Die Welt von Morgen
Entwurf der Utopie für eine bessere Welt. Teil 2/7.
Dass wir nicht in der besten aller Welten leben, scheint immer mehr Menschen klar zu werden. Angesichts steigender Armut großer Bevölkerungsschichten, der Ausbeutung armer, aber rohstoffreicher Länder, sozialer Verwerfungen und der rasant fortschreitenden Umweltzerstörung offenbart das System immer offensichtlicher seine Unzulänglichkeiten. Viele sind sich einig: Der Kapitalismus ist eine Hauptursache für diese Entwicklungen, er hat sich überlebt und daher kämpfen immer mehr Menschen für eine bessere, eine gerechtere, eine andere Welt. Wie eine solche Welt konkret aussehen kann, ist dabei eine große Herausforderung. Wer allerdings keine Vorstellung davon hat, wohin die Reise gehen soll, tut sich schwer, sinnvoll für eine Veränderung einzutreten. In dieser Artikelreihe soll daher ein Vorschlag für eine alternative Gesellschaft skizziert werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden die Notwendigkeiten eines neuen Systems dargelegt sowie Möglichkeiten präsentiert, wie ein solches aussehen könnte. Dabei wird auf alle wichtigen Bereiche gesellschaftlichen Zusammenlebens eingegangen.
In Teil 1 der Serie haben wir uns mit der Notwendigkeit einer neuen Gesellschaft beschäftigt. Wir haben gesehen, dass der Kapitalismus zu Unfreiheit geführt und einer kleinen Gruppe von wohlhabenden Menschen zu Macht und Einfluss verholfen hat. Dabei unterwirft er jedoch jeden Einzelnen seinen Zwängen des unendlichen Wachstums, wodurch er den ganzen Planeten in den Abgrund reißt. Dem soll nun eine Gesellschaft entgegengesetzt werden, die auf der Basis ganz anderer Prinzipien errichtet wird. Dabei werden die Unzulänglichkeiten des Kapitalismus auch stets aufgegriffen, um eine neue Gesellschaft mit diesem zu kontrastieren.
Die Grundprinzipien: Ökologie, Liebe und Mitmenschlichkeit
Eine neue, veränderte Gesellschaft bedarf veränderter Prinzipien. Während der Kapitalismus alle Entwicklungen den Gesetzen eines fiktiven Marktes unterwirft und Effizienz und Selbstoptimierung zum Zweck der Vermögensmehrung zur Grundlage hat, die stets zu Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Menschen und der Natur sowie zu Selbsthass führen, müssen in einer erneuerten Gesellschaft andere, humanistischere Prinzipien die Grundlage bilden.
Diese sind Ökologie, Mitmenschlichkeit und Liebe.
Ökologie beschreibt das Prinzip, jedes Verhalten an seiner Bedeutung für Mensch und Natur zu messen. Trotz seiner Jahrhunderte langen separatistischen Bestrebungen ist der Mensch noch immer untrennbar ein Teil der Natur. Er verdankt ihr seine Existenz und lebt in und mit ihr. Mehr noch: Mutter Erde ist unser aller Ernährerin. Nur ihr haben wir es zu verdanken, dass wir mit allem versorgt sind, was wir brauchen. In ihrer Macht liegt es, uns mit Nahrung, Licht und Luft zu versorgen – oder uns zu vernichten.
Das Leben muss daher in und mit der Natur stattfinden, nicht in ihr schadenden Bahnen. Der fortwährende Krieg gegen unseren Planeten, den der Kapitalismus uns aufgezwungen hat, muss daher sofort beendet werden. Jede Handlung – im Großen wie im Kleinen – muss auf ihren potenziellen ökologischen Schaden oder Nutzen untersucht werden. Zu wählen ist stets jene Handlungsform, die den geringsten Schaden und/oder den größten Nutzen für die Natur mit sich bringt. Eine solche Abwägung erfordert Weitblick und Voraussicht, Besonnenheit und kritische Reflexion, die in einem umfassenden Bildungssystem dem Menschen nähergebracht werden sollten.
Der zweite Handlungsmotor ist die Mitmenschlichkeit. Im Gegensatz zum kapitalistischen Egoismus, in dem jeder nur nach seinem eigenen Nutzen handelt, muss sich in einer veränderten Gesellschaft jeder Einzelne stets danach fragen, wie er nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mitmenschen dienen kann. Alle Menschen leben in einem komplexen Beziehungsgeflecht miteinander, in dem sich jede Handlung auf andere Menschen auswirken kann. Daher ist der potenzielle Schaden dieser Handlungen gegen den Nutzen für die Mitmenschen abzuwägen. Es gelten ähnliche Voraussetzungen, wie sie auch auf das Grundprinzip der Ökologie Anwendung finden.
Damit ist jedoch nicht die totale Unterwerfung des Individuums unter ein Kollektiv gemeint. Jeder Mensch sollte frei sein, sich selbst und seine Potenziale voll zu entfalten. Die Verwirklichung der Potenziale dient auch der Allgemeinheit. Denn Menschen, die sich frei entfalten können, sind glückliche Menschen und daher viel eher geneigt, ihre Umwelt achtsam zu beobachten und rücksichtsvoll zu behandeln, sie sind hilfsbereiter und kooperativer.
Verbunden werden die beiden Prinzipien durch ein drittes, das der Liebe. Dieses ist wiederum ein dreigeteiltes Prinzip. Liebe beschreibt zunächst und als wichtigste Voraussetzung die Eigen- oder Selbstliebe. Nur wer sich selbst bedingungslos liebt, ist in der Lage, andere und auch seine Umwelt zu lieben und somit sein Handeln am Wohle der anderen sowie der Natur auszurichten. Daher ist die Selbstliebe die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. Diese sollte durch die elterliche Erziehung und umfassende Bildung erfahren werden. Die Liebe zu sich selbst hat der Mensch im kapitalistischen System verlernt; stattdessen fokussiert er seine Liebe auf unbelebte Konsumobjekte, wird aber niemals von diesen zurückgeliebt, sodass er in Apathie und Selbsthass versinkt. Diese seelische Verstümmelung aufzulösen, wird eine schwierige, aber notwendige Aufgabe auf dem Weg in eine bessere Gesellschaft sein. Sie wird durch alle Mittel der Psychologie, durch Bildung und durch gegenseitige Unterstützung der Menschen untereinander möglich.
Weiterhin gehört auch die Liebe zu anderen Menschen dazu, sie ist somit eine unabdingbare Voraussetzung für die Mitmenschlichkeit. Damit ist jedoch keineswegs die entfremdete Form der Liebe gemeint, wie wir sie heute kennen. Diese Form der Liebe ist eine egoistisch motivierte, die sich nur auf einen oder wenige andere Menschen bezieht, in denen der Einzelne etwas sucht, das die eigene Person zu vervollständigen hat. Diese Form der Liebe jedoch kann niemals zur Erfüllung gelangen und auch keine Mitmenschlichkeit bewirken, denn sie führt dazu, dass der Einzelne andere Menschen als Objekt seiner eigenen Wünsche und Vorstellungen betrachtet.
Jene Liebe, von der hier die Rede ist, ist eine, die jeden Menschen als individuelles Subjekt wahrnimmt, als denkenden, fühlenden und handelnden Menschen, der in seiner ganzen Persönlichkeit Wertschätzung verdient. Nur wer seinen Mitmenschen mit bedingungsloser Liebe begegnet, richtet sein Handeln auch nach deren Bedürfnissen aus. Dabei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass jeder Mensch ein Individuum mit eigenen Ansichten, Verhaltensweisen und Bedürfnissen ist.
Schließlich darf auch die Liebe zur Natur und allen aus ihr hervorgegangenen Lebensformen nicht fehlen. Der Mensch hat die Beziehung zur Natur längst verloren und sich in ein paralleles System aus Städten, Fabriken und Straßenverkehr zurückgezogen und versucht, sich von der Natur abzuschotten. Er muss wieder lernen, dass er ein Teil dessen ist, was ihn natürlicherweise umgibt, und dass Natur und das Leben einzigartige Wunder sind, vor denen er Achtung haben sollte.
Bildung sollte ihm diese umfassende Aufklärung vermitteln. Erst dadurch kann die Liebe des Menschen zur Natur wiedererweckt und somit ein rücksichtsvolles und respektvolles Verhalten ihr gegenüber möglich werden. Eine Menschheit, welche die Natur liebt, hätte niemals ein solches Ausmaß der Zerstörung zugelassen, wie wir es unter der Herrschaft des Kapitalismus erleben.
Die drei beschriebenen Grundprinzipien sind unabdingbar für ein menschliches Zusammenleben in Frieden und Würde. Sie können jedoch durch weitere Prinzipien ergänzt werden.
Dies alles wirkt noch sehr abstrakt. Wer sich noch nicht so recht vorstellen kann, wie eine Welt, die auf diesen Grundprinzipien aufgebaut ist, funktionieren soll, erwartet konkretere Aussagen. Daher soll im Folgenden die Gesellschaft im Großen und notwendigerweise auch im Groben skizziert werden. Es ist klar, dass eine Gesellschaft als dynamisches, lebendiges Wesen nicht am Reißbrett entworfen werden kann. Doch es ist möglich, die Grundvoraussetzungen festzulegen, sozusagen ein Gerüst, innerhalb dessen die Gesellschaft lebendig wachsen kann.
Nationalstaaten als überholtes Konzept
Die Organisation der Welt in Nationalstaaten hat sich in der Vergangenheit als schwerwiegender Irrtum herausgestellt. Weder war der Gedanke einer einheitlichen Nation jemals realistisch – besteht doch das Volk eines jeden Landes aus Individuen mit individuellen Bedürfnissen – noch hat sich der Nationalstaat in Fragen der Sicherheit und des Friedens bewährt. Vielmehr hat die Aufteilung der Welt in unterschiedliche Nationen zu Rassismus, Nationalismus, falschem Stolz und somit zu Zwietracht und Krieg geführt.
Nationalität bedingt antagonistisches Handeln, in dem jede Nation, vertreten durch ihre politischen Führer, danach strebte, sich über die anderen zu erheben, sie auszubeuten oder militärisch zu unterwerfen. Auf diese Weise entstanden Feindschaften, die eine globale Kooperation unmöglich machen.
Staaten sind oft willkürlich abgegrenzte Regionen auf der Oberfläche der Erde. Doch hat es ein einheitliches Volk als Bewohner solcher Staaten nie gegeben. Schon allein die Tatsache, dass sich Landesgrenzen im Laufe der Geschichte mehrfach verschoben haben, widerspricht dem Gedanken einer geeinten Nation. Auch kann die Individualität jedes Einzelnen durch das Herbeireden einer Nation nicht ausgelöscht werden. Vielmehr handelt es sich aktuell bei Staaten um Ansammlungen verschiedener Völker und Ethnien, die sich im Laufe der Geschichte an bestimmten Orten der Erde niedergelassen haben und wiederum aus einer Vielzahl an Individuen bestehen. Grenzen wurden – häufig zu Zeiten des Kolonialismus – willkürlich gezogen und beachteten die Ausbreitung der beheimateten Völker nicht.
So hat denn auch der Bayer kulturell und sprachlich mehr mit dem Österreicher gemeinsam als mit dem Hamburger. Die Schweiz verfügt gleich über mehrere Landessprachen, und die Vereinigten Staaten von Amerika gründeten Einwanderer aus verschiedensten Ländern. Jedes Volk ist somit keine homogene, sondern eine sehr heterogene Ansammlung von Menschen, die mehr oder weniger zufällig innerhalb derselben Grenzen leben. Eine solche Einteilung ist somit ungeeignet für das harmonische Zusammenleben aller Menschen.
In einer neuen Gesellschaft gilt die Einteilung der Menschen in sogenannte Nationen folglich als aufgehoben. Ehemalige Ländergrenzen können nur noch als Grenzen von Verwaltungszonen bestehen bleiben, spiegeln aber keine Nationalitäten wider. Politische Verwaltung muss sich an den drei bereits genannten Grundprinzipien menschlichen Handelns orientieren und somit zu einer globalen Kooperation führen, in der alte Feindschaften und Diskriminierung keinen Platz mehr finden.
Die Aufteilung der Welt: Die drei Ebenen
Die politische Verwaltung findet auf drei Ebenen statt, die jeweils durch Räte vertreten werden.
Die unterste Ebene ist jene der Kommunen. Hier werden im entsprechenden Rat politische Entscheidungen der einzelnen Städte oder einer Gruppe von Kleinstädten oder Dörfern getroffen. Es sind dies Entscheidungen, welche die Kommune direkt betreffen.
Angelegenheiten, die auf kommunaler Ebene nicht entschieden werden können, werden an die Regionalräte weitergegeben. Diese sind zuständig für Angelegenheiten, die eine ganze Region betreffen. Zur Aufteilung der Welt in Regionen kann die Orientierung an den ehemaligen Staatsgrenzen dienen oder eine alternative Aufteilung gefunden werden. Der Regionalrat wird jedoch nur aktiv, wenn mindestens ein Kommunalrat ihn dazu auffordert. Weiterhin beschäftigt er sich mit der Verteilung der Versorgungsgüter, die nicht in jeder Kommune vor Ort produziert werden können.
Regionalräte können Angelegenheiten, die auf regionaler Ebene nicht entschieden werden können, an den Globalrat delegieren. Ähnlich wie der Regionalrat verhandelt dieser Angelegenheiten, die auf den darunterliegenden Ebenen nicht zufriedenstellend entschieden werden können und sorgt somit für einen Interessensausgleich. Weiterhin beschäftigt er sich mit der Verteilung notwendiger Güter, die nicht in jeder Region hergestellt werden können, aber zum Leben notwendig sind. Dieser Rat hat aufgrund der globalen Transportwege in besonderem Maße das Leitprinzip der Ökologie zu achten.
Die Räte sind stets um einen Ausgleich widerstreitender Interessen mit den geringsten möglichen Einbußen für alle Parteien bemüht. Sie wenden dabei stets das Prinzip der Kooperation an, um Interessenskonflikte friedlich beizulegen, und streben nach Möglichkeit einen Gewinn aller Interessensgruppe an. Durch die Anerkennung der Unterschiedlichkeit gegenseitiger Bedürfnisse und ihrer kooperativen Erfüllung kann eine friedliche Welt geschaffen werden – ganz frei von den alten, in der Politikwissenschaft von den Realisten vertretenen Vorstellungen des puren Machtstrebens von Staaten und deren antagonistischer Unterwerfung.
Auch wenn es Räte auf mehreren Ebenen gibt, gilt der Grundsatz der Subsidiarität für die höheren Räte. Das bedeutet, dass jede Kommune Entscheidungen für sich selbst trifft, gerne auch in Abstimmung mit anderen Kommunen, sollten sie gemeinsame oder auch divergierende Interessen haben. Auf keinen Fall können die höheren Räte in die Angelegenheiten der Kommunen „hineinregieren“, es sei denn, es handelt sich um Angelegenheiten von regionaler oder gar globaler Bedeutung.
Diese grobe Einteilung mag uns vertraut erscheinen, kennen wir diese doch auch heute in Form der Kommunen, Länder, des Bundes, der EU und schließlich der UN. Doch das hier skizzierte System unterscheidet sich in wichtigen Punkten von dem Bestehenden und bedarf daher einer weiteren, näheren Erläuterung.
Die Räte: Entscheidungsfindung, Verwaltung und Verteilung
Die Demokratie ist unter der Herrschaft des Kapitalismus zu einer reinen Schaudemokratie verkommen. In dem Bestreben, eine „marktkonforme“ Demokratie zu schaffen, die den Kapitalbesitzern überbordende Freiheiten lässt und der proklamierten Abhängigkeit jeder Gesellschaft von den Zwängen des Wachstums geschuldet ist, hat sich schnell herausgestellt, dass eine tatsächliche Mitbestimmung der breiten Masse dieses Ziel gefährden würde.
So wurde die Demokratie auf den bedeutungslosesten Akt des Wählens reduziert, wobei stets die gleichen Parteien mit immer denselben Gesichtern in Zeiten des Wahlkampfes verlockende Versprechungen abgeben, nur um sich nach der Wahl nicht oder lediglich sehr unzureichend daran zu halten und stattdessen weiterhin vornehmlich den Willen der Kapitalbesitzer durchzusetzen und die wirtschaftlichen Zwänge zu perpetuieren.
Dies führt zu absurden Erscheinungen, zu Kanzlerinnen und Kanzlern, die für mehrere Wahlperioden wiedergewählt wurden, da keine echten Alternativen erkennbar waren, und zu Abgeordneten, die aufgrund von Fraktionszwängen gegen ihre eigenen Überzeugungen abstimmen müssen. Weiterhin wurde „der Politiker“ zu einem Beruf, in dem etliche Abgeordnete für Jahrzehnte ihr Dasein fristen, sich ihre Entscheidungen und Gesetzesvorschläge von Lobbyorganisationen des Kapitals diktieren lassen und sich so von den tatsächlichen Anliegen der Menschen entfernen, die zu vertreten ihre Aufgabe ist.
Dies ist nicht Ausdruck einer lebendigen Demokratie, sondern – ganz im Gegenteil – ein parteilicher Totalitarismus, der eine Diktatur des Kapitals befördert, wenn die Abhängigkeit von den Zwängen der Wirtschaft nie im großen Stil in Frage gestellt wird.
Gleichzeitig spielen Politiker in inszenierten Streitigkeiten, Parlamentsdebatten und Meinungsverschiedenheiten den Menschen eine aktive, lebhafte Demokratie vor. Dabei weichen die Inhalte der meisten Parteien nur in leichten Nuancen voneinander ab, das große Ganze des kapitalistischen Diktats findet sich in allen Wahlprogrammen wieder. So wurden und werden denn auch politische Entscheidungen und Gesetze konsequent gegen das Interesse der Bevölkerungsmehrheit beschlossen.
Sei es der Ausbau des Überwachungsstaats, die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, Freihandelsabkommen, Aufrüstung und Kriegstreiberei oder Rentenkürzungen, alle diese Entscheidungen lehnt eine breite Mehrheit der Bevölkerung ab.
Immer mehr Menschen wenden sich jedoch resigniert von der Politik ab, weil sie glauben, sie könnten ja doch nichts ändern oder es gäbe keine Alternative zu solchen Beschlüssen, wie von der Politik mantrahaft ständig wiederholt. Doch trotz dieser Politik gegen die breite Masse fallen die Menschen bei den nächsten Wahlen erneut auf die Versprechungen der Parteien herein und wählen somit gegen ihre eigenen Interessen, sofern sie überhaupt zur Wahl gehen.
Dies ist vermutlich der Hoffnung und dem Willen geschuldet, doch irgendwie die politischen Gegebenheiten beeinflussen zu können und die Zukunft zu verändern, was so aber nie möglich war. Demokratie und Kapitalismus schließen sich gegenseitig aus, da sich die demokratische Herrschaft den Zwängen der Ökonomie unterwerfen muss, um bestehen zu bleiben.
Echte Demokratie
Im Bestreben, eine demokratische Ordnung herbeizuführen, die diesen Namen verdient, muss auf einen Wettstreit progressiver und auf Mitmenschlichkeit beruhender Ideen gesetzt und müssen Wege gesucht werden, eine echte Demokratie zu verwirklichen. Herzstück dieser Demokratie sind die Räte, die im Wesentlichen auf vier Ebenen konkretisiert werden.
Kommunal werden Räte für jeden Berufsstand eingerichtet, beispielsweise für Landwirte, Handwerker, oder für Interessensgruppen wie die kooperative Energieversorgung. Jedes Mitglied des jeweiligen Berufsstandes oder der Interessensgruppe ist automatisch auch Mitglied des entsprechenden Rates. In diesen Räten werden Arbeiten koordiniert, Bedürfnisse für die optimale Ausführung und Verteilung der Arbeit formuliert und gegebenenfalls weitergegeben. Diese Räte arbeiten grundsätzlich unabhängig voneinander und befassen sich nur mit den Angelegenheiten ihres jeweiligen Berufsstandes oder ihrer Interessensgemeinschaft. Die Gestaltung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben findet somit in vollkommener Selbstverwaltung statt.
Parteien wird es auf keiner der Ebenen mehr geben. Natürlich können zwischen den einzelnen Räten Interessensgegensätze auftreten. Diese werden beizulegen versucht – durch Vermittlungen entweder zwischen den betroffenen Räten oder in den Kommunalräten, wenn kommunale Interessen betroffen sind.
Aus der Mitte eines jeden Rates wird ein Vertreter gewählt, der sich mit den Vertretern der jeweils anderen Räte im sogenannten Kommunalrat zusammenschließt. Dieser umfasst einzelne Städte oder eine Gemeinschaft von kleinen Städten und Dörfern. An diesen werden die Angelegenheiten, Vorschläge und Wünsche weitergereicht, die von den Berufs- und Interessensräten nicht zufriedenstellend entschieden werden können, weil sie zum Beispiel das Zusammenwirken unterschiedlicher Räte erforderlich machen oder eine kommunale Angelegenheit betroffen ist.
Weiterhin beschäftigt sich der Kommunalrat mit der Verteilung der Versorgungsgüter (zur Verteilung und Versorgung siehe einen späteren Artikel dieser Serie). Dabei organisiert er diese nicht nur und gibt Bedürfnisse an die Berufsräte weiter, sondern nimmt sie auch aktiv vor, indem seine Mitglieder die Güter in der Kommune entweder an die Menschen direkt oder an die entsprechenden Verteilungspunkte verteilen. Der Kommunalrat ist also nicht nur rein verwaltend tätig.
Aus jedem Kommunalrat einer Region wird jeweils ein Mitglied gewählt, das sich mit den Vertretern der anderen Kommunalräte im Regionalrat zusammenschließt, der geographisch die Vertretung der Menschen innerhalb der Grenzen der vormaligen Nationalstaaten übernimmt. Diese Verwaltungsgrenzen können jedoch auch den Bedürfnissen einer zukünftigen Gesellschaft angepasst werden, dürfen jedoch nicht zu kleinteilig sein. Am sinnvollsten wird es sein, Regionen innerhalb eines Sprachraumes einzurichten.
Dieser Rat wird jene Angelegenheiten aufgreifen, die auf kommunaler Ebene nicht zufriedenstellend behandelt werden können. Wie auch der Kommunalrat übernimmt der Regionalrat Aufgaben der Verteilung. Das bedeutet, dass er dafür Sorge zu tragen hat, diejenigen Kommunen entsprechend zu versorgen, in denen bestimmte Nahrungsmittel oder Güter nicht hergestellt werden können.
Dazu werden die Bedürfnisse auf kommunaler Ebene zusammengetragen, an die jeweilige produzierende Kommune weitergegeben und dann von dort aus verteilt. Aufgrund der Größe der Regionen ist eine Art „Behörde“ zu schaffen, die diese Verteilung übernimmt. Deren Mandat muss jedoch mit dem Mandat des Regionalrates untrennbar verbunden sein, um eine Machtausübung über das Instrument der Versorgung zu verhindern.
Die Regionalräte entsenden wiederum jeweils ein gewähltes Mitglied in den sogenannten Globalrat. Dieser hat im Grunde die gleichen Aufgaben wie der Regionalrat – allerdings auf globaler Ebene. So werden Entscheidungen, die nicht auf regionaler Ebene getroffen werden können, an diesen weitergereicht, und er befasst sich mit der Verteilung auf globaler Ebene. Diese Verteilung findet jedoch sehr restriktiv statt.
Die kapitalistische Überproduktion hat in einer neuen Zukunft keinen Bestand mehr. Daher werden nicht alle produzierten Waren in alle Regionen der Welt versendet, sondern es gilt das Prinzip kommunaler und regionaler Versorgung. Nur in Ausnahmefällen, sei es bei Hungersnöten und Ernteausfällen in ganzen Regionen der Welt oder weil ein grundlegend wichtiges Gut nur in einigen Regionen produziert werden kann, verteilt der Globalrat Güter von einer Region der Welt in eine andere. Zu diesem Zweck muss eine global agierende Behörde geschaffen werden, deren Mandat ebenfalls mit dem des Rates zusammenhängt. Auf diese Weise wird verhindert, dass sich Macht in den Händen der verteilenden Behörde konzentriert.
Weiterhin ist es denkbar, für Angelegenheiten, die eine zwischenkommunale Zusammenarbeit erfordern, zum Beispiel die Energie- und Wasserversorgung, zwischenkommunale Räte zu gründen. Deren Aufgabe beschränkt sich jedoch allein auf den Gründungszweck und sie erhalten daher keinen Sitz in den übergeordneten Räten.
Sicherheitsvorsorge
Zudem beschäftigen sich die Räte mit Fragen des Friedens und der Sicherheit. Selbstverständlich kommt es auf allen Ebenen zu Interessenskonflikten, sei es zwischen Individuen auf kommunaler Ebene, zwischen Kommunen oder den einzelnen Regionen. Diese Konflikte müssen in den jeweiligen Räten mit friedlichen Mitteln beigelegt werden, sodass ein Interessensausgleich im Sinne aller Seiten herbeigeführt wird – unparteiisch, unvoreingenommen und objektiv.
Das Mandat eines jeden Ratsmitglieds auf der kommunalen und den darüberliegenden Ebenen ist streng auf ein Jahr begrenzt. So werden jedes Jahr Wahlen durchgeführt, um den jeweiligen Rat neu zusammenzusetzen. Weiterhin ist eine direkte Wiederwahl einzelner Mitglieder nicht möglich. Es müssen erst einige Wahlperioden vergehen, bis ein Ratsmitglied erneut kandidieren darf. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass sich Politiker zu einer herrschenden Berufsklasse ausbilden, die über andere regiert und sich von den Bedürfnissen der Menschen, die sie vertreten, entfernt. Die Politik ist Dienst an den Menschen, keine Herrschaft über sie.
Ohnehin regieren die Räte nicht über die Menschen, sondern sie führen nur deren Wünsche aus. Sie sind somit streng an das Vertrauen der Menschen, die sie vertreten, gebunden und von diesem anhängig.
Nach jeder Wahl wird es eine Übergangszeit konstituierender Sitzungen geben, in denen sich die Ratsmitglieder kennenlernen und aus ihrer Mitte ein Mitglied in den nächsthöheren Rat entsenden. Diese Übergangsperiode ist in das einjährige Mandat nicht eingerechnet. Dieses beginnt erst nach Abschluss der Wahl für den nächsthöheren Rat.
Weiterhin unterliegt jedes Ratsmitglied der Kontrolle desjenigen Rates, der ihn entsandt hat. Es hat diesen über sein Abstimmungsverhalten zu informieren und auch über die Beweggründe seiner Abstimmung. Verliert es das Vertrauen „seines“ Rates, sei es, weil es entgegen der in seinem Rat gefällten Entscheidung gestimmt hat, sei es, weil es sich verdächtig macht, sein Amt zu missbrauchen, kann es jederzeit durch Mehrheitsbeschluss im entsendenden Rat abgewählt und durch Neuwahl ersetzt werden. Dies soll Transparenz und eine Vertretung der Mehrheit gewährleisten.
Zudem muss jedes Ratsmitglied den es entsendenden Rat über die Debatten im jeweiligen höheren Rat informieren, sodass der entsendende Rat zu der Debatte eine eigene Entscheidung fällen kann. Diese hat das Ratsmitglied dann im höheren Rat zu vertreten, es sei denn, die getroffene Entscheidung verstößt gegen die Moral und Ethik des Ratsmitglieds. Dies muss das Mitglied jedoch bei der Rechtfertigung seiner Verweigerung gut begründet darlegen und den Verdacht ausräumen, dass es diese Ausnahme missbraucht, um seinen Willen durchzusetzen. Sonst kann es abgewählt werden.
Eine Abwahl im Kommunalrat führt auch zum Erlöschen des Mandates in den höheren Räten. So kann ein Mitglied im Regionalrat oder im Globalrat durch den ursprünglich entsendenden Berufs- oder Interessenrat auch auf höchster Ebene abgewählt werden, sollte es sein Amt missbrauchen oder gegen eines der grundlegenden Prinzipien verstoßen.
Politische Gestaltung ist jedoch nicht auf die Ratsmitglieder beschränkt. Sie gießen diese nur in Gesetzesform und in Handlungen. Doch auch außerhalb der Räte muss gesellschaftliche Gestaltung möglich sein. So steht es jedem Menschen frei, Ideen, Anregungen, Vorschläge und Wünsche in den politischen Prozess einzubringen, entweder über die Berufs- und Interessensräte oder direkt in den Kommunalrat. Diese müssen stets berücksichtig und debattiert und – falls erforderlich – auf die verantwortliche Ebene weitergereicht werden. Auch sind Anhörungen im Rat möglich, in denen der Antragsteller seinen Antrag begründen kann.
Jeder Rat orientiert sich bei der Entscheidungsfindung an den drei Grundprinzipien der Liebe, Mitmenschlichkeit und Ökologie. Stets ist danach zu fragen, wie den Wünschen und Bedürfnissen des größtmöglichen Teils der Menschen – unter Berücksichtigung des Schutzes der Umwelt – entsprochen werden kann. Zu diesem Zweck ist eine Anhörung von Wissenschaftlern, die sich mit den jeweiligen Materien befassen, möglich und gewünscht. Diese müssen vom Rat nicht aufgefordert werden, an der Debatte teilzunehmen, sondern es steht ihnen frei, sich jederzeit im Rat und über medial zu äußern.
Durch die Berichterstattung der Medien wird es jedem einzelnen Menschen möglich, sich über den Stand einer jeden Debatte objektiv zu informieren und auch an der Debatte teilzunehmen. (Mehr zu der Rolle der Medien in einem späteren Artikel dieser Serie). Auf diese Weise können, wenn der Rat sich gegen die Interessen eines größeren Teils der Bevölkerung oder gegen die Natur entscheidet, Teile des Rates oder der gesamte Rat aufgelöst werden. Dazu ist ein Verfahren einzurichten, das alle Menschen der betreffenden Ebene miteinbezieht, die dann für oder gegen die Absetzung stimmen können.
Wiederholung
Ein kommunaler Rat kann nur auf kommunaler Ebene, ein Regionalrat nur auf regionaler Ebene unter Einbezug aller Kommunalräte, die diese Region umfasst, der Globalrat nur auf globaler Ebene unter Einbezug aller Regionalräte aufgelöst werden. Durch die fortwährende Information und Rechtfertigung der einzelnen Ratsmitglieder wirkt sich ein solcher Prozess bis in die Berufs- und Interessenräte aus. Diese müssen sich eine Meinung zu der Absetzung bilden und diese dann an den Kommunalrat weitergeben, der wiederum eine Entscheidung trifft, die an die Regionalräte weitergegeben wird. Auf diese Weise wird der Globalrat auch auf unterster Ebene legitimiert.
Jeder einzelne Rat wählt zu Anfang einer jeden Sitzung aus der Mitte seiner Mitglieder drei Vorsitzende, welche die Themen vorstellen, die Beratungen und die Abstimmungen koordinieren und die Ergebnisse festhalten. Diese Vorsitzenden haben kein Stimmrecht, werden aber jedem Sitzungstag neu gewählt. Kein Ratsmitglied kann an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Vorsitzender sein.
Jeder Mensch ist zugleich Mitglied in mehreren Räten. Stets ist er in den Räten seines jeweiligen Berufes organisiert, darüber hinaus aber beispielsweise auch in jenen der Energie- und Wasserversorgung oder als Eltern, Jugendliche oder alte Menschen. Jedoch kann jeder Mensch nur aus einem Rat in den nächsthöheren gewählt werden. Ist ein Ratsmitglied aus seinem Berufsrat in den Kommunalrat gewählt worden, ist die Wahl in seine Wasser- und Energieversorgung ausgeschlossen. Das Letztere gilt auch in den Folgejahren.
Das Rätesystem ermöglicht durch seine ständig wechselnden Mitglieder und die ständige Kontrolle eine tatsächliche Demokratie, die nicht den Interessen weniger, sondern aller verpflichtet ist. Durch die Partizipation eines jeden Menschen entsteht eine lebendige Demokratie, die das Interesse aller an den sie umgebenden Zuständen und Prozessen wieder wecken und jedem Einzelnen eine Möglichkeit der Mitbestimmung geben soll. Die Räte üben so keine Macht über die Menschen aus, sondern führen nur die Wünsche der Mehrheit aus. Gesellschaftliche Angelegenheiten werden in Selbstverwaltung geregelt.
Das entworfene politische System würde die Partizipation aller ermöglichen. Dieses System wird in weiteren Artikeln durch die Rolle der Bildung und der Medien ergänzt. Gegenstand des nächsten Artikels wird die Rolle des Geldes und die Frage der Verteilung von Gütern sein.