Angriff unter falscher Flagge
Der Überfall auf ein ZDF-Kamerateam 2020 in Berlin wurde nun vor Gericht eiligst verhandelt. Ob damit die Corona-Proteste kriminalisiert werden sollten, bleibt ungeklärt.
Vier der etwa 20 Täter, die im Mai 2020 ein Kamerateam des ZDF überfallen und zum Teil schwer verletzt hatten, wurden am Montag, dem 8. Januar 2024, von einem Schöffengericht des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren Haft verurteilt. Die Hintergründe der Tat bleiben damit weiterhin im Dunkeln. Der Prozess war ursprünglich auf acht Verhandlungstage ausgelegt und sollte bis Ende März gehen. Zuvor war es jedoch zu einem Deal zwischen Staatsanwaltschaft, Angeklagten und Gericht gekommen. Die Angeklagten zeigten sich geständig, entschuldigten sich förmlich bei den Verletzten, bestritten aber zugleich, dass sie die Presse angreifen wollten. Sie hätten die sieben Mitarbeiter des ZDF mit Rechtsradikalen verwechselt, so ihre wortgleichen Einlassungen, die von ihren Anwälten vorgetragen wurden. Das Motiv für den Überfall ist bis heute unklar. Wer waren die Angreifer? Hatten sie eventuell einen Auftrag? Warum war das ZDF-Team das Ziel? Steht die Attacke in einem Zusammenhang?
Die Tat geschah am 1. Mai 2020. In der Nähe des Alexanderplatzes in Berlin wurde ein Kamerateam des ZDF, das für die Satiresendung heute-show unterwegs war und den bekannten Satiriker Abdelkarim begleitete, von einer etwa 15- bis 20-köpfigen Gruppe junger Leute zwischen 25 und 35 Jahren, Männer und Frauen, angegriffen. Die Angreifer schlugen nicht nur mit Fäusten, sondern auch mit Stöcken und Metallstangen auf die Geschädigten ein. Außerdem traten sie mit Füßen gegen die Köpfe von Personen, die bereits am Boden lagen. Zwei der Opfer wurden bewusstlos, eines musste mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen.
Die etablierten Medien stellten schnell Zusammenhänge her zu Coronaprotesten beziehungsweise suggerierten sie. Der Übergriff sei „am Rande einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen“ geschehen, hieß es zum Beispiel. Das ZDF-Team habe zuvor „bei einer Demo Stimmen corona-kritischer Verschwörungsideologen eingefangen“.
Die Tendenz der Berichte war eindeutig: Es wurde ein Zusammenhang konstruiert zwischen der Tat und den Coronaprotesten, denen man damit den Stempel „kriminell“ hätte verpassen können.
Neben gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung könnte man die Tat außerdem als Landfriedensbruch klassifizieren. Am deutlichsten kam diese Denunziationsabsicht vielleicht im Bericht der ARD zum Ausdruck: „Viel ist noch nicht bekannt über die Hintergründe des Angriffs auf das Team der heute-show. Doch fest steht: Ein beispielloser Fall von Gewalt gegen Medienvertreter. Das Team hatte zuvor bei einer Demonstration von Verschwörungsideologen am Rosa-Luxemburg-Platz gedreht, ein Zusammenhang gilt als wahrscheinlich.“
Das war im Jahr 2020. Doch drei Jahre und eine polizeiliche Ermittlung später wurde diese Herangehensweise weiterhin gepflegt: : „ZDF-Team bei Coronademo brutal attackiert: Anklage gegen vier Verdächtige“, so die Überschrift eines Blattes nach der Anklageerhebung Anfang 2023 gestützt auf dpa. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin sprach in ihrer Pressemitteilung zur Anklageerhebung vom Januar 2023 ebenfalls davon, dass die ZDF-Mitarbeiter „zuvor bei einer Demonstration der sogenannten 'Querdenkerbewegung' gefilmt“ haben. Und selbst die Pressestelle der Berliner Strafgerichte schreibt in ihrem Prozess-Wochenplan jetzt, das „Fernsehteam habe zuvor von einer Demonstration der sogenannten Querdenkerbewegung berichtet“.
„Ein Zusammenhang gilt als wahrscheinlich“? Tatsächlich lässt sich das Gegenteil sagen: Ein Zusammenhang ist unwahrscheinlich. Die Täter kamen nicht aus den Reihen der Coronakritiker, sondern erstaunlicherweise von deren Gegnern. Die Ermittlungen, die aus Staatsschutzgründen vom LKA Berlin geführt wurden, ergaben, dass die Angreifer dem sogenannten „linken Milieu“ zuzurechnen seien.
Mehr noch: Das heute show-Team mit Abdelkarim wollte zwar bei der wöchentlichen Anti-Lockdown-Demonstration am Rosa-Luxemburg-Platz filmen und Corona-Kritiker – der Begriff Querdenker war damals noch nicht gebräuchlich – interviewen, tatsächlich hat es – irrtümlich – bei deren Gegnern, einer Antifa-Gruppe, gefilmt und sie interviewt. Wenn schon, dann geschah die Tat „am Rande einer Antifa-Kundgebung“.
An jenem Tag war ich zusammen mit einem Kollegen in der Stadt unterwegs, um verschiedene Aktionen und Demonstrationen zu beobachten. Unter anderem auch am Rosa-Luxemburg-Platz. Der 1. Mai 2020 war ein Freitag. Die Coronademonstrationen am Platz vor der Volksbühne hatten bis dahin immer samstags stattgefunden. Begonnen hatten sie Ende März. Danach wurden sie Woche für Woche größer, obwohl niemand dazu aufrief, es keinen Veranstalter gab, keine Bühne, kein Mikrofon und selbstredend auch keine polizeiliche Anmeldung. Es waren lediglich Zeit und Ort, die die Menschen Woche für Woche aufs Neue zusammenführten. Erst 150 Teilnehmer, dann 250, 500, 1000 – Ende April 2020 trafen sich auf dem Platz mit dem Namen der polnischen Revolutionärin schon 2000 Demonstrationswillige.
Da die Coronapolitik eine allgemeine Ausgangssperre verhängt hatte und Demonstrationen schon gar nicht geduldet werden sollten, wurde der Schauplatz zur Herausforderung für die Hauptstadt-Polizei. Immer mehr Kräfte wurden bereitgestellt, mehrere Mitarbeiter der Polizeipressestelle erschienen vor Ort, um zu moderieren, es kam zu Festnahmen sowie schweren Misshandlungen seitens der Polizei, beispielsweise Schläge ins Gesicht. Auch verdeckt arbeitende Beamte in Zivil kamen zum Einsatz.
Die Coronademonstrationen hießen ironisch „Hygienedemonstrationen“, die nächste Versammlung wurde eigentlich für Samstag, den 2. Mai, erwartet. Da der 1. Mai in Berlin aber ein traditioneller Demo-Großkampftag ist, fehlten auch da Coronaproteste nicht.
Am Rosa-Luxemburg-Platz war die Szenerie am 1. Mai gegenüber dem vergangenen Wochenende wie ausgewechselt. Der Platz war weiträumig mit Polizeigittern an mehreren Stellen abgesperrt. Nur Anwohner und Journalisten, die sich ausweisen mussten, durften passieren. In dem Areal waren etwa 300 Polizeikräfte im Einsatz. Der Platz selber vor der Volksbühne war so gut wie menschenleer. Lediglich etwa ein Dutzend Personen standen herum, darunter eine riesige Gummiechse. Und daneben das Kamerateam der ZDF-heute-show mit seinem groß gewachsenen Reporter Abdelkarim, das in dieser Szenerie wie verloren wirkte.
Was Abdelkarim, das Team und die ZDF-Redaktion nicht wussten: Sie hatten nicht etwa Coronahygiene-Demonstranten vor sich, sondern deren erklärte Gegner, eine berliner Antifa-Gruppe. Was war geschehen? Die Polizei hatte am 1. Mai zu einem Manöver gegriffen. Sie hatte mit der Antifa-Gruppe vereinbart, ihr den Platz für eine Kundgebung exklusiv zu überlassen – und zwar von 12 bis 22 Uhr, praktisch also den ganzen Tag. Damit waren die „Hygiene“-Demonstranten ausgesperrt. Beide Seiten – Polizei wie Antifa – bestätigten ihren Deal auf Nachfrage. Später bedankte sich ein Antifa-Redner einmal explizit bei der Polizei, dass sie ihnen diese „Inszenierung“ ermöglicht habe. Das gilt auch umgekehrt: Die Antifa half der Polizei, den Platz als Brennpunkt der Coronaproteste unter Kontrolle zu bekommen und zu leeren.
Es gab an jenem Tag aber trotzdem Coronademonstranten. Sie hatten sich, da der Luxemburg-Platz blockiert war, mehrere hundert Meter nord-westlich davon auf dem Schendelplatz versammelt. Etwa 1000 Leute hielten sich dort auf. Die Polizei erklärte die Ansammlung für verboten, griff ständig Teilnehmer heraus und führte sie ab. Von dem ZDF-Team vor der Volksbühne bekam man dort nichts mit. Und somit auch nicht, dass das ZDF-Team ja eigentlich mit ihnen die Interviews führen wollte, die es stattdessen mit ihren Gegnern führte. Aber auch die Medienleute und Abdelkarim realisierten ihrerseits nicht, dass sie mit den Falschen sprachen und die Original-Hygiene-Demonstranten in einiger Entfernung zu finden gewesen wären.
Warum die ZDF-Reporter nicht erkannten, dass sie es nicht mit Coronademonstranten, sondern im Gegenteil mit Antifa-Aktivisten zu tun hatten, wäre noch eine Gedankenübung wert. Ähnelt etwa das Antifa-„Geschwurbel“ demjenigen, das man „Coronaleugnern“ unterstellt?
Abdelkarim und sein Team verließen bald die Örtlichkeit südwärts Richtung Bahndamm und führten dabei noch das ein oder andere Gespräch, vermutlich mit Anwohnern. In der Sendung heute-show schilderte Abdelkarim später, dass die Interviews alle ganz zivil und entspannt gewesen seien. Mit wem er tatsächlich gesprochen hatte, schien er immer noch nicht verstanden zu haben.
Das sechsköpfige Team entfernte sich weiter vom Luxemburg-Platz, unterquerte den Bahndamm und machte jenseits des Bahndamms auf einem kleinen Platz Pause, etwa 500 Meter von der Volksbühne weg. Offensichtlich wurde es verfolgt, denn dort kam es unmittelbar danach um etwa 16:30 Uhr zu dem gewalttätigen Angriff.
Mein Kollege und ich hatten zu diesem Zeitpunkt das Areal um den Rosa-Luxemburg-Platz bereits wieder verlassen. Wir erfuhren erst durch die Nachrichten von der Tat. Davor hatten wird allerdings noch eine eigenartige Beobachtung gemacht, von der wir zunächst nicht wussten, wie wir sie einordnen sollten. An einer der Polizeiabsperrungen rund um die Volksbühne wurde eine achtköpfige Gruppe junger sportlicher Leute, Frauen und Männer, zunächst aufgehalten. Sie trugen an ihrer Bekleidung zum Teil Antifa-Embleme oder ein Marx-Bild. Doch nach einem kurzen Gespräch zwischen zwei Beamten durfte die Gruppe passieren. Mein Kollege schnappte die Worte auf: „Die dürfen durch. Das sind unsere Leute.“ Wurden wir Zeugen eines weiteren Kapitels aus dem Stück „die Antifa und die Polizei“?
Obwohl die Attacke auf das ZDF-Team sofort reflexartig mit den stigmatisierten Coronaprotesten in Verbindung gebracht wurde, erbrachten die Ermittlungen des LKA überraschend etwas anderes. Sie führten zu Personen, die sich allem Anschein nach zur „linken“ Szene zurechneten.
Sechs der Angreifer konnten gefasst und identifiziert werden. Zwei von ihnen sollen in der Vergangenheit bei „links-motivierten Taten“ polizeibekannt geworden sein. Einer soll einen „linken Aufkleber“ getragen haben. Zwei der Beschuldigten waren in Baden-Württemberg gemeldet: Ein Geschwisterpaar aus einem Ort in der Nähe von Heilbronn. In Heilbronn verkehrten sie unter anderem im „Sozialen Zentrum Käthe“, einem Treffpunkt der Linken. Als das bekannt wurde, verurteilte die Einrichtung den Überfall in einer Erklärung „aufs Schärfste“. Aufgrund ihrer „Brutalität“ stelle diese Tat eine „neue Dimension von Gewalt gegen Journalist*innen“ dar.
Das Zentrum „für linke Politik und unkommerzielle Kultur“ bestätigte auch, dass die beiden Geschwister wiederholt an offenen Treffen in ihren Räumen teilgenommen haben. Man wollte zunächst aber die Ermittlungen abwarten. In seiner Stellungnahme vom 11. Mai 2020 schreibt das Soziale Zentrum Käthe:
„Sollten sich die Vorwürfe gegen die beiden Personen, die sich in der Vergangenheit in unserem Zentrum aufgehalten haben, bewahrheiten, gibt es für uns einiges aufzuarbeiten. Wir müssen und werden uns dann allen kritischen Fragen stellen, die an uns gerichtet werden. Wir sind dann auch bereit, grundsätzliche Fragen zu stellen, was dazu geführt hat, dass wir jetzt mit einer solch abscheulichen Tat in Verbindung gebracht werden.“
Danach wollten sich die Verantwortlichen des Zentrums vor Ende des Verfahrens nicht mehr äußern.
Die Sache wurde als Staatsschutz-Angelegenheit behandelt. Nach mehr als zweieinhalb Jahren Ermittlungen erhob die Generalstaatsanwaltschaft Berlin Anklage gegen vier der Angreifer. Dabei handelt es sich um den 34-jährigen Kevin G., den 28-jährigen Johannes F. und die Geschwister Miriam S., 31 Jahre, und Simon S., 29 Jahre alt. Gegen zwei weitere Beschuldigte wurde das Verfahren eingestellt, weil nicht ausgeschlossen werden könne, so die Behörde, dass sie erst nach dem Tatgeschehen zu der Tätergruppe gestoßen seien. Die übrigen Angreifer konnten laut Staatsanwaltschaft nicht identifiziert werden.
Die Beteiligung von Personen aus Baden-Württemberg kann als Indiz gelten, dass die Tat geplant worden sein muss. Am 1. Mai 2020 gab es auf dem Rosa-Luxemburg-Platz eine Inszenierung, an der die Polizei im Zusammenspiel mit der Antifa beteiligt war. Könnte also der Anschlag auf das ZDF-Team nicht ebenfalls eine inszenierte Aktion mit einer bestimmten Absicht gewesen sein? Und brauchte es für den Skandal gerade einen Angriff auf Journalisten von ZDF oder ARD?
Der Prozess sollte am 15. Januar eröffnet werden. Kurzfristig wurde er um eine Woche vorgezogen, aus „organisatorischen Gründen“ wie es hieß. Und dann ging er obendrein am selben Tag zu Ende, an dem er begann. Der Justiz-Deal verhinderte die Aufhellung der Hintergründe. Die Nebenklage war an dem Deal nicht beteiligt. Die Anwältin des schwer verletzten Kameramannes sagte in ihrem Plädoyer, die große Frage, was der Hintergrund der Tat war, sei ungeklärt geblieben. Vier Zeugen erschienen nicht zur Verhandlung, der Schauspieler Abdelkarim wurde nicht einmal als Zeuge geladen.
Die Vorsitzende Richterin erklärte in ihrer Urteilsbegründung, bei dem Überfall habe es sich um eine „konzertierte Aktion“ gehandelt. Die Tätergruppe habe sich zu der Tat verabredet, sie habe sich aufgeteilt und durch Zurufe koordiniert. Die Aktion sei lange geplant worden und keine Spontansache gewesen. Sie habe in 30 Berufsjahren selten eine derart geplante Geschichte erlebt. Und sie wüsste gerne, warum das so war. Das aber könne man „hier“, im Gerichtssaal, nicht aufklären.
Das wiederum muss man als Zweckpessimismus verbuchen. Denn die Richterin war maßgeblich für das Zustandekommen des Deals, mit dem ein wahrhaftiger Prozess verhindert wurde, verantwortlich.