An allem ist der Russe schuld!

Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer kritisieren die Propaganda des Staatsfernsehens und konstatieren: "Der Rundfunk ist Teil des Herrschaftsapparats!"

An allem ist der Russe schuld! An allem, jawohl. Hillary Clinton verlor gegen Donald Trump, weil Putin mit Cyber-Angriffen Einfluss auf die Präsidentenwahl in den USA nahm. Europa ist in Gefahr, weil der russische Geheimdienst auch die Wahlen in Frankreich, in den Niederlanden und – horribile dictu! – sogar in Deutschland verfälschen will. Deutschland muss zu seiner Sicherheit nach innen und nach außen aufrüsten. Die NATO muss das Baltikum mit verstärkter Militärpräsenz vor der russischen Bedrohung schützen. Ohne Milliardenhilfe für die arme Ukraine hätte der Russe sich längst auch den Osten dieses Landes einverleibt. Hätte es die demokratische Revolution auf dem Maidan nicht gegeben, dann stünde der Russe doch bereits an der Grenze zu Ungarn. Der Russe ist ja mit seinen U-Booten auch schon in schwedische Hoheitsgewässer eingedrungen. Oje!

Weltbilder wie jene hier mit ein paar Strichen skizziert entwickeln Millionen Mitmenschen, die sich bereits für ausreichend über das Zeitgeschehen informiert halten, wenn sie halbwegs regelmäßig die Nachrichtenangebote von ARD-aktuell und ZDF-„heute“ konsumieren.

Es steht ja im Gesetz – dem sogenannten Staatsvertrag -, nicht wahr, der Rundfunk hat „einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben“.

Und weiter: „Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsbildung der Burger und Bürgerinnen beizutragen“. Schließlich: „Informationssendungen müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.“ Herz, was begehrst du mehr? Auf unseren demokratisch verfassten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, auf so seriöse Sendungen wie die „Tagesschau“ ist Verlass – oder etwa nicht?

O-Ton Caren Miosga, „Tagesthemen“ am 24. Februar 2017: „Die SPD bleibt mit ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz im Aufwind.“ Nachrichtensprecher Jens Riewa anschließend: „Die Sozialdemokraten liegen nach dem ARD-Deutschland-Trend von Infratest-dimap erstmals seit Oktober 2006 vor der Union. Würde am Sonntag gewählt, käme die SPD...“ Haben die Infratest-Demoskopen je untersucht, wie urteilsfähig die Befragten eigentlich sind, deren Meinung sie erfragen? Rund 80 Prozent der Bundesbürger sind gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr, aber 60 Prozent finden die Kanzlerin gut. Wer merkt hier einen unauflösbaren Widerspruch?

Stellt die ARD-aktuell mit der Veröffentlichung ihrer kaum qualifizierbaren Meinungstrends nicht genau jene politische Stimmung überhaupt erst her, die sie uns als bereits fertiges Ergebnis alsdann präsentiert?

Dem Soziologen Leander Steinkopf zufolge ist der Deutschland-Trend das Lehrbeispiel dafür, „wie man eine prototypische Meinung herausbekommt, indem man eine prototypische Meinung hineinsteckt.“ Drastisch formuliert: Demoskopie-Informationen wirken gegen politisches Unwissen genauso wie Schnaps gegen den Alkoholismus.

Was haben spekulative Umfragen in einer Nachrichtensendung verloren, die gesetzlich zur Sachlichkeit verpflichtet ist?

Statt einer Antwort darauf lieber ein paar Glaubenssätze.

  1. Ein vernünftiges politisches Urteil setzt ausreichende Sachkenntnis voraus.
  2. Ein korrektes Informationswesen ist konstitutiv für die demokratische Gesellschaft.
  3. Der Anspruch des Bürgers an seine Politiker und Medien, informiert und nicht indoktriniert zu werden, kann sich überdies auf Artikel 1 des Grundgesetzes stützen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Schützt uns dieser – per Rundfunkstaatsvertrag – also auch vor respektloser Falschinformation, vor jeder unsere Würde verletzenden Manipulation?

Warum so hartnäckig?

Volker Bräutigam: „Viele Nachrichtenangebote der ARD-aktuell stehen nicht im Einklang mit der staatsvertraglichen Verpflichtung zur Objektivität. Ich meine zu wissen, wovon ich rede: Während der fast 40 Jahre meines Berufslebens habe ich 10 als Tagesschau-Redakteur gearbeitet, von 1975 bis 1985. Der Vergleich der Sendungen von damals mit denen von heute zeigt starke Qualitätsverluste, nicht nur inhaltliche, auch sprachliche. Mit den Worten eines früheren Kollegen gesagt: Wenn die Tagesschau von einst eine Konditorei war, so wurde sie zur Semmelfabrik ARD-aktuell von heute abgewirtschaftet. Weder neige ich dazu, die mediale Vergangenheit generell zu vergolden, noch blicke ich auf ein sonderlich harmonisches journalistisches Berufsleben zurück, aber unter heutigen Gegebenheiten würde ich nicht mehr bei ARD-aktuell arbeiten. Deren tendenziöse Bilder von den geopolitischen Konfliktherden - antirussisch, antichinesisch, prowestlich, transatlantisch - habe ich, inzwischen längst Rentner, als zunehmende audiovisuelle Angriffe auf meine intellektuelle Integrität empfunden. Wer will sich schon gerne verladen lassen? Besser formelle Programmbeschwerde führen!“

Friedhelm Klinkhammer: „Ich habe 33 Berufsjahre im NDR hinter mir und den Vorzug genossen, seine beiden Seiten intensiv kennenzulernen, Management und Belegschaft: zeitweise als Jurist im Umfeld des Direktoriums, des Rundfunkrates und Verwaltungsrates, zu anderer Zeit als Angestellter im Betrieb und als Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats. Die Geschäftsleitung habe ich zwar nicht entzückt, aber tiefe Einblicke in Entscheidungsstrukturen, interne und externe Abhängigkeiten gewonnen sowie allerhand Charakterlosigkeit erlebt. Sie haben meine Einstellung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk geprägt.

Auch nach meinem Eindruck hat die journalistische Kompetenz des NDR im Laufe der Jahrzehnte erheblich gelitten. Allerdings: Politische Abhängigkeit und einseitige Berichterstattung haben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon immer beeinträchtigt. Ob im Kalten Krieg, ob bei Rückkehr zur Deutschen Einheit, ob während des völkerrechtswidrigen Angriffs auf Jugoslawien, der Kriege gegen Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien oder Ukraine-Konflikt: Es ging immer darum, die öffentliche Meinung regierungskonform zu halten und die transatlantische Sichtweise normativ wirken zu lassen.

Rundfunkrat und Verwaltungsrat, als Kontrollorgane zur Wahrung des Programmauftrags berufen und zur Aufsicht über die Geschäftsleitung, erweisen sich meist als überfordert, ihre Rolle als Vertreter der Öffentlichkeit angemessen zu erfüllen. Schon die Kriterien für die Entsendung in diese Gremien sind undurchsichtig und entbehren einer demokratischen Legitimation. Es schwemmt häufig nur „verdiente“ und „ehrenvoll verabschiedete“ Ex-Politiker oder Verbandsfunktionäre in den Honoratiorenclub “Rundfunkrat“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Allein schon wegen fehlender Fachkompetenz sind sie den Profis der Sender hoffnungslos unterlegen. Kontrolle des Rundfunks durch die Öffentlichkeit? Eine Farce. Rundfunkfreiheit?

Eine Fiktion. Der Rundfunk ist Teil des Herrschaftsapparats.

Natürlich verfolge ich mit den Programmbeschwerden auch die Absicht, aufzuzeigen, wie sehr die Rundfunkräte versagen und wie notwendig es ist, dieses System zu demokratisieren. Es liegt im öffentlichen Interesse, eine unabhängige, sachgerechte und transparente Programmkontrolle zu organisieren.“

Der Preis für Gleichgültigkeit

Zwischen den verbalen Ausfällen der „Lügenpresse“-Demonstranten und dem Syndrom „Die da oben machen ja sowieso, was sie wollen, die Politik interessiert mich ohnehin nicht“ liegen keine Welten. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Den motivierenden wie auch demotivierenden Prägeanstalten und ihrer systematischen „Meinungsmache“ (Albrecht Müller, NachDenkSeiten), wollen wir mit dem Versuch begegnen, Gegenöffentlichkeit herzustellen.

„Der Preis für Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen Leben ist es, von üblen Leuten regiert zu werden“, sagt Platon. Und hat zeitlos recht. Wir wollen diesen Preis nicht widerspruchslos zahlen. Darum versuchen wir, Zustände und Vorgänge bekannt zu machen, die Sie, die Zuschauer, entweder gar nicht oder nur verfälscht von der ARD-aktuell erfahren können.

Unsere Veröffentlichungen sollen den kritisch-distanzierten Umgang mit dem Nachrichtenangebot der korporierten, gleichförmigen Massenmedien fördern. Wir wollen dazu ermuntern, selbst Eingaben zu schreiben, wenn eine Information verweigert oder manipuliert wird.

Wir beschränken unsere Kritik auf ARD-aktuell. Deren Sendungen Tagesschau, Tagesthemen, Nachtmagazin, Wochenspiegel, Tagesschau24 usw. erreichen täglich mehr als 9 Millionen Menschen. Sie ist das wichtigste Informationsinstitut der Republik. Und das kritikwürdigste.

Manipulationen um die Ukraine

Ein Beispiel: Unsere Programmbeschwerde vom 28. Februar 2017, adressiert an den Rundfunkrat des Norddeutschen Rundfunks:

„Die Ukraine ist einer der heißesten geopolitischen Brennpunkte. Die Bundesregierung ist ein wesentlicher Beteiligter im dortigen Konflikt. Sie war und ist diplomatisch, politisch, finanziell und indirekt auch militärisch involviert. Ein grundsätzliches Interesse des deutschen Nachrichtenkonsumenten an allen wichtigen Vorgängen in der Ukraine ist deshalb vorauszusetzen. Drei solcher Vorgänge seien hier als Beweis dafür aufgeführt, dass ARD-aktuell systematisch mit entsprechenden Informationen zurückhält und damit Selbstzensur praktiziert.

  1. Am 7. Februar, nachdem es an der sog. Kontaktlinie zum Donbass/Ost-Ukraine schwere, von Kiew begonnene Kämpfe zwischen der ukrainischen Armee und den Verbänden der ost-ukrainischen Autonomisten gegeben hatte, rief der russische Präsident V. Putin bei Kanzlerin Merkel an. In dem sehr zornigen Telefonat beschwerte sich der Präsident über die von Kiew zu verantwortenden Todesopfer und Schäden an Gebäuden und Infrastruktur in der Ost-Ukraine und bezog sich dabei ausdrücklich auf Erkenntnisse und Daten der Sonderüberwachungs-Mission der OSZE. Putin unterstich, das Oligarchen-Regime Poroschenko missbrauche das „Normandie-Format“ (die Vierergruppe, die das Minsk-2-Abkommen ausgehandelt hatte), um eine Lösung des Konflikts zu sabotieren; Berlin sei darüber genauestens im Bilde. Über das Telefonat informierte der Kreml offiziell.

Quelle unter anderem: http://en.kremlin.ru/events/president/news/53822.

  1. Seit einigen Wochen sind neonazistische Freischärler-Verbände an der Grenze zum Donbass dazu übergegangen, die Kohle-Züge aus dem Osten in die Westukraine zu blockieren. Es sind bereits mehr als 75 000 Waggons aufgehalten worden. Die Versorgungsengpässe der West-Ukraine sind unübersehbar, die Stromversorgung ist bereits eingeschränkt. Die Freischärler nennen die Abnahme der Kohle aus dem Donbass einen „Verrat“ an der ukrainischen Sache und bringen das Putschregime in Kiew unter Zugzwang, selbst militärisch vorzugehen. Kiew hat bereits den Energie-Notstand ausgerufen.

Quellen unter anderem: https://www.rt.com/op-edge/378608-ukraine-blockade-donbass-kiev/; http://www.blacklistednews.com/Fighting_in_Donbass%2C_coal_blockade%2C_and_infighting_in_Kiev%2C_as_Ukraine’s_crisis_deepens/57042/0/38/38/Y/M.html.

  1. Russland erkennt jetzt sämtliche Dokumente offiziell an, die von den nach Autonomie strebenden „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk ausgestellt werden: Geburtsurkunden, Personalausweise, Führerscheine, Versicherungs- und Rentenzertifikate etc. Hintergrund ist, dass die Einwohner der Region zur Regelung persönlicher Angelegenheiten bis dato in die Westukraine reisen und dort wegen der Überpräsenz von Ukronazis ständig um Gesundheit und Leben fürchten mussten. Nunmehr können sie mit diesen „volksrepublikanischen“ Papieren auch nach Russland einreisen und sich z.B. dort medizinisch versorgen lassen. Die Anerkennung der Dokumente läuft auf eine Semi-Anerkennung der „Volksrepubliken“ hinaus. Praktisch könnten sich daraus jederzeit eine formelle Anerkennung der Volksrepubliken durch Moskau und ein Status für Donezk und Lugansk entwickeln wie ihn beispielsweise die Länder Ossetien und Abchasien haben: eigenstaatlich, wenn auch ohne internationale Anerkennung. Dann wäre „Minsk 2“ endgültig gescheitert.

Quelle unter anderem: http://www.unz.com/tsaker/interesting-week-for-vladimir-putin-and-donald-trump/.

Informationen wie die hier genannten passen nicht in das geschönte Bild, das Kanzlerin Merkel und ihre Regierung von der Ukraine gezeichnet zu sehen wünschen. Der Wähler könnte sonst auf die Idee kommen, Merkels gesamte Ukraine-Politik für verfehlt und ihre antirussische Politik für absolut unvertretbar zu halten.“

Chefredakteur Dr. Gniffke ist bewusst, dass das Kabinett Merkel aufgrund vollständiger Nachrichten über die ukrainischen Verhältnisse erheblich unter Druck geriete. Folglich und fügsam beschweigt ARD-aktuell also das Thema Ukraine. Was aber besagt der Rundfunkstaatsvertrag? „Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten.“

Ach ja? Soviel zu Fake News. Soviel zu Presse- und Meinungsfreiheit.