Angst essen Israelkritik auf

Antisemitismus, Meinungshygiene und die Selbstzerstörung Israels.

Wissenschaftlerinnen verlieren ihre Lehraufträge, Politiker wie Dieter Dehm werden an den Pranger gestellt, das Konzert von Roger Waters von Pink Floyd wird nicht im Fernsehen übertragen. Der Vorwurf: antisemitische Einstellungen, einseitige Israelkritik. Solche Diffamierungen sind nicht neu. Sie erzeugen schon seit langem ein Angstklima, das auch tief in die Protestbewegungen und linken Milieus hineinwirkt. Die Konsequenzen sind fatal. So wird die notwendige Kritik an dem gefährlichen Selbstzerstörungskurs Israels ausgehebelt und verwässert.

Es ist an der Zeit, dass Linke, Progressive und Protestbewegungen meinungsfreier, mutiger und politisch informierter über den blockierten Frieden in Nahost debattieren. Denn die Chancen für eine nationale Selbstbestimmung der Palästinenser neben dem israelischen Staat sind günstiger, als es angesichts der Trump-Netanyahu-Allianz erscheinen mag. Die Alternative ist die fortschreitende Zerstörung der Region, inklusive atomarer Risiken.

Die Antisemitismuskeule wird immer heftiger und infamer geschwungen. Eine Universitätslehrerin in Hildesheim verlor vor gut einem Jahr im Zuge von Unterstellungen ihre Seminartätigkeit. Auch eine Politik-Dozentin an der FU Berlin wurde vorläufig von der Lehre entfernt. Beide wurden wegen ihrer Israelkritik als antisemitisch diffamiert.

Der Musiker Roger Waters von Pink Floyd wurde wegen seiner Unterstützung von Boykott-Maßnahmen, die sich gegen die Menschenrechtsverletzungen in Israel richten, an den Antisemitismus-Pranger gestellt. Die ARD beendete daraufhin die Medienpartnerschaft mit ihm und strahlt nun nicht wie geplant sein Konzert aus.

Jüngst traf es den Linkenpolitiker Dieter Dehm. Im Neuen Deutschland entlarvte Daniela Dahn daraufhin die Vorwürfe der Frankfurter Rundschau gegen Dehm nicht nur als haltlos und diffamierend, sondern als perfiden Bruch mit elementaren journalistischen Standards. Natürlich sind die Beschuldigten genauso wenig antisemitisch wie der Papst. Im Gegenteil: Sie engagieren sich für Konfliktlösungen, Frieden und Gerechtigkeit in der Region.

Es ist wie immer: Der Vorwurf des Antisemitismus ist ein wunderbares Instrument, Kritiker, Störenfriede oder Leute, die man nicht mag, zu stigmatisieren. Der Antisemitismus-Vorwurf funktioniert dabei, wie wenn man jemanden mit Dreck bewirft. Es bleibt immer etwas davon hängen. Der Verdacht lässt sich nicht widerlegen, selbst durch noch so inbrünstige Bekenntnisse.

Das Denunziationssystem arbeitet dabei erschreckend effizient und nachhaltig. Als ich vor einigen Jahren auf einem großen Taz-Kongress im Berliner Haus der Kulturen der Welt im Gespräch mit jungen Studenten auf Noam Chomsky zu sprechen kam, wiesen sie als Erstes darauf hin, dass er doch irgendwie den Holocaust in Frage gestellt habe. Sie spielten auf die sogenannte „Faurisson-Affäre“ an, die fast vierzig Jahre zurückliegt. Chomsky hatte damals die Meinungsfreiheit eines französischen Literaturprofessors verteidigt (wie 600 andere Intellektuelle und Wissenschaftler). Der Hintergrund war, dass Faurisson gewaltsam bedroht, von der Universität deswegen entlassen, dann unter anderem zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, weil er privat ein Pamphlet gedruckt hatte, dass die Existenz der Gaskammern in Frage gestellt hatte.

Chomsky fasste den Sachverhalt später so zusammen:

„He was then brought to trial for ‘falsification of History’, and later condemned for this crime, the first time that a modern Western state openly affirmed the Stalinist-Nazi doctrine that the state will determine historical truth and punish deviation from it. Later he was beaten practically to death by Jewish terrorists. As of now, the European and other intellectuals have not expressed any opposition to these scandals; rather, they have sought to disguise their profound commitment to Stalinist-Nazi doctrine by following the same models, trying to divert attention with a flood of outrageous lies.”

In “The Nation” betonte Chomsky zudem den Unterschied zwischen der Unterstützung einer Position und der Verteidigung des Rechts, sie zu sagen:

“I made it explicit that I would not discuss Faurisson's work, having only limited familiarity with it (and, frankly, little interest in it). Rather, I restricted myself to the civil-liberties issues and the implications of the fact that it was even necessary to recall Voltaire's famous words in a letter to M. le Riche: ‘I detest what you write, but I would give my life to make it possible for you to continue to write.’ [...] Many writers find it scandalous that I should support the right of free expression for Faurisson without carefully analyzing his work, a strange doctrine which, if adopted, would effectively block defense of civil rights for unpopular views. [...]“

Die Angriffe gegen Chomsky nahmen damals hysterische Ausmaße an. Aussagen wurden verdreht, aus dem Kontext gerissen, Lügen verbreitet. Die Haltlosigkeit der Vorwürfe ist für jeden, der an den Fakten interessiert ist, offensichtlich und gut dokumentiert, damals wie heute. Doch der Dreck klebt noch Jahrzehnte später an seinem Namen, selbst bei „Progressiven“.

Sicherlich, die heute immer wilder geschwungene Antisemitismuskeule soll einschüchtern, anderen eine „Lektion“ erteilen, Angst verbreiten und so weiter. Das ist so augenscheinlich, dass darüber wenig mehr zu sagen ist. Aber sie kann auch als Zeichen von Schwäche gedeutet werden. Wie Mahatma Gandhi sagte:

„First they ignore you, then they laugh at you, then they fight you, then you win.”

Zumindest ist feststellbar, dass die allgemeine Nervosität zugenommen hat im Angesicht des weltweit erodierenden Ansehens Israels. Doch es ist noch viel Aufklärung und Organisation nötig, um einen lebensfähigen Staat für die Palästinenser möglich zu machen. Denn darum geht es ja: eine Befriedung der Region, indem die Palästinenser endlich ihr verbürgtes Recht auf nationale Selbstbestimmung erhalten. Das Thema ist fast ganz von der veröffentlichten Agenda verschwunden, doch das kann sich ändern.

Die Einheitsbestrebungen auf der palästinensischen Seite zwischen Fatah und Hamas machen Hoffnung, obwohl es nicht leicht sein wird, wegen interner Schwierigkeiten, aber auch, weil das Zusammengehen von außen massiv bekämpft wird, aus verständlichen Gründen. Zudem ist die Blockade eines Palästinenserstaats durch die USA (entgegen der PR-Rhetorik auf politischer Bühne) keineswegs in Stein gemeißelt, auch wenn das unter US-Präsident Donald Trump so erscheint. Es gibt dort, wie in Europa, ansteigenden Unmut gegenüber Israel.

Die palästinensischen Solidaritätsbewegungen vor allem an den Universitäten sind so stark wie nie zuvor und immer besser organisiert. Aber so lange der Nahe Osten in Chaos versinkt und vor allem in Syrien keine Lösung für die diversen Kriegsfronten in Sicht ist, kann sich die israelische Regierung getrost zurücklehnen. Wen jucken schon die Palästinenser, außer sie kommen aus dem vollkommen überlasteten Libanon plötzlich auch vermehrt zu uns.

Bei der Ermöglichung der Friedenslösung ist der Druck aus der Zivilgesellschaft entscheidend. Und hier erzielen die Antisemitismus-Vorwürfe tatsächlich nachhaltige Erfolge. Denn es geht bei den Diffamierungen ja nicht nur um Angriffe gegen Einzelne. Die disziplinierende Wirkung reicht tief in die Gesellschaft. Das spiegelt sich letztlich auch in der mangelnden Toleranz und Meinungsfreiheit in progressiven Bewegungen beim Thema Israel-Palästina, wie Daniela Dahn zu Recht konstatiert.

So entstehen zahlreiche „Kumpaneien“ mit dem Mainstream, angefeuert durch eine Mischung aus falscher Rücksichtnahme, Feigheit und fehlendem Verständnis der politischen Sachlage. Da ein solides Verständnis entscheidend ist, um sich überhaupt gegen die Propaganda und den moralisch-existentiellen Druck, der beim Israel-Thema vorherrscht, eine Meinung bilden und dagegen halten zu können, liegt in den Wissenslücken eine empfindliche Schwachstelle, die von der Gegenseite ausgenutzt werden kann und auch immer wieder ausgenutzt wird.

Es ist daher nicht überraschend, dass viele Linke die PR-Slogans vom „Existenzrecht“ oder „Selbstverteidigungsrecht“ Israels, von der terroristischen Bedrohung der „einzigen Demokratie“ im Nahen Osten, von „schwierigen Verhandlungen“ zwischen „schwierigen Partnern“, von den fehlenden Sicherheitsgarantien, vom islamistischen Vernichtungswillen der Hamas beziehungsweise. des Irans oder von der ewigen „Gewaltspirale“, die so schwer zu stoppen ist, übernehmen – meist ohne klare Kenntnis der Vorgänge und Zusammenhänge, die von den Medien seit Jahrzehnten ausgefiltert werden –, so dass der Grund für die Krise und die blockierte Lösung nicht in den Blick gerät.

Anstelle einer politischen Diskussion und prononcierter Kritik verliert sich die Debatte daher schnell im Klein-Klein, auf Nebenschauplätze und in Wortklaubereien. Die Unterschiede zu anderen Politikfeldern sind zum Teil eklatant. Linke haben bei US-Kriegen, den Angriffen auf den Wohlfahrtsstaat oder bei der Ausbeutung der Dritten Welt eine klare Haltung. Sie können die offizielle PR mit Argumenten sachlich widerlegen und auf Angriff schalten, weil sie die Hintergründe kennen und relativ frei agieren können. So kann sich ein breites Spektrum an Kritik entfalten. Anders im Falle des Nahost-Konflikts.

Ängstlich begeben sich auch Progressive ins sichere „Einerseits-Andererseits“, um nicht in eine moralische Schmuddelecke zu geraten: Ein wenig Kritik an den „Exzessen“, wenn das israelische Militär mal wieder im Gazastreifen eine UN-Einrichtung mit „überproportionaler Gewaltanwendung“ in Schutt und Asche legt (als ob die regelmäßigen Massaker ansonsten „proportional“ wären und Verteidigungsakte darstellen), dann wieder „Balance“ herstellen. Nach jeder Israelkritik wird das „Andererseits“ förmlich erwartet oder eingeklagt, wie der Standardhinweis auf den palästinensischen Terrorismus, die massiven Bedrohungen, denen der israelische Staat und seine Bürger ständig ausgesetzt sind, die Verbrechen der islamistischen Hamas und Hisbollah oder die Uneinigkeit und Zerstrittenheit der Palästinenser.

Oder es heißt, dass „wir Deutsche“ uns bei Kritik zurückhalten und jedes Wort abwägen müssen, wegen der moralischen Verantwortung. Mit dem „Nie-Wieder“-Verweis wird dann „differenziertes“ und „sachlich-überparteiliches“ Urteilen angemahnt. Damit wird aber nicht nur ein Weichzeichner auf den Konflikt gelegt, sondern die Kritik letztlich ausgehebelt. Denn Kritik an der israelischen Konfliktpartei muss zwangsläufig „einseitig“ und „scharf“ sein, weil Israel nicht nur aggressive Besatzungsmacht ist, sondern den Konflikt politisch zu verantworten hat.

Denn, was wenige zur Kenntnis nehmen: Die arabischen Staaten und die palästinensische Seite haben Israel immer wieder Frieden im Zuge einer Zwei-Staaten-Lösung in den völkerrechtlichen Grenzen vor 1967 angeboten, mit einem palästinensischen und israelischen Staat, basierend auf UN Resolution 242, verabschiedet nach dem Sechstagekrieg. Bereits 1976 übergaben arabische Staaten dem UN-Sicherheitsrat eine Resolution, verfasst von der „Terrororganisation“ PLO unter Jassir Arafat, die diese Einigung enthielt.

Seitdem sind immer wieder Resolutionen bei den Vereinten Nationen zur Abstimmung eingebracht worden, um einen Palästinenserstaat möglich zu machen. Die Lösung wird de facto von allen Staaten der Welt, einschließlich der arabischen Staaten, der arabischen Liga, des Iran, der PLO und letztlich auch der Hamas unterstützt. Selbst die Hisbollah im Libanon hat angekündigt sie zu akzeptieren, wenn die Palästinenser sie wollen. Die palästinensischen Unterhändler haben in den direkten Verhandlungen mit Israel zudem große Zugeständnisse gemacht in Hinsicht auf die Einverleibung von Teilen der illegal errichteten Siedlungen im Westjordanland in das israelische Staatsgebiet sowie bei der Flüchtlingsfrage – und damit einige ihrer völkerrechtlichen Ansprüche fallen gelassen.

Doch alle diese Angebote wurden von Israel und den USA abgelehnt. Bei jeder entsprechenden UN-Abstimmung seit den 1970er Jahren haben sie gegen die Friedenslösung gestimmt. 2011 hat die Palästinensische Autonomiebehörde die Zwei-Staaten-Befriedung erneut in den UNO-Sicherheitsrat eingebracht. Die Vetomacht USA verhinderten die Umsetzung. Auch bei den direkten Verhandlungen haben die „Vermittler“ aus Washington Israel vor einem Ende des Expansionskurses im Westjordanland bis heute bewahrt.

Angeboten wurden den Palästinensern nämlich höchstens Kantone, zerstückeltes Land, ein nicht lebensfähiger „Pseudo-Staat“, ähnlich den Bantustans in Südafrika für die schwarze Bevölkerung. Es waren Nicht-Offerten, der Öffentlichkeit mit viel PR als „großzügige Angebote“ verkauft, die die Gegenseite wegen ihrer „Maximalforderungen“ aber verschmäht habe. Sie waren so „großzügig“, dass weder die UN, die EU, die Weltbank, Menschenrechtsorganisationen oder führende Spezialisten für das Westjordanland in ihnen einen funktionstüchtigen Staat erkennen konnten.

Selbst Vertreter der israelischen Verhandlungsseite bezeichneten die Angebote im Nachhinein als nicht akzeptabel. Währenddessen verschwinden immer mehr wertvolles Land, Wasserreserven und wichtige Gebiete um Ostjerusalem hinter israelischen Separationsanlagen und Mauern.

Der politische Kurs Israels ist letztlich ein gefährlicher Selbstzerstörungskurs. Seit dem Friedensangebot Ägyptens und der PLO Mitte der 1970er Jahre haben alle israelischen Regierungen Expansionsinteressen über Sicherheitsinteressen gestellt (mit Unterstützung der USA und der Billigung Europas), während die „beschämenden Angebote“ von der palästinensischen Seite mit Kriegen und Militärinterventionen immer wieder erfolgreich torpediert wurden. Die Expansionspolitik ist damit auch verantwortlich für das Leid der israelischen Juden und ihr Leben in Unsicherheit. Die extrem prekäre Sicherheitslage treibt derweil die moralische Zersetzung in der israelischen Gesellschaft weiter voran. Vom Leid der Palästinenser, der Instabilität der Region und den atomaren Gefahren des Konflikts ganz zu Schweigen.

Doch über diesen verheerenden politischen Kurs wird hierzulande mit wenigen Ausnahmen geschwiegen, so, als ob er gar nicht existierte. In dem 2012 für einen Oscar nominierten israelischen Film “The Gatekeepers” kritisieren die sechs noch lebenden früheren Leiter der israelischen Sicherheitsbehörde Shin Bet die Besatzungspolitik, die sie selber mit gezielten Tötungen, Folterungen und der Unterdrückung von Protesten exekutierten. "We are making the lives of millions unbearable, into prolonged human suffering, (and) it kills me", sagt Carmi Gillon.

"(We’ve become) a brutal occupation force similar to the Germans in World War II", sagt Avraham Shalom. Der ehemalige Shin-Bet-Chef Yaakov Perry hatte schon 2003 in einem Interview mit der israelischen Zeitung Yedioth Ahronoth gewarnt: "We are heading downhill towards near-catastrophe. If nothing happens and we go on living by the sword, we will continue to wallow in the mud and destroy ourselves."

Die ehemaligen Leiter des Shin Bet sind mit ihren Einschätzungen näher an der Realität, als große Teile der Intellektuellen in Europa und den USA, von denen nur wenige die „legitimen“ Kritikpfade verlassen, während sie damit das Geschäft der Selbstzerstörung der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ weiter zulassen und betreiben. Das sollte zu denken geben.

Im wohlgeordneten deutschen Protestspektrum vergessen viele nur zu leicht, was Daniela Dahn über Demokratie sagt. Dass eine Protestbewegung sich abschafft, wenn sie beginnt, politische Meinungshygiene zu betreiben und „septisch“ wird. Oder, um es mit Amy Goodman zu sagen: „Democracy is a messy thing“.

Den Bewegungen und Linken im Land könnte sicherlich mehr Offenheit und „Durcheinander“ sowie eine klare politische Debatte beim Thema Israel-Palästina gut tun. Sie sollten offensiver argumentierten, sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und versuchen, die zentralen Themen und Forderungen nach vorne zu bringen, anstatt sich die Inhalte von anderen aufdrücken zu lassen.

Das ist ja der fatale Effekt der Angriffe, der Antisemitismus-Vorwürfe und der Hysterie um eine brennende selbst gemalte Israelflagge: Ablenkung vom Eigentlichen. Es scheint, soweit ich sehen kann, wieder gut funktioniert zu haben.


Erwiderung von Daniela Dahn:

Lieber David,

es freut mich, dass mein Artikel dich zu weiterführenden Überlegungen angeregt hat. Wie schwierig das Thema ist zeigt, dass ich diesmal nicht ganz froh mit deinem vielleicht in der schnellen Empörung geschriebenen Blog bin. Deshalb will ich gleich deiner am Ende geäußerten Bitte nachkommen, es möge unter Linken in der Diskussion mehr Offenheit und "Durcheinander" geben. Stark wird dein Text im zweiten Teil, wo ganz sachlich daran erinnert wird, wie viele Friedensinitiativen Israel schon ausgeschlagen hat. Auch deine Feststellung, dass Israel durch seine Expansions- und Besatzungspolitik den palästinensischen Terrorismus genährt hat und so z.T. für das Leid der israelischen Juden mitverantwortlich ist, ist kaum zu bestreiten.
Doch am Anfang missfällt mir deine überspitzte Haltung, dass Kritik an Israel einseitig sein muss, da Israel den Konflikt auch politisch allein zu verantworten hat. Das ist falsch. (Aus der Konfliktforschung wissen wir, dass es gerade das Wesen von Konflikten ist, dass sie von mindestens zwei Seiten ausgehen, wenn auch durchaus zu sehr unterschiedlichen Anteilen.) Die Gründung des Staates Israel wäre ohne die deutsche NS-Schuld wohl nie zustande gekommen, d.h. politische Verantwortung trägt Deutschland allemal. Und es kann nichts schaden, wenn wir unter diesem schwarzen Schatten unsere Worte besonders abwägen.
Auch die UN trägt Verantwortung, weil die Teilung Palästinas unsensibel gegen den Willen der arabischen Staaten beschlossen wurde. Da lag von Anfang an Sprengstoff. Der sich sofort entlud, als Israel seine Unabhängigkeit erklärte und eine arabische Allianz im ersten Palästina-Krieg 1948 Israel überfiel, noch vor jeder Expansionspolitik Israels. Die arabischen Staaten haben mit ihrer generellen Nichtanerkennung des Existenzrechts Israels am Anfang keine konstruktive Rolle gespielt. Sie haben diese Position (teilweise) erst aufgegeben, als es machtpolitisch und militärisch für sie keine Chance mehr gab. Daher sind das Existenzrecht Israels und das Selbstverteidigungsrecht für mich nicht, wie du schreibst, PR-Slogans, sondern wirkliche Rechte.
Wir müssen uns hier nicht all der bekannten Verfehlungen bei der Durchsetzung dieses Rechts vergewissern, die bis heute nicht erfolgte Aufarbeitung der Nakba usw. Ich werfe allerdings auch der palästinensischen Seite vor, dass in ihren Schulen der Holocaust nicht gelehrt wird. Wie soll man sich gegenseitig verstehen, wenn jede Seite die Leidensgeschichte der anderen tabuisiert? Die Einerseits-Andererseits Betrachtungsweise ist unverzichtbar, will man nicht zu verkürzten Schlüssen kommen.
Ich gehöre nun wirklich zu den Chomsky-Verehrerinnen, habe ihn oft zitiert. Seine Verteidigung der Faurisson-Rechte hat natürlich mit Antisemitismus nichts zu tun, sondern mit seiner Auffassung von Meinungsfreiheit. In diesem Fall hätte ich seine Intervention aber für verzichtbar gehalten. Die Holocaust-Leugnung ist ja keine Meinung, sondern die Verbreitung eines volksverhetzenden Fakes. Sehr zu Recht ist die Klage von Faurisson 1992 vom Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen zurückgewiesen worden. Über die Grenzen von Meinungsfreiheit in den sozialen Medien und die Frage, wer diese setzt, wird zurzeit viel diskutiert. Im UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte ist dazu eigentlich alles gesagt: Die Meinungsfreiheit muss da ihre Grenze finden, wo es für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer erforderlich ist.
Es ist sicher von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn der von dir zitierte israelische Sicherheitsmann die Brutalität der israelischen Okkupation ähnlich findet wie die der Deutschen im 2. Weltkrieg. Ich finde das dennoch maßlos. Massenerschießungen wie im ukrainischen Babi Jar, wo an 2 Tagen 30 000 Juden umgebracht wurden, Massaker wie im französischen Oradour, wo alle Bewohner niedergemetzelt wurden oder die Methode der Verbrannten Erde in Russland und Weißrussland, wo immer wieder Menschen in Holzkirchen und Scheunen bei lebendigem Leibe verbrannt wurden, wie die 257 Frauen und Kinder in der Dorfkirche von Dory, nahe Minsk - solche Gräuel bleiben SS und Wehrmacht vorbehalten.
Das schier unerträgliche Ausmaß der Verbrechen bringt es mit sich, dass das Thema nicht ohne Emotionen behandelt werden kann. Ein Schlüsselsatz von Albert Camus hat mich zu Vorsicht gemahnt, wenn Opfer zu Tätern werden: "Wer lange verfolgt wird, wird schuldig."
Es geht nicht darum, moralische Vorwürfe an die ganze israelische Gesellschaft zu richten, sondern deren tiefe Zerrissenheit zu beklagen und jene zu bestärken, die so differenziert und sachlich wie möglich, die Interessen hinter der israelischen Politik aufdecken. Interessen, die denen der Mehrheit der Gesellschaft widersprechen.

Daniela Dahn


Erwiderung des Autors an Daniela Dahn:

Liebe Daniela,

vielen Dank für Deine Kritik und die Ergänzungen. Die Rückmeldung hat mich sehr gefreut, umso mehr, als Du auf eine Reihe von Dingen hinweist, auf die ich nicht eingehe, die aber wichtig sind. Auch gibt es Stellen, die missverstanden werden können und stärkerer Erläuterung bedürfen. Vielleicht kann ich zur Aufklärung der Sachverhalte und der unterschiedlichen Positionen mit einigen Anmerkungen beitragen.
Ich habe nicht den Eindruck erwecken wollen, dass Israel für alle Missstände in der Region verantwortlich ist. Auch nicht, dass die arabische und palästinensische Seite keine Fehler begangen hat und weiter begeht. So sind die Selbstmordanschläge oder das Abfeuern von "Raketen"(meist selbstgebastelte Geschosse mit wenig Explosionskraft) kriminell und destruktiv. Sie unterminieren die Chancen, Israel und die USA dazu zu bringen, das Völkerrecht und die Forderungen der internationalen Gemeinschaft sowie des Internationalen Strafgerichtshofs anzuerkennen.
Wie Du richtig feststellst gibt es in jedem Konflikt Gewalt, Fehler, Missstände auf beiden Seiten. Daraus folgt eine Reihe von „Einerseits-Andererseits“. Du hast einige genannt. Wenn wir vor 1948 zurückgehen würden, wären noch andere Faktoren zu nennen, die den Konflikt beeinflusst oder hervorgerufen haben. Aber bei der Frage, wer die politische Verantwortung für die gegenwärtige Konfliktlage zu tragen hat, ist das nicht entscheidend. Vor allem ist heute die Frage gar nicht mehr wie noch am Anfang „Staat Israel“ – ja oder nein. Der politische Konflikt ist seit Jahrzehnten: Staat Israel, aber keiner für die Palästinenser. Das ist der Grund für die Gewalt, die Missstände, die Unsicherheit, die Bedrohungen in Palästina. Denn nach dem Sechstagekrieg hat sich die Konfliktlage entscheidend verändert.
Für die Beantwortung der Frage nach der Verantwortung für die gegenwärtige Konfliktlage lassen sich meines Erachtens zwei zentrale Beobachtungen machen bzw. müssen gemacht werden.
1. (Darauf habe ich schon im Blog hingewiesen): Israel ist Besatzungsmacht und blockiert seit vier Jahrzehnten das Recht auf nationale Selbstbestimmung der Palästinenser, die vom Völkerrecht, der internationalen Gemeinschaft und dem internationalen Strafgerichtshof eingefordert wird. Israel zusammen mit den USA verweigert aber seit den 1970er Jahren die von allen drei Instanzen geforderte Staatslösung. Das ist ein Verstoß gegen eines der höchsten internationalen Rechte; die Besatzung, die Annexion von Land ist illegal, wie der internationale Strafgerichtshof in einer Entscheidung 2004 feststellte. Letztlich ist die Besatzung von fremdem Territorium ein Kriegsakt. Außerdem sehen wir, dass Israel weiter „facts on the ground“ schafft mit illegalen Aneignungen (so der Strafgerichtshof). Die einseitige Besatzung unter Zwang und Gewalt, der einseitige Rechtsbruch, der Isolationismus bei der Blockade der Friedenslösung („rejectionism“ von Israel und den USA) haben den gegenwärtigen Konflikt erzeugt. Die Partei, die den Konflikt hervorbringt und ihn künstlich am Leben erhält, obwohl eine Lösung seit langem offen auf dem Tisch liegt, aber von ihr zurückgewiesen wird, um weiter „facts on the ground“ zu schaffen, also Expansion über Sicherheit zu stellen (reichlich dokumentiert, auch als intentionaler Akt), ist verantwortlich für das, was aus diesem Verhalten resultiert.
2. Alle Kriege und Militärinterventionen Israels stellen nicht Selbstverteidigungsakte, sondern gewollte Kriege dar, mit der „möglichen Ausnahme“ des sogenannten Unabhängigkeitskriegs 1948. Das ist jedenfalls das Ergebnis des Standardwerks von Zeev Maoz. Er ist Professor für Politikwissenschaften der "University of California" und ehemaliger akademischer Direktor an der Nationalen Militärakademie der israelischen Streitkräfte. Die akribische Untersuchung des konservativen israelischen Militärhistorikers und Politologen: "Defending the Holy Land. A Critical Analysis of Israel's Security and Foreign Policy" kommt auf über 700 eng bedruckten Seiten zu dem Schluss, Israel sei nicht aufgrund einer feindlichen Umgebung von außen, quasi als Opfer, zu einem "Sparta of modern times" aufgestiegen. Die Analyse der Logik, der Muster und der Implikationen von Israels Gewaltausübungen zeige über die Zeit, so Maoz, eindeutig: "The major theme is that most of the wars in which Israel was involved were the result of deliberate Israeli aggressive design, flawed decision making, or flawed conflict management strategies or were avoidable. Israel's war experience is a story of folly, recklessness, and self-made traps. None of the wars - with a possible exception of the 1948 War of Independence - was what Israel refers to as Milhemet Ein Brerah (‘war of necessity’). They were all wars of choice or wars of folly". Für den israelischen "low intensity warfare", also die diversen Formen des Staatsterrorismus (vor allem die "gezielten Tötungen" mit jeder Menge "casualties" und "bystanders"), gelte dasselbe. Auch diese Form der „Kriegführung“ (also Staatsterrorismus) habe "escalation, dominance and excessive force" vorangetrieben. Maoz stellt zudem fest, dass diese Politik "largely ineffective" gewesen sei. Sie habe "major escalation" hervorgerufen. Die diversen Gazakriege und Militärinterventionen in jüngerer Zeit sind zudem in ihrer Form keine Kriege mehr, sondern Massaker an einer eingeschlossenen, wehrlosen Zivilbevölkerung, sicherlich mit Vorwänden gerechtfertigt als Selbstverteidigungsakte. Aber die Rechtfertigungen fallen bei einer Prüfung wie Kartenhäuser in sich zusammen. Damit vergleichbar denen beim Afghanistankrieg oder dem Irakkrieg. Ich kann hier nur auf eine Kurzanalyse des letzten Gaza-Massakers von mir hinweisen.
Das sind die beiden Kriterien, aufgrund derer ich sage, dass alle Regierungen, die den Kurs Israels bestimmt haben, für den gegenwärtigen politischen Konflikt in Nahost verantwortlich sind. Wenn ich allerdings schreibe, dass Israel verantwortlich ist für den Konflikt, ist das tatsächlich nicht ganz korrekt und ungenau.
Denn eine zweite Präzisierung ist notwendig: Es ist nicht Israel allein verantwortlich für die Konfliktlage der letzten Jahrzehnte. Ohne die USA gäbe es die Friedensblockade de facto nicht. Das gilt nicht nur für die diplomatische Ebene, sondern auch in Hinsicht auf die finanzielle und militärische Unterstützung. Europa schaut mehr oder weniger passiv zu und ist vielfältiger Komplize bei diversen Menschenrechtsverletzungen, z.B. bei der indirekten Unterstützung bei der illegalen Annexion von Land oder bei der Lieferung von Waffen an Israel (auf nationaler Ebene oder EU-Ebene). Ich verweise hier auf die Ergebnisse des internationalen Russel Tribunal on Palestine und einem Interview von mir mit Frank Barat, einem Organisator des Tribunals.
Aber die Hauptlast fällt trotz allem auf die Konfliktpartei Israel. Wenn sie ihre Besatzungspolitik aufgäbe und einen Palästinenserstaat ermöglichte, würde niemand sich ihr in den Weg stellen. Im Gegenteil. Den USA ist ein Palästinenserstaat ziemlich egal. Ich hatte also mit „Israel“ „Israel und seine Unterstützer“ gemeint. Aber die Formulierung kann missverstanden werden, auch wenn ich auf die ermöglichende Rolle der USA hingewiesen habe. Israelkritik muss nämlich immer auch eine Analyse und Kritik der US-Außenpolitik beinhalten, sonst fehlt ein entscheidender Teil.
Zur Shoa und der Verantwortung Deutschlands für den Konflikt: Die Ermordung der Juden in Deutschland und Europa ist ein Katalysator gewesen für die israelische Staatsgründung. In dieser Weise sind Deutschland und Europa auch indirekt mitverantwortlich für den daraus erwachsenen Konflikt in Nahost, wie Du zu Recht feststellst. Aber deswegen kann man meines Erachtens nicht sagen, dass Deutschland Verantwortung trägt für die Konfliktentwicklung, insbesondere nach dem Sechstagekrieg. Ich finde ebenso nicht, dass Deutschland eine Verantwortung hat für das, was die Sinti und Roma im Einzelnen machen bzw. die Herero und Nama in Namibia. Auch ihre heutige Situation ist historisch geprägt von dem Völkermord an ihnen durch den deutschen Staat.
Verantwortung kann man nur tragen, worauf man Einfluss hat bzw. schwächer hatte. Zudem haben die auf Nazideutschland folgenden Regierungen der BRD die aus der Vergangenheit sich ergebende Verantwortung für den Konflikt durchgängig als „uneingeschränkte Solidarität“ mit dem Staat Israel missverstanden. Diese „Missverständnis“ deutet der israelische Professor Frank Stern vor dem Hintergrund des widersprüchlichen deutschen Philosemitismus. Denn der Philosemitismus sei, so Stern, zu einer Methode geworden, sich im Nachkriegsdeutschland von der Schuld reinzuwaschen und die BRD in das westliche System mit seiner imperialen, aggressiven Ausrichtung zu integrieren. Das zeige sich auch an zwiespältiger Judenfreundlichkeit des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Eine der führenden Antisemitismus-Forscherinnen Eleonore Sterling, deren Familie Opfer des Holocausts wurde, kommt zudem zu dem Ergebnis, dass Philosemitismus umgekehrter Antisemitismus sei. Beide seien unfähig, Juden als normale Menschen zu betrachten.
Die deutschen Regierungen haben in den letzten Jahrzehnten wenig bis gar nichts unternommen, mit den in ihrer Reichweite liegenden Mitteln, zusammen mit anderen europäischen Staaten, den zerstörerischen Selbstzerstörungskurs Israels zu verhindern oder abzuschwächen. Wenn Israel deutsche „Staatsräson“ ist, wie behauptet, dann sollte alles Mögliche getan werden, den Völkern in der Region Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit zu geben. Das ist aber erst möglich, wenn die Blockade beendet wird. Zudem ist auch Deutschlands Israel-Politik nicht unbeteiligt an dem Konfliktverlauf, wenn auch weit weniger als die USA, z.B. durch Lieferung von Waffen in das Konfliktgebiet an eine Konfliktpartei, die damit Menschenrechte verletzt. Durch die Lieferung von den bestellten sechs Dolphin-U-Booten aus der Kieler Werft, die fähig sind, Atomwaffen abzufeuern, wird die nukleare Bedrohung in dem Konfliktgebiet zudem beträchtlich verschärft.
Vor diesem Hintergrund sollten wir bedenken: Wenn gesagt wird, dass nicht nur Israel (inklusive USA) die politische Verantwortung trägt für die gegenwärtige Konfliktsituation in Nahost, sondern differenziert werden muss bei der Verantwortung (Einerseits-Andererseits), dann müssen wir diesen Standard auf andere Konflikte übertragen, wenn die Konfliktlage dort ähnlich ist. Sonst ist es ein Standard, der nur für Israel gilt. Hieraus ergeben sich problematische Schlussfolgerungen für die politische Kritik und die Friedensbewegung. Es folgt zum Beispiel fast logisch, dass unter Anwendung des Standards die USA nur zum Teil politisch verantwortlich gewesen sind für den Vietnamkrieg, den Afghanistan-Krieg oder den Irakkrieg, weil vieles in den Konflikt hineinspielt, was sicherlich richtig ist. Das gleiche folgt für eine ganze Reihe von Konflikten und Kriegszuständen, wo ein Staat ein anderes Volk seiner Souveränitätsrechte beraubt und sie unter Zwang davon abhält, sie zu realisieren, inklusive der daraus erwachsenen „Gewaltspiralen“. Denn in allen vergleichbaren Konflikten mit einem Aggressor und Besatzer hat die Gegenseite zum Teil sehr brutale Verbrechen begangen, von den Guerilleros in Spanien gegen die Napoleonische Okkupation, über die französische Résistance bis zu dem sunnitischen Selbstmordattentätern oder der „insurgency“ in Afghanistan (Taliban), eindringlich dargelegt in dem Buch „Violent Politics“ des renommierten Professors für US-Außenpolitik und ehemaligen Beraters des Weiße Hauses William S. Polk. Zudem: In all diesen Konflikten sind andere Faktoren für den Konflikt mitbestimmend gewesen, so bei dem Vietnamkrieg die französische Kolonialmacht, die Eskalation durch die Tet-Offensive oder der „Terrorismus“ der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams (abfällig: „Vietcong“). Aber trotzdem sind die USA der Aggressor sowie Friedensblockierer bei diesen Kriegen, Konflikten und Besatzungen. Sie sind verantwortlich für den Konflikt sowie alles, was aus dieser Aggression und Blockade sich ergibt, trotz aller Einerseits-Anderseits-Aspekte. Hätten die Taliban das gemacht, was die USA mit Afghanistan angestellt haben bzw. würden die Palästinenser so mit den Israelis umspringen, wie Israel zusammen mit den USA mit den Palästinensern, wäre die Argumentation und die Kritik die gleiche. Die Verantwortung liegt bei dem Konfliktverursacher und Blockierer der Konfliktlösung.
Noch einige Anmerkungen zum Selbstverteidigungsrecht und zum Existenzrecht. Jeder hat das Recht, ob Person oder Staat, sich selbst zu verteidigen. Aber niemand hat das Recht, sich gewaltsam selbst zu verteidigen. In internationalen Beziehungen gibt es das Gewaltverbot, gebunden an die Wahrung des Weltfriedens, mit wenigen Ausnahmen. Die Anwendung von Gewalt bringt zudem immer eine hohe Beweislast mit sich. Vor diesem Hintergrund muss man sagen, dass das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels ein PR-Slogan ist, da die Formel „gewaltsames Selbstverteidigungsrecht“ meint, es sich bei den Akten Israels nicht um Selbstverteidigung handelt (s.o. Maoz, Gazakriege) und außerdem dieses Recht ausschließlich dem israelischen Staat und seiner von den USA bereitgestellten Militärmaschinerie zugestanden wird. Ein „Selbstverteidigungsrecht“ wie Israel haben Palästinenser in dem Konflikt per definitionem nicht. Ich kenne jedenfalls keinen, der in der veröffentlichten Meinung die Raketen aus dem Gazastreifen im Zuge der israelischen Massaker als (legitime) „Selbstverteidigung“ bezeichnet hätte gegen israelische Aggression und den Palästinensern ein „Selbstverteidigungsrecht“ zugesteht, und dann noch in Form von Gewaltanwendungen gegen die andere Konflikt- und Kriegspartei. Zudem hat der israelische Staat immer ein Mittel zur Hand, um Sicherheit herzustellen und Gewalt zu minimieren, nämlich die Beendigung der Blockadepolitik. Solange aber Staaten die Möglichkeit haben, Konflikte zivil und ohne Gewalt zu lösen, dennoch immer wieder Gewalt wählen, kann schwerlich von Schutz der Bevölkerung oder Selbstverteidigung gesprochen werden.
Was nun das Existenzrecht angeht ist diese Formel aufgetaucht im Zuge der „unverschämten Angebote“ in den 1970er Jahren von palästinensischer und arabischer Seite. Hier gilt zuerst einmal wieder das gleiche wie schon bei der „Selbstverteidigung“: Es gibt nur ein Existenzrecht für Israel, aber keines für die Palästinenser. Sie haben nicht einmal einen Staat, für den sie ein Recht auf Existenz einklagen könnten. Was das „Existenzrecht“ an sich angeht, verweise ich auf eine Antwort auf einen Post auf Facebook zu meinem Blogbeitrag auf Rubikon. In dem Post wird gefragt: „Kann der Islam, respektive Palästina, Israel und Christentum respektieren. Existenzrecht garantieren? Es ist für mich nicht ersichtlich, leider. Die Expansion der vergangenen Jahrhunderte zeigt es uns. Historiker zeigen uns da unterschiedliche Bilder.“
Ich hatte darauf u.a. geantwortet: „In dem Artikel geht es nicht um Islam, Christentum und Judentum. Darum bitte beim Thema bleiben und nicht wieder abschweifen. Isa Winter, was Ihre Skepsis zum ‚Existenzrecht‘ angeht: 1. Es gibt kein ‚Existenzrecht‘ in internationalen Beziehungen. Aus gutem Grund. Haben die USA etwa das Recht auf Teilen von Mexiko zu hocken, die sie sich in brutaler Weise angeeignet haben? Von den Ureinwohnern ganz zu schweigen. Alle Staatsterritorien sind mehr oder weniger durch Kriege, brutale Grenzziehungen, radikale Eingliederungen und Unterdrückung entstanden. Legitim ist das alles nicht. Was es daher in internationalen Beziehungen gibt, ist die wechselseitige Anerkennung von völkerrechtlich festgelegten Staatsgrenzen. 2. Alle relevanten politischen Akteure erkennen den Staat Israel in den völkerrechtlich festgelegten Grenzen an. Alles andere wäre auch suizidal. Kein Staat der Welt fordert auf politischer Ebene, auch nicht die PLO oder die Hamas, den Ausschluss Israels aus der UN oder die Auflösung des Staates Israel. Rhetorik, dass die andere Seite kein Recht habe da zu sein (s.o.), gibt es auf beiden Seiten. Es gibt Gruppen im israelischen Parlament, die offiziell alle Palästinenser aus Palästina vertreiben wollen und ein Israel in ganz Palästina fordern. In der zionistischen Bewegung ist diese Vision seit ihren Anfängen bis heute sehr prominent enthalten. Aber das alles ist irrelevant. Es geht um die Positionen, die die offiziellen Vertreter im politischen Prozess real einnehmen, nicht um die herumschwirrende Rhetorik, die sich eher nach innen richtet. 3. Während alle relevanten Vertreter Israel als Staat auf der internationalen Bühne anerkennen (obwohl Israel bis heute seine Grenzen offen lässt bzw. diverse israelische Ministerpräsidenten und Außenminister festgestellt haben, dass alle Territorien innerhalb der Separationsanlagen und Mauern im illegal besetzten Westjordanland Teil des Staates Israel ist), kann ein völkerrechtlich, vom Internationalen Strafgerichtshof und der internationalen Gemeinschaft geforderter Palästinenserstaat seit über 40 Jahren nicht einmal anerkannt werden, geschweige denn ein Existenzrecht eingefordert werden. Die Gründe dafür, siehe meinen Artikel. 4. Der Islam kann und muss gar nichts garantieren. Muss die jüdische Religion und ihre Vertreter etwa das Existenzrecht eines Palästinenserstaats garantieren. Und wenn die orthodoxen Rabbiner nicht wollen? Vollkommen irrelevant. (…)“
Mit dem Slogan vom „Existenzrecht“ nur für Israel (wie gesagt ein exklusives Recht) wird genau das überdeckt, dass nämlich kein einziger Staat, auch nicht die politische Vertretung der Palästinenser, den Staat Israel und seine völkerrechtlich bestimmten Grenzen nicht anerkennt. Gleichzeitig wird die politische Rhetorik von diversen Vertretern auf der palästinensischen/arabischen Seite benutzt, um zu suggerieren, die arabischen Staaten oder die palästinensische Seite würden den Staat Israel ablehnen oder gar vernichten wollen. Das geschieht zudem einseitig. Die gleiche Rhetorik auf israelischer Seite wird ausgeblendet und schon gar nicht als Indiz dafür genommen, dass Israel die Palästinenser aus ganz Palästina vertreiben will.
Fazit: Politische Kritik und Friedensbewegung sollten sich wie üblich unerschrocken verhalten: Aufklärungsarbeit betreiben, den Aggressor und Blockierer unter Druck setzen und Strategien entwickeln, um den Konflikt zu deeskalieren und die Friedenslösung voranzubringen. Darum geht es mir. Denn die Palästinenser oder arabischen Staaten können schlicht und ergreifend den Konflikt nicht lösen, auch wenn sie sich noch so brav verhalten. Einzig Israel und die USA können den Kurs von zerstörerischer Selbstzerstörung abschwächen und stoppen. Geschieht das nicht, versinkt die Region wahrscheinlich weiter in Gewalt, Tod, Unsicherheit, Menschenrechtsverletzungen und Ungerechtigkeit.
Zu Faurisson: Da bin ich anderer Meinung wie Du, die UN, viele Staaten der Welt und die meisten, die sich zu dem Thema äußern. Zuerst einmal, obwohl es für die Frage nach Meinungsfreiheit irrelevant ist: Was ich den Einlassungen von Faurisson entnehme (dem Pamphlet, einigen Textfragmenten und Interviews), ist, dass er sich als historischer Revisionist sieht. Er stellt in Frage, dass es möglich gewesen sein soll, Juden in Gaskammern massenweise zu töten, mit ellenlagen Erklärungen. Er bestreitet die Existenz von Tötungslagern, nicht aber die von Konzentrationslagern. Er geht auch von Massenexekutionen aus an den Lagerinsassen, aber sieht vor allem die Bedingungen in den Lagern als Grund für die Toten. Er setzt die Todeszahl wenn ich das richtig sehe unter eine Million an und stellt die Ergebnisse der Standarduntersuchung von Raoul Hilberg zur Ermordung der Juden in Europa in Frage. Er leugnet nicht die Wannsee-Konferenz und die Endlösung, behauptet aber, dass es den Nazis lediglich darum ging, die Juden irgendwie loszuwerden, durch Vertreibung nach Israel und in andere Länder (geografische Lösung). Er sieht auch keine Belege dafür, dass Hitler die Anordnung zur Massenermordung gegeben habe.
Insgesamt habe ich bei den Texten und Videos von/mit ihm den Eindruck, dass er bei der Leugnung der Gaskammern und des Holocausts nicht von Judenhass getrieben ist. Der Einwand, dass die Leugnung der Existenz von Gaskammern an sich „antisemitisch“ sei, ist meines Erachtens nicht richtig. Man kann zum Beispiel den Völkermord an den Armeniern leugnen und relativieren, ohne einen Hass auf die Armenier zu haben. Bei Faurisson scheinen mir andere Triebkräfte im Vordergrund zu stehen. Aber meine Kenntnis ist limitiert. Andere wollen antisemitische Aussagen und Einstellungen gefunden haben.
Nun zu der Aussage, dass die Holocaust-Leugnung keine Meinung sei, sondern die Verbreitung eines volksverhetzenden Fakes. Ich sehe nicht, warum die Leugnung des Holocausts oder die Relativierung bzw. Billigung der Verbrechen der Nazis keine Meinung sein soll. Wenn zum Beispiel die Verbrechen der Kolonialstaaten geleugnet und relativiert werden, dann ist das ja auch eine Meinung, natürlich eine krude, die Opfer entwürdigende, die Realität verkehrende und nicht akzeptable Meinung. Aber für solche Ansichten muss die Meinungsfreiheit gelten wie für die Relativierung, Billigung und Leugnung der Verbrechen der USA mit deutscher Unterstützung, wie sie in der veröffentlichten Meinung rituell und massenhaft zu beobachten ist. Zudem ist die stärkste Leugnung von Verbrechen die der sogenannten „intentionalen Ignoranz“, also das schlichte Verschweigen der Verbrechen des eigenen Lands, während den Verbrechen von gegnerischen Staaten mit massiver Empörung begegnet wird. Ein Standard in der intellektuellen Kultur westlicher Staaten. Solche Meinungen (auch das gezielte Ignorieren ist eine Meinung zu Verbrechen) wird jedoch nicht der Schutz der Meinungsfreiheit streitig gemacht oder gar von Staatswegen per Gerichtsurteil entzogen, obwohl sie Zeugnis einer verrohten Öffentlichkeit sind, mit schwerwiegenden Konsequenzen.
Ich bin wie Chomsky prinzipiell gegen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit für nicht akzeptable Meinungen. Ich halte die in vielen Staaten herrschenden Verbote der „Volksverhetzung“ bzw. der „seditious libel laws“ („aufrührerische Verleumdung“) für falsch. Sie werden auch nie universell formuliert oder gar angewendet, sondern nur selektiv. Und sie können auch das Meinungsspektrum in Hinsicht auf weniger krude Ansichten beeinflussen. Als Noam Chomsky zum Beispiel in einem Interview mit der linken Zeitung New Statesman in England auf die Frage, was er von der Vergabe des Nobelpreises an US-Präsident Barack Obama halte, antwortete, es wäre nicht die schlechteste Wahl; der Preis sei auch schon offenen Kriegsverbrechern gegeben worden, wie Henry Kissinger, teilten ihm die Herausgeber mit, dass sie diese Aussage nicht drucken könnten, selbst wenn Evidenz für die Aussage angefügt würde, da sie eine Verleumdungsklage nach sich ziehen könnte. Das Verleumdungsverbot hat in England auch dazu geführt, dass eine kleine Zeitung, die es gewagt hatte, die Behauptungen der großen Medien in Frage zu stellen, eingestellt werden musste, da sie sich einem Rechtsstreit nicht gewachsen sah.
In einem Land mit 80 Millionen Menschen gibt es 80 Millionen Köpfe mit 80 Millionen eigenen Vorstellungen, Ansichten, Meinungen. Einen strafrechtlichen Stopfen auf jede Menge Krudes, Verletzendes zu setzen, um es aus der öffentlichen demokratischen Arena zu eliminieren, macht für mich keinen Sinn, mit wenigen Ausnahmen, zu denen ich die Holocaust-Leugnung, die Leugnung von Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsbrüche nicht zähle. In Deutschland ist das Medienrecht außerdem ein mächtiges Instrument, Meinung einzuschränken. Vor allem die Unternehmen nutzen diese Mittel, um Unliebsames zu unterdrücken, Medien zu attackieren und Journalisten mundtot zu machen. Auch deswegen gehören diese Einschränkungen abgebaut.
In den 1960er Jahren entschied ein US-amerikanisches Gericht im Zuge der Bürgerrechtsbewegung und der Forderung nach mehr Meinungsfreiheit, dass lediglich Aussagen, die unmittelbar kriminelle Aktion hervorrufen, eingeschränkt werden dürfen. Wenn jemand bei einem Raub zum Beispiel sagt: „Schieß“, dann ist das nicht geschützt durch die Meinungsfreiheit. Diese Ansicht ist umstritten. Aber ich finde, das wäre ein guter Startpunkt für eine freie Gesellschaft im Sinne der Aufklärung. Man muss keine Angst haben. Wir haben in unseren Gesellschaften genügend Mittel, demokratische Mittel jenseits von staatlich verordneten und gerichtlich durchgesetzten Verboten und Strafen, um den öffentlichen Diskurs, Vernunft und Menschlichkeit zu befördern.
Was die „Achtung der Rechte und des Rufs anderer“ als Grenze der Meinungsfreiheit angeht: Natürlich sind diffamierende Behauptungen, Lügen oder rassistischen Äußerungen nicht hinnehmbar. Viele Schwache, Dissidenten, politische „Störenfriede“ sind davon betroffen. Aber ich bin nicht der Meinung, dass Schmähungen und Herabwürdigungen durch Gesetze, Gerichtsurteile und Strafen verboten werden sollten. Sicherlich, die Folgen der diffamierenden Aussagen können schlimm, manchmal schwer erträglich sein. Das gilt auch für die Antisemitismuskeule. Norman Finkelsteins akademische Laufbahn wurde kaltgestellt durch eine gezielte und schändliche Schmutzkampagne in den USA. Der Friedensaktivist Neve Gordon wurde aufgrund seiner Artikel von einem Professor der Universität in Haifa als „Verräter“, „Unterstützer von Terroristen“, „Judenrat wannebe“ und Antisemit beschimpft. Die Vorwürfe zirkulierten auf rechten Webseiten. Er erhielt Todesdrohungen und eine Flut an Hassmails. Die Leitung der Universität, an der Gordon unterrichtet, erhielt Briefe von großen Spendern, in denen verlangt wurde, dass der „Antisemit“ Gordon gefeuert werden sollte. Trotzdem verteidige ich das Recht derjenigen, die Finkelstein und Gordon als Antisemiten bezeichnen. Die beiden Geschmähten wahrscheinlich ebenso. Nicht die Aussagen sollten gerichtlich verboten werden, sondern die Kampagnen gesellschaftlich bekämpft werden. Es kam bei Finkelstein wie bei Gordon zu Solidarisierungen.
In westliche Demokratien konnte Meinungsfreiheit erkämpft werden, auch wenn es Rückwärtsbewegungen gibt, weil der Druck von Bürgerrechtsbewegungen, die in den USA, aber nicht nur dort, mehr Meinungsfreiheit durchsetzen konnten, heute fehlt. Aber man sollte sich auch klar machen: Die Erzielung von wirklicher Meinungsfreiheit hängt bei uns zu einem großen Teil nicht (mehr) von der Überwindung von strafrechtlichen Barrieren ab (auch wenn die Barrieren gerade erhöht werden), sondern von einer veränderten Informations- und Meinungskultur. Darauf können wir uns glaube ich relativ schnell einigen.
Abschließend zu dem Vergleich des ehemaligen Leiters des Shin-Bet Carmi Gillon. Deinen Einwand kann ich nachvollziehen, glaube aber nicht, dass Gillon den Vergleich so meinte. Der Vergleich ist moralisch gemeint und nicht als eine 1-zu-1-Übertragung. Ich glaube, man würde ihm Unrecht tun, den Verweis zu sehr zu pressen. Er versucht aufrütteln und auf die Verbrechen, die zerstörerische Selbstzerstörung Israels hinzuweisen, die in der veröffentlichten Meinung wenn überhaupt nur sehr bedingt zum Thema gemacht wird. Das gilt für die Menschenrechtsverletzungen, das Besatzungsregime, aber auch die israelischen Kriege und die darin enthaltenen Massaker. So wurden allein beim Einmarsch und der Besatzung des Libanon 1982 mindestens 20.000 Palästinenser und Libanesen getötet, 80 bis 90 Prozent Zivilisten darunter; 30.000 wurden verletzt, viele Amputierte aufgrund der verwendeten Cluster- und Phosphorbomben, bereitgestellt von den USA. Die palästinensischen Flüchtlingslager im Süden wurden durch die mörderischen Bombenangriffen der israelischen Luftwaffe dem Erdboden gleich gemacht, Teppiche von toten Flüchtlingen zurücklassend. Nach der Kontrollübernahme des israelischen Militärs konzentrierten Soldaten allein hunderttausend Palästinenser und Libanesen auf den Stränden nahe Sidon, überließen sie dort über Tage der gnadenloser Hitze und den erniedrigenden Bedingungen. Die Gefangenen in den „Konzentrationslagern“ (so die offizieller Formulierung der Militärs vor Ort) wurden währenddessen gefoltert (zum Beispiel mit Luftgewehrsalven auf die Opfer der Inquisition), ermordet, sexuell missbraucht, geschlagen, während die Familien der Gefangenen hungern mussten und von Terrorbanden, bewaffnet von der Besatzungsmacht, schikaniert oder getötet wurden. Die israelische Armee umstellte schließlich die Lager von Sabra und Shatila. Die verbündeten christlichen Phalangisten durften unter Aufsicht der israelischen Streitkräfte rund 2000 Gefangene in wenigen Tagen abschlachten; die Schreie der Ausgelieferten drangen bis zu den israelischen Posten, während die Soldaten dort Musik von Simon und Garfunkel hörten.
Das Sabra und Shatila Massaker erhielt ausnahmsweise öffentliche Aufmerksamkeit und entfachte sogar einige Kritik. Der Grund: Zu viele Journalisten waren diesmal in der Nähe gewesen, die übliche Einhegung der Berichterstattung funktionierte nicht. Israel sprach daraufhin von westlicher Heuchelei und hatte nicht Unrecht. Andere Massaker von Israel hatten zuvor keine Empörung hervorgerufen. Auch das Niedermetzeln von schutzlosen Bauern, Priestern, indigenen Bergbewohnern, darunter Kinder, ältere Menschen und Frauen, von Kassinga in Namibia über Rio Sumpul in El Salvador bis nach Guatemala, wo 300 Indios 1982 getötet wurden, alles mit militärischer Unterstützung der USA und Frankreichs, wurde im Westen praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Die Reaktionen der Sowjetunion, Syriens, Iraks oder des Irans hatten eine ähnliche moralische Verlogenheit, während die Regierungen dort selbst tief im Blutsumpf steckten. Denn die Verbrechen der israelischen Kriegs- und Besatzungspolitik sind bei weitem nicht einzigartig. In anderen Ländern herrscht Gewalt und Rechtlosigkeit in oft weit größeren Dimensionen.
Um es abschließend so zu formulieren: Es geht mir nicht darum, mit einer Kritik am Einerseits-Andererseits das Differenzieren aufzugeben, Israel plump an den Pranger zu stellen und zum Paria der Welt oder Weltgeschichte zu stilisieren. Das ist alles falsch, blind für die Realitäten und bringt nichts für die Lösung des Konflikts. Aber die Verantwortung des israelischen Staats und der USA für den Konflikt und seine Folgen wiegt schwer. Sie wird auch nicht gemindert durch den Holocaust, die diversen Schichten des Konflikts und seine Entstehung. Deswegen sage ich, dass die Kritik an Israels Expansions- und Blockadekurs und die Unterstützung, die der Kurs von außen erhält, „einseitig“ und „scharf“ sein muss wie bei jedem anderen Staat, der „violent politics“ betreibt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Alles andere führte zu einer Sonderbehandlung, wo ich nicht sehe, wie sie zu rechtfertigen ist.

David Goeßmann


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