Absurde Hetze

Die Propaganda im „Fall Skripal“ ist an Dummdreistigkeit kaum zu überbieten.

Mit detektivischer Akribie und leiser Ironie spürt der frühere britische Botschafter Craig Murray den neuesten Wendungen in der Räuberpistole rund um die Affäre Skripal nach. Seine guten Kontakte zu Wissensträgern der britischen Administration und seine einschlägigen Erfahrungen aus seiner Dienstzeit als Botschafter in Usbekistan ermöglichen ihm, die Schwachstellen des offiziellen Narrativs zu beleuchten. Eine vergnügliche Lektüre — könnte man die ernsten internationalen Verwerfungen ausblenden, die Großbritannien ausgelöst hat.

Türklinken und andere Absurditäten

Was bleibt von der eindeutigen Identifizierung Russlands als dem Schuldigen am Anschlag von Salisbury durch die Regierung? Es ist schlicht eine Tatsache, dass Russland nicht das einzige Land ist, das das Nervengift hergestellt haben könnte: Dutzende wären dazu in der Lage. Es könnte auch von vielen nichtstaatlichen Akteuren gefertigt worden sein.

Motorola-Vertriebsmitarbeiter Gary Aitkenhead – seit Januar unerklärlicherweise Geschäftsführer der Chemiewaffen-Forschungseinrichtung Porton Down – sagte in einem Interview mit Sky, dass „möglicherweise“ nur ein staatlicher Akteur das Nervengift habe herstellen können. Damit räumt er ein, dass auch ein nichtstaatlicher Akteur dazu in der Lage wäre. David Collum, Professor für Organische Chemie an der Cornell University und entsprechend bedeutend kompetenter als ein Motorola-Vertriebsmitarbeiter, hat erklärt, seine Studenten im Abschlussjahrgang seien dazu imstande. Heute Morgen richtete Professor Collum folgenden Tweet an mich:

„This nerve agent story has been transparent from the start. Wondering where the rest of the organist chemists have been but, if asked, they would confirm the simplicity of the cmpds and absurdity of the claims.“

Die Kernaussage in diesem Tweet ist sicherlich der Einschub „wenn man sie fragte“ („if asked“). Weder staatliche noch private Medien haben bei Professor Collum oder anderen Professoren der Organischen Chemie in Großbritannien nachgefragt. Rund um diesen Fall findet schlichtweg kein grundlegend investigativer Journalismus statt.

Wenn also die Waffe selbst keinen sicheren Beweis für Russlands Täterschaft darstellt, welche Beweise hat Boris Johnson dann in der Hand? Es zeigt sich, dass es sich bei den Beweisen der britischen Regierung lediglich um eine Technik handelt, mit der Nervengift auf den Türgriff geschmiert wird. Sämtliche britischen Medien wurden von „Sicherheitsquellen“ darüber informiert, dass Großbritannien im Besitz einer Kopie eines geheimen russischen Handbuches für Attentäter sei, in dem beschrieben wird, wie man Nervengift auf Türgriffe aufträgt. Sollte das Nervengift also auf dem Türgriff von Skripals Haus gefunden worden sein, sei dies der entscheidende Beweis, der die NATO-Verbündeten von Russlands Schuld überzeugt habe.

Der Daily Mirror zitiert die „Sicherheitsquellen“ folgendermaßen:

„Es läuft auf Russlands Spionage-Handbuch zum Auftragen von Gift auf Türgriffe hinaus. Das ist der schlagende Beweis. Es beweist eindeutig, dass Russland in den vergangenen zehn Jahren Methoden zur Anwendung von Giften erforscht hat, unter anderem durch den Gebrauch von Türgriffen. Entscheidend ist, dass diese Fakten geholfen haben, unsere Verbündeten davon zu überzeugen, dass es nur Russland gewesen sein kann.“

Genau dieselben Regierungsinformationen hat die Daily Mail in größerer Aufmachung veröffentlicht, und sie finden sich in zahlreichen weiteren Veröffentlichungen der Mainstream-Propaganda wieder.

Zwei Fragen drängen sich auf:

  • Wie glaubhaft ist es, dass die britische Regierung im Besitz eines geheimen russischen Schulungshandbuches zur Anwendung von Nowitchok-Wirkstoffen ist?
  • Und wie glaubhaft ist es, dass die Skripals von ihrem eigenen Türgriff vergiftet wurden?

Widmen wir uns zuerst der zweiten Frage: Ich sehe schwerwiegende Probleme bei der Annahme, die Skripals seien von ihrem Türgriff vergiftet worden.

Das erste Problem ist folgendes: Nach der von Sally Davies, der leitenden Medizinalbeamtin im britischen Gesundheitsministerium, so genannten „gründlichen wissenschaftlichen Analyse“ der bei den Skripals gefundenen Substanz, riet die Regierung denen, die mit dieser in Kontakt gekommen sein könnten, ihre Kleidung zu waschen, sowie Oberflächen mit warmem Wasser und feuchten Tüchern abzuwischen. Verdächtige Örtlichkeiten wurden von der Feuerwehr abgespritzt.

Doch wenn die Substanz abwaschbar war, warum wurde sie dann auf einem Türgriff außen an der Tür angebracht? Tatsächlich regnete es stark an diesem Tag in Salisbury und hatte sogar schon länger stark geregnet.

Kann mir jemand ein Szenario erklären, bei dem zwei Menschen beide den äußeren Türgriff berühren, wenn sie das Haus verlassen und die Tür schließen? Und wenn das Gift von einem auf den anderen übertragen wurde, warum wurde es dann nicht ebenfalls auf die Ärztin übertragen, deren umfangreiche Hilfemaßnahmen sie in engen körperlichen Kontakt brachten, unter anderem mit Flüssigkeiten?

Das zweite Problem hier ist, dass die Nowitchok-Nervengift-Gruppe unmittelbar wirksam ist. Es existiert schlichtweg kein Nervengift mit verzögerter Wirkung. Erinnern wir uns, dass Theresa May uns ausdrücklich mitgeteilt hat, dass dieses Nervengift bis zu zehnmal stärker als VX ist, jenes von Porton Down entwickelte Nervengift, das Kims Bruder innerhalb von 15 Minuten tötete.

Sollte das Gift tatsächlich auf dem Türgriff gewesen sein, müsste ihr letzter möglicher Kontakt damit drei Stunden vor Eintritt der Wirkung erfolgt sein. Nicht nur das: Ihnen ging es gut genug, um Auto zu fahren, durch ein Einkaufszentrum zu schlendern, einen Pub zu besuchen und dann – dies ist der wirklich unglaubliche Teil – waren ihre zentralen Nervensysteme in solch guter Verfassung und ihr Verdauungstrakt in einem solchen Gleichgewicht, dass sie in der Lage waren, sich hinzusetzen und eine vollständige Restaurantmahlzeit zu verspeisen. Erst nachdem sie all dies getan hatten, wurden sie – beide zum genau gleichen Zeitpunkt, trotz ihres deutlich unterschiedlichen Körpergewichts – von dem Nervengift niedergestreckt, dessen Wirkung sich von jetzt auf gleich von unbemerkt auf tödlich steigerte.

Diese Schilderung ist schlichtweg nicht einmal annähernd glaubhaft. Nervengifte – besonders „militärisch verwendbare Nervengifte“ – wurden als Gefechtswaffen entworfen. Sie lassen Gegner nicht für Stunden weiterkämpfen. In der wissenschaftlichen Literatur findet sich keine Beschreibung eines Nervengifts mit einem solch außergewöhnlichen Zeitbomben-Effekt. Ein weiterer ernst zu nehmender Wissenschaftsprofessor beschreibt ihre schnelle Wirkung in Scientific American:

„Im Gegensatz zu herkömmlichen Giften müssen Nervengifte nicht in Speisen oder Getränke gemischt werden, um zu wirken. Es handelt sich bei ihnen um recht flüchtige, farblose Flüssigkeiten (eine Ausnahme bildet VX, von dem gesagt wird, es ähnele Motoröl). Die Konzentration im Dampf bei Raumtemperatur ist tödlich. Die Symptome einer Vergiftung zeigen sich schnell, sie umfassen ein Zusammenziehen des Brustkorbs, Atemnot und sehr wahrscheinlich Erstickungserscheinungen. Weitere Symptome sind Erbrechen und starke Inkontinenz. Berichten zufolge erbrachen Opfer des Anschlags auf die Tokioter U-Bahn Blut. Kim Jong-nam starb in weniger als 20 Minuten. Man stirbt schließlich entweder durch Erstickung oder Herzstillstand."

Wenn das Nervengift auf dem Türgriff gewesen wäre und sie es berührt hätten, hätten die Symptome eingesetzt, bevor sie das Auto erreichten. Sie wären sicherlich nicht in der Verfassung gewesen, sich zwei Stunden später zu einem guten Mittagessen niederzulassen. Und sie wären vor drei Wochen tot gewesen. Wir beten alle darum, dass sich Sergei ebenfalls erholt.

Der zweite kritische Aspekt bei diesem ausgesprochenen glücklichen Zufall – das Nervengift befindet sich auf dem Türgriff und die britische Regierung ist im Besitz eines russischen Handbuchs zur Applikation eines Nervengifts auf eine Tür – ist die Frage, ob dieses Handbuch echt ist. Das erscheint mir unwahrscheinlich – es klingt viel zu sehr nach der Art von Geheiminformationen, die sie bezüglich irakischer Massenvernichtungswaffen hatten. Zudem stammt es angeblich aus den letzten zehn Jahren, also nicht aus Zeiten des Chaos, sondern aus Putins Regierungszeit, während derer sich der FSB (Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation, Anmerkung der Übersetzerin) als äußerst undurchlässige Organisation erweist. Eine solche kann das MI6 (britischer Auslandsgeheimdienst, Anmerkung der Übersetzerin) nicht einfach unterwandern.

Eine entscheidende Frage ist sicherlich, wie lange Großbritannien bereits im Besitz dieses Handbuches gewesen ist und woher es stammte. Zudem lässt sich fragen, warum Großbritannien es versäumte, es der OPCW auszuhändigen. Oder, mehr noch, warum es dieses jetzt nicht veröffentlicht (ohne eindeutige Hinweise auf die bestimmte Ausgabe), wo die Regierung doch bereits allseits veröffentlicht hat, dass dieses Handbuch existiert und in ihrem Besitz ist. Wenn Boris Johnson will, dass wir ihm glauben, soll er das russische Handbuch veröffentlichen.

Wir sollten ebenfalls überdenken, ob der FSB seine geheimen Attentatsmethoden wirklich in einem Handbuch veröffentlicht? Ebenso wie andere leitende Mitarbeiter des Außenministeriums habe ich eine Reihe von Trainingskursen des MI6 besucht. Einer dieser Kurse zum Umgang mit explosiven Stoffen fand in Fort Monckton statt, unweit von Salisbury. Ein anderer, in einem unscheinbaren Londoner Bürogebäude, behandelte Abhörmethoden. Ich erinnere mich, Vorrichtungen zum Bohren winzigster Löcher in Wände gesehen zu haben, diese Bohrer drehten sich extrem langsam. So dauert es viele Stunden, eine Wand zu durchdringen, doch zumindest entstehen dabei weder Geräusche noch Vibrationen. Dort erfuhr ich, dass dich die Regierung abhören kann, indem sie das Mikrophon in deinem Mobiltelefon aktiviert, selbst wenn das Gerät ausgeschaltet ist. Ich erinnere mich an speerartige Richtmikrophone, die von der Decke hingen und auf entfernte Ziele gerichtet waren, und an ein Abhörgerät, das mithilfe eines Infrarot-Strahls arbeitete, wobei die Zielperson diesen Vorgang vereiteln konnte, indem sie den Vorhang schloss.

Der Punkt ist: Natürlich gab es keine Handbücher für diesen Kram und auch keine Handbücher für irgendeine andere Geheimtechnik des MI6 – derlei wird nicht mal eben aufgeschrieben.

Ich möchte hier hinzufügen, dass ich jegliches Vertrauen in die polizeilichen Ermittlungen verloren habe, als diese der lokalen Polizeibehörde entzogen und an die hochgradig politisierte Anti-Terror-Einheit der Londoner Metropolitan Police übergeben wurden. Ich vermute, die Erklärung des bemerkenswert zweckdienlichen (doch physikalisch unmöglichen) Beweises der Türgriff-Methode, die exakt mit dem „russischen Handbuch“ übereinstimmt, liegt in diesem Vorgang begründet.

Dies sind nur einige der Probleme, die ich in der offiziellen Berichterstattung über die Ereignisse sehe. Boris Johnson hat gelogen, was die sichere Herkunft des Nervengiftes angeht, und der Beweis, den er in der Hinterhand hat, ist zum jetzigen Zeitpunkt schlichtweg nicht überzeugend. Nichts davon beweist, dass es nicht der russische Staat gewesen ist. Doch es gibt ebenfalls keine überzeugenden Beweise, dass es Russland war. Außerdem gibt es noch eine Reihe anderer Möglichkeiten. Vielleicht werden die offenkundigen Unstimmigkeiten in der offiziellen Darstellung dereinst behoben werden, doch es ist offensichtlich, dass Johnson und May vorschnell und höchst unverantwortlich gehandelt haben.

Update

Soeben habe ich mir das veröffentlichte angebliche Telefongespräch zwischen Julia Skripal im Krankenhaus in Salisbury und ihrer Cousine Viktoria angehört, was das Mysterium weiter vertieft. Ich sollte anmerken, dass sich das Gespräch auf Russisch für mich absolut natürlich anhört. Was mich beschäftigt, ist die Passage nach 30 Sekunden, als Viktoria Julia mitteilt, sie bemühe sich um ein britisches Visum, um ihre Cousine zu besuchen.

Julia erwidert: „Niemand wird dir ein Visa ausstellen.“ Darauf sagt Viktoria, sollte sie jemand fragen, ob sie von Viktoria besucht werden wolle, solle Julia Ja sagen. Julias Antwort lautet in etwa „Das wird in dieser Situation nicht passieren“, was impliziert, dass die Briten ihr nicht erlauben würden, Viktoria zu sehen.

Ich bedaure, dass mein Russisch für einen Kreml-Bot recht rostig ist, und jemand anderes hat möglicherweise eine bessere Übersetzung anzubieten, doch diese entscheidende Antwort von Julia fehlt in sämtlichen Abschriften, die ich zu Gesicht bekommen habe.

Was an Julias Situation macht sie glauben, dass ein Treffen zwischen ihr und ihrer Cousine von der britischen Regierung verhindert werden würde? Und warum glaubt sie, dass die britische Regierung ihrer Cousine kein Visum ausstellen würde, im Angesicht dieser schwerwiegenden Krankheitsfälle in der Familie?


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Knobs and Knockers". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.