Abgenutzte Keule

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland wirft dem Bündnis Sahra Wagenknecht vor, Israelhass zu befeuern.

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, erhebt in einem Interview mit der Welt vom 20. August 2024 scharfe Vorwürfe gegen das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Er kritisiert dessen Haltung gegenüber Israel als unangemessen und populistisch. Diese Positionierung, so Schuster, beeinflusse die gesellschaftliche Debatte negativ und fördere den Israelhass in Deutschland. Hierzu gibt es aber auch Gegenstimmen, unter anderem von Jüdinnen und Juden. Es ist bedauerlich, dass sich die unterschiedlichen Lager in ihre Schützengräben zurückgezogen haben, denn Schwarz-Weiß-Malerei hat noch nie zu einer Lösung beigetragen.

Josef Schuster wirft BSW Israelhass vor

Schuster nimmt besonders die Formulierung des BSW von einem „israelischen Vernichtungsfeldzug“ ins Visier. Er hält es für völlig unangemessen, Israels Kampf gegen die Hamas so zu beschreiben, da sich dieser Kampf nicht gegen die palästinensische Bevölkerung richte:

„Von einem ‚Vernichtungsfeldzug‘ zu sprechen, halte ich für völlig unangemessen. Israel kämpft gegen die Terrororganisation Hamas — und nicht gegen die palästinensische Bevölkerung.“

Laut Schuster verstärkt das BSW mit dieser Wortwahl — über die unter anderem der Tagesspiegel berichtete — den Israelhass in Deutschland, statt zu einer sachlichen Auseinandersetzung beizutragen:

„Das BSW befeuert mit seiner eher populistischen Positionierung den Israelhass in Deutschland.“

Schuster betont, dass Frieden nicht nur die Abwesenheit von Krieg bedeutet, sondern auch die Sicherheit der israelischen Bevölkerung gewährleistet sein muss:

„Frieden heißt aber nicht nur einfach ‚kein Krieg‘. Es muss ebenso sichergestellt werden, dass die Bevölkerung in Israel angstfrei leben kann. Ohne Angst vor Terror, Raketen und Krieg. Was wäre denn in Deutschland los, wenn uns ein Nachbarland regelmäßig mit Raketen beschießen würde?“

Bundesregierung: „Deutschland steht an der Seite Israels“

Schusters Position findet Unterstützung in der offiziellen deutschen Politik. So erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann am 14. Februar 2024: „Deutschland steht an der Seite Israels. Nicht nur wegen unserer historischen Verpflichtung.“ Er betonte, dass Israels Kampf gegen die Hamas im Einklang mit internationalem Recht stehe, eine Einschätzung, die auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag bestätigt habe.

Allerdings erinnerte der Internationale Gerichtshof (IGH) am 26. Januar 2024 Israel an seine Verpflichtungen aus dem Völkermord-Übereinkommen und forderte das Land auf, Maßnahmen zu ergreifen, um Verbrechen gegen die Palästinenser zu verhindern, wie das Töten von Gruppenmitgliedern oder die Schädigung ihrer körperlichen und geistigen Unversehrtheit.

Wäre eine solche Aufforderung des IGH nötig, wenn „Israels Kampf gegen die Hamas im Einklang mit internationalem Recht“ stünde?

In einem offiziellen Bericht zum Gaza-Krieg erklärte die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese im März 2024 laut Tagesschau:

„Die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, sieht ‚vernünftige Gründe‘ für die Annahme eines israelischen Völkermords im Gazastreifen.“

Auch der Spiegel kam nicht umhin, Ende Juni 2024 zu melden:

„Südafrika hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof einen Genozid im Gazastreifen vorgeworfen, nun schließt sich Spanien der Klage an.“

Zeichnet die UN-Sonderberichterstatterin oder Spanien auch „Israelhass“ aus?

Kritische Stimmen und Gegenpositionen

Josef Schuster steht mit seiner Sichtweise nicht allein, aber es gibt auch kritische Stimmen. Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, wendet sich gegen Schusters Aussagen. Sie kritisiert die „einseitige politische Unterstützung für Israel“ und wirft dem Zentralrat der Juden vor, die Definition von Antisemitismus für politische Zwecke zu missbrauchen:

„Dieser in Jahrzehnten propagandistisch optimierte Holocaust-Missbrauch ist zu einer wichtigen Waffe des Netanjahu-Regimes geworden. Dieses Mittel allerdings macht immer mehr, gerade auch jüdische Bürger wütend, und sie weigern sich, diese Art der Politik der israelischen Arroganz zu unterstützen.“

Bei diesem Missbrauch stützten sich der Zentralrat der Juden in Deutschland und die offizielle Politik Deutschlands unter anderem auf die Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA):

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Es sei an moralischer Verkommenheit kaum zu überbieten, dass Deutschland als eines der wenigen Länder die IHRA-Fehlinterpretation von Antisemitismus übernommen habe und mit Nachdruck durchsetze.

Opferzahlen in Israel und Palästina

Auch internationale Beobachter wie der ehemalige CIA-Analyst Larry C. Johnson werfen Israel vor, eine unverhältnismäßige Gewaltanwendung gegenüber den Palästinensern zu betreiben. In einem Blogbeitrag am 1. Mai 2024 bezeichnet er vergleichsweise die Hamas als „eine Terrororganisation dritter Klasse“. Als Begründung verweist er unter anderem anhand offizieller israelischer Berichte auf das ungleiche Verhältnis der Opferzahlen zwischen Israelis und Palästinensern seit 20 Jahren:

„Zwischen 2000 und September 2023 hat Israel 8.660 Palästinenser getötet. Das ist fast sechsmal so viel wie die Anzahl der durch palästinensische Terroranschläge in Israel getöteten Israelis.“

Als weitere Quellen dafür führt er eine Analyse von vox.com, gestützt unter anderem auf die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem und Statista.com, an. Er argumentiert, dass die Palästinenser weit mehr Opfer in dem Konflikt zu beklagen haben als Israel.

Israels Selbstentlarvung

David Hearst, ein britischer Journalist, äußerte sich in einem von consortiumnews.com am 19. August 2024 übernommenen Interview mit Chris Hedges ähnlich kritisch über Israels Militäraktionen:

„Und wenn es darum geht, so viele Palästinenser wie möglich zu töten, ist jeder dazu bereit. In Israel herrscht Blutgier. Ich benutze das Wort biblische Rache, aber es ist widerlich, was sie glauben, ungestraft tun zu können und was trotzdem passieren muss.

Eine der schrecklichsten Geschichten kam aus der israelischen Armee, ich weigere mich übrigens, sie die israelischen Verteidigungsstreitkräfte zu nennen, weil ich das Wort IDF nicht verwende, ich sage israelische Armee. Eine dieser schrecklichen Geschichten über Israel kam auf einer sehr guten Website, 972, wie Sie sicher wissen, und es war die Aussage von sechs, glaube ich, Soldaten, alle anonym, die Reservisten in Gaza gewesen waren.“

Einen Tag später zitiert Norman Solomon, nationaler Direktor von RootsAction.org und Geschäftsführer des Institute for Public Accuracy, ebenfalls in einem Beitrag auf consortiumnews.com den amerikanischen Autor und politischen Kommentator Peter Beinart:

„Es ist wirklich nicht mehr so umstritten, dass dies als Völkermord gilt. Ich habe die wissenschaftlichen Schriften dazu gelesen. Ich sehe keinen echten Gelehrten des internationalen Menschenrechts, der sagt, dass es ihn tatsächlich nicht gibt.“

Israels innere Spannungen und die Zukunft des Zionismus

Alastair Crooke, ehemaliger britischer Diplomat, Gründer und Direktor des Beiruter Conflict Forums, verweist darauf, dass selbst der Zionismus in Israel in unterschiedlichen Formen existiert. Diese internen Spannungen könnten das Land destabilisieren.

In seinem Artikel „The 1948 Irgun re-burn?“ vom 5. August 2024 vergleicht er die terroristischen Anschläge gegen die arabische Bevölkerung Mitte der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit dem aktuellen israelischen Krieg.

Auch heute verfolgen die politischen Fraktionen des Zionismus unterschiedliche Visionen für Israels Zukunft — insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit den Palästinensern und den besetzten Gebieten. Crooke prognostiziert, dass diese Differenzen zu einer „inneren Fragmentierung“ führen könnten, die die Stabilität Israels gefährden würde.

Die revisionistischen Zionisten könnten Israel in eine Konfrontation sowohl mit den eigenen Bürgern als auch mit den USA treiben, was letztlich eine existenzielle Bedrohung für das Land darstellen könnte.

In Benjamin Netanjahu sieht er einen „revisionistischen Zionisten“, das heißt, einen Anhänger von Wladimir Jabotinsky (für den sein Vater Benzion Netanjahu als Privatsekretär arbeitete): Der „revisionistische Zionismus“ sei das genaue Gegenteil des kulturellen Zionismus des Jüdischen Weltkongresses.

Fazit

Diese kontroversen Positionen verdeutlichen die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Debatte um den Nahostkonflikt. Sie zeigen, wie unterschiedlich die Akteure die Situation bewerten. Während Schuster und Buschmann auf die Bedrohung Israels durch die Hamas und die Legitimität der israelischen Verteidigungsmaßnahmen verweisen, heben Kritiker wie Johnson, Hearst, Beinart und Crooke die unverhältnismäßigen Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die palästinensische Bevölkerung hervor.

Schwarz-Weiß-Malerei oder die Gleichsetzung von Kritik an Israel mit „Israelhass“ tragen nicht zur Lösung des Konflikts bei. Die Diskussion um Frieden und Sicherheit im Nahen Osten ist tief von ideologischen und politischen Gräben geprägt, die weit in die Vergangenheit zurückreichen.