Zeitreise. Es ist Mai 2012, als die Frankfurter Innenstadt und das Bankenviertel für ein verlängertes Wochenende komplett lahmgelegt werden. Das Bündnis Blockupy hatte ein Wochenende des Protests organisiert, um gegen das außer Kontrolle geratene Finanzsystem auf die Straße zu gehen. Ein Camp, Aktionen des zivilen Ungehorsams, Blockaden, Veranstaltungen und eine abschließende große Demonstration am Sonntag zogen insgesamt mehrere Zehntausend Menschen an.

Einer, der zu einem der bekanntesten Protagonisten der im Vorjahr gestarteten globalen sozialen Bewegung geworden war, war dafür eigens nach Frankfurt angereist: Der US-amerikanische Anthropologe, Autor, Anarchist und Aktivist David Graeber war gekommen, um an den Protesten teilzuhaben und mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu treten. In einem großen, luftigen Raum auf dem Campus Bockenheim der Frankfurter Universität hatte Graeber zu einem Vortrag und einer Diskussion eingeladen.

Graeber startete seine Rede mit einem kurzen und anschaulichen Vergleich. Er bat die Anwesenden, sich eine Insel vorzustellen, die in der Mitte geteilt sei. Auf der einen Seite existiere eine kapitalistische Grundordnung. Manche Leute verfügten über Besitz, andere nicht. Nichts erhielte man dort ohne Vertrag, soziale Garantien gäbe es keine. Auf der anderen Seite herrsche ein anarchistisches Kollektiv, in welchem die Grundbedürfnisse aller Bewohner garantiert seien. Graeber lächelt verschmitzt, als er sich mit einer Frage an seine Zuhörer wendet:

„Aus welchem Grund sollten die Menschen, die nichts besitzen, auf der kapitalistischen Seite der Insel bleiben wollen?“

Für David Graeber, der im Jahr 2020 leider viel zu früh verstorben ist, stellten sich die Dinge oft recht einfach da. In wenigen Sätzen konnte er nicht nur bei dieser Gelegenheit mit einfachen Bildern überzeugen und vermeintlich komplizierte Dinge auf ihren wesentlichen Kern reduzieren. Durch seinen Vater, der am spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Anarchisten teilgenommen hatte, kam er schon früh mit dem Anarchismus in Berührung.

Die Welt ist keine zweigeteilte Insel, und ganz so einfach, wie Graeber es schildert, ist es dann natürlich doch nicht. Die andere Hälfte gibt es nicht. Wenn diese aber so verlockend ist, dann ist die Frage, ob sich nicht so eine Hälfte erschaffen lässt und auf welchem Weg das gelingen kann. Oder anders gefragt, ob sich nicht die gesamte Insel in eine gerechte und lebenswerte Welt transformieren lässt.

Jede lange Reise beginnt mit einem Ziel

Vom Kapitalismus oder, mit anderen Worten, von der freien Marktwirtschaft und von der Demokratie ist eine Vorstellung vorhanden. Selbstverständlich, muss man sagen, denn schließlich ist es das System, welches bereits existiert. Es gibt dabei verschiedene Ansichten von diesem in weiten Teilen der Welt vorherrschenden System, die mit Mythen umrankt oft im Widerspruch zueinander stehen. Im Detail ist dann doch vieles nicht so ganz klar, aber ob und wie es verstanden wird, spielt letzten Endes gar keine Rolle, denn offensichtlich funktioniert es ja — irgendwie zumindest.

Wovon keine Vorstellung existiert, ist, wie es grundsätzlich anders funktionieren könnte. Es gibt keine weit verbreitete Idee, wie man eine Gesellschaft, wie man Politik und wie man Ökonomie — zumal auf einer globalen Ebene — ganz anders, nicht kapitalistisch, sondern friedlich, gerecht und mit einer Teilhabe von allen organisieren könnte.

Wie aber soll man Millionen von Menschen davon überzeugen, sich auf den Weg zu machen, wenn gar nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll? Schlimmer noch muss man dann ja befürchten, dass man überhaupt nirgendwo ankommt und ins Leere läuft. Es mag schon noch gelingen, viele Menschen davon zu überzeugen, dass das Hier und Jetzt nicht so ganz das Wahre ist. Wenn aber so gar keine Vorstellung davon vorhanden ist, wie es auf der anderen Seite der Insel ausschauen könnte, dann will sich die Reisegesellschaft nicht so recht bilden. Und so ganz klein darf diese Gruppe nicht sein, wenn das was werden soll.

Die vagen Ideen vom Sozialismus und von der kommunistischen Gesellschaft haben einmal genügt, um massenweise Menschen zu mobilisieren. Die anschließenden Versuche, eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen, sind jedoch gescheitert, und es ist mehr als fraglich, ob ein neuer Anlauf, der nur viel verspricht, aber wenig klärt, eine neue Attraktivität entfalten kann. Ohnehin hat sich der gewählte Weg mithilfe von Partei und Staat als Irrweg erwiesen, der sicher nicht zur Wiederholung einlädt. Es wird anders gehen müssen.

Eine utopische Welt

Bei der Ausbreitung des folgenden Gedanken wird es persönlich. Nach einer längeren Beschäftigungsphase mit dem Kapitalismus, mit der Ökonomie, mit der politischen Ordnung und mit verbundenen Fragen wie der Organisation von Macht habe ich mich gefragt, wie denn eine bessere globale Ordnung ausschauen könnte. Die Überzeugung von der Möglichkeit einer anderen Welt hatte ich schon lange, aber die Frage „Wie genau?“ war für mich unbeantwortet und interessierte mich.

Das also habe ich gemacht: Ich habe mir skizzenhaft eine andere gesellschaftliche Ordnung auf globaler Ebene überlegt, die auf ganz anderen Prinzipien als die kapitalistisch geprägte Ordnung beruht, nämlich auf Kooperation statt auf Konkurrenz, mit einer Orientierung am Bedarf und nicht am Profit, mit der Beschränkung von Macht statt einer grenzenlosen Anhäufung, friedlich statt kriegerisch und ohne Grenzen anstatt mit Staaten und Nationen. Was Utopisches halt.

Ich sehe den Menschen als ein Wesen, dessen Eigenschaften ein breites Spektrum umfassen, die ganz einfach gesprochen von sehr schlecht bis sehr gut reichen. Gewiss ließe sich das auch anders betrachten, und man könnte sagen, dass es weder schlechte noch gute, sondern natürliche Eigenschaften sind und dass ja auch die Aggressivität beispielsweise etwas durchaus Positives hat. Es kommt eben auf die Umstände an. Evolution ist noch so ein Stichwort. Aber darum geht es hier nicht. Es gibt eine Reihe von menschlichen Eigenschaften, die für das Zusammenleben in Gemeinschaft nützlicher sind als andere, und manche Eigenschaften sind sogar schädlich.

Es ist auch ohne ein genaueres Hinschauen relativ schnell klar, dass die umgebende soziale Ordnung und das eigene Umfeld den Menschen prägen. Wer in einer friedlichen, gewaltfreien Umgebung aufwächst, in der alles im Überfluss vorhanden ist, der wird ein anderer Mensch werden als jemand, der in einer von andauerndem Krieg, von Tod, Elend, Mangel und Gewalt geprägten Gesellschaft aufwächst.

Entsprechend wird eine politisch-ökonomische Ordnung, die die Menschen voneinander isoliert, die den Wettbewerb und den Konkurrenzkampf betont, dabei die marktgerechte Selbstoptimierung propagiert und die eine gesellschaftliche Teilhabe nur gegen Geld und mehr oder weniger unfreie Lohnarbeit gestattet, menschliche Eigenschaften befördern, die weniger sozial sind.

Der Mensch erscheint dann als grundsätzlich egoistisches Wesen. Und natürlich ist der Egoismus charakteristisch für den Menschen. Das ist ja auch durchaus eine evolutionär sinnvolle Eigenschaft. Er ist aber nicht nur egoistisch. Er kann auch äußert selbstlos sein. So selbstlos, dass er sich selbst schadet. Er ist auch empathisch, solidarisch und kooperativ. Das Spektrum ist in viele Richtungen weitreichend. Beim Entwurf einer besseren als der gegenwärtigen Welt geht es auch darum, etwas zu erdenken, was die für ein Leben in Gemeinschaft besseren menschlichen Eigenschaften fördert und die schlechteren einhegt, also beispielsweise den Drang zur Macht durch die Unmöglichkeit der Ansammlung von Macht verhindert und die Kooperation fördert, weil das gesamte ökonomische System danach ausgerichtet ist.

Am Anfang steht die Idee

Für mich war die Frage „Wie genau?“ so wichtig, dass ich nach einer Antwort gesucht habe. Es ist dabei nicht die einzige Antwort, sondern nur eine, die in dieser Form vielleicht möglich ist. Die Gemeinwohlökonomie von Christian Felber geht in die Richtung, eine andere Form einer menschlichen Gesellschaft zu denken. Sie erscheint auf den ersten Blick wie eine hybride Mischung aus der gegenwärtigen und einer möglichen zukünftigen Welt. Ein anderes Beispiel ist ein Text von Christian Siefkes. Vor nicht ganz zehn Jahren habe ich eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung von Christan Siefkes besucht. Er hat dort über Commons gesprochen. Ich bin an der Stelle auf seine utopische Skizze „Freie Quellen oder wie die Produktion zur Nebensache wurde“ (1) gestoßen.

Auch dieser Text geht in die Richtung, eine andere Welt ein wenig konkreter auszumalen, und verschafft damit eine Vorstellung davon, wie es sein könnte. Der Text von Siefkes betont unter anderem die technologische Entwicklung als Möglichkeit zu einer besseren Welt. Eine solche Komponente spielt hingegen in der von mir erdachten Skizze kaum eine Rolle. Stattdessen habe ich über ein gesamthaftes Konzept für eine globale politische und ökonomische Struktur nachgedacht. Der vielleicht wesentlichste Unterschied der beiden Entwürfe ist die Verwendung von Geld. Bei Siefkes gibt es kein Geld mehr, bei mir ist es als Verrechnungseinheit Mittel zum Zweck — Missbrauch systematisch ausgeschlossen.

Ich denke, dass solche konkreter werdenden Entwürfe einer anderen Welt wichtig sind, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Es gibt jenseits der drei genannten sicher noch eine Reihe mehr, die auf Entdeckung warten. Sie alle können die Diskussion darum bereichern, wie eine andere Welt ausschauen könnte. Das ist nicht nur für diejenigen interessant, die sich die Frage „Wie genau?“ stellen, sondern kann auch bei der Vermittlung helfen, wenn man sagt, dass eine andere Welt möglich ist. Man weiß dann, dass es etwas gibt, dass es mehreres gibt, was diese Welt beschreibt und wo man sagen kann: „Da, schau her.“

Ich denke auch nicht, dass solche Entwürfe schädlich sind, solange sich niemand hinstellt und sagt, dass es genau so und nicht anders sein muss. Zudem ist missionarischer Eifer fehl am Platz, wenn es um die Vermittlung einer alternativen Gesellschaftsform geht. Mit Blick auf solche im weitesten Sinne utopischen Skizzen ist ohnehin völlig klar, dass sie eine zukünftige Welt nicht im Detail vorwegnehmen. Die Vorstellung, dass es genau so werden wird, ist abstrus.

Man kann diese Entwürfe als Sammlung von Ideen betrachten, die mögliche Welt- und Zielbilder vermitteln. Die Praxis, die Annäherung, das Ausprobieren bestimmen den Werdegang, wie überhaupt die weitere Entwicklung der menschlichen Gesellschaft im Prozess und nur stückweise vonstatten gehen wird. Und so, wie sich dieser Prozess fortsetzt und entwickelt, so werden sich auch die Ideen und Zielbilder von einer anderen Welt verändern und anpassen.

Konsens über utopische Kernelemente

Das wirklich Interessante an den Entwürfen alternativer bis hin zu utopischen Welten sind nicht die Entwürfe selbst. Sie sind weniger wichtig. Interessant ist das, was sie gemeinsam haben. Es geht darum, die Kernelemente zu identifizieren und hervorzuheben. Mit der gefestigten Überzeugung, dass eine andere Welt möglich ist, sind es dann die Kernelemente, die eine andere Welt beschreiben und die in der Vermittlung dieser anderen Welt im Zentrum stehen. Es müssen nicht die folgenden sein, aber in Teilen könnten sie es sein.

Wer wie ich dem Anarchismus nicht abgeneigt ist, der wird die Herrschaftsfreiheit schon dabeihaben wollen. Ein Kernelement könnte also die vollständige Herrschaftsfreiheit sein. Die Abwesenheit von Herrschaft bedeutet nicht, keine Organisation zu haben.

Natürlich braucht es die Organisation von Gesellschaft und von überhaupt allem. Es braucht eine Ordnung, ein System. Es ist bei einem System, das die Macht beschränkt, naheliegend, die Strukturen der Organisation auf die lokale Kommune zu konzentrieren. Ein System lokaler Räte zur Selbstverwaltung wird damit zu einem weiteren Kernelement.

Die Produktion und die Verteilung nach dem Bedarf ist bereits mehrfach genannt worden. Das könnte ebenfalls ein zentraler Baustein sein. Die Sicherung der Grundbedürfnisse aller Menschen gehört selbstverständlich auch mit dazu. Kooperation statt Konkurrenz wird auch nicht vergessen, und — das fehlt noch, folgt aber fast schon aus der Beschränkung von Macht in jedweder Form — die Sache mit dem Eigentum ist ebenfalls so eine Sache. Muss es mehr sein als das Häuschen mit Garten und die Dinge, die darauf und darin sind? Ich wüsste nicht, wieso. In der Form sollte es genügen. Das Sammeln von Dingen muss ja nicht wieder zum Wettbewerb werden.

Es beginnt mit der Bewusstseinsbildung

Ein anderer Ort, eine andere Zeit, eine andere Diskussionsveranstaltung: Nach dem Vortrag beginnt eine lebendige Diskussion. Auch ich beteilige mich wieder und äußere eine Idee, wie es gehen könnte und was zu tun wäre. Aus dem Durchgang in der Ecke ganz am Ende des Raumes höre ich in einem kurzen Moment der Stille eine fast flüsternde Stimme als Antwort. Eine junge Frau, schmal, vielleicht Anfang zwanzig, mit einer Kapuze über dem Kopf, die ihr Gesicht im gedämmten Licht des halbdunklen Raums nur als dunklen Schatten erkennen lässt, sagt: „Es ist die Bewusstseinsbildung.“

Diese Szene ist mir im Gedächtnis geblieben, und auch wenn mich die Erinnerung nach langer Zeit trügen könnte, so gefällt mir diese Version der Geschichte. Diese Einsicht, die für mich damals vielleicht noch keine war, ist zu einer gereift, die ich teile. Es beginnt mit der Bewusstseinsbildung. Das ist sehr mühselig, aber wenn man viele Menschen erreichen und auf dem Weg mitnehmen will, dann wird es viel anders kaum möglich sein. Wir sind an dieser Stelle wieder bei Chomsky und erinnern uns an die von ihm gegebene Antwort darauf, was zu tun ist und was man machen kann, um politisch wirksam zu werden.

Zur Bewusstseinsbildung, will man sich auf den Weg zu einer ganz anderen Gesellschaft machen, gehört zweierlei. Erstens die Kritik des Bestehenden und zweitens ein Verständnis dessen, wohin die Reise stattdessen gehen könnte. Der zweite Punkt ist zuvor schon ausgeführt worden. Bevor man aber überhaupt zu neuen Ufern aufbricht, muss mehr Klarheit darüber geschaffen werden, warum das sinnvoll ist. Wie das? Wenn kein Übel erkannt wird, dann gibt es auch keine Notwendigkeit zum Aufbruch. Man muss nicht jeden und jede überzeugen, und erzwingen passt nun auch nicht. Ein wenig Aufklärungsarbeit darf aber versucht werden.

Es erscheint aber doch etwas anders. Es gibt ein weit verbreitetes Unbehagen und eine mal mehr, mal weniger deutliche Erkenntnis, dass das bestehende System nicht gut ist. Die Ungleichheiten und vielfachen Zerstörungen von Mensch, Tier und Natur sind offenkundig, werden wahrgenommen und auch mit der kapitalistischen Grundordnung und den Mängeln der demokratischen Repräsentation in Verbindung gebracht. An der Stelle geht aber noch einiges mehr. Die Kritik am Kapitalismus kann in der Breite noch viel gründlicher erfolgen und erst auf diesem Weg zu einem tieferen Verständnis und zu einem sich dadurch ausbildenden Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Änderung führen. Dies ist der Teil, den man auch als Aufklärungsarbeit bezeichnen kann.

Wer dann immer noch meint, dass es so, wie es ist, gut ist und dass es anders nicht besser gehen wird, der behält das Recht auf seine Ansicht.

George Orwell, ein weiterer Teilnehmer am spanischen Bürgerkrieg aufseiten der Anarchisten, meinte irgendwann in der Zeit zwischen 1933 und 1945 sinngemäß, dass die Sozialisten zu viel um sich selbst gekreist seien und es versäumt hätten, noch mehr Sozialisten zu machen.

Der Punkt verdient in jedem Fall Beachtung, wenn wir an die Bewusstseinsbildung und an den Gewinn von Gleichgesinnten denken. Andererseits wird man — sicher im Hier und Jetzt — den absolut größten Teil der Menschen nicht erreichen und auch nicht dazu bewegen können, sich woandershin auf den Weg zu machen.

Ich meine, dass das Verhältnis ausgewogen sein muss. Wo man überzeugen kann, da ist es gut. Wo das nicht gelingt oder nicht geht, da muss auch Platz sein, dass andere Sichtweisen gelten können. Wer ausbrechen will, wen die Sehnsucht nach Veränderung antreibt und wer zusammen mit anderen — aus welcher Motivation heraus auch immer — etwas Neues und ganz anderes schaffen will, der soll genau das versuchen. Einen Zwang, mitzugehen, sollte es nicht geben. Umgekehrt darf denjenigen aber, die sich auf den Weg machen wollen, dies nicht verwehrt werden. Dieser Anspruch alleine wird Widerstände, die in den Blick zu nehmen sind, nicht verhindern. Konkret noch einmal: Wenn der Weg in eine andere Welt keine Flucht auf eine fast einsame Insel werden soll, während sich ansonsten nichts ändert, dann braucht es viele Menschen.

Bildet Banden!

Wir sind schon wieder bei Chomskys Antwort und erinnern uns: Der Mensch muss heraus aus seiner Isolation, sich mit Gleichgesinnten zusammentun, um sich dann zu engagieren. In ihrer Suche nach einer neuen Strategie haben Teile der radikalen Linken in Deutschland den Stadtteil, also den Ort vor der eigenen Haustür, als geeigneten Ort zur politischen Einmischung mit dem Ziel einer gesellschaftlichen Emanzipation ausgemacht. Der Gedanke, die politische Verantwortung zur Selbstverwaltung auch in der fernen Zukunft in der Kommune vor Ort zu haben, passt gut dazu, selbst wenn die Bedingungen für die politische Selbstverwaltung heute noch nicht gegeben sind.

Weiterhin passt gut dazu, dass das langfristige Ziel die Transformation der gesamten Gesellschaft ist, es also den Wandel an allen oder doch an vielen Orten erfordert, und warum also nicht — ganz naheliegend — vor der eigenen Tür und im eigenen Umfeld damit beginnen? Die Kommunistische Partei Italiens formulierte bildhaft eine ähnliche Strategie zur Verbreitung und Machtübernahme, die gut zum stark von der katholischen Kirche geprägten Land passte: „Eine Parteigruppe für jeden Kirchturm“.

Die Herausforderung ist gleich zu Beginn schon groß. Schon Mills schrieb über die Vereinzelung der Menschen in der Großstadt und verband die Konzeption der Machtelite mit der Konzeption der Massengesellschaft, die für ihn untrennbar zueinander gehörten. Heute, nach Jahrzehnten im neoliberal geprägten Kapitalismus, haben sich diese Tendenzen noch erweitertet und verfestigt.

Wenn man den Nachbarn von gegenüber, mit dem man Tür an Tür seit 20 Jahren lebt, noch nicht einmal dem Namen nach kennt, dann ist es schwierig, ins Gespräch zu kommen, geschweige denn „Banden zu bilden“. Auch dieser Schritt steht also am Beginn, und es macht nicht so den Unterschied, ob man sich lokal vor Ort oder in einem anderen Kontext zusammenfindet; es wird zu Beginn schwierig sein, überhaupt wieder mit Menschen in Kontakt zu treten und Verbindungen zu schaffen.

Der Mensch ist aber ein soziales Wesen und am produktivsten in der Gemeinschaft. Und die Qualität des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit ist noch eine ganz andere, wenn dies von Angesicht zu Angesicht stattfindet. Nach über zwei Jahren, während derer das virtuelle Leben und Arbeiten einen sehr großen Raum eingenommen hat, muss man das noch einmal betonen: Gemeint ist die Zusammenkunft in physischer Präsenz.

Mills gibt uns dazu passend noch mehr an die Hand für das Funktionieren einer Demokratie und zeigt dabei auf, wie man sich den Tendenzen der Massengesellschaft, der Isolation und der Unmündigkeit widersetzen kann. Er verweist auf die Konzeption der Öffentlichkeit in der klassischen Vorstellung von der Demokratie im 18. Jahrhundert. Demnach soll die Öffentlichkeit aus unabhängigen Diskussionsgruppen bestehen, in denen der politische Meinungsbildungsprozess stattfindet. Die unzähligen Diskussionsgruppen werden durch wendige und rührige Personen miteinander vermischt und Ansichten von einem Kreis zum anderen getragen. Eine Fortsetzung finden diese Diskussionen dann im Parlament. Auf diesem Weg entspringt die Autorität aus der Gesellschaft als Ganzes (2).

Utopische Projekte in der Nachbarschaft

Wenn wir die vorstehenden Überlegungen kurz zusammenfügen und um die praktische Transformation in den Rissen und Nischen des Systems ergänzen, dann könnte eine Strategie darin bestehen, lokale Gruppen zu bilden, die in der Diskussion das Bestehende einer kritischen Sichtweise unterziehen und sich gleichzeitig dem Neuen nähern. Darüber hinaus könnten konkrete Projekte vor Ort verfolgt und überlegt werden, was man vor Ort machen kann und möchte. Bleibt es bei einer Diskussionsrunde? Tritt man in die Öffentlichkeit? Wie leistet man Aufklärungsarbeit? Eröffnet man ein Stadtteilcafé als Treffpunkt oder gründet und engagiert man sich gleich in einem nichtkapitalistisch organisierten Betrieb? Ein anarchistischer Buchladen könnte beispielsweise ein bürgerlich geprägtes Viertel schöner gestalten.

Es geht darum, das Zukünftige schon im Hier und Jetzt mit Leben zu füllen. Man wird dann feststellen, dass die Anarchie — oder was immer man dann auch ausprobiert — auch so ihre Tücken hat.

Ein weiterer Punkt ist die Vernetzungsarbeit. Wer sich schon einmal politisch außerhalb des etablierten Betriebs engagiert hat, weiß, dass die überkommunale Vernetzung einen zusätzlichen Aufwand in einer ohnehin schon belasteten Situation darstellt. Nicht immer ist sie zudem fruchtbar. Die überregionale Verbindung aber ist im digitalen Zeitalter keine so ganz große Hürde mehr, und im Grunde genügt es, voneinander zu wissen. Vielleicht teilt man auch Wissen miteinander. Viel mehr muss es am Anfang gar nicht sein. Alles andere wird sich finden, aber der Netzwerkaufbau selbst — auch international gedacht — muss mitgedacht und betrieben werden.

Die Verbreitung von Ideen

Die Sache kann auch von der anderen Seite noch einmal betrachtet werden, indem man darauf schaut, wie Ideen, Vorstellungen und Ideologien von oben, also von elitärer Seite, vermittelt werden. Wir hatten schon angedeutet, dass über die Medien in wesentlichen Teilen die Sichtweise der Herrschenden transportiert wird. Ohne das an dieser Stelle differenzierter zu betrachten, lässt sich festhalten, dass die öffentlichen Diskussionen oft in einem sehr begrenzten Meinungsraum stattfinden und dass manche Diskussionen gar nicht erst geführt werden. Noch ein wenig anders, aber sehr effektiv, sind Kampagnen, wie die im zweiten Teil kurz beschriebene zur Verteidigung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Dimension und der gewaltige Mitteleinsatz bringen am Ende den Erfolg.

Es gibt bei den genannten Kampagnen einen Ansatzpunkt, der sich auch an anderer Stelle findet. Die Frage, wie man Ideen verbreitet, hat auch die Vordenker des Neoliberalismus in der Mont Pèlerin Society beschäftigt. Der Gedanke war, in den Institutionen Fuß zu fassen, um von dort aus die Ideen weiterzuverbreiten. Auf den Bildungseinrichtungen, dem wissenschaftlichen Betrieb, den Universitäten und Schulen lag ein besonderer Schwerpunkt.

Der Begriff der Institutionen lässt sich aber noch viel weiter denken und auf den politischen und auch auf den wirtschaftlichen Bereich ausdehnen. Man kann also politische Stiftungen oder Vereinigungen auf nationaler oder lokaler Ebene damit bekanntmachen oder bei Unternehmensverbänden vorsprechen. Auf diese Weise lässt sich ein Netzwerk von Multiplikatoren aufbauen, das tonangebend in den Institutionen ist und die Idee weitertragen kann. In diesen Zusammenhang passt gut, dass Chomsky mit Blick auf die Elite von der am stärksten indoktrinierten Schicht spricht.

Durch den Blick darauf, wie Ideen von oben durchgesetzt werden, schafft man eine Abgrenzung und Klärung, wie es andersherum, also von unten, gehen müsste. Die Mund-zu-Mund-Propaganda kann dafür als ein einfaches Bild dienen. Es geht dabei um den Austausch von Mensch zu Mensch, lokal vor Ort im Gespräch, so wie in den von Mills skizzierten Öffentlichkeitsgruppen, und dann aber auch virtuell und medial auf anderen Wegen, die ja ebenfalls zur Verfügung stehen. Ob man für die mediale vermittelte Diskussion auch — ganz „sportlich“ und bewusst — das „Feld des Gegners“ (3) betritt, ist noch eine andere Frage.

Hier mit Blick auf die etablierte Medienwelt von einer politisch gedachten Gegnerschaft zu sprechen, ist nicht unbedingt konstruktiv, hat aber eine gewisse Berechtigung, da die Ansichten nicht selten disjunkt erscheinen und sich im Widerspruch diametral gegenüberstehen, sodass man sich hüben wie drüben zu der Aussage verleiten lassen kann, auf der anderen Seite würden sich nur Idioten tummeln. Die Fronten sind verhärtet. Welchen Weg man dafür auch wählt, wird die Offenheit der Diskussion dabei sehr wichtig sein, will man mehr Menschen erreichen außer denen, die ihren Weg schon in die eigene Echokammer gefunden haben. Aus dieser muss man immer wieder ausbrechen.

Eigene Strukturen aufbauen und Freiräume schaffen

In den vorstehenden Überlegungen wird der Aufbau eigener und autonomer Strukturen betont. Dazu gehört auch, sich möglichst unabhängig zu machen — nicht nur gedanklich, sondern auch zeitlich und finanziell. Es braucht eine individuelle Bereitschaft zum Ausstieg aus dem Alten, um das Neue in Angriff zu nehmen. Es ist klar, dass das, was so einfach klingt, sehr schwierig zu realisieren ist, aber es muss kein abrupter und vollständiger Bruch sein. Ein Aus- und Einstieg kann auch sukzessive erfolgen. Ohnehin ist das immer von sehr individuellen Umständen abhängig und dementsprechend eine individuelle Entscheidung. Es ist aber ein Gedanke und Teil eines möglichen Wegs, sich zunehmend auf andere Strukturen zu konzentrieren.

Konkret in ökonomischer Form gedacht: Vielleicht habe ich die Möglichkeit, in einem nichtkapitalistischen Betrieb zu arbeiten oder mich dort einzubringen. Oder ich kaufe eben dort ein, wenn ich genau dieses Produkt oder diese Leistung gerade benötige, und nicht in der Filiale der nationalen Kette nebenan, die dazu noch Teil eines Großkonzerns ist.

Bevor der Plan nun gleich zusammenfassend geschmiedet wird, ein letzter Gedanke: Der Fokus mag auf dem Aufbau eigener Strukturen liegen und doch ist klar, dass das Neue im Alten beginnt oder, anders gesagt, dass eine systematische Transformation nur ausgehend von der bestehenden Ordnung möglich ist. Welche Rolle, ist dann die Frage, kann und soll die parlamentarische Demokratie, die ja formell den Schlüssel zur Macht bietet, einnehmen? Aus dem vorstehenden Text lässt sich nicht ableiten, dass es eine neue Partei braucht, die als Avantgarde den Weg in die neue Welt weist, um am Ende, wenn der Dienst getan ist, ihre Macht aufzulösen.

Bei der Verteidigung und bei der Gewinnung gestalterischer und demokratischer Freiräume kann es mehr als nützlich sein, wenn es politische und parlamentarische Kräfte gibt, die genau solche Möglichkeiten schaffen. Das kann im Einzelnen viele Formen annehmen. Eine würdige und schikanefreie finanzielle Existenzsicherung, die Reduzierung von Arbeitszeit und am allermeisten die Ausweitung demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten können sehr hilfreich sein. Dazu kann eine deutliche Verlagerung von politischen Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten — im Kapitalismus heißt das nicht selten auch Geld — in die Kommune gehören.

Volksentscheide über wesentliche politische Entscheidungen könnten dazu gehören sowie die Absetzung von missliebigen Politikern oder auch die Schaffung einer neuen gesetzgeberischen Institution auf der allerobersten Ebene.

Mir gefällt der Vorschlag, eine weitere politische Kammer zu schaffen, die am legislativen Prozess im wahrsten Sinne des Wortes entscheidend beteiligt und einfach per Losverfahren aus der Bevölkerung zusammengesetzt wird.

Wenn Politik für die Menschen gemacht wird, dann müssen diese auch immer verstehen, was warum gemacht wird, und eben in der demokratischen Öffentlichkeit mitreden können. Fehlende Expertise kann daher sicher kein Grund sein, der gegen die Besetzung per Zufall spricht.

Der Plan — eine Strategie zur Transformation

Für den Moment ist es genug gesponnen. Alles bis hierhin Entwickelte soll nun noch einmal zusammengefasst werden. Wenige weitere Gedanken kommen ausführend und als Ergänzung hinzu.

Es beginnt mit einer Idee, also mit einer Vorstellung davon, was das Ziel der Reise ist. Die andere Welt soll gedanklich entstehen und damit anschaulich und begreiflich werden. Im Vordergrund steht dabei weder dieser noch jener Entwurf, sondern es sind die Kernelemente, die es festzulegen gilt und über die eine Einigkeit erzielt werden muss. Nur dann lässt sich mit vereinten Kräften arbeiten, und wenn klar ist, wie das Ziel ausschaut und dass es erreichbar ist, können mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit mehr Zuspruch, Unterstützung und Teilhabe erzeugt werden. Zum Beginn gehört genauso die Bewusstseinsbildung, die einerseits eine Aufklärung und damit eine Kritik des Bestehenden enthält und anderseits die Alternativen mitdenken soll.

Das Bewusstsein bildet man dabei nur schwer im stillen Kämmerlein und für sich alleine; dort jedenfalls wird es nicht zu sehr viel führen. Die Transformation einer ganzen Gesellschaft, die Änderung der politischen und ökonomischen Ordnung, wird kein elitäres Projekt sein und kann auch nicht von einer klandestinen Gruppe bewerkstelligt werden. Die Änderung der Gesellschaft geht nur mit der Gesellschaft. Dafür müssen die Menschen wieder zueinanderfinden, Bezugsgruppen bilden, also in Kontakt miteinander treten, sich austauschen und gemeinsam an einer Sache arbeiten. Man muss heraus aus der Isolation und sich zusammenschließen.

Diese Gruppen, die am besten als lokale Gruppen vor Ort gedacht werden können, müssen eine Verbindung untereinander schaffen. Diese Vernetzung bedarf am Beginn keiner großen Intensität. Wichtig aber wird sein, die Transformation gleich auf der globalen Ebene zu denken. Das betrifft damit sogleich die Vernetzung wie auch den Austausch, und damit wird dann auch klar, dass die Idee im Sinne eines Zielbildes eines sein oder werden muss, das globalen Zuspruch — über die verschiedenen Kulturen hinweg — erhält.

Kann das überhaupt funktionieren? Diese Frage drängt sich fast schon auf, wenn man an die Vielfalt menschlicher Kulturen und menschlichen Zusammenlebens auf diesem Planeten denkt. Andersherum gedacht löst sich dieses Problem vielleicht, indem man fragt, ob die Menschen überhaupt so verschieden sind. Sind wir uns als Wesen in unseren Grundzügen nicht auch über die verschiedenen Kulturen hinweg sehr ähnlich, und sind es nicht die gleichen Grundbedürfnisse, die wir alle gemeinsam haben? Könnte darüber nicht eine globale Einigkeit erzielt werden?

Ich erinnere mich an die Bemerkung eines weltreisenden Paares, das auf einer langen Reise die ganze Welt umrundet und dabei mit vielen Kulturen und Menschen in Kontakt getreten ist. Eine Erkenntnis war, dass sich die Menschen im Grunde überall auf der Welt ziemlich ähnlich waren und man — nur ein positives Beispiel — Gastfreundschaft, Offenheit und Hilfsbereitschaft an jedem Ort der Erde in gleicher Weise findet. Dieser Gedanke macht Mut und hilft, wenn es darum geht, an eine Gesellschaft zu denken, die dann zu Recht als Weltgesellschaft oder auch als Menschheitsfamilie bezeichnet werden kann.

Die Idee als Zielbild, die Bewusstseinsbildung und die Bildung von Bezugsgruppen sollte durch die praktische Erprobung und Vorwegnahme des Neuen im Alten begleitet werden. Klar ist, dass die Transformation nur im Hier und Jetzt und im Bestehenden beginnen kann. Es ist gut, dafür die vorhandenen Nischen und Risse zu nutzen, seine Freiräume zu verteidigen und zu erweitern. Diese praktische Seite wie auch die gedankliche Auseinandersetzung, die Theorie, können sich wechselseitig befördern und auf diese Weise flexibel entwickeln. Die Theorie darf dabei kein starres Konstrukt sein.

Idee und Umsetzung mögen so weit ganz gut sein und gelingen, doch es wird nicht alles glattlaufen. Früher oder später wird man auf Widerstände treffen. Diese gilt es schon im Vorfeld mitzubedenken. Damit sind weniger die Widrigkeiten gemeint, die einem beim praktischen Ausprobieren begegnen, wo doch die Theorie noch so schön und einfach geklungen hat, sondern die systemischen Widerstände, die aus Interessengegensätzen resultieren. In jedem Fall hilft es, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, sondern es unbeirrt weiterzuverfolgen.

Der Weg der Gewaltlosigkeit ist dabei in doppelter Hinsicht das geeignete Mittel der Wahl. Es wäre ein kaum aufzulösender Widerspruch und ein Irrweg, wenn der Weg in eine allseits befriedete Welt ein gewaltsamer wäre. Nicht nur soll er also das Zukünftige vorwegnehmen, sondern er erscheint ob der physischen Machtmittel, die vor allem von staatlicher Seite eingesetzt werden könnten, alternativlos.

Widerstände können auch vermieden werden, indem man sich weniger angreifbar macht. Wenn man eine globale soziale Bewegung als ein Netzwerk lokaler Gruppen ohne führende Persönlichkeiten und ohne eine hierarchische Struktur denkt, nimmt man nicht nur erneut eine möglicherweise angestrebte Welt vorweg, sondern man bietet weniger Angriffspunkte. Wenn wirklich geteilte Ideen und Vorstellungen und nicht Personen und hierarchische Strukturen maßgeblich und charakteristisch sind, dann ist da auch nichts, was man in dieser Form wegnehmen kann, um eine bestehende Bewegung zu schwächen oder zu zerstören.

Natürlich wird es immer Wortführer, Vernetzungsarbeiter und eine Menge eifriger Menschen geben, aber am Ende macht’s die Menge der Menschen. Die Begriffe Basisorganisierung und Basisdemokratie geben schon Aufschluss darüber, worum es geht: um die Selbstermächtigung vor Ort. Es sei noch einmal betont: Wenn Ideen und geteilte Visionen und ein gemeinsames Ziel vorhanden sind, dann müssen diese Elemente eine Verbindung schaffen, die mögliche Spaltungen verhindert. Solidarität ist an dieser Stelle kein leerer Begriff, wenn man sich im rechten Moment auf das Verbindende konzentriert.

Die Auseinandersetzung darf nicht gewalttätig erfolgen. Sie kann anderseits bestehende Mittel der demokratischen Ordnung nutzen. Progressive politische Kräfte und Parteien, so es sie denn gibt oder sie sich entwickeln, können sich dafür einsetzen, den Menschen Freiräume und Handlungsmöglichkeiten zu verschaffen, für eine Grundsicherung und ein Auskommen zu sorgen und demokratische Beteiligungsrechte auszuweiten. Eine internationale Politik muss zudem auf eine friedliche und kooperative Welt orientieren, die akute Probleme, welche die Menschheit als Ganzes betreffen, in Angriff nimmt. Der Klimawandel, der keine nationalen Grenzen kennt, ist nur eines davon.

Die Antwort, die hier nun auf die Frage nach dem Weg gegeben ist, ist wenig mehr als die Antwort von Chomsky zu Beginn. Sie ist vor allem gedacht als Antwort auf die Frage nach dem Weg zu einem anderen System, um den einen oder anderen Gedanken erweitert und hier und da weiter ausformuliert. Wesentlich hinzugekommen ist die Vorstellung von einer anderen Welt als ein Zielbild zum Start der Reise.

Der Weg erscheint am Anfang sehr weit, doch starten wir nicht mit nichts. Wir haben bereits die Ideen, und es gibt viele Menschen, die bereits jetzt anders arbeiten und leben und schon die Veränderung leben, die sie in der Welt sehen wollen.

Darauf lässt sich aufbauen. Die Keimzellen sind vorhanden. Vieles erscheint dieser Tage nicht gut und eher bedrohlich, doch auf der anderen Seite ist die Ansicht, dass die Welt noch nie so schlecht war wie heute, auch zeitlos. Der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist immer jetzt oder um es ein letztes Mal mit Chomsky zu sagen: Nichts tun ist keine Alternative.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://keimform.de/wp-content/uploads/2013/04/jourfixe-freie-quellen.pdf
(2) Charles Wright Mills: Die amerikanische Elite, Holsten-Verlag Schenke & Haß, 1962, Seiten 193 bis 194 und Seiten 212 folgende. Es ist nicht nur lesenswert, was Mills zu den Öffentlichkeitsgruppen und zur Unmündigkeit der Menschen in der Massengesellschaft zu sagen hat. Das gesamte Werk hat nur wenig von seiner Aktualität verloren und kann mit viel Gewinn auch heute noch gelesen werden.
(3) https://gegneranalyse.de/. Dort steht: „Immer mehr Menschen nutzen sogenannte alternative Medien als Informationsquelle. Sie wirken weit in die Gesellschaft und schüren das Misstrauen gegen die parlamentarische Demokratie, gegen Wissenschaft und Medien. Gegneranalyse setzt sich kritisch mit Kanälen auseinander, die sich in Opposition zur bestehenden Medienöffentlichkeit sehen. Wir wollen aufklären, wie die systemoppositionellen Gegenmedien zu einer Radikalisierungsmaschine werden und was man ihnen entgegensetzen kann.“
Der Begriff der „Gegneranalyse“ wird so erklärt: „Der Name Gegneranalyse ist eine Kurzform des ursprünglichen Titels des vorausgegangenen Projekts ‚Die liberale Demokratie und ihre Gegner‘. Er beschreibt unser Ziel, die selbsterklärten Gegner der liberalen Demokratie zu analysieren. Dabei geht es nicht darum, jemanden zum politischen Gegner zur erklären. Der Begriff greift vielmehr die Selbstbeschreibung derjenigen auf, die sich als Gegner der offenen Gesellschaft verstehen. Der Begriff Gegneranalyse ist bekannt aus dem Sport, wo etwa Fußnallmannschaften vor Spielen ihren Gegner analysieren. Wir haben den Begriff auch deshalb gewählt, weil wir unsere Arbeit sportlich sehen — als intellektuelle Herausforderung, sich mit antiliberalen Positionen auseinanderzusetzen. Es geht nicht um Denkverbote oder schwarze Listen, sondern um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Wir hoffen, auf diese Weise darüber aufklären zu können, woher antiliberales Denken kommt, wie es sich verbreitet und welche Gefahren damit verbunden sind.“
Man spricht bei der Gegneranalyse davon, gerade keine politische Gegnerschaft anzustreben, sondern erklärt den Begriff umgekehrt so, dass diejenigen, die hiermit untersucht werden sollen, sich selbst so — also als Gegner — bezeichnen.