Am Hindukusch wird die ARD verteidigt
Die ARD ist alles andere als unparteiisch, wenn es um Krieg und Frieden geht.
Idealisten des Neuanfangs nach 1945 beauftragten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einst, mit seinen Programmen der „Information, Bildung und Unterhaltung“ zu dienen (in dieser Rangfolge). Keine Frage, den Unterhaltungsauftrag erfüllen die Sender; dieses Fass läuft schon lange über. Ungehemmt verführen sie uns, Neil Postmans Prophezeiung zu bewahrheiten: „Wir amüsieren uns zu Tode“. Von kontinuierlicher und umfassender Erfüllung des Informationsauftrags kann hingegen keine Rede sein. Allenfalls von einem „Infotainment“-Angebot, der Entführung des Publikums in eine Scheinwelt, eine höfliche Umschreibung für Lug und Trug.
Nehmen wir den 9. August 2017. ARD und ZDF brachten es fertig, Nordkoreas Raketen- und Atomwaffenprogramm als akute Bedrohung des Weltfriedens auszugeben und den USA dabei die Rolle des Gefährdeten zuzuweisen. Den schamlosen US-Präsidenten Donald Trump zitierten die Nachrichtenredaktionen am 72. Jahrestag des US-Atombombenabwurfs auf Nagasaki – ohne Bezug auf diesen – mit seiner Drohung gleicher Qualität gegen Nordkorea. Geschichtsvergessen berichteten Tagesschau & Co. so, als habe der Schaumschläger im Präsidentenrang beim Frühstück im Golfclub nur eben mal die Platte mit Vorspeisen weitergereicht. Als seien in Nagasaki nicht 75 000 Menschen gemordet und ebensoviele verkrüppelt worden. Mit „Feuer und Zorn, wie es die Welt nie zuvor gesehen hat“ drohte Trump, und prompt lamentierte die TV-Journaille über die Gefahr für u n s e r e n (nicht existierenden) Weltfrieden. Nur eins vermeidet sie tunlichst: die USA als Kriegsungeheuer zu deuten, jederzeit bereit, die UN-Charta zu missachten, das Völkerrecht zu brechen, die Menschenrechte zu verletzen.
Die transatlantischen Propagandatröten von ARD-aktuell und ZDF-heute bauen, die US-dominierte todbringende Realität verleugnend, erfolgreich auf das kurze Gedächtnis ihrer traditionell mangelhaft informierten Zuschauer. Nordkorea verlor 1950-53 im Bombenkrieg der USA 30 Prozent seiner Bevölkerung, konnte danach aber trotzdem in relativer Bedeutungslosigkeit bescheiden leben – bis nach 1992 und dem Ende der Sowjetunion die einzige verbliebene Weltmacht USA ihre globale Regime-Change-Politik begann, mit mörderischen Wirtschaftssanktionen, „Farbenrevolutionen“ und inszenierten „Bürgerkriegen“ (1).
Hungerkatastrophen und Kindersterben in der Volksrepublik Nordkorea? Kommunisten können eben nicht wirtschaften. Selber schuld, nicht wahr? Von den realen Gründen und Umständen wissen wir nichts, denn die kontextlose, ahistorische und aseptische Berichterstattung unserer korporierten Massenmedien, abgefeimt und verächtlich konzentriert auf den unsympathischen Kim Jong-un, funktioniert: Die USA, also WIR, sind DIE GUTEN... Was anderes wollen wir gar nicht wahrnehmen.
Am 9. August 2017 wurde hingegen via Internet Trumps Jammern bekannt: „Wir gewinnen nicht in Afghanistan“. Er habe erwogen, seinen dort mordsmäßig aktiven General John W. Nicholson abzulösen; nur mit Mühe sei es aber Sicherheitsberater H. R. McMaster und dem Kriegsminister J. N. Mattis gelungen, den Präsidenten davon abzubringen. Es muss den Gernegroß gewaltig geschmerzt haben, da er sich doch so reiche Beute in Afghanistan verspricht. Nämlich, wie die New York Times am 25. Juli gemeldet hatte (frei übersetzt):
"WASHINGTON – Präsident Trump hat auf der Suche nach einer Begründung, Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika nach 16 Jahren Krieg weiter in Afghanistan zu belassen, sich eine Aussicht zu eigen gemacht, die schon seine Vorgänger gereizt hat: Afghanistans gewaltigen Reichtum an Mineralien, der von westlichen Ländern profitbringend gefördert werden könnte, wie ihm seine Berater und afghanische Regierungsvertreter mitgeteilt haben." (2)
Die künftigen Profitraten für US-Konzerne aus dem Abbau der reichen Mineralienlagerstätten und die Jahr für Jahr steigenden Milliardengewinne aus der weltgrößten Opiumproduktion (3) waren und sind neben dem geostrategischen Interesse (Einkreisung Russlands und Chinas) weiterhin das Leitmotiv der US-Politik in Afghanistan, selbst nach 16 Jahren des Mordens und Verwüstens. Der Präsident der USA demaskiert sich und seine Vorgänger als Konquistadoren der Neuzeit, als Plünderer und Mörderbande. Konsequenterweise lässt Trump nun abwägen, den frevelhaften Krieg in Afghanistan nicht mehr ausschließlich mit regulären US-Truppen zu führen, sondern ihn zu privatisieren. Outsourcing des Mordsgeschäfts an Legionärsfirmen, zur Effizienzsteigerung des Kriegsverbrechens...
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Söldnerheere dürften künftig in Washingtons Auftrag in Afghanistan hausen. Erik Prince, Gründer von Blackwater International (heute Academi, Tochter der Constellis Holdings), sowie William L. Ballhaus, Chef der DynCorp. International, eines ebenfalls weltweit kriminell aktiven und berüchtigten Spezialunternehmens für blutige Drecksarbeit, sollen eine neue Afghanistanstrategie entwickeln. Ihnen winkt ein Milliardengeschäft (4).
Und dem Völkerrecht sowie der Haager Landkriegsordnung winkt die Verabschiedung in die vollkommene Bedeutungslosigkeit.
„Die wenig erzählte Geschichte von privaten Söldnerfirmen ist eine Geschichte über alles durchdringende Korruption, über die Ausnutzung des selbstgeschaffenen Chaos eines unendlichen ‚Kriegs gegen den Terror.’ Sie handelt von Kriegsverbrechen und der schrittweisen Aushöhlung der Demokratie“,
überschrieb Blogger Jakob Reimann von Justice Now (5) seinen lesenswerten Artikel.
Der zahlende deutsche Zuschauer erfährt über die dramatischen Entwicklungen nichts von „seiner“ Tagesschau. Auch, notabene, nichts vonseiten der anderen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenanbieter. Die erzählen ihm was über brunnenbauende Bundeswehr-Pioniere.
Trump beweist, dass alles Gerede über „Krieg gegen den Terror“ und „Verteidigung der Demokratie am Hindukusch“ nichts anderes als verlogenes Gewäsch ist. US-Soldaten und ihre Verbündeten – Deutschland stellt das drittgrößte Truppenkontingent – morden in Afghanistan (und andernorts) für Mineralien, Öl, Gas, Regimewechsel, Weltherrschaft. USA und NATO wollen jetzt ihren Afghanistaneinsatz verstärken.
Trumps jüngste Äußerungen, verbunden mit der Erörterung des historischen und politischen Kontextes, wären zwar geeignet, selbst dem letzten NATO-Gläubigen hierzulande die Augen zu öffnen – und denen, die wider besseres Wissen weiter für Kriegshandlungen (vulgo: „Luftschläge“) in Afghanistan, Syrien, Jemen, Iran, Venezuela oder gar Nordkorea eintreten, das verlogene Maul zu stopfen. Doch mit Objektivität und geschichtlicher Bezugnahme im Interesse eines kritischen Verständnisses für Verläufe wie in Afghanistan haben es unsere transatlantisch genormten Friseure in den Redaktionsstuben nicht so.
Ein paar Stichworte: Das 1933 gegründete Königreich Afghanistan wurde 1973 von einer an die Sowjetunion angelehnten Republik abgelöst – gewiss nicht, weil Mohammed Zahir Schah ein so beliebter Herrscher gewesen wäre (auch wenn er heute Nostalgikern als Ikone dient). Fünf Jahre später, 1978, rief die (kommunistische) Volkspartei die Demokratische Republik Afghanistan aus. Mit sowjetischer Entwicklungshilfe versuchte sie, Afghanistans Gesellschaft zu modernisieren. In jenen 70er Jahren entstand die heute noch spürbare Russlandfreundlichkeit der urbanen Bevölkerungsschichten Afghanistans (6).
Verena Tobler, Züricher Sozio- und Ethnologin, Rubikon-Lesern als Autorin bekannt, seinerzeit für die UNO und für die schweizerische Humanitäre Hilfe in Pakistan (in einer Epoche, in der von dort aus die afghanischen „Mujaheddin“ von den Saudis und den USA massiv unterstützt wurden in ihrer Guerilla gegen die Sowjets), schrieb in einer E-Mail über die Entwicklungshilfeleistungen der Sowjetunion an Afghanistan:
„Wasserversorgung, Gesundheitszentren, Mädchenbildung, Frauenbefreiung etc. Von einer Mehrheit der Bevölkerung begrüßt und gutgeheißen ... Was jedoch die meisten Sozialisten übersehen haben: Es existierte kein Bevölkerungssegment, mit dem man hätte durchführen können, was man als Revolution bezeichnen könnte. Hingegen gab es jenen ländlichen, traditional bzw. vormonetär organisierten Teil der Bevölkerung, mit dem eine Konterrevolution zu machen war....
Die Russen marschierten am 25. Dezember 1979 ein, nachdem in Herat 40 russische Lehrer und Experten getötet – geteert und gefedert! – worden waren. Ein Racheakt der „Konterrevolutionäre“ gegen die Regierung in Kabul, die das landesweite Schulobligatorium für Mädchen beschlossen hatte und damit begann, Alphabetisierungskurse für Frauen zu organisieren. Racheakte, welche in der Folge die Aufmerksamkeit der USA erregten und die schließlich von dem, was mir persönlich als das dümmste und arroganteste Imperium der Nachkriegszeit vorkommt, blindwütig unterstützt wurden. Zuerst nur mit Dollars, Waffen und Logistik. Später dann lösten die USA sowie die NATO und ihre Verbündeten die Russen ab. [...]“ (7)
Sachliche Reminiszenzen, von der Tagesschau ins Allgemeinwissen implantiert, würden den deutschen Blick auf Afghanistan und das, was die USA und ihre Vasallen da treiben, mit Sicherheit verändern. Es wäre grundsätzliche Aufgabe der ARD-aktuell-Redaktion gewesen, nach den eingangs zitierten Trump-Äußerungen alles damit Zusammenhängende und sich daraus Ergebende anzusprechen. Geschehen ist nichts dergleichen. Wie üblich verschwiegen Tagesschau & Co. verständnisinnig eine Faktenkette, die der Darstellung Washingtons zuwiderläuft.
Wir reichten deshalb eine Programmbeschwerde beim NDR-Rundfunkrat ein. Es ist Aufgabe der Rundfunkräte, zu überwachen und sicherzustellen, dass ARD-aktuell die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags (Programmauftrag, Programmrichtlinien, Programmgestaltung) beachtet:
„Das Gebot der Vielfalt gilt insbesondere für informierende und meinungsbildende Sendungen. Profilierte politische Aussagen und Analysen sind ebenso wesentliche Bestandteile des Programms wie die Information über bisher unbekannte Sachverhalte und Zusammenhänge....“ (8)
Der Rundfunkratsvorsitzende Dr. Günter Hörmann antwortete jedoch nur lapidar:
"Im Rahmen der Überwachung der Programmanforderungen und der Beratung des Intendanten in Programmangelegenheiten haben wir Ihre Kritik zur Kenntnis genommen und sie an die Intendanz mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige Redaktion im NDR abgegeben.
Der Rundfunkrat ist darüber hinaus nicht befugt, in die Programmgestaltung des NDR einzugreifen oder auf die auf Basis anerkannter journalistischer Grundsätze getroffene Themenwahl Einfluss zu nehmen.“ (9)
Der Staatsvertragstext gibt diese Deutung allerdings nicht her. Er bestimmt das Gegenteil:
"Der Rundfunkrat überwacht die Einhaltung der Programmanforderungen (§§ 3, 5, 7 bis 9) [...] Er kann feststellen, dass einzelne Sendungen gegen diese Anforderungen verstoßen und den Intendanten anweisen, einen festgestellten Verstoß nicht fortzusetzen oder künftig zu unterlassen." (10)
Unsere Programmbeschwerde hatte genau darauf Bezug genommen: Der Rundfunkrat solle auf den Intendanten des NDR einwirken, damit bei solcherlei Berichten nicht fortgesetzt
„[...] Tatbestände unterdrückt werden, die zur Urteilsbildung nötig sind [...]“
bzw., dass, wie in den „Grundsätze[n] für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm ‚Erstes Deutsches Fernsehen’“ weiter formuliert, auch
„[...] über bisher unbekannte Sachverhalte und Zusammenhänge[...]“
auftragsgemäß informiert wird. Bereits aus den „Grundsätze[n] für die Zusammenarbeit …“ folgt, dass der Rundfunkrat keineswegs nur solche Beiträge und Inhalte im Wege einer Beschwerde überprüfen kann, die bereits gesendet oder veröffentlicht wurden.
Wie Hörmann formulieren und agieren eben Rundfunkräte, die sich nicht als Vertreter der Öffentlichkeit, sondern als Repräsentanten des Senders betrachten und das herrschende Politik- und Gesellschaftsverständnis verinnerlicht haben. Ihr Konformismus schließt aufrechtes Eintreten für eine um Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit bemühte Nachrichtengestaltung aus. Analytischen Verstand, Kritikfähigkeit und Konfliktbereitschaft bräuchte ein Rundfunkrat, wenn er dem Intendanten und seinen Chefredakteuren auf die Finger gucken und erforderlichenfalls klopfen wollte. Stattdessen erleben wir Harmoniesucht, Selbstgefälligkeit, Aufgeblasenheit.
Infolge des Mangels an souveränem Selbstverständnis im Honoratiorenclub der Rundfunkräte ändert sich nichts am Informationsangebot von Tagesschau & Co. und damit nichts am Kenntnismangel des deutschen Publikums über Afghanistan und andere Konfliktregionen (Ukraine, Syrien, Jemen, Venezuela, Palästina, Mali, Sudan, Ghana, Nigeria, Kongo, Nordkorea, usw.). Zumindest solange ARD-aktuell noch „Marktführer“ beim Infotainment bleibt und die sich im Internet sammelnde Gegenöffentlichkeit als quantité négligeable betrachtet.
Afghanistan verfügt über gigantische Vorkommen an Lanthan, Cerium, Neodym, Seltenen Erden, Kupfer, Kobalt, Gold und Lithium. Das ist den USA und der Welt seit mindestens acht Jahren bekannt (11). Das räuberische und mordbereite Interesse der supranationalen Eliten an diesem Reichtum ist ein Leitmotiv für die widerlichen statements des US-Präsidenten, füglich normgebend für deutsche Politik und die wiederum ist richtungsweisend für die schönfärbende Berichterstattung unserer Medien. Unsere Nachrichteninstitute setzen sich damit über die gesetzlich festgeschriebenen Leitlinien hinweg. Im Volk aber wächst derweil die Ablehnung der Kriegspolitik in gleichem Maße, wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an Vertrauen verlieren.
Quellen:
(1) Quellen u.a.: https://www.strategic-culture.org/news/2017/08/11/avoiding-nuclear-war-why-kim-jong-un-strategy-makes-sense.html , http://thesaker.is/north-korea-killer-sanctions-imposed-by-the-foremost-institution-of-peace-and-justice-the-un-security-council/
(2) https://www.nytimes.com/2017/07/25/world/asia/afghanistan-trump-mineral-deposits.html
(3) https://www.strategic-culture.org/news/2016/09/29/afghanistan-it-heroin-stupid.html
(4) https://www.nytimes.com/2017/07/10/world/asia/trump-afghanistan-policy-erik-prince-stephen-feinberg.html , http://thesaker.is/erik-prince-offers-pentagon-a-way-out-of-afghanistan/, https://www.strategic-culture.org/news/2017/08/11/private-contractors-replace-us-military-afghanistan-shirking-responsibility-failed-mission.html
(5) http://justicenow.de/die-neuen-haendler-des-todes/
(6) https://www.counterpunch.org/2017/08/03/afghanistans-lies-myths-and-legends/
(7) s. dazu auch: http://www.kernkultur.ch/resources/Artikel/Krieg-der-KulturenVHS.pdf , http://www.kernkultur.ch/resources/Artikel/DieTalibanverstehenNZZ.pdf
(8) Grundsätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm "Erstes Deutsches Fernsehen" und anderen Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten [Richtlinien gemäß § 11e RStV in der Fassung vom 17. September 2013), I. (3) (a)]; http://www.ard.de/download/555738/Grundsaetze_fuer_die_Zusammenarbeit_im_ARD_Gemeinschaftsprogramm_.pdf
(9) E-Mail des NDR-Rundfunkratsvorsitzenden an die Autoren: gremienbuero-beschwerden@ndr.de. Betreff: Ihre E-Mail vom 02.08.2017. Datum: 9. August 2017 um 09:24:37 MESZ
(10) NDR-Staatsvertrag, §18, 2 http://www.ard.de/download/541988/NDR_Staatsvertrag.pdf
(11) http://www.nytimes.com/2010/06/14/world/asia/14minerals.html.
Weitere Literatur unter https://www.counterpunch.org/search-results/?cx=000357264939014560440%3Aicshsy4bfu0&ie=UTF-8&q=Afghanistan.