Altern und Bewusstsein
Wenn der körperliche Abbau bei Menschen beginnt, ist zugleich das Potenzial für geistiges Wachstum gegeben — wir müssen die Gelegenheit nur ergreifen.
Der materialistisch gesinnte Mensch muss kategorisieren, Phänomene, die ihm in der Welt entgegentreten, gegeneinander abgrenzen, was Sicherheit und Orientierung schafft. Wirklichkeitsfremd sind Kategorisierungen im Bereich des sozialen Lebens, denn individuelle Menschen können weder dualistisch eingeteilt noch in seelisch-geistige Arten und Gattungen gefasst werden. Statt einer Einteilung in Gut-Böse, Freund-Feind, Normalmensch-Elitenmensch, links-rechts, grün-rot, Herrschende-Beherrschte oder eben auch Alt-Jung als „Klassen“, kommt man der Wirklichkeit näher, wenn man die Gegensatzpaare als Polaritäten versteht, die mehr oder weniger jedes Individuum bestimmen. Die Frage, ob man jung und alt zugleich sein kann, statt sich lediglich von jung nach alt zu entwickeln, ist in Zusammenhang mit der geistigen Entwicklung der Menschheit bedeutend, auch im Hinblick auf den trennenden Materialismus in seiner irrationalen Version. Ein Beitrag zum „Alt und Jung“-Spezial.
Das Gefängnis des irrationalen Materialismus
Um überhaupt zu einer sinnvollen Einordnung der Phänomene des Jung- und Altseins kommen zu können, soll zuerst der Versuch unternommen werden, eine Grundlage zur Beurteilung zu schaffen, denn, so lange wir in der gegenwärtigen irreal-materialistischen Bewusstseinshaltung verbleiben, können diese Phänomene — und nicht nur diese — nicht wirklich verstanden werden.
Kategorisierungen, mit denen man Phänomene greifbar und messbar machen kann, sind dort sinnvoll und berechtigt, wo es um den Bereich des Nicht-Lebendigen geht. Wir können tote Materie tabellarisch darstellen, physische Aspekte der Welterscheinungen in Naturgesetze fassen, quantifizieren und objektivieren. Sobald wir jedoch den Bereich des Lebendigen betreten, genügen solche Denkweisen nicht mehr, erst recht nicht, wenn wir die Sphäre des Menschen und seine soziale Realität und damit in Zusammenhang das Alt- und Jungsein betrachten. Zwar kann man etwa im Bereich der menschlichen Ontogenese wiederkehrende Entwicklungsmuster feststellen, die präzise beschrieben und mit „Überschriften“ versehen werden können.
Im Bereich der Erforschung des individuellen Menschen, seiner physisch-seelisch-geistigen Entwicklung, wie wir zum Beispiel an den Forschungen von Carl Gustav Jung oder auch Jean Piaget sehen können, ist Bedeutendes geleistet worden. Eine Sonderrolle spielt dabei Wilhelm Reich, der gegen alle Widerstände den inneren Menschen mit dem äußeren verbunden hat, indem er den physischen Körper als Spiegel und Abdruck seelischer und geistiger Vorgänge erforscht hat (1). Diese Forschungen sind auch längst in viele, zumeist „alternative“, psychische Behandlungsmethoden eingeflossen. Mit seinen Geistesforschungen hat Rudolf Steiner Jahrzehnte zuvor bereits den Menschen in der Tiefe seiner geistig-seelisch-physischen Natur und ihren Zusammenhang mit dem Geistigen im Kosmos erfasst (2).
Heute wäre es zwingend angebracht, die Forschungen Steiners jenen materialistischen zu unterlegen, und man würde sehen, dass das empirisch Beobachtete der Geistesforschung nicht widerspricht. Auf diese Weise wäre ein Not wendender Quantensprung an Erkenntnis möglich.
Bei der Beobachtung des Lebens und der sinnlich erschließbaren Welt von der Materie auszugehen, ist berechtigt, denn „Welt“ erschließt sich zunächst von ihrer materiellen Seite durch die Sinne, die „Sinn“ vermitteln, insofern wir nicht an der äußeren Erscheinung hängen bleiben. Diese Möglichkeit hat bereits Johann Wolfgang von Goethe aufgezeigt, der mit seinen „naturwissenschaftlichen Schriften“ eine Methode der „anschauenden Urteilskraft“ entwickelt hat (3). Ein derart konsequent verfolgter und daher berechtigter Materialismus wird wesentliche Ursachen gerade nicht im materiellen Bereich finden. Er zwingt dazu, die lineare und monokausale Betrachtungsebene zu verlassen.
Irrational wird Materialismus dann, wenn er allen Weltenerscheinungen lineare und monokausale Ursache-Folgeketten mit rein materiellen Begründungen zwanghaft unterstellt.
Bereits im 19. Jahrhundert musste man erkennen, dass die Tätigkeit des Denkens und die Gedanken selbst nur mit allergrößten Verrenkungen rein materiell erklärt werden können. Weil heutzutage philosophisches Denken nicht mehr an der Spitze der Forschung steht, schlagen Forscher immer noch den Irrweg ein, Denken und Gedanken allein im Gehirn und den neuronalen Netzen suchen zu wollen. Insbesondere transhumanistisch ausgerichtete Zeitgenossen verwechseln dann das Gehirn mit einem Computer und meinen entsprechend, Gedanken „downloaden“ zu können, eine Behauptung, die bereits durch die Gehirnforschung widerlegt ist (4).
Besonders die soziale Realität lässt sich nicht — auch wenn mehrheitlich immer noch das Gegenteil behauptet wird — statistisch oder gar wie ein Elektro- oder Heizungssystem erfassen. Es gibt kein Gesellschafts-„System“ und schon gar keine „Mechanismen“ im Bereich des Lebens. Das hat eben Jean Piaget auch dazu veranlasst, den Menschen in seiner natürlichen Umgebung zu studieren statt unter Laborverhältnissen mit Messgeräten und Maschinen, und Rudolf Steiner wollte gar den „Labortisch zum Altar“ machen, um der tiefen Demut Ausdruck zu verleihen, die bei derlei Forschungen angebracht ist. Auf der Basis des irrationalen Materialismus und unter manipulativen Laborbedingungen „töten“ wir das Leben ab und machen es schlussendlich zum Leichnam.
Man kann die Dingwelt allein durch Logik und begriffliches Denken (Verstand) erfassen, die Welt des Lebens nicht: Die Fallgeschwindigkeit eines Gegenstandes lässt sich berechnen, das Anstoßen einer Kugel lässt die Richtung und auch die Entfernung, in der sie rollt, vorausbestimmen. Fällt jedoch ein Mensch, kann er sich möglicherweise festhalten; stößt man einen Menschen unsanft, kann das eine Ohrfeige zur Folge haben und man selbst ist plötzlich der Gestoßene. Die Relativitätstheorie wurde ebenfalls nur aus der Betrachtung der Dingwelt entwickelt. Sie kann zwar behaupten, dass es einerlei ist, ob ich auf die Philharmonie in Berlin zugehe oder sie auf mich zukommt. Sachlich rechnerisch gesehen ist es richtig, aus der Perspektive des tieferen Seins betrachtet aber falsch: Wir fühlen den Vorgang, bei dem die ganze Philharmonie auf uns zukommt sicher ganz anders — wahrscheinlich ziemlich bedrohlich —, als wenn wir auf sie zugehen. Lebendig-Seelisch-Geistiges kann nicht berechnet oder gemessen werden, es sei denn, man wendet Techniken an, um ein Wesen zuvor so zu stimulieren und zu manipulieren, dass dessen Reaktionen anschließend kalkulierbar(er) werden (5).
Im Vortrag „Evolution — war alles ganz anders?“ zitiert Armin Risi (6) Professor Richard Lewontin, einen einflussreichen US-amerikanischen Evolutionsbiologen, Genetiker und Gesellschaftskritiker, der in seiner Rezension in der New York Times vom 9. Januar 1997 mit dem Titel „Milliarden und Abermilliarden von Dämonen“ geschrieben haben soll:
„Unsere Bereitschaft, wissenschaftlichen Behauptungen, die dem gesunden Menschenverstand widersprechen, zu akzeptieren, ist der Schlüssel zum Verständnis des wirklichen Kampfes zwischen der Wissenschaft und dem Übernatürlichen. Wir stellen uns auf die Seite der Wissenschaft trotz der offenkundigen Absurdität in einigen ihrer Konstrukte, weil wir bereits von vornherein eine Entscheidung getroffen haben, eine Grundsatzentscheidung für den Materialismus. Es ist nicht so, dass die Methode und die Vorgabe der Wissenschaft an sich uns zwingen würden, eine materialistische Erklärung der Erscheinungswelt anzunehmen. Vielmehr ist das Umgekehrte der Fall: Durch unsere a priori getroffene Grundsatzentscheidung für materielle Ursachen sind wir gezwungen, Forschungsansätze und Erklärungskonzepte zu entwickeln, die zu materialistischen Erklärungen führen, egal, wie sehr sie der Intuition widersprechen, egal, wie rätselhaft sie den Nichteingeweihten erscheinen. Darüber hinaus ist dieser Materialismus absolut, denn wir können keinen göttlichen Fuß in der Tür zulassen.“
Dieses Zitat ist sicher eines von tausend möglichen, um den Irrtum des irrationalen Materialismus vorzuführen:
- Von vornherein als Prämisse auszuschließen, was an sich erst Ergebnis einer sachlichen Beobachtung und Forschung sein kann, nämlich „Geist“, „Seele“, „geistige Wesen“ ist kein wissenschaftliches Vorgehen (7).
- Die „Entscheidung für den Materialismus“ ist einseitig, was ja auch geäußert wird, sie könnte mit derselben Berechtigung auch durch eine Entscheidung für Spiritualität ersetzt werden. Dadurch würden Forschungsschwerpunkte neu gesetzt und andere Ergebnisse erreicht werden.
Was wäre denn, wenn Gott/Göttliches tatsächlich zu den Tiefenursachen des Weltganzen und des Menschen gehört (8)? In den Aussagen im Zitat wird meines Erachtens ein einseitiges, von Angst erfülltes Geistesleben deutlich.
Wer sich von vornherein auf Materie als Urgrund aller Welterscheinungen festlegt — und das tun, außer Wissenschaftlern, viele Menschen implizit, ohne es zu bemerken —, schließt Übersinnliches von vornherein aus, das aber sehr wohl im Bewusstsein vorhanden ist und daher keiner apriorischen Welt entstammen kann. Verhält man sich dann nicht wie eine gespaltene Persönlichkeit?
Das zwanghafte Festhalten an Materie als Wesensgrund allen Seins ist von Angst vor Kontrollverlust beherrscht. Diese Angst hält uns davon ab, in die Welt zu lauschen, um sie zu uns „sprechen“ zu lassen; stattdessen zwingt man ihr die eigenen Vorstellungen auf. Dieses selbst errichtete Angst-Gefängnis ist die erste tiefere Signatur des irrationalen Materialismus, der sich als pure Ideologie erweist.
Fühlendes Denken, seelische Verschränkungen
Um die Betrachtung einzugrenzen, verbleiben wir beim Menschen als Beobachtungs-„Gegenstand“. Der Mensch tritt uns zwar physisch-lebendig, aber niemals als Ding gegenüber, es sei denn als Leichnam. Selbst ein krasser Materialist muss doch zugeben, dass die Begegnung mit einem Fahrradständer oder einer Blumenvase etwas ganz anderes ist als die mit einem Menschen, sei er alt, jung, mittelalt oder wie auch immer. Woran liegt das wohl?
Wir erleben einen lebendigen und wachen Menschen immer auch fühlend in allen Äußerungen seiner Physiognomie, seinem Verhalten und als Geist — als Ich —, in dem er sich sprachlich äußert; ansonsten könnte ich zu ihm oder er zu mir nicht „Du“ sagen. Wer zu sich „Ich“ und zum Gegenüber „Du“ sagen kann, besitzt einen freien Willen. Wer hier immer zuerst Beweise braucht, kann diese nur im Objektivieren und Messen finden, womit er im Gefängnis des irrationalen Materialismus verbleibt, der ihn glauben lässt, dass er einen Beweis gegen den freien Willen gefunden hätte.
Worauf ich hinaus will ist, dass wir lernen, jeden Menschen in seinem Wesenskern als Unikat und einmalig zu sehen. Menschen sind kleine Universen, die den ganzen großen Kosmos in sich tragen.
Wenn ich die Erscheinung eines Menschen, der mir gegenübertritt, nun irgendwie kategorisiere — ein Linker, Alter, Junger, Böser und so weiter — schiebe ich ihn quasi in die Dingwelt. Dann kann ich ihn nicht tiefer verstehen, weil solcherlei Vorurteile den Weg zu ihm versperren. Es mag sein, dass Gefühle der Antipathie oder schlicht persönliche Unreife zu diffamierendem Verhalten veranlassen: Wenn wir aber die soziale Realität als „sozialen Organismus“ und auch das, was den alt-werdenden vom noch jungen Menschen unterscheidet, verstehen wollen, muss das Denken selbst fühlend werden, es muss die verengende Antisozialität, von der es heute grundsätzlich bestimmt ist, immer mehr weiten, bis sie sich auflöst (9).
Kant nannte die geistige Grundlage dafür „Vernunft“, die er vom trennenden „Verstand“ unterschied.
Wir meinen zum Beispiel einen Menschen, der ein Verbrechen begangen hat, als per se „Bösen“ einschätzen zu können. Doch wissen wir, wie er zu seiner bösen Tat kam, ist er selbst böse oder nur seine Tat? Wer/was ist eigentlich „Er“ und was bedeutet „Ich“ wirklich? Eine tiefere Beobachtung muss uns dazu veranlassen, Täter und Tat streng voneinander zu unterscheiden. Oder: Vor uns steht ein spritziger, tatkräftiger „Besserwisser“, möglicherweise ein sogenannt Junger, der uns „auf die Nerven geht“:
Verstehen wir seine Beweggründe, wissen wir um den Entwicklungsstand und daraus resultierend seine seelisch-geistige Verfassung? Es gibt junge Alte und alte Junge, es gibt Menschen, die „linke“ und „rechte“ Ideen in sich vereinen, im einen Lebensbereich verhalten sie sich nicht gerade „salonfähig“, in anderen Lebensbereichen sanft und liebevoll. Als Künstler erweisen sich Menschen feinfühlig und offen, in der sozialen Begegnung schroff, ungeschliffen oder gar bösartig.
Wir ärgern uns mal schnell an „den Anderen“: Doch bemerkt durchaus eine weitere Polarität, wer etwas feinfühliger ist und erlebend denken kann: Erfahren wir nicht in Begegnungen mit Menschen — gerade auch, wenn sie von Dissonanzen bestimmt sind — vor allem etwas über uns selbst und sagt uns der Blick ins eigene Innere nicht etwas über das Gegenüber aus? Freilich müssen wir dabei eines können: Uns selbst aushalten!
Wir erhalten Aufschluss über die Welt, indem wir in uns schauen, und über uns selbst, wenn wir die Welt beobachten.
Die Schönheit des Menschen
„Wenn es im Himmel so schön ist“, fragte ein Kind seinen Vater, „weshalb leben wir hier in der Wüste und nicht im Paradies?“ Der Vater dachte lange nach, dann sagte er: „Kein Mensch weiß die Antwort, aber vielleicht geht es uns Menschen wie dem Pfau in meiner Geschichte:“
Ein König hatte einen prächtigen Garten. Darin dufteten zu jeder Jahreszeit Kräuter, blühten Blumen, und Gras färbte den Boden grün. Breite Flüsse brachten Wasser, und in den Bäumen sangen bunte Vögel die herrlichsten Lieder. Alles Schöne und Feine, das man sich träumen kann, gab es in diesem Garten. Dazu gehörte auch der Pfau mit seiner Federpracht.
Einmal aber ließ der König den Pfau fangen und ganz in Leder einnähen, sodass er über und über mit der groben Haut bedeckt war. Keiner — nicht einmal der Pfau selbst — konnte mehr etwas von seiner Farbenpracht sehen. Dazu ließ der König ihn noch unter einen Korb setzen, sodass der Pfau kein Fleckchen des Gartens mehr sehen konnte. Jetzt war er ganz allein und auch nicht mehr er selbst.
Mit der Zeit gewöhnte sich der Pfau an seine neue Haut und an den Korb, und er vergaß, wie der Garten und wie er selbst ausgesehen hatten. Und bald war er überzeugt, dass es keinen größeren Raum gebe als den Korb und kein schöneres Kleid als die Lederhaut. Und er lachte nur, wenn ein Funke von Hoffnung an eine schönere Welt in ihm aufkam.
Allerdings wurde er immer unruhig, wenn ein Lüftchen den Duft von Veilchen oder Rosen oder Jasmin in seinen Korb wehte. Und wenn er einen Vogel singen hörte, wäre er am liebsten in die Lüfte geflogen. Aber er machte sich weiter nichts daraus und hatte keine Ahnung, woher diese Lust kam, und er kümmerte sich auch nicht darum. Und er fand weiterhin, sein Korb sei die schönste aller Wohnungen und das bequemste aller Nester.
Eines Tages aber ließ der König den Pfau holen, nahm ihm das Lederkleid ab und stellte ihn in den Garten zurück. Und da stand der Pfau wieder in der Sonne und roch die Kräuter, sah die Blumen, hörte die Vögel und erkannte auch seine eigene Schönheit. Und er fragte sich: „Wie konnte ich nur den Garten und mich selbst vergessen?“ und weinte.
In Märchen, geschrieben von tief blickenden Menschen, erschließt sich uns der Weg zur eigentlichen Realität, während die heutigen Wissenschaften immer mehr schlechten Märchen gleichen, weil sie von Wirtschaftsinteressen nur so infiziert sind und daher immer unglaubwürdiger werden.
Jenseits aller materialistischen Verbiegungen und Behauptungen, die heute einen unrechtmäßigen Alleinanspruch auf Realität erheben, soll im Märchen vom „Pfau unter dem Korb“ etwas verdeutlicht werden, das sich uns erst erschließt, wenn wir beim Lesen in uns spüren und uns inspirieren lassen: Unser Sein und Wesen gründet nicht im materiellen Bereich, wir sind nicht unser Körper.
Materie, unser Leib, der Welt-„Leib“, der Kosmos, alle Erscheinungen bis hin zu den Staubflocken in der Ecke eines Raums sind grundsätzlich und ausnahmslos der Abdruck und die Verdichtung einer vielschichtigen geistigen Welt, der auch unser eigentliches Wesen entstammt, mit der alles in Verbindung steht, wofür jener Garten steht.
Die Vögel und Bienen sollen darauf hinweisen, dass diese „geistige Welt“ ebenfalls durch Wesen bewohnt wird, von denen jene Kräfte oder „Energien“ ausgehen. Für eine gewisse Zeit musste der Pfau — das Sinnbild des Menschen in seiner eigentlichen Schönheit — in die materialistische Enge, in sein selbstgeschaffenes Gefängnis einer verhärteten Technik- und Konsumwelt geführt werden, wofür der Korb steht, das Lederkleid ist das Symbol der Undurchlässigkeit und seelischen Abstumpfung, ja der panischen Angst vor allem Übersinnlichen und Fein-„Stofflichen“.
Doch diese doppelte Enge erst lässt den Menschen seinen Freiheitsdrang verspüren und weist ihm den Weg: In Freiheit sein eigenes Wesen zu erkennen, gehört zu den Aufgaben eines zeitgemäßen Geisteslebens. Die Düfte von Blumen, das Singen von Vögeln, also trotz Enge die Äußerungen, die wir von der geistigen Welt andauernd erhalten und die ihn/uns immer zu erreichen suchen.
Waren es bislang die Religionen, gestiftet von weisen Menschen, die in Zeiten der Enge und Finsternis die Rückverbindung zu jenem Paradies und unserem eigentlichen Wesen ermöglichen woll(t)en, sind es heute immer mehr sensible und individuelle Menschen, die direkt Kunde von den Geisteswelten erhalten. Zeigen uns die durch Forschung ermittelte Nahtoderfahrungen, die zu hunderttausenden gemacht wurden und werden, nicht klar, dass wir auch über den physischen Tod hinaus existieren (10)? Während mit den Nahtodforschungen tatsächlich Anhaltspunkte für eine Weiterexistenz bestehen, kann dies für die sogenannte „Präexistenz“ nicht gesagt werden. Ist es aber sinnvoll, der menschlichen Existenz, die ein nachtodliches Sein hat, ein vorgeburtliches abzusprechen, was den Menschen ja wiederum zu einem maschinenhaften Zufallswesen macht (11)?
Das Setzen der absoluten Grenzen von Tod *und Geburt ist die zweite tiefere Signatur des irrationalen Materialismus, der uns von unserer eigentlichen Heimat abtrennt und uns zu zufällig zusammengewürfelten Maschinenwesen macht.*
Altern und Sterben
Gemäß Wikipedia wird Altern folgendermaßen definiert: „Altern ist als physiologischer Vorgang ein elementarer Bestandteil des Lebens aller höheren Organismen und eines *der am wenigsten verstandenen Phänomene der Biologie. Allgemein ist die Annahme akzeptiert, dass eine Reihe verschiedener hochkomplexer, vielfach noch ungeklärter Mechanismen für das Altern verantwortlich sind.“*
Ohne eine ernsthafte Wissenschaft, die den Zusammenhang des Übersinnlichen mit der sinnlich zugänglichen Realität erforscht, bleiben wir blind gegenüber der Welt und uns selbst. Wir verhalten uns dann wie jemand, der meint, aus der Betrachtung seines Schattens den Baum — oder was auch immer man in Betracht zieht — ganz verstehen zu können, wir sind dann „Schattenboxer“. Selbst ein wesentlicher Prozess, der unser Leben ausmacht, das Altern, kann nicht allein materiell verstanden werden.
Mit zwanghaft mechanischen Erklärungen wird es dabei bleiben müssen, dass das Leben und seine Entwicklung als bloßer Schattenwurf verstanden wird. Dann bleibt jedoch die Angst vor dem Tod, der „endgültigen Auslöschung“ — als dritte Signatur des irrationalen Materialismus — bestehen.
Verbleiben wir, zur weiteren Eingrenzung des Themas, mit unserer Betrachtung im Bereich zwischen Geburt und „Tod“. Menschen wie auch Tiere können nur physisch-materiell sterben: Der physische Leib, der unsere äußere Hülle ist, muss früher oder später den Todes- und Zersetzungskräften anheimfallen. Doch bereits das Wesensglied des Lebens, das unseren Leib durchsetzt, kennt keinen Tod (12). Was materiell Zerfall bedeutet, ist im Bereich der Lebenswelt Wandlung, eine Gestalt geht in eine andere über. Leiblich zerfallen wir beständig und zugleich wirkt etwas Leben-Erhaltendes in uns. Rudolf Steiner klärt aus ganzheitlicher Sicht über den komplexen Zusammenhang von Bewusstsein und Sterben folgendermaßen auf:
„Nun hängen mit den organischen Aufbauprozessen zusammen alle diejenigen Erscheinungen, die unser Bewusstsein herab dämpfen, die uns in ganzen oder partiellen Schlaf versetzen. Mit den Abbauprozessen in unserem Organismus gehen nun parallel die Prozesse unserer Gedanken, und alle übrigen seelischen Prozesse wie instinktive Wahrnehmungen, Triebwahrnehmungen, die uns immer eigentlich in herab gestimmten Bewusstseinszustand versetzen, sind verbunden mit den organisch aufsteigenden Prozessen; mit den Abbauprozessen hängt das eigentliche Denkleben zusammen. Dieses Denkleben ist schon bei jedem einzelnen Menschen so, daß es sich unabhängig entwickelt vom Organismus, es muss nur gerade ein Abbauprozess, das heißt ein Dissoziationsprozeß im Gehirn vor sich gehen, wenn das Denken in uns Platz greifen soll“ (13).
Die anthroposophische Geisteswissenschaft weist darauf hin, dass von Beginn unseres Erdendaseins an in uns Abbau- und Auferstehungskräfte neben- und ineinander wirken. Damit Bewusstsein entstehen und wachsen kann, muss im physischen Bereich, vor allem im Gehirn, Abbau geschehen. Das ist der tiefere Sinn des Sterbens, der erst verstanden werden kann, wenn wir den Menschen als trichotomischen verstehen, statt ihn auf seine Physis zu reduzieren. Forscht man von vornherein im materiellen Bereich, kann man an ein solches Ergebnis gar nicht herankommen, was wiederum den Teufelskreis des irrationalen Materialismus verdeutlicht.
Aufbau bedeutet Bewusstseinstrübung und Schlaf. Der Säugling schläft deshalb so viel, weil er noch nicht denken kann und kein Ich-Bewusstsein hat, geistige Kräfte arbeiten am Aufbau zunächst seines physischen Leibes und dort vor allem am Gehirn. Diese Vorgänge können physiologisch und neuronal beobachtet, aber erst wirklich verstanden werden, wenn man die geistige Ebene als von Materie unabhängiger Realität berücksichtigt.
Mit dem Beginn des Ich-Bewusstseins, um die Mitte des dritten Lebensjahres, wenn sich bestimmte Geisteskräfte aus dem Menschen zurückziehen müssen und dadurch Freiräume entstehen, beginnen auch zart die Abbaukräfte mit ihrer Tätigkeit, was Räume für das Entstehen der Intellektualität schafft und den Menschen allmählich wach machen. Die Denkfähigkeit im Tagesleben, das nun deutlich länger dauert, beginnt nach dem Zahnwechsel endgültig mit der Ausbildung der Intellektualität — und zugleich der Sexualität — ab dem 12. Lebensjahr; sie benötigt mehr körperlichen Abbau, weil das Denken die Materie wegdrängen muss, um sich an seine Stelle zu setzen. Die Denkkraft muss Materie geradezu wegschieben, um tätig werden zu können. Wenn wir traum- und bewusstlos schlafen und daher unsere Wesensglieder in einem anderen Zusammenhang zueinander stehen, greifen von außen aus dem Kosmos Regenerationsprozesse in unseren Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus ein und machen die feinen, materiellen Zerstörungen vom Tage wieder — beinahe — rückgängig. Deshalb fühlen wir uns nach dem Schlafen wieder erholt und frisch. Bis etwa in unsere Lebensmitte überwiegen die Aufbaukräfte, ab dort gewinnen allmählich die Abbaukräfte die Oberhand, wodurch unser Ich aber erst eine vertiefte Entwicklung machen kann.
Menschwerdung bedingt Altern und Sterben und diese erst ermöglichen das Geistesleben (14).
Altern/Abbau schafft zunächst ein Potenzial für geistige Entfaltung, die deshalb nicht automatisch entsteht. Nutzen wir das Potenzial, kann Altersweisheit entstehen, nutzen wir es nicht oder zu wenig, bleiben wir hinter unseren Möglichkeiten zurück.
Es ist jedoch unsere freie Entscheidung und Verantwortung, was wir aus uns machen. Nutzen wir die Möglichkeiten, indem wir Freiräume, die der Abbau schafft, mit freier geistiger Tätigkeit — Kunst, Musik, Wissenschaft, Spiritualität — erfüllen, dann bringen wir uns durch ein erfülltes Geistesleben zum „Leuchten“. Wir kommen zu Einsichten, die wir als junge Menschen meistens noch nicht haben können. Weise, alte Menschen haben oft um ihr Antlitz ein inneres strahlendes Leuchten. Driften wir jedoch in Konsumräusche von Essen, Trinken, Sex und Digitalisierung ohne Eigenbeherrschung ab, oder reihen wir uns als Unfreie in gruppenzwanghafte Prozesse ein, die uns unsere individuelle Entfaltung zurückstauen — wozu auch das Parteiwesen gehört —, ein Gebaren, das der Kapitalismus unbedingt zu seinem Erhalt braucht, oder verbrauchen wir unsere Kräfte damit, gewaltsam jung bleiben zu wollen, sieht es um diese Altersweisheit schlecht bestellt aus. Das Verharren im irrationalen Materialismus hat wiederum Auswirkungen auf unser nachtodliches Sein und die folgenden Erdenleben.
Der transhumanistische Historiker Yuval Noah Harari ist nun der Meinung — und mit ihm eine größere Schar gläubiger Mit-Transhumanisten —, dass der Mensch im 21. Jahrhundert „ernsthaft nach der Unsterblichkeit greifen“ wird. Gemäß Harari verstoße der Tod gegen „das Recht auf Leben“; weshalb er ein „Verbrechen gegen die Menschheit“ darstelle (15). Solche Behauptungen sprechen für sich und müssen nicht weiter kommentiert werden.
In einem Kirchenchoral aus dem 17. Jahrhundert mit dem Text von Johann Rosenmüller heißt es wiederum: „Alle Menschen müssen sterben.“ Heute müsste man ein neues Lied komponieren: „Alle Menschen kommen zur Welt.“ Da wir aber nicht dieser Leib sind und unser Ich — das der Transhumanismus vollständig leugnet, obwohl Harari sich dieses Wortes in jedem Satz seiner weitverbreiteten Bücher allzuoft bedient, denn wie wollte er ohne dieses Ich überhaupt seine Bücher schreiben? – von ganz anderer Natur ist, machen wir eine Wandlung durch. Wir gehen durch eine „Türe“ „zurück“ in die „andere Welt“, die eben in jenem Garten im Märchen metaphorisch beschrieben wird. Das lässt Johann Sebastian Bach in seiner wunderbaren Kantate „Ich habe genug“ (BWV 82) in der Arie ausdrücken: „Ich freue mich auf meinen Tod.“
Alt und Jung zugleich?
Das Jung-Sein ist heute eher positiv, das Alt-Werden eher negativ konnotiert, weil unter dem Einfluss der angloamerikanischen Kultur das Jung-Sein als „instinktive Intelligenz“ des Körpers und jene des Kopfes als schlitzohrige Schlauheit und intellektuelle Schnelligkeit, im Zuge einer zunehmenden Wirtschaftslastigkeit überbetont werden. Doch bereits im vorigen Kapitel konnte aufgezeigt werden, dass „Alt“ und „Jung“ aus der Tiefensicht geisteswissenschaftlicher Forschung ganz anders beurteilt werden müssen.
Wir stehen in einem polaren Spannungsfeld einer individuellen und gleichzeitigen Menschheitsentwicklung, die sich gegenseitig durchdringen und beeinflussen.
Individuell macht jeder Mensch ab etwa dem 35. Lebensjahr, insofern es ihm überhaupt beschieden ist, einen Alterungs- und körperlichen Abbauprozess durch, der ihn zum Greis werden lässt, mit allen Chancen einer geistigen Entwicklung hin zu Weisheit und tieferen Lebenseinsichten.
Diesem Prozess wirkt nun ein anderer entgegen, der die gesamte Menschheit gleichermaßen betrifft. Dazu nochmals Rudolf Steiner:
„Während in alten Zeiten die Menschen bis ins hohe Alter hinauf von selber entwickelungsfähig blieben, muß heute ein Mensch seine Entwickelung, die von selber kommt, die an seine Körperlichkeit gebunden ist, mit 27 Jahren abschließen, wenn er nicht einen inneren, seelischen Impuls spirituell aufnimmt und von innen sich weitertreibt. Diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist, die sich nicht von innen weitertreiben, die nicht Spirituelles aufnehmen, die bleiben heute 27 Jahre alt, und wenn sie 100 Jahre alt werden. Das heißt, sie tragen die Charakteristiken, die Merkmale des Siebenundzwanzigjährigen an sich. Daher haben wir heute, weil die Menschen es ablehnen, innerliche, spirituelle Impulse zu suchen, eine Kultur, ein soziales Leben, das siebenundzwanzigjährig ist. Wir wachsen nicht hinaus im äußeren sozialen Leben über das Siebenundzwanzigjährige. Das Siebenundzwanzigjährige beherrscht die Menschheit“ (16).
Generell wird der gesamte Lebensablauf durch geistige Kräfte unterschiedlicher Qualität und Intensität impulsiert (17). In den ersten einundzwanzig Lebensjahren bis etwa ins 27. Lebensjahr entwickelt der Mensch seine Körperlichkeit, besonders das Nerven-Sinnessystem mit dem Gehirn sowie das Seelenleben, eine Phase, die zuletzt stark durch Triebhaftigkeit, Intellektualität und Verstandes-Denken und daher auch Antisozialität geprägt sein kann (9).
In dieser Zeit wird uns das eingeprägt, was durch unser Schicksal auszugleichen und zu bewältigen ist (17). Es ist im Wesentlichen die Zeit des körperlichen Aufbaus, der aber allmählich von den gleichzeitig immer stärker werdenden Abbaukräften attackiert wird.
Wer sich an diese Zeit zurückerinnert, wird vielleicht bemerken, dass ihm meistens alles gut und souverän von der Hand ging, man fühlte sich getragen, musste selbst wenig geben. Die körperliche und geistig-seelische Entwicklung verlaufen in dieser Lebensphase weitgehend parallel. Auch wenn es immer Ausnahmen geben mag, die einen ganz anderen Verlauf zeigen, ist doch festzustellen, dass die Tendenz, sich durch das Emotions- und Triebleben bestimmen zu lassen, in dieser Lebensphase überwiegt. Traditionen sind oft noch nicht so wichtig, was immer wieder zu Generationenkonflikten mit den alten Menschen führen kann. Was der Mensch seelisch und geistig zum Leben braucht, quillt aus ihm nur so hervor. Das „Anrühren mit der großen Kelle“ lässt ihn nicht selten Weltkonflikte quasi mit der linken Hand beseitigen: Alles kein so großes Problem! Dieses sprudelnde und wach-spontane Verhalten sehe ich als typisch für das an, was man gemeinhin als „jung“ bezeichnet.
Auch wenn es etwas übertrieben dargestellt ist, kann man diese Tendenz deutlich sehen und es war doch auch eine gute Zeit, als man das mit seinen Freunden und Freundinnen gemeinsam erleben konnte, oder nicht? Zum Problem wird diese Bewusstseinslage erst, wenn sie in den folgenden Lebensabschnitten nicht transformiert werden kann, was unterschiedliche Ursachen haben kann. Alles sollte eben auch ein Ende haben.
Um das 27. Lebensjahr bis zum 33. Lebensjahr ändert sich dies nicht selten schlagartig, was mit teilweise schweren Erschütterungen und Lebenskrisen einhergehen kann — mehr oder weniger — : Gewisse höhere Kräfte greifen ein, andere ziehen sich zurück, die Abbaukräfte beginnen, die Oberhand zu gewinnen. Es beginnt auch die Phase, in der wir unser Karma zu erfüllen haben (17). Oft beginnen Schicksalsschläge, Trennungen, Zerwürfnisse, Krankheiten zu wirken, die den Menschen aus seiner bisherigen Sicherheitszone jäh herausreißen können. Dieser Umkehrpunkt hat sich in der Kulturentwicklung des Menschen immer mehr nach vorne verschoben (16).
Entscheidend wird nun sein, wie und ob die Fähigkeit besteht, selbstbestimmt das Leben in die Hand zu nehmen und eine spirituelle Vertiefung zu finden. Durch Erschütterungen kann das tatsächlich gefördert werden, weil diese uns zu Fragen führen können, welche diese Suche unterstützen.
Findet spirituelle Selbstbestimmung nicht oder zu wenig statt, und die Gefahr dazu ist im Zeitalter des heute üblichen extremen Konsums recht hoch, bleibt man im Schwellenalter in der seelisch-geistigen Entwicklung stehen. Wie schnell ist man dabei, die auftretenden Lebenskrisen, die bei manchen Menschen bis zum Suizid führen können, durch Konsum, Rauschmittel, Alkohol, exzessiven Digitalismus herabzudämpfen. Man bleibt sozusagen jung, obwohl man altert.
Heute können wir vermehrt junge Menschen finden, die eine spirituelle Vertiefung auf ihre eigene Art früh zu finden vermöchten. Allerdings lohnt es sich genau hinzuschauen, welche Form von Bildung und Erziehung diese Menschen genossen haben.
Wir werden als Menschheit immer jünger, der Reifeprozess liegt im Zuge des Freiheitsweges der Menschheit immer früher in der Hand jedes Einzelnen.
Ausblick
In Anknüpfung an das „Märchen vom Pfau unter dem Korb“ möchte ich davon absehen, einen Katalog von Maßnahmen zur „spirituellen Vertiefung“ aufzustellen, geht es doch darum, die harte Lederhaut abzustreifen, damit wir uns außersinnlichem Zuraunen zu öffnen vermögen, was zu einem gesunden individuellen Geistesleben gehören sollte.
Wir streifen dann achtsam durch einen Wald und spüren ihn als wesenhaften Organismus, der tausendfach durch elementare Kräfte durchwoben ist, die uns ansprechen. Jeder Tautropfen, in dem sich das Licht spiegelt, wird zur göttlichen Offenbarung. Die Gedanken, die wir — wie von außen — empfangen, verwandeln uns. Wir bemerken, dass Gedanken viel mehr als nur elektrische Impulse sind, ohne es beweisen zu müssen. Dadurch wird auch der zweite Widerstand, der „über uns gestülpte Korb“, unsere enge, selbstgeschaffene materialistische Scheinwelt transparenter. Ausgerüstet mit solcher Offenheit, können Begegnungen mit Menschen zum Geschenk werden, auch wenn sie von Differenzen begleitet sind. Jeder Mensch ist uns ein Unikat! Generationenkonflikte gehören dann zur Vergangenheit.
Als Alternde blicken wir gelassen auf jene Schwelle, die wir „Tod“ nennen und bereiten uns allmählich auf den Übergang vor. Die Anschauung der Unsterblichkeit muss jedoch ergänzt werden: Falls es gelingt, jenen Bewusstseinsprozess in der Abbauphase der Biographie durchzumachen, werden wir mit weiterem Voranschreiten die Fähigkeit erlangen, immer weiter zurückzublicken.
Zur Gewissheit der Unsterblichkeit unseres Ich gesellt sich nun diejenige der Ungeborenheit hinzu, wir blicken auf das andere Tor, durch das alle Menschen über den Bauch und den Schoß einer Frau das Erdendasein betreten haben.
Ohne „Arbeit an sich selbst“ wandelt sich der Mensch zum Greis und bleibt geistig seelisch dennoch 27 Jahre jung. Er bleibt an dem Punkt stehen, an dem er sich nicht die Richtung des Lebens selbst zu geben vermochte: Urteile und Handlungen geschehen dann immer noch in derselben „spritzigen“ unbesonnenen Art. Wir sind alt nach Jahren und dennoch unerfahren und „Grünlinge“ in unserem Geistesleben.
Ist man nicht versucht, nach jenen Zeitgenossen zu schielen, die derzeit im Führerhaus der westlichen Staatslokomotiven sitzen, Kriegstreiberei, Verharmlosung eines drohenden Atomkriegsinfernos durch die deutsche Außenministerin (18), Billigung und Förderung von illegaler Migration und zugleich Verdrängung der Ursachen in den Plünderungsfeldzügen westlicher Militärmaschinerien betreiben?
Doch Vorsicht: Schon rutschen wir wieder in die Schubladisierung hinein. Wissen wir wirklich, was alles hinter den Handlungen jener Menschen steckt?
In einer wirklich geistigen Entwicklung begegnen wir uns selbst als wie einem Fremden:
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn wie ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen! — und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen. Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen. (Matthäus 7, 1-5)