Aktenzeichen Generation X, Y und Z
In seinem neuen Buch zeichnet Michael Meyen die Spaltungslinie zwischen Jung und Alt nach und zeigt auf, wie die Herrschaft über Bildung und Digitalisierung die System- und Eigentumsfrage vor der jugendlichen Veränderungsenergie schützt.
Die Jugendlichen bei Fridays for Future — die Eltern und Großeltern auf den Corona-Demos. Jung is(s)t vegan — die Boomer essen Fleisch. Die Älteren arbeiteten auf eine bessere Zukunft hin — die Jungen sehen diese in der nahenden Klimahölle verbrutzeln. Dass verschiedene Generationen miteinander im Clinch liegen, ist an und für sich nichts Neues. Im Gegenteil, es ist ein vielfach zu beobachtendes Muster, dass eine Nachfolgegeneration mit den Fehlern und Vergehen der Eltern aufräumt, nur um selbst neue Fehler zu begehen, die dann wiederum von ihrem eigenen Nachwuchs kritisiert und angegangen werden. Der heutige Generationenkonflikt hat jedoch einen signifikanten Unterschied zu den vorangegangenen aufzuweisen: Wieso stehen sich die Weltanschauungen von Jung und Alt mittlerweile so unversöhnbar gegenüber? Warum wird eine generationsübergreifende Verständigung, ein Verstehen an sich immer schwieriger? Warum verhält sich ein Großteil der Generation Z zwar rebellisch anmutend, doch bei näherer Betrachtung stromlinienförmig und gleichgeschaltet? Warum wirkt eine ganze Generation ob ihrer homogenen Weltanschauung, Agendakonformität und mangelnden Bereitschaft, vom Mainstream abzuweichen, als wäre sie dressiert? In seinem Büchlein „Der dressierte Nachwuchs“ geht Kommunikationsforscher Michael Meyen dieser Frage nach. Der Untertitel besteht aus der Frage, die sich wohl schon viele Eltern und Großeltern gestellt haben: „Was ist mit der Jugend los?“
Für einen Leser Anfang dreißig kann das neue Meyen-Büchlein über die junge Generation einen bitteren Beigeschmack haben. Gerade dann, wenn man als statistischer Teil dieser Alterskohorte sich ihr nicht zugehörig fühlt und mit ihr nichts weiter teilt als das Geburtsjahr. Wäre das nämlich der Fall, dann nähme man wohl kaum dieses Buch von Michael Meyen in die Hand. Tatsächlich würde solch ein junger Mensch gar kein Buch von Michael Meyen in die Hand nehmen, weil das darin Geschriebene aus Federn jenseits der ideologischen Demarkationslinien stammt — jene Demarkationslinien, die zugleich die Spaltlinie zwischen Jung und Alt darstellen, der Meyen dieses Buch gewidmet hat.
„Der dressierte Nachwuchs: Was ist mit der Jugend los?“ ist ein Buch von einem Autor der Baby-Boomer-Generation — über, aber nicht für die Generationen Z und Y, sondern für ebendiese Baby-Boomer-Generation. Deutlich erkennbar adressiert sind Rezipienten oberhalb der Vierzig, Eltern, die ihre eigenen Kinder nicht mehr verstehen. Die Kinder, die nach zwei Semestern anfangen zu gendern, sich vegan zu ernähren und den Eltern die Zerstörung der Erde ankreiden.
Neben dieser primären Zielgruppe ist es natürlich auch erhellend sowie beklemmend für die wenigen jungen Menschen, die der im Buch beschriebenen Dressur teilweise oder gänzlich entgangen sind. Dazu zähle ich mich. Unterm Strich sind das im Gesamtverhältnis sehr wenige junge Menschen. Der Blick auf die überschaubaren Ortsgruppengrößen von Vereinigungen wie „Studenten stehen auf“ veranschaulicht die Verhältnisse sehr eindrücklich. Selbst in Städten mit großen Universitäten und vielen Hochschulen kommen die coronakritischen Studenten nicht einmal auf eine Anzahl von 1.000 Nonkonformisten. Wer bei den Agenda-Bausteinen, den „current things“, nicht wie dressiert mitmacht, steht auf weiter Flur allein — und vor schlechten Aufstiegschancen sowieso.
Wie kam es dazu, dass fast eine gesamte Generation sich rebellisch wähnt, während sie empirisch messbar stromlinienförmig agiert und ihr Pseudorebellentum sich rein oberflächlich, das heißt nicht systemgefährdend ausdrückt?
„Lufthoheit über den Kinderbetten“
Im Volksmund heißt es, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Im besten Fall rollt der nahe am Stamm hingefallene Apfel weiter weg, um dort, jenseits des Baumschattens, später irgendwann als ganz eigener Baum zu gedeihen. Die Äpfel der Generation Z und zuweilen auch noch der Generation Y, die landen gar nicht erst am Fuße des Stamms. Es scheint so, als würden sie beim Fallen in der Luft aufgefangen und abtransportiert werden, irgendwohin, wo sie keine Wurzeln schlagen können. Das ist bildlich gesprochen das Phänomen, welches Meyen hier untersucht. Wer fängt die Äpfel in der Luft auf? Wer hat auf welche Weise die „Lufthoheit über den Kinderbetten“, wie CumEx-Kanzler Olaf Scholz es einmal formulierte? Wer sind die Dresseure des Nachwuchses, die verhindern, dass diese erwachsen werden in dem Sinne, wie Meyen es in seinem Buch über die verlorene Uni formulierte und hier noch einmal zitierte:
„Erwachsen werden: das heißt, Entscheidungen zu treffen und dazu zu stehen, wenn etwas schiefgeht. Das heißt, aus den Bahnen auszubrechen, die Eltern, Lehrer, Mentoren vorgezeichnet haben, und dabei zu wissen, dass es keine Garantie gibt für den Erfolg und dass ich das Schicksal auch dann nicht immer zwingen kann, wenn ich alles in die Waagschale werfe, was ich habe“ (Seiten 28 folgende).
Was ist also mit der Jugend los auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden? Wie es sich für eine ordentliche Analyse gehört, definiert und differenziert Meyen eingangs den Jugend-Begriff, zeigt dessen verschiedenartige Anwendungen sowie die je nach Definition abweichenden Altersabschnitte, die der Jugend zugerechnet werden. Kurzum, „die Jugend“ als solche gibt es nicht, wodurch sich Pauschalisierungen verbieten. Zumal es unter jungen Menschen eben auch die Ausreißer, die „freien Radikalen“ gibt, wie etwa den rezensierenden Autor dieses Textes.
Auch ohne Pauschalisierung gibt es unter jungen Menschen ein leicht auszumachendes und deutlich erkennbares Denk- und Verhaltensmuster, welches sich ausdrückt in der Überzeugung, der Verteidigung und in der Beteiligung an dem, was im Netz gerne als das „current thing“ bezeichnet wird: „Current things“ (aktuelle Sachen) sind jeweils die einzelnen Agenden der letzten Jahre wie #meToo, Klima, Gender, Corona und Ukrainekrieg. All die Themenfelder, zu denen es „nur eine legitime Meinung“ (Rezo) geben kann und darf. Auf diesen Feldern können sich die jungen Menschen geradezu ungehindert austoben und sich dabei als Rebellen fühlen. Die Narrenfreiheit ergibt sich, so zeigt es Meyen detailliert, aus der Tatsache heraus, dass auf diesen Themenfeldern die Macht- und Eigentumsfrage nicht gestellt wird, nicht gestellt werden darf. Die Wut und die Veränderungsenergie wird horizontal kanalisiert, sodass sie sich nicht vertikal gegen die Klasse der Besitzenden richtet, sondern gegen die zahlreich konstruierten Sündenböcke auf der gleichen, zumeist aber auf der niedrigeren Einkommens- und Eigentumsstufe. Das sind dann entweder die Eltern und Großeltern (Klimasünder), politisch Andersdenkende (Nazis, Rechte), Männer (Sexisten), Frauen (Terfs) oder von außen kommende Aggressoren (Russen).
Das jugendlich Ungestüme, was die gefährlichste Veränderungsenergie darstellt für die herrschende Klasse — Meyen zitiert hier häufig Rainer Mausfelds Monumentalwerk „Hybris und Nemesis“ —, wurde in einen sich langsam vollziehenden, über Jahrzehnte andauernden Prozess durch Umleitung unschädlich gemacht. Diesem Blitzableiter ordnet Meyen zwei essenzielle Tragsäulen zu:
Bildung und Digitalisierung, Eins und Null
Der Studi mit Laptop, iPad und Smartphone in der von Bologna deformierten Universität ist das Symbolbild der beiden Hauptbestandteile des Blitzableiters, Bildung und Digitalisierung. Beiden ist je ein Kapitel gewidmet, wenngleich die Themenfelder sich weitestgehend überschneiden. Wieder einmal ist das Medium die Botschaft: Die Logik der Einsen und Nullen ist nicht auf das Digitale beschränkt, sondern hält schon längst analogen Einzug in die Universitäten. Von Ambiguität, von Graustufen keine Spur mehr. Es geht nur noch um die Vereindeutigung der Welt, um die Dualität zwischen falsch oder richtig, Fakt oder Fake News, gut oder böse, moralisch oder amoralisch, Test negativ oder Test positiv. Als mustergültiges Phänomen nennt Meyen die Multiple-Choice-Prüfungen am Semesterende. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, was die Studenten „inhaltlich“ in der Vorbereitung darauf lernen, sondern um das, was auf der Metaebene vermittelt wird: Lerne etwas auswendig, hinterfrage es nicht, und ganz am Ende gibt es nur ein Richtig und ein Falsch — nichts dazwischen.
Vermittels der allgegenwärtigen Vereinnahmung vieler Lern- und Lebensbereiche durch die Null-und-Eins-Logik wird ein zweidimensionales Weltbild zementiert, dessen Komplexitätsreduktion den idealen Humus für Ideologien gebiert. Ideologien versteht Meyen mit Václav Havel als die „Machtinterpretation der Wirklichkeit“. Und so ist auch die von Lehrern und Dozenten gelehrte Vorgabe von dem, was falsch und richtig ist, eine ebensolche Machtinterpretation der Wirklichkeit. Ist diese „Denke“ in den Bildungsfabriken erst einmal in Fleisch und Blut übergegangen, so findet sie im darauffolgenden Berufsleben in der Bewusstseinsindustrie Anwendung bei der — medialen — Ideologieproduktion. Abweichung ist hier gar nicht mehr möglich.
Im vorangegangenen Kapitel verweist Meyen auf die Überakademisierung der Gesellschaft, die analog mit der schwindenden Bereitschaft einhergeht, ein Handwerk zu erlernen. Lernt der junge Mensch nichts Handfestes, so bleibt ihm lediglich das Ringen um die Gehalt-Futtertröge in der Bewusstseinsindustrie. Der Weg dorthin ist ein Minenfeld, auf welchem man gut beraten ist, nie den falschen Schritt zu setzen, das heißt, das Falsche, das von der Ideologie Abweichende zu sagen oder zu posten. Fehltritte sind, so zeigt es Meyen, durch Social Media unmittelbar für alle anderen sichtbar und dienen zugleich als abschreckendes Beispiel für andere etwaige Gedankenverbrecher. Jeder, der hier nicht augenblicklich zurückrudert und dem Fehlgedanken abschwört, ist für den weiteren Karriereweg verbrannt. Wer also klassischerweise „irgendwas mit Medien“ machen möchte, ist gut beraten, nicht „irgendwas mit Zweifeln“ zu äußern, wo es keine Zweifel geben darf, wie etwa bei den herrschenden Narrativen zu Klimawandel, Corona und Krieg.
Was Meyen beschreibt, kann ich aus meiner eigenen Studienerfahrung bestätigen. Bei einem „ungefilterten“ 9/11-Referat in einem Proseminar zu Medienereignissen erntete ich von meiner Dozentin schiefe Blicke. Und bei einer Vorlesung vor Hunderten Studenten sprach ein Professor vom Institut für politische Wissenschaft von der „Annexion der Krim“, ohne dass irgendjemand protestierend die Hand hob, um auf diesen eklatanten Fehler hinzuweisen ... niemand außer mir. Dass ein kritischer Austausch zwischen Dozenten und Studenten nicht mehr gewünscht ist, der früher hingegen an der Universität elementar war, wie Meyen berichtet, wurde mir da deutlich gemacht. Anstatt meinen Einwurf als Anlass für eine spannende Debatte zu nutzen, wurde ich lediglich mit einer plumpen Phrasendrescherei korrigiert und zwischen den Zeilen als Störenfried gebrandmarkt, der den weisen Monolog des Professors unterbrochen hatte. In der weiteren Vorlesung gab es keine Wortmeldungen mehr. Abschreckung wirkt.
Die Ichlinge kommen
Den Doppelstrang des Blitzableiters aus Bildung und Digitalisierung kontextualisiert Meyen mit der demografischen Umstülpung der Alterspyramide. Dabei vergleicht er die Asymmetrie zwischen der geburtenstarken Boomer-Generation und dem geburtenschwachen Nachwuchs. Erfuhren Erstere weniger Aufmerksamkeit durch ihre Eltern aus der Kriegsgeneration und bestand damals auch die Schwierigkeit, ob der Vielzahl an Mitbewerbern eine gute Stelle zu finden, so wissen Generation Y und Z, dass der Arbeitsmarkt auf sie wartet und sie die Auswahlmöglichkeiten haben. Das Flutlicht der Helikoptereltern gibt ihnen zudem das Gefühl, der Nabel der Welt zu sein, was sich in der Nabelschau auf Social Media ausdrückt.
Weiter beschreibt Meyen, in welch rasanten Tempo die Mikro-Superstars und Jungunternehmer ihrer Selbst bereits in ihren 20ern und 30ern Posten besetzen, die früher vornehmlich den Menschen vorbehalten waren, die bereits entscheidende Lebenserfahrung und ihre Kompetenz erfolgreich unter Beweis gestellt hatten. Heute hingegen werden gewichtige Posten mit jungen und unerfahrenen Menschen besetzt, die bar jeglicher Eignung umso selbstbewusster von sich überzeugt sind. Meyen zählt hier einige Beispiele auf.
Das führt selbstredend zu der Frage, wo das alles hinführen soll?
No future?
Das Büchlein von Michael Meyen gehört dankenswerterweise nicht zu den Publikationen, die über den Titel mit Lösungen Leser locken, nur um dann auf den letzten Seiten irgendwelche Ratschläge zu erteilen, die nicht tiefer gehen als Kalendersprüche. Meyen gibt hier keine Ratschläge, was mit dieser Generation zu tun sei. Immerhin ist das vorliegende Schriftstück eine Analyse und Bestandsaufnahme — kein Erziehungsratgeber. So kommt der Kommunikationsforscher zu dem Befund, dass die Analyse noch nicht abgeschlossen sei. Dies, so schreibt er im letzten Kapitel, wäre notwendig, um zu Lösungen vorzudringen.
Dünnes Büchlein, schwerwiegender Inhalt
So dünn, wie das Büchlein mit seinen 80 Seiten ist, könnte man glatt denken, es wäre für den konzentrationsschwachen Nachwuchs geschrieben. Durch Social Media sozialisiert, ist ein Großteil von ihnen der langen Aufmerksamkeitsspanne beraubt und benötigt folglich Informationen in kleinen, mental gut verdaulichen Häppchen. Doch es ist ein Buch über den Nachwuchs, welches sehr viele Gedanken auf sehr wenigen Seiten vereinigt. Mit 180 Fußnoten ist der Quellennachweis im Verhältnis zu diesem Seitenumfang üppig bestückt.
„Der dressierte Nachwuchs“ lässt sich gut in einem Rutsch durchlesen. Durch Anreicherungen mit persönlichen Anekdoten und anschaulichen Beispielen wird der Text niemals zäh. Wie für seine Bücher typisch, gelingt Meyen hier sprachlich, inhaltlich und strukturell der Spagat zwischen anspruchsvoller Analyse und Zugänglichkeit für Nichtakademiker oder Akademiker, die der hochtrabenden Elfenbeinturmsprache überdrüssig sind.
Das Büchlein hat nicht den Anspruch, ein pädagogischer Ratgeber zu sein für Eltern, die ihre gendernde Tochter oder den klimaklebenden Sohn nicht mehr verstehen. Es liefert ein Mittel, zu verstehen, wie es dazu gekommen ist und welche Social-Engineering-Machtmechanismen bereits seit Jahrzehnten darauf hinwirken, den Nachwuchs zu dressieren, um damit letztlich ihre Herrschaft über die weiteren Generationen hinaus zu zementieren.
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