„America first“ in Europe
Die Kritik an Trumps „America first“ ist heuchlerisch.
Die EU-Oberen prangern den „Nationalismus“ des US-Präsidenten Donald Trump an. Der wolle mit „America first“ die USA abschotten und nur den US-Interessen dienen. Doch Juncker, Merkel, Schäuble und Dijsselbloem und jetzt auch Macron sind nicht nur militärische, sondern auch kapitalistische und geheimdienstliche Komplizen von „America first“ in Europa, Hassobjekt Russland inbegriffen.
Welche Heuchelei! „America first“ bedeutet keine plötzliche Beschränkung der Supermacht USA auf ihr nordamerikanisches Territorium, im Gegenteil: Die globale Supermacht-Rolle der USA soll, wie von allen US-Präsidenten seit 1990 vorangetrieben, noch weiter und aggressiver ausgebaut werden. Und dabei machen die EU-Oberen und auch die britische Brexit-Regierung und vor allem die Bundesregierung selbst kräftig mit, auch mit der gescholtenen Trump-Regierung, in einer Mischung aus Begeisterung und Unterwürfigkeit: Bei der eskalierenden NATO-Umzingelung und dem wirtschaftlichen Boykott Russlands, beim Krieg in Syrien und in Afghanistan, bei Drohnenmorden und militärischer Aufklärung, bei der Zusammenarbeit der Geheimdienste und bei der Umgruppierung des transatlantischen Privateigentums.
Hollande schon willig, aber jetzt Macron
Schon die französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und Francois Hollande, ob „konservativ“ oder „sozialistisch“, wollten die ohnehin bestehende transatlantische Bindung der Grande Nation verstärken und alle Reste gaullistischer Souveränitäts-Versuche abschütteln. Der „konservative“ Sarkozy wollte Frankreichs Wirtschaft für internationale Investoren insbesondere aus den USA und den Golfstaaten durch Arbeits“Reformen“ und Deregulierungen öffnen – wie in Deutschland gelang das erst dem links blinkenden Nachfolge-Chamäleon Hollande, jedenfalls zum Teil.
Der neue französische Präsident Emmanuel Macron war Wahlkampfberater Hollandes und dann von 2014 bis 2016 Wirtschaftsminister in dessen Regierung. Neue Freiheiten für transatlantische Investoren: Für nichts anderes hatte Macron davor schon als Regierungs- und Unternehmensberater in der transatlantischen Investmentbank Rothschild gewirkt, und nichts anderes hat er dann in der Regierung gefördert und schon einiges erreicht, zum Beispiel die Arbeitszeit flexibilisiert und das französische Vorzeigeunternehmen Alstom an General Electric verkauft.
Dass dabei der US-Konzern zum Zuge kam und nicht der deutsche Konkurrent Siemens, auch dafür hat Macron mitgesorgt. Die Bank Rothschild gehört zur transatlantischen Fusions- und Privatisierungs-Industrie mit dem Motto „America first“. Auch deshalb spielt sich jetzt verstärkt die deutsche Lobby auf und fordert mit scheinheiligem Hinweis auf „europäische“ Interessen und auf den Zusammenhalt „Europas“ den günstigen Einstieg für Investoren aus Deutschland.
Frankreichs Handelsdefizit und Staatsverschuldung – an diesen eingefahrenen Themen ergeifern sich nach der Wahl Macrons die deutsche Unternehmerlobby und die Bundesregierung. Aber auch auf der Gegenseite die Forderung Macrons, Deutschland solle seinen Handelsüberschuss gegenüber Frankreich abbauen – auch dies ist Vorwand und Spielmaterial im anstehenden nationalistischen Gerangel, das freilich nur eine untergordnete Rolle spielt.
Die neuen Präsidenten aus dem politischen Nichts
Macron – der Präsident aus dem politischen Nichts – wie Trump. Die populistischen Parteien der ersten (Nachkriegs)Generation im westlichen Kapitalismus haben sich ver-wirtschaftet. Übrig bleiben jetzt die beiden logischen Enden der neoliberalen Kapital-Demokratie: Der Kapitalist oder Banker auf der einen Seite, und auf der anderen Seite der Populist oder die Populistin der zweiten Generation. Der Kapitalist als Präsident - wie der Immobilienmilliardär Trump, die Gasprinzessin Timoschenko und der Schokoladenkönig Poroschenko – treten an mit einem diffusen Programm der optimistischen Erneuerung, alles ganz neu und unschuldig, jenseits von links und rechts, jenseits aller bisherigen Gegensätze.
Die unsichtbaren Finanziers und ihre Stiftungen, die in hochprofessioneller Strategie sofort zehntausende Winkelemente in den jeweils benötigten Farben herbeizaubern, T-Shirts drucken und geräuschlos unters Volk verteilen, die größten Säle mieten, geheimnisvoller Weise die großen Medien mit sich haben – das ist nun schon dutzende Male geübt, und nach der Wahl verkörpert der Oligarch als neuer Präsident den verjüngten alten Zustand.
Als Macrons Optimismus-Macherin und Jugend-Anmacherin agierte bisher Axelle Tessandier, Start Up-Unternehmerin aus dem Silicon Valley. Die quasselige Missionarin aus dem Paradies der asozialen Internet-Ökonomie präsentierte sich bei ihren Auftritten stylish mit weißen Turnschuhen und als konsequente Veganerin. Knallhart mit softem Lächeln propagiert sie die disruptive economy der Amazon, Facebook, Google/Alphabet, Uber, Airbnb, Taskrabbit & Co. Macron lässt seine Missionarin die angeblich überholten Gesetze und Regeln anprangern, durch die die US-Konzerne bei ihrer Durchdringung Europas behindert werden. Gewerkschaften sind für die Befürworter der prämienbezogenen Individualentlohnung ein Hass-Objekt.
Juncker, Dijsselbloem, Merkel, Schäuble
„America first“ in Europe ist schon lange Übung, beschränken wir uns jetzt auf die jüngste Geschichte: Jean-Claude Juncker, nun noch gestärkt als Kommissionspräsident, schützt nationalistisch sein kleines Großherzogtum Luxemburg als größte Finanzoase in der EU und verarmt die Mitgliedsstaaten, deren hohe Staatsverschuldung er demagogisch anprangert. Die größte Auslandsniederlassung von Price Waterhouse Coopers residiert in Luxemburg und handelt mit der korrupten Steuerverwaltung die Steuerdeals aus. Juncker und die EU erfüllen schon längst einen zentralen Programmpunkt Trumps, nämlich die Unternehmenssteuern auch für US-Konzerne wie Amazon, Apple, Citigroup und JP Morgan, General Electric, Google, Pepsi, Procter & Gamble, Caterpillar, Cargill, Accenture, Fedex und Heinz bei ihren Gewinnen in der EU bis an die Nullgrenze zu senken.
Dasselbe tut Eurogruppen-Chef Dijsselbloem: Auch seine Regierung schützt für angloamerikanische Konzerne nationalistisch die Niederlande ebenso als besonders günstigen Ministeuer-Standort, der Luxemburg und Irland vielfach noch unterbietet. Wie das Washingtoner Institut für Steuern und Wirtschaftspolitik ITEP jetzt bekanntgab, zahlen die größten US-Konzerne – beim theoretischen Steuersatz von 35 Prozent – sehr viel weniger oder auch gar keine Steuern. General Electric zahlte seit 2008 keinen einzigen Cent. Bei einigen Konzernen wie Coca Cola und Apple konnte ITEP die Steuern auch wegen der Nutzung der EU-Finanzoasen Luxemburg, Niederlande und Irland und deren Steuergeheimnis nicht sicher ermitteln.
Die deutsche Bundesregierung mit Merkel und Schäuble decken Juncker und Dijsselbloem und Irland nicht nur im Interesse von US-Konzernen, sondern auch im Interesse von anderen Konzernen in der EU und in Deutschland, in denen allerdings die größten Kapitalorganisatoren wie Blackrock, Vanguard, State Street und Fidelity inzwischen ebenso die wichtigsten Aktionäre und Miteigentümer sind wie bei Coca Cola, Amazon und Monsanto.
Merkel und Schäuble präsentieren das im Dienste dieser Investoren überschuldete und sich totsparende Schwarze Null-Deutschland als europäische Über-Nation, die stolz als beste und eifrigste über allen anderen EU-Nationen steht – was aber die Unterwerfung unter die allerbeste aller Nationen nicht ausschließt, ob diese nun von dem geliebten Obama oder dem gescholtenen Trump regiert wird, egal.
„America first“: Rabiate Share Economy
Die Mitgliedsstaaten der EU haben alle ein mehr oder weniger wirksames Kartellrecht. Doch das wird auch mithilfe der EU transnational schrittweise ausgehebelt. Blackrock & Co sind die bestimmenden Eigentümer in den Banken, Pharma-, Luftfahrt-, Agrar- und Industriekonzernen diesseits und jenseits des Atlantiks. Das ist etwa bei Bayer und Monsanto so, und so organisieren die transatlantischen Eigentümer den Kauf von Monsanto durch Bayer und den Kauf von Linde durch Praxair, hebeln mit „America first“ den Wettbewerb aus, erhöhen die Preise und reduzieren die Arbeitsplätze.
Nehmen wir ein anderes, besonders schickes Beispiel: Uber mit Sitz in San Francisco, das inzwischen größte Taxiunternehmen der Welt, dem kein einziges Taxi gehört und bei dem kein einziger Taxifahrer angestellt ist. Uber versucht wie Amazon, Facebook, Google/Alphabet und Airbnb, sich lediglich als irgendwie unbeteiligter Digitalvermittler darzustellen, der sich um Kunden- und Fahrersicherheit und um Gesetze und Regeln der Taxibranche in keinem Staat der Welt zu kümmern braucht.
Erst nach heftigem Protest professioneller Taxifahrer und einigen Gerichtsurteilen gab Uber die Vermittlung privater Fahrer 2015 auch in Deutschland auf, ähnlich in New York. Von der Gewerkschaft GMB unterstützt, erreichten Uber-Fahrer in Großbritannien im Oktober 2016 ein Urteil, wonach sie als Angestellte mit Mindestlohn und Urlaubsgeld zu behandeln sind. Uber ging dagegen in die Revision. Wo es keine nachhaltigen Proteste und keine Urteile auf höchster Ebene gibt, wird einfach weitergemacht.
In Frankreich musste Uber nach heftigen Protesten seine Vermittlung von privaten, nicht lizensierten Autobesitzern einstellen; sie hatten keine geeichten Kilometerzähler, keine Versicherung, keine Nachweise über Sehtests und den technischen Zustand ihres Autos. Nach den Schätzungen einer Kommission des französischen Parlaments wird nur ein minimaler Teil der Einkommen der TaxifahrerInnen versteuert. Den Europasitz hat Uber in die Finanzoase Niederlande verlegt.
Komplizen in der EU: Kroes, Gabriel, Diekmann…
Ein Taxiverband aus Barcelona hat schon 2014 beim Europäischen Gerichtshof eine Klage eingereicht: Uber sei ein Transportunternehmen und müsse sich an die Gesetze und Regeln der Branche halten. Jetzt endlich nach drei Jahren hat einer der Gerichts-Gutachter der Tendenz der Klage zugestimmt. Möglicherweise fällt das Gericht Ende 2017 ein Urteil.
Doch mit demagogischen Anleihen beim Konzept der share economy hält der Konzern dagegen. Er beklagt die Nachteile für die „Kunden“, während die Arbeitsbedingungen der prekären free lancer, die keine Anstellung bekommen, ebenso wenig beklagt werden wie etwa die geförderte Steuerhinterziehung. Und Uber schöpft alle erreichbaren Daten von Kunden und Fahrern ab, auch Fahrrouten und Fahrzeiten, Stopps, Passagiere, Adressen, Konten, Zahlungsflüsse. Die Datenverarbeitung findet vor allem in den USA statt. Was passiert mit den Daten? Welche Verpflichtungen exekutieren die Unternehmen aus dem US-Patriot Act, etwa in der Zusammenarbeit mit Geheimdiensten? Wer solche Fragen stellt, behindert den Geschäftserfolg dieser Unternehmen.
Und was tun die Europäische Kommission, die Bundesregierung und andere Regierungen in der EU? Sie fördern Uber und die sozial aggressive Internet- oder Plattform-Ökonomie. Sigmar Gabriel als deutscher Wirtschaftsminister bastelte schon mit seinem damaligen französischen Kollegen Macron am deutsch-französischen Kern-Europa-Komplex. 2016 nahm Gabriel in seinem Programm zur Digitalisierung die Forderungen von Uber auf: Abschaffung der Ortskenntnisprüfung bei Taxifahrern, keine Rückkehrpflicht der Taxis an ihren Standort, Erlaubnis für private Mitfahrten, Aufhebung der Beförderungspflicht.
Die rechts“liberale“ Regierung Dänemarks betrachtet die Unternehmen der Internet-Ökonomie wie souveräne Staaten. Facebook hat in der dänischen Stadt Odense jetzt ein Datenzentrum eröffnet. Der dänische Außenminister hat im Februar 2017 angekündigt, dass sein Staat digitale Botschafter benennen wird, um diplomatische Beziehungen mit den Giganten zu pflegen, „die Dänemark genauso beeinflussen wie ganze Länder.“
Die Europäische Kommission unterstützt in ihrer „Agenda für die kollaborative Wirtschaft“ (2016) die digitalen Vermittlungsdienste: Dadurch würden „flexible Arbeitsregelungen und neue Einkommensquellen gefördert“. Neelie Kroes, die ehemalige EU-Wettbewerbskommissarin, wechselte nach dem Ende ihrer Amtszeit 2016 in das Uber-Strategiegremium Public Policy Advisory Board. Dort trifft sie auch auf den Ex-US-Verkehrsminister Ray LaHood: Sie bekamen Unternehmensanteile und sollen für Uber bei den Regierungen in den USA und in der EU als Lobbyisten für günstige Regelungen sorgen.
Inzwischen gehört auch der Ex-Chef des deutschen Gossen-Leitmediums BILD, Kai Diekmann, in die hochwertige Runde. Er hatte sich ein Jahr im Silicon Valley begeistern lassen und bekam nun auch seine Uber-Aktien ausbezahlt.
Die Kritik an Trumps „America first“ ist heuchlerisch. Die Interessen Europas liegen anders. Die obersten EU-Populisten müssen abgelöst werden.