Der blinde Fleck
Werden wir aktiv gegen die Klimakatastrophe!
Menschliches Handeln hat manchmal Auswirkungen, die sinnlich nicht wahrnehmbar sind. Deshalb können sie leicht im Alltagsbewusstsein, in großen Teilen des öffentlichen Diskurses und in der Politik ausgeblendet werden. Diese Blindheit gegenüber den Folgen der Klimaveränderung unseres Planeten gefährdet nicht nur das Überleben der derzeitigen Weltbevölkerung, sondern auch das zukünftiger Generationen. Es ist dringend an der Zeit, dass Umwelt-, Menschenrechts- und Friedenbewegung mit Eine-Welt-Solidaritäts-Initiativen und antikapitalistischen Kräften zusammenwirken, um die globale Bedrohung abzuwenden.
Günter Anders beklagte schon in den 1950er Jahren im Angesicht immer massiverer Nuklearrüstung die Blindheit von Menschen gegenüber der immer größeren Apokalypsegefahr. (1) Heute durchdringen und verstärken sich die ökologischen, militärischen und sozialen Zukunftsgefährdungen in einem noch größeren Maße. Dennoch verhält sich die Menschheit leichtfertig und ähnlich gefährlich blind, wie Günter Anders vor mehr als 60 Jahren formulierte.
Vielfache Blindheit
Die Blindheit hat verschiedene Aspekte: Einerseits sehen viele ZeitgenossInnen bewusst weg, wenn menschliches Handeln die Gefahr steigert, dass die Folgen der Klima-Katastrophe für die Menschheit immer unkontrollierbarer werden. Ihre Entschuldigung: Es ist ja noch immer gut gegangen. Und: Wer sind wir, dass wir kleinen Wesen uns dermaßen überschätzen, solch große Prozesse im Weltgeschehen mit unseren Mitteln auslösen zu können! Hier steht bewusst kein Fragezeichen, weil diejenigen, die diese Ansicht vertreten, in der Regel meinen: Anthropogene, menschengemachte Klima-Entwicklungen können nicht auf das Konto der Menschheit gehen.
Dieser Satz ist ein Widerspruch in sich. Er klingt zwar plausibel, ist aber dadurch noch längst nicht wissenschaftlich abgesichert. Die Überzeugungswirkung des Argumentes ersetzt in diesem Fall die Beweisführung. Wer das behauptet, ist blind gegenüber der Unsicherheit der eigenen Sicherheit.
Eine andere Form der Blindheit ist die pragmatisch genannte Konzentration auf Wetterbeobachtung und die Warnung vor Alarmisten, die „das Klimathema ... zur Motivation für eine allgegenwärtige Regulierung fast aller Lebensbereiche“ instrumentalisieren, wie es beispielsweise Prof. Hans von Storch schon 2009 behauptete. (2)
Hier besteht die Blindheit ebenfalls darin, dass die Vertreter dieser Position davon ausgehen, sie hätten alleine dadurch recht, weil ihr Vorwurf ankommt, obwohl die Aussage ebenfalls wissenschaftlich nicht valide ist.
Diese in akademischer Sprache formulierten Positionen korrespondieren dann mit einer Haltung im Alltagsbewusstsein, dass Menschen beim Fliegen, beim Laufenlassen des Motors, bei der Ressourcenvergeudung, beim Überheizen, und so weiter die Gedanken abspalten, die ihr Handeln mit möglichen ökologischen Auswirkungen verknüpfen. Falls die Mehrheit der Meteorologen recht hat, und CO2 den Treibhauseffekt verstärkt, sind ungewöhnliche Wetterereignisse die Konsequenzen vermehrter Verbrennungsabgase. Dazu zählen sintflutartig starke Unwetter mit verheerenden Überflutungen oder auch jahrelange Trockenperioden im Umfeld von Wüsten, Hurrikane, Häufungen von „Jahrhundertsommern“, das Abschmelzen sogenannten ewigen Eises in Gletschergebieten und an den Polkappen der Erde, die Verschiebung von Klimazonen und Jahreszeiten.
Indirekte Wirkungen können Überflutungen von Nuklearkraftwerken sein, die wegen des erhöhten ständigen Kühlwasserbedarfs nahe an großen Flüssen oder an der Küste gebaut wurden. Die Erhöhung der durchschnittlichen Erdtemperatur um 1 Grad Celsius beschleunigt nicht nur das Abschmelzen der Polkappen, sondern sie hat auch alleine im Ost-Himalaya circa 2000 Gletscher bereits jetzt verschwinden lassen. (3) Mit diesen Phänomenen korrespondieren Gefahren für riesige Flüsse wie den Ganges, dem der Zufluss verloren geht, sowie auch für bewohnte Regionen nahe der Gletscher, darunter Großstädte wie Lima in den Anden. (4)
„Die ärmsten Menschen sind vom Klimawandel besonders hart betroffen. Steigende Temperaturen erwärmen die Weltmeere, ihr Wasser dehnt sich aus, der Meeresspiegel steigt. ... in Bangladesch sind die Folgen dramatisch. Denn der größte Teil des Landes liegt nur wenige Meter über dem Meer. Das flache, äußerst fruchtbare Schwemmland hat schon immer viele Menschen ernährt. Mit dem Ansteigen des Wasserpegels im Golf von Bengalen wird die ganze Küstenregion überflutet und unbewohnbar werden. Dr. Atiq Rahman, aktueller Preisträger des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), geht von einem Anstieg des Meeresspiegels von 30 bis 45 cm bis zum Jahr 2050 aus. ‚Dieser Anstieg wird verheerende Auswirkungen auf das Ökosystem und die Trinkwasser- und Nahrungsversorgung in der Küstenregion haben‘, sagt der besorgte Atiq Rahman im Gespräch mit NETZ. ‚Bis zu 25 Millionen Menschen werden zu Klimaflüchtlingen werden und gezwungen sein, eine neue Heimat zu suchen‘. Aber im bevölkerungsreichsten Flächenstaat der Erde gibt es für sie keine Ausweichmöglichkeit.“ (5)
Das umgekehrte Problem ist die Desertifikation, die Ausbreitung von Wüstengebieten, die Bodenerosion, vor allem durch Austrocknung: „Der Klimawandel ... könnte bis 2050 bis zu 143 Millionen Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen.“ (6) Im nächsten Jahrzehnt erwartet die Bonner Initiative „Economics of Land Degradation“ 50 Millionen Klimaflüchtlinge durch Bodenentwertung in der Folge der Erwärmung des Weltklimas. (7)
Die Prognose der Bonner Initiative stellt in ihrem Bericht einen Zusammenhang her zwischen der verheerenden Kraft des Krieges in Syrien und der zwischen 2007 und 2010 bis dahin nie gekannten Trockenheit. Diese habe zu Not, Binnenflucht, Verzweiflung und Gewalt geführt. Die Autoren des Berichts informieren, dass in der Folge circa 1,5 Mio. Farmer nach einem Überleben in den Städten suchten‚ein Faktor, der eventuell zum Bürgerkrieg führte. (8)
Klimaflüchtlinge erhalten nach der Genfer Flüchtlingskonvention keinen Schutz. Daher besteht die Gefahr, dass eine unüberschaubare millionenfach große Zahl an Menschen ihrem Schicksal überlassen wird.
Das geschieht beispielsweise schon heute in der Sahara zwischen dem Kriegsland Mali und Niger, wo die EU-Flüchtlingsbekämpfung der Regierung große Summen für die Grenzkontrolle zu Verfügung stellt.
In der Folge ist derzeit eine unvorstellbare Tragödie an nie gezählten Sahara-Toten zu beklagen, die in der sengenden Sonne ohne Versorgung und Kleidung elendig zugrunde gehen, damit sie nicht im reicheren Teil der Erde ankommen. Vorwürfe, Flüchtlinge seien gezielt eingesetzt, etwa um die Löhne in Europa zu drücken und damit die Profite der Reichen zu steigern, zeigen vor allem dies: Der Kapitalismus ist unfähig, den Lebensinteressen der Ärmsten dieser Erde und der ärmeren Teile der Lohnabhängigen gerecht zu werden. Davon und vom Verbrechen des bewusst in Kauf genommenen Massentodes vor den Grenzen der reicheren Staaten lenken die Herrschenden ab, indem sie Rassismus schüren und – wie die Bildzeitung – nicht zustande gekommene Abschiebungen skandalisieren. (9)
Das Bestreben, die Öffentlichkeit mit derart manipulativer Berichterstattung zu vergiften, kann in der Tat sogar von militärischen Antworten auf den Klimawandel und seine Konsequenzen ablenken. Es ist die Aufgabe der Friedensbewegung, dieses Ansinnen durch Aufklärung zu durchkreuzen. Konkret berichtet sogar das Bundesumweltamt auf seiner Website:
„Eine vom Pentagon in Auftrag gegebene und kürzlich an die Öffentlichkeit gelangte Studie über Klimaschutzszenarien und ihre Sicherheitsauswirkungen für die USA hat weltweit ein lebhaftes Echo ausgelöst. Darin werden apokalyptische Schreckensszenarien für Nord- und Mitteleuropa infolge eines bereits im nächsten Jahrzehnt einsetzenden abrupten Klimawechsels entworfen.“ (10)
Zu den Schreckensszenarien gehört die Warnung, für einige Länder bedeute der Klimawandel eine Herausforderung durch Massenemigration, da die verzweifelten Völker bessere Lebens-Chancen in Staaten wie den USA suchen. Die Konsequenz, die die Pentagon-Studie daraus zieht, ist Grenzmanagement, konkret: Das US-Verteidigungsministerium managt Grenzen und Flüchtlinge, die aus der Karibik und aus Europa in die USA drängen.
Was die US-Armee in Amerika tun soll, ähnelt dem, was in Europa überlegt wird:
„Der ehemalige Nato-General Egon Ramms fordert einen EU-Frontex-Einsatz auf libyschem Festland und schließt dabei auch den Einsatz der Bundeswehr nicht aus. ‚Wenn es ein Mandat des Bundestages für einen solchen Einsatz gäbe, könnte man darüber nachdenken, dass die Bundeswehr die äußere Sicherheit für solche Frontex-Missionen sowie für die Flüchtlingslager in Nordafrika übernimmt‘, sagte er der Bild.“ (12)
Die Antwort auf diese Verletzungen des Menschenrechts muss ein Zusammenwirken der Umweltbewegung mit Menschenrechtsbewegungen, Eine-Welt-Solidaritäts-Initiativen, der Friedensbewegung und antikapitalistischer Kräfte sein. In Deutschland ist dafür der Antikriegstag am 1. September die nächste Gelegenheit, der dann auch die Gewerkschaften mit einbezieht. Die Grenzen verlaufen weder zwischen den Ländern, noch zwischen den verschiedenen Gruppen der Lohnabhängigen, sondern zwischen unten und oben.
Die Milliarden für Rüstung und Krieg braucht die Menschheit zur Abwendung der Zukunftsgefährdungen, wenn wir als Gattung das 21. Jahrhundert nachhaltig überleben wollen. Sicherheitspolitik heißt Abrüstung und Friedenspolitik statt eines Krieges gegen die Natur und gegen die Ärmsten dieser Erde, die heute schon – auch als Flüchtlinge – um ihr Leben ringen.
Nationalismus und Konkurrenz in Trumpschen Wirtschaftskriegen ... bewirken, dass die Menschheit Zeit verliert, statt die not-wendige weltweite Kooperation zugunsten der Abwendung der globalen Bedrohungen aufzubauen. Zeit, die sie vielleicht (bald) schon nicht mehr hat.
Quellen und Anmerkungen:
(1) „Wir sind apokalypseblind, schrieb Anders, blind für die Ungeheuerlichkeit der Gefahr, die wir selbst erschaffen haben. Wir sind unseren eigenen Schöpfungen nicht gewachsen.“ Zitat aus: Tanja Busse, ‚Unsere Apokalypseblindheit‘. Freitag, Berlin 38/2017
(2) Spiegel 11/ 2009
(3) http://www.gletscherarchiv.de/klimawandel/
(4) Spiegel 05.04.2013
(5) https://bangladesch.org/bangladesch/klimawandel.html
(6) https://www.oxfam.de/system/files/oxfam_migration_und-flucht-durch-klimawandel.pdf
(7) https://www.ibtimes.com/land-degradation-desertification-might-create-50-million-climate-refugees-within-2097242
(8) Zitat: „a ‘contributing factor’ that eventually led to the civil war.” Quelle: ebenda
(9) Beispiel: “Die große Abschiebe-Lüge!“ , Bild, 31.07.2017
(10) https://www.bmu.de/pressemitteilung/jetzt-warnt-auch-das-pentagon-vor-dem-klimawandel/
(11) Originalzitat: “For some countries, climate change could become such a challenge that mass emigration results as the desperate peoples seek better lives in regions such as the United States that have the resources to adaptation.” + “Scenario Due to Climate Change … 2020: Department of Defense manages borders and refugees from Caribbean and Europe.”
Quelle: http://halfgeek.net/weblog/special/gwreport/Pentagon.html
(12) https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2018-06/44123538-ex-nato-general-bundeswehr-einsatz-bei-frontex-missionen-moeglich-003.htm