Alter Juncker, junger Kurz
Österreich übernimmt den EU-Ratsvorsitz.
Freitag, 6. Juli 2018, 9 Uhr 30. Seit einer halben Stunde tagen die Granden der Europäischen Union im Austria Center Vienna. Wiens größtes Konferenzzentrum liegt im Schatten der weit aufragenden UNO-City am linken Donauufer, der Stadt abgewandt. Für Ereignisse wie die offizielle Eröffnung des halbjährigen österreichischen EU-Ratsvorsitzes ist das Gebäude viel zu groß geraten.
Schon an der nahen U-Bahnstation empfangen einen schwer bewaffnete Polizisten, die angesichts des spärlichen Andrangs in Richtung Konferenzzentrum mehr mit sich selbst als mit der Umgebung beschäftigt sind. Weiträumige Absperrungen verhindern einen direkten Zugang, stattdessen weisen junge Männer mit großen pfeilförmigen Schildern den Umweg zur Sicherheitsschleuse. Gut 500 Meter hetzen vereinzelte Journalisten und verspätete EU-Delegierte durch moderne Häuserschluchten. Dem letzten lebenden Wegweiser haben die Fallwinde der Gebäudemonster bereits den Richtungspfeil geknickt. Er versucht das Missgeschick lächelnd zu überspielen und deutet mit der Hand zum Haupteingang. Der üblichen Durchleuchtung folgt ein weiterer dreiminütiger Fußmarsch durch leere Hallen entlang ungenutzter Garderoben und Buffeteinrichtungen.
Um zum Pressezentrum zu gelangen, heißt es wieder hinaus in den Wind, treppab, treppauf, vorbei an einem Lieferwagen der Landespolizeidirektion Wien, auf dessen Dach eine Videokamera positioniert ist, die jeden Vorübergehenden digital begleitet. Bevor es ins Untergeschoß des Austria Center geht, in dem das Pressezentrum eingerichtet ist, wiederholt sich die Prozedur der Durchleuchtung. Auch der Wochen zuvor ausgestellte spezielle Ausweis, der die Akkreditierung für die Zeit des EU-Ratsvorsitzes bestätigt, wird gescannt. Drei Dutzend Journalisten, die meisten mit Kamera-Assistenten, lümmeln in den großzügig aufgestellten Garnituren herum und folgen den Bildschirminformationen. 10 Uhr 45: Gruppenfoto der Delegation der Europäischen Kommission mit Vertretern des österreichischen Parlaments in Halle X 1; 11 Uhr: Plenarsitzung des Kollegiums der Europäischen Kommission (Achtung: nur Foto- und Kamerateams); 11 Uhr 30: Pressekonferenz mit Jean-Claude Juncker und Sebastian Kurz in Halle K 1.
Die Pressevertreter werden kurz gehalten, und das ist nicht als Wortspiel gemeint. Drei Kaffeemaschinen mit Selbstbedienungskapseln und ein Berg von Croissants, die vom Bäcker bereits um 7 Uhr früh angeliefert worden sein dürften, umfasst das Sortiment der vormittäglichen Verpflegung. Zwölf Jahre zuvor, im Jahr 2006, als Österreich zuletzt die Ratspräsidentschaft innehatte, war das noch anders gewesen. Damals gab es USB-Sticks, Laptop-Taschen, Handbags und T-Shirts für die Presse. Die Tagungen fanden im ehrwürdigen Gebäude der Wiener Hofburg, mitten im Zentrum der Donaumetropole, statt. Auch in den kleinen Details merkt der Beobachter, wie die Zeiten sich geändert haben.
Saal K1: Pressekonferenz
Ein übergroßes Bild, auf dem eine Handvoll Segelschiffe vor bergiger Kulisse über den Attersee kreuzen, beherrscht den Raum. Langsam trudelt der journalistische Begleittross des Kommissionspräsidenten ein; man tauscht sich über die Flugbedingungen und das gestrige Abendessen aus und wiederholt hörbar den Small-Talk, den man zuletzt in Brüssel, Sofia und Straßburg geführt hat. Protokoll-Personal prüft ein letztes Mal die Funktionalität der Mikrophone und spricht sich darüber ab, welche Journalisten wohl das Wort ergreifen werden. Blickkontakte und kaum wahrnehmbares Nicken klären den geplanten Ablauf. Nach zehnminütiger Verspätung betreten Juncker und Kurz den Saal. Wenn man die beiden Herren nicht kennen würde, gliche das Szenario der Abschlusserklärung eines Seminars für die Förderung des alpenländischen Fremdenverkehrs. Das Bild vom Attersee im Hintergrund vermittelt Urlaubsstimmung.
Der Inhalt der Pressekonferenz brachte nichts Neues. Von Sebastian Kurz erfuhr man, dass er Jean-Claude Juncker duzt und ein Schwerpunkt der bevorstehenden österreichischen Ratspräsidentschaft unter dem Titel „Defense-Security-Migration“ abgehandelt wird; und Jean-Claude Juncker verspricht den anwesenden Presseleuten, dass „unter österreichischem Vorsitz nichts schiefgehen“ werde. Sollte bei irgendeinem Thema hinter den Kulissen engagiert verhandelt worden sein, erfuhr die Öffentlichkeit davon nichts.