Amerikas Geisterfahrt

Die USA legen sich mit der halben Welt an und behaupten noch immer, dass alle anderen falsch liegen.

Es gibt kaum noch ein Land, mit dem die USA nicht in Konflikt sind. Mit Zöllen und Sanktionen versuchen sie, wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten ihren Willen aufzuzwingen. Angeblich geht es um ideelle Werte. Aber das Elend der betroffenen Völker lässt sie kalt. Ganz unverhohlen bedauern die Missionare der Rechtsstaatlichkeit das Scheitern des Putschversuchs in Venezuela. Nun laufen Kriegsschiffe aus in Richtung Iran, um diesem den politischen Willen der USA aufzuzwingen. Aber worum geht es den Amerikanern? Weshalb schlagen sie in blinder Hysterie um sich ohne Rücksicht auf Freund oder Feind?

Große Worte

Trump hat mit seinem Slogan „Make America great again“ große Erwartungen geweckt bei denen, die sich von der Globalisierung vernachlässigt fühlen, und den Teilen der amerikanischen Mittelschicht, die seit der Finanzkrise sozial immer weiter abgerutscht sind. Schuld an dieser Situation waren nach seiner Ansicht die Politik seiner Vorgänger, die unfairen Handelspraktiken zum Nachteil der USA und die Kosten der Kriege, die sein Land zwar im Interesse des Westens führte, an denen sich aber die NATO-Staaten nur ungenügend beteiligten.

Folgerichtig hatte Trump als eine seiner ersten Amtshandlungen die Handelsverträge mit Mexiko, Kanada sowie Südkorea aufgekündigt und ihnen neue Bedingungen aufgezwungen, ohne sich an Vereinbarungen und internationale Gepflogenheiten zu halten. Zähneknirschend hatten diese Staaten zugestimmt, wollten sie nicht den Zugang zum amerikanischen Markt verlieren.

Die gewaltigen Summen der Handelsdefizite mit China und der EU — besonders Deutschland — fasste er als nächstes ins Auge: Gegen China wurden Zölle verhängt, als es sich den Bedingungen Trumps nicht unterwarf. Aber China zahlte das den USA mit gleicher Münze heim und belegte amerikanische Güter auch mit Einfuhrzöllen. Der EU — und besonders der deutschen Autoindustrie — drohte Trump das Gleiche an, falls die Verhandlungen über neue Handelsabkommen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führten.

Allerdings birgt dieses wechselseitigen Belegen mit Zöllen ein Problem:

„China bezieht deutlich weniger Waren aus Amerika als umgekehrt und kann aus diesem Grund nicht mit einer gleichwertigen Zollerhöhung reagieren“ (1).

Während die USA chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar mit Zöllen belegten, konnte China nur amerikanische Produkte im Wert von 60 Milliarden Dollar treffen. Können die USA mit einer Ausweitung der Zölle auf chinesische Waren im Wert von 500 Milliarden Dollar drohen, kann China kaum mehr androhen.

Dieses Missverhältnis offenbart aber den eigentlichen Hintergrund der Handelsdefizite: Die chinesische Wirtschaft verfügt über ein breites Angebot von Gütern, die auf dem amerikanischen Markt konkurrenzfähig sind. Die Ausfuhren der USA sowohl nach China als auch in die EU — insbesondere Deutschland — sind wesentlich eingeschränkt dadurch, dass amerikanische Waren auf den Märkten der Welt wenig nachgefragt werden.

Die USA exportieren hauptsächlich Agrarprodukte — besonders Soja als Futtermittel für die Fleischproduktion. Aber seit die Flugzeuge von Boeing am Boden bleiben müssen und die amerikanische Chip-Industrie aus politischen Gründen nach China nicht mehr liefern darf, sind die wenigen konkurrenzfähigen Produkte noch weniger geworden: Der Absatz von Apple geht in China zurück. Die Geräte werden zunehmend durch Erzeugnisse aus chinesischer Produktion ersetzt, hauptsächlich von Huawei. Amazon hat sich ganz aus China zurückgezogen, da es gegen die Konkurrenz von Tencent und Alibaba nicht bestehen konnte.

Aber trotz aller Zölle stieg das Handelsdefizit der USA gegenüber China. Und die Einfuhrbeschränkungen für Stahl und Aluminium aus anderen Ländern lässt die Herstellungskosten der amerikanischen Autoindustrie steigen. Das verbessert ihre Lage auf den internationalen Märkten nicht, belastet aber durch höhere Kosten den Absatz im eigenen Land. Die Aufhebung der Sanktionen gegenüber dem russischen Alu-Hersteller Rusal ist sicherlich in erster Linie darauf zurückzuführen und weniger auf die politische Kosmetik Trump‘scher Erfolgsmeldungen.

Diese Rücknahme zeigt aber, dass weder Zölle noch Sanktionen in der Lage sind, die Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft zu verbessern. Sie treiben nur die Preise der Waren in die Höhe oder halten sie auf einem Niveau, das sie vielleicht in den USA in der Konkurrenz bestehen lässt, auf dem Weltmarkt aber immer weniger. Nicht umsonst ist vor allem die amerikanische Industrie ein Gegner von Einfuhrzöllen, verteuern diese doch die Herstellung von Produkten gerade in einer Zeit, in der die Produktionsketten immer mehr international ausgerichtet und damit auf ausländische Komponenten angewiesen sind.

Dürftige Ergebnisse

Es ist also fraglich, ob die von Trump verkündeten Erfolgszahlen der Zollschranken richtig sind. Wie sollen „die massiven Zolleinnahmen von 100 Milliarden Dollar“ (2) aus einem 10-prozentigen Einfuhrzoll auf chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden entstanden sein?

Viel aufschlussreicher sind seine Äußerungen, die einen tieferen Einblick in die Stimmung des Landes geben und die Reaktionen der Administration darauf. Anscheinend treffen die geringen Zölle, die China erhebt, die USA stärker als umgekehrt. So musste die US-Regierung bereits vor Monaten die Soja-Bauern finanziell unterstützen, die erhebliche Einnahmeausfälle durch die Umlenkung der chinesischen Sojakäufe nach Argentinien und Brasilien zu verkraften hatten.

Wie dramatisch die Lage in der amerikanischen Landwirtschaft zu sein scheint, offenbart die Ankündigung Trumps, „rund 15 Milliarden Dollar würden genutzt, um Agrarprodukte von Amerikas Landwirten zu kaufen“ (3). Offensichtlich glaubt man, Erfolgsmeldungen über die rigoros protektionistische Wirtschaftspolitik verkünden zu müssen wie die Behauptung, dass die Zölle Amerika reicher und stärker machten.

Zweifelhaft ist auch, ob die amerikanische Bevölkerung das genau so erlebt. Denn Meldungen wie „85 Milliarden könnten nach Trumps Worten ins Gesundheitswesen und in die Infrastruktur fließen“ (4), deuten doch eher darauf hin, dass man die Erwartungen der Menschen auf die Zukunft vertrösten muss und dies angesichts der Stimmung im Lande für geboten zu halten scheint.

Auch Trumps Empfehlung an die amerikanischen Verbraucher, „doch besser Waren aus anderen Ländern — oder aus heimischer Produktion — zu kaufen, damit sie nicht von Zollerhöhungen getroffen werden“ (5), deuten auf ein Kippen der Stimmung im Lande hin. Die Zölle, die angeblich die Chinesen zahlen, schlagen allmählich durch auf den amerikanischen Verbraucher.

Vermutlich wird Trump nun doch allmählich von der wirtschaftlichen Wirklichkeit des Kapitalismus eingeholt. Die Welt und ihre Realität richtet sich nicht nach einfachen Regeln und einfältigen Sichtweisen eines Stammtischbruders.

Selbst wenn es sich dabei um den Präsidenten der Vereinigten Staaten handelt. Und nicht überall sortiert der Schlag mit der Faust auf den Tisch die Verhältnisse neu, so dass sie auf Dauer Bestand haben. Manchmal wird dadurch nur Bewährtes und Gewachsenes zertrümmert.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse jedenfalls scheinen die Erwartungen und Hoffnungen vieler Amerikaner nicht zu erfüllen. Zügig geht es nicht voran mit „Make America great again“: Die Defizite bauen sich nicht so schnell ab wie erwartet. Und mit den Verkäufen amerikanischer Staatsanleihen im März dieses Jahres — die zu einem Anstieg der amerikanischen Zinsen führten — dürfte den Vereinigten Staaten ihre Abhängigkeit von China auch auf dem Gebiet der Finanzen deutlich vor Augen geführt worden sein.

Innerhalb eines Jahres hat China US-Anleihen im Wert von 68 Milliarden Dollar verkauft, so viel wie schon lange nicht mehr. Das kann auch als Wink mit dem Zaunpfahl für die USA verstanden werden, zeigt es doch, dass die Druckmittel der USA gegenüber China begrenzt sind. So bleibt die militärische Überlegenheit Amerikas Vorteil im globalen Ringen mit den anderen Mächten der Welt: China, Russland und der EU.

Mit dem Rücken zur Wand

Wenn aber das starke Militär den USA auf der einen Seite auch einen Vorteile gegenüber den anderen Mächten verschafft, so ist es auf der anderen Seite vor allem ein erheblicher Kostenfaktor. Kriegseinsätze und weltweite Militärpräsenz bringen zwar vielen amerikanischen Unternehmen satte Gewinne, der US-Gesellschaft insgesamt aber letzlich nur Kosten und Schulden. Nicht zuletzt aufgrund dieser unproduktiv hohen Kosten hat Trump den Amerikanern die Beendigung der Auslandseinsätze versprochen. Das Geld, das das Militär verpulvert, fehlt für die Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben, wie dem Ausbau der Infrastruktur, und im Gesundheitswesen.

Dementsprechend scheint auch über die Auslandseinsätze in der amerikanischen Administration Uneinigkeit zu herrschen. Wie schon zuvor Obama hatte auch Trump im Wahlkampf ein Ende der Kriege angekündigt. So wurden mit den Taliban Verhandlungen über das Ende der US-Präsenz in Afghanistan geführt und aus Libyen die amerikanischen Soldaten abgezogen, seit General Haftar auf Tripolis vorrückt. Will man nicht in neue Konflikte hineingezogen werden oder Haftar das Land überlassen, damit endlich ein „starker Mann“ in Libyen im Interesse der USA neu organisiert?

Aber schon der angekündigte Rückzug aus Syrien offenbart die Zwangslage, in der sich die USA befinden: Einerseits wollen und vielleicht müssen die Amerikaner die Militärkosten in den Griff bekommen, andererseits aber wollen sie den Russen, den Chinesen und auch den Iranern nicht das Feld in einer so wichtigen Region wie dem Nahen Osten überlassen.

Denn der Westen muss das weitere Vordringen der Chinesen und auch der Russen überall dort hinnehmen, wo er sich als ungeeignet und unfähig erweist, die Interessen anderer Völker bezüglich wirtschaftlicher Entwicklung und Unabhängigkeit zu respektieren.

Besonders die USA versuchen das Erstarken von Konkurrenten auf wirtschaftlicher, aber auch militärischer Ebene zu unterbinden. Das gilt für Russland in Syrien; China und Russland in Venezuela; aber auch für den Iran im gesamten Nahen Osten.

Die Schwäche im Konkurrenzkampf mit China liegt in seinem privatwirtschaftlichen Modell, das der Westen doch immer gerne als seine Stärke herausstellt. Schon seit Jahren wird versucht, den Chinesen etwas entgegenzusetzen, die durch ihre Infrastrukturmaßnahmen immer mehr Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent gewinnen und sich dessen Rohstoffe sichern.

Bereits 2014 hatte Obama auf dem US-Afrika-Gipfel den teilnehmenden Staaten Afrikas etwa 40 Milliarden Dollar an Privatinvestitionen und öffentlichen Geldern für den Ausbau der Infrastruktur versprochen. Zur gleichen Zeit hatten die Chinesen etwa eine Billion Dollar an Krediten in Aussicht gestellt (6).

Noch dürftiger war, was Merkel 2018 im Zuge ihrer Afrikareise an Investitionen europäischer Unternehmen zu bieten hatte. Während also der chinesische Staat im Handumdrehen Hunderte von Milliarden bereitstellen kann, muss Merkel sich erst einmal auf die Suche nach privaten Geldgebern machen. Und das waren offensichtlich nicht allzu viele, denn von den großen Ankündigungen von damals ist heute nicht mehr viel zu hören.

Den privaten Investoren ist das Risiko zu groß und anders als China sind die Staaten des Westens selbst in Geldnot. Sie sind gezwungen, durch die Ausgabe von Staatsanleihen private Geldgeber zu finden, um ihre Obliegenheiten erfüllen zu können. Die mächtigen USA sind mittlerweile mit weit über 100 Prozent der eigenen Jahreswirtschaftsleistung bei Geldgebern verschuldet, allen voran bei China.

Nicht nur in Asien und Afrika geraten die führenden kapitalistischen Staaten des Westens gegenüber China ins Hintertreffen, sondern auch in ihren eigenen Hinterhöfen: die USA auf dem gesamten amerikanischen Kontinent, sogar auf dem eigenen US-Markt; die EU-Staaten auf den europäischen. Aber anders als die EU verfügen die USA über eine beeindruckende Militärmacht: Was sie mit Wirtschaftskraft nicht mehr erreichen können, versuchen sie, mit ihrem Bedrohungspotential wettzumachen.

Der Konflikt in Venezuela wird so immer mehr von der nationalen Ebene auf die internationale gehoben, je mehr Guaido an innenpolitischem Einfluss verliert und der Sieg über Maduro — den man glaubte, leicht verjagen zu können — in immer weitere Ferne rückt. Je deutlicher sich in Washington die Erkenntnis durchsetzt, dass der schnelle Sieg ausbleibt, umso heftiger werden die Vorwürfe sowie die Drohungen gegenüber China und Russland und umso rabiater das Vorgehen gegen die Wirtschaft Venezuelas. Das offenbart aber nichts anderes als die Hilflosigkeit der USA und die Weltfremdheit derer, die in Washington und auch in Europa über schnelle Siege fantasieren.

Zurück zu alten Verhältnissen

Mit dem Versagen der wirtschaftlichen Mittel bleibt den USA einzig ihre Strategie des maximalen Drucks: wirtschaftlich durch Sanktionen, militärisch durch Invasions- und Vernichtungsdrohungen, wie gegenüber Nordkorea und nun auch dem Iran. Dabei ist es gerade die Politik der USA beziehungsweise ihre Schwäche, die den Iran stark gemacht hat. Im Unterschied zum Iran ist den USA aus innenpolitischen und vermutlich auch aus Kostengründen eines nicht mehr möglich: das Einbringen von Bodentruppen.

So konnte im Jahr 2014 der Irak nur durch die Hilfe des Iran vor dem Ansturm des IS gerettet werden, der bereits wenige Kilometer vor Bagdad stand. Die Amerikaner waren aufgrund der geringen Mannschaftsstärke ihrer Bodentruppen und aus Rücksichtnahme auf die Kriegsmüdigkeit im eigenen Land nicht dazu in der Lage. Zudem gehorchte die irakische Armee ihrer Regierung nicht mehr. Erst die Aushebung der irannahen Volksmobilisierungskräfte wendete das Blatt zugunsten der irakischen Regierung.

Inzwischen ist der IS besiegt, aber die alten Verhältnisse lassen sich trotzdem nicht wiederherstellen. Stärke und Einfluss des Irans in der Region sind nicht nur geblieben, sie sind auch gewachsen.

In Syrien konnte Assad nicht gestürzt werden, da es nicht gelang, die Kurden für den Kampf gegen ihn zu mobilisieren. Die auf Regime Change ausgerichtete Politik des Westens hat auf ganzer Linie versagt: Russland ist militärisch und diplomatisch im Nahen Osten zur dominierenden Macht aufgestiegen, China zur wirtschaftlichen. Der Wiederaufbau Syriens findet mithilfe der finanzstarken arabischen Nachbarn, der Russen, der Chinesen und der Iraner, aber ohne den Westen statt.

Die Russen lassen sich nicht militärisch und die Chinesen nicht wirtschaftlich aus dem Nahen Osten hinausdrängen. Einzig der Iran könnte durch militärischen und wirtschaftlichen Druck geschwächt werden. Dort versuchen die USA anzusetzen, Irans Einfluss soll gebrochen werden und die Schmach vergessen machen, auf ihn angewiesen gewesen zu sein, um den Irak zu retten und den IS zu besiegen.

In Wirklichkeit aber will man die Russen und die Chinesen treffen. Sie sind die größte Bedrohung der globalen amerikanischen Interessen. Nur: An sie trauen die Amerikaner sich nicht mehr ran.


Quellen und Anmerkungen:

(1) FAZ vom 13. Mai 2019: Ein Glockenton, um die Welt zu warnen.
(2) FAZ vom 11. Mai 2019: Amerikanische Strafzölle gegen China in Kraft
(3) ebenda
(4) ebenda
(5) FAZ vom 14. Mai 2019: Hoher Einsatz
(6) Rüdiger Rauls: Wie funktionert Geld?, CreateSpace Independent Publishing Platform
2015, Seite 123